Calvin, Jean - Psalm 81.
Inhaltsangabe: Der Psalm zerfällt in zwei Teile. Der Verfasser – wer es auch sei – ermahnt das Volk, dass es, durch Gottes Hand errettet und zum priesterlichen Königtum und zur besonderen Gemeinde erwählt, dieser unschätzbaren Gnade eingedenk sein und seinem Erlöser sowohl mit Lobgesängen als mit einem heiligen Leben ehrfurchtsvollen Dienst erweisen solle. Hierauf folgt ein in Gottes Namen ausgesprochener Tadel über den Undank gegen seine Milde und Freundlichkeit, mit der er dies Volk zu sich einlud und doch nichts erreichte, als dass es in trotzigem Sinn das Joch des Gesetzes zurückwies.
V. 1 bis 4. Singet fröhlich Gott. Wahrscheinlich ist dieser Psalm für Festtage bestimmt gewesen, an welchen die Juden ihre feierlichen Zusammenkünfte begingen. Denn von Anfang an, so zeigt er, war es die von Gott anbefohlene Ordnung, nicht dass die Leute taub und stumm vor der Stiftshütte ständen (da Gott weder durch Müßiggang noch durch sinnlose und leere Zeremonien geehrt wird), sondern sie sollten durch solche Übungen ihre Einigkeit im Glauben pflegen, ihre Frömmigkeit bekunden und sich zum beständigen Fortschreiten in derselben ermuntern, auch mit vereintem Eifer Gott loben, endlich sich im heiligen Bunde befestigen lassen, in den Gott sie aufgenommen hatte. Wenn aber solcher Brauch für die Festtage schon zur Zeit des alten Testaments bestand, so können wir daraus entnehmen, dass, so oft heutzutage sich Gläubige versammeln, ihre Absicht dabei die sein soll, dass sie sich in der wahren Gottesfurcht üben, sich an Gottes Wohltaten erinnern, in der Erkenntnis seines Wortes fortschreiten und ihre Übereinstimmung im Glauben bezeugen. Wenn nämlich die Menschen nicht vor allem durch die Unterweisung im Glauben sich zur Anbetung Gottes treiben lassen, und wenn nicht das Gedächtnis seiner Wohltaten ihnen den Stoff zu ihren Lobgesängen gibt, - dann treiben sie mit Gott durch ihre unnützen Zeremonien ein leichtfertiges Spiel; ja es ist eine eigentliche Entweihung des Namens Gottes, wenn das Volk, ohne sich durch die Lehre erleuchten zu lassen, seinen Gottesdienst äußerlich erledigt. Darum heißt der Prophet die Gläubigen nicht nur sich zum Zelte versammeln, sondern erinnert sie auch an den Zweck dessen, nämlich dass dort das Gedächtnis an den Gnadenbund erneuert werde zur Mehrung ihres Glaubens und ihrer Gottesfurcht, und dass sie Gottes Wohltaten preisen, welche die Herzen zum Dank bewegen sollen.
Was (V. 3) die Pauken, Harfen und den Psalter anlangt, so haben wir anderswo (zu Ps. 33, 2) gesagt und werden hernach davon zu reden haben, dass es seinen Grund hatte, wenn die Leviten des alten Bundes Musikinstrumente verwendeten, indem nämlich Gott dieselben als Mittel gebrauchen wollte zur Unterweisung des unerfahrenen, einfältigen Volkes bis auf die Zeit der Ankunft Christi. Heutzutage aber, wo die Schatten des Gesetzes vergangen sind die Klarheit des Evangeliums uns eine einfachere Art des Gottesdienstes empfiehlt, wäre es töricht und verkehrt, das nachzuahmen, was der Prophet ja nur für seine Zeit vorgeschrieben hat. –
Unter dem Namen „Neumond“ versteht er im weiteren Sinne auch die übrigen Feiertage. Und obschon täglich Opfer dargebracht wurden, hebt der Psalmist doch den „Tag unseres Festes“ besonders hervor, weil da nach Vorschrift des Gesetzes die Gläubigen sich vor dem Stiftszelte versammelten.
V. 5 u. 6. Denn solches ist eine Weise in Israel. Um der Ermunterung noch mehr Nachdruck zu verleihen, verkündigt der Psalmist, solches Lob Gottes sei dem Volke als ein Gesetz auferlegt worden zur Bestätigung des ewigen Bundes. Da aber Bündnisse auf Gegenseitigkeit beruhen, so sagt er, solches sei als gesetzliche Anordnung für Israel und als Recht für Gott festgelegt worden. –
Mit der Nennung Josephs geht der Prophet auf die Zeit des Volksanfangs zurück, als nach Jakobs Tode das Geschlecht sich in Familien zerteilte. Da nämlich die Vorherrschaft noch nicht dem Stamm Juda zugefallen, Ruben aber aus dem Erstgeburtsrecht ausgeschieden war, so genoss mit Recht Joseph das höchste Ansehen in Anbetracht seiner Wohltat, da er der Vater und Ernährer seiner Brüder und des ganzen Geschlechts geworden war. Übrigens betont der Prophet die Heiligkeit des Bundes mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass Gott, da er das Volk sich zu eigen machte, die Bestimmung aufstellte, dass solche Ehre ihm dargebracht werden solle; mit anderen Worten: das Volk sei mit der Bestimmung erlöst worden, dass es an festgesetzten Tagen sich versammle, um das Gedächtnis der empfangenen Gnade zu erneuern. Der Satz (V. 6): Da sie auszogen, wäre buchstäblich in der Einzahl zu übersetzen: „da er (oder es) auszog“. Dies kann sowohl auf Gott als auf das Volk bezogen werden. Es ist nämlich eine gewohnte Redeweise, dass Gott vor seinem Volke herziehe, wie etwa ein Hirt vor der Herde oder ein Anführer vor dem Heer. Um die Gnade, welche die Errettung bewirkt hatte, noch höher zu preisen, sagt der Psalmist im Namen des Volkes, er sei aus einem tief barbarischen Volke herausgeholt worden; denn es gibt nichts Beschwerlicheres, als sich unter einem Volke aufhalten zu müssen, mit dem man in keinerlei Sprachgemeinschaft steht, die ja ein hervorragendes Gemeinschaftsband ist. Ist doch die Sprache sozusagen ein Kennzeichen und Spiegel des menschlichen Geistes, so dass die, welche der Sprache entbehren, sich gegenseitig gerade so fremd bleiben wie die Tiere des Waldes. Als eine recht schwere Plage kündigt Jesaja (33, 19) an, es würden Feinde kommen „von tiefer Sprache“ und „von undeutlicher Zunge“. Als umso herrlichere Wohltat erkennt also das Volk das an, dass es herausgeholt wurde aus dem Lande der Ägypter, deren Sprache es nicht verstand.
V. 7 u. 8. Da ich ihre Schulter usw. Hier nun erinnert Gott daran, wie mannigfaltig und groß die Wohltaten waren, mit denen er das Volk Israel sich verpflichtet hatte. Denn je härter die Knechtschaft, der sie entrissen wurden, umso erwünschter und köstlicher war nun die Freiheit. Indem also der Prophet berichtet, wie sie unter ihrer Last gebeugt und zur Töpferarbeit, sowie zu anderen niedrigen und harten Verrichtungen verurteilt waren, wobei er die entgegengesetzten Zustände von früher und später untereinander vergleicht, stellt er die Gnade der Erlösung in desto helleres Licht. Ziehen wir nun den Schluss von jenen Leuten auf uns. Nachdem Gott nicht nur unsere Schultern von Ziegellasten befreit und nicht nur unsere Hände von der Arbeit an Öfen entledigt, sondern uns von der unseligsten Gewaltherrschaft Satans errettet und von der Hölle befreit hat, so ist unsere Verpflichtung gegen ihn auch noch viel heiliger als die des alten Volkes.
Dem vorhin ausgeführten Gedanken geht der heilige Sänger auch im folgenden Verse nach. Gott sagt hier, er habe Beistand geleistet, „da du zu mir in der Not schriest“. Darunter verstehe ich Bittgebete. Es kommt ja wohl manchmal vor, dass Menschen, die in äußerste Not geraten sind, nur mit ziellosem Schreien ihr Elend beklagen. Aber im geplagten Volke Israel fanden sich doch noch etliche Funken frommen Sinnes, und aus ihrem Herzen war die den Vätern gegebene Verheißung noch nicht verschwunden; so richteten sie ohne Zweifel ihre Bitten zu Gott. Denn auch solche, die sich sonst nicht mit derartigen Gedanken abgeben, fühlen sich doch, wenn irgendeine größere Not sie bedrängt, durch einen verborgenen, natürlichen Trieb zu Gott hingezogen. Umso eher ist anzunehmen, dass jene Israeliten, denen die Verheißung gegeben war, sich dieselbe dazu dienen ließen, ihren Sinn auf Gott zu lenken. Weil aber niemand den Herrn ernstlich anruft, ohne dass ihn die Hoffnung auf seine Hilfe dazu antreibt, so mussten nach jenem Schreien die Israeliten sich umso eher gedrungen fühlen, die erlangte Erlösung nun auch Gott allein zuzuschreiben. Den Hinweis auf die „Hülle des Wetters“ verstehe ich einfach dahin, dass das Volk auf geheimnisvolle, wunderbare Weise erhört wurde, dass aber dabei öffentliche Zeichen geschahen, aus denen die Israeliten entnehmen konnten, dass Gott ihnen half. Obschon also Gottes Angesicht verhüllt blieb, so war dafür der Donner ein deutliches Merkmal seiner verborgenen Gegenwart. Damit nun die Israeliten diese Gnade desto höher schätzen möchten, wirft Gott ihnen andeutungsweise vor, dieselbe sei Unwürdigen erwiesen worden, indem sie beim Wasser Meriba, d. h. Haderwasser, einen Beweis ihrer boshaften und verkehrten Gesinnung geliefert hatten. (2. Mo. 17, 7; 4. Mo. 20, 13.) Er will sagen: Da eure Gottlosigkeit damals offenkundig war, so ist es gewiss, dass mich keine Rücksicht auf eure Würdigkeit geleitet hat. Diese Rüge trifft aber bei uns nicht weniger zu als bei den Israeliten. Denn nicht nur hat Gott unsere Seufzer gehört, als wir unter Satans Tyrannei darniederlagen, sondern ehe wir geboren waren, hat er uns seinen eingeborenen Sohn zum Lösegeld bestimmt. Sodann, als wir noch Feinde waren, hat er uns das Licht des Evangeliums und des heiligen Geistes geschenkt und uns zur Teilnahme an seiner Gnade berufen. Dennoch hören wir nicht auf, gegen ihn zu murren, ja uns unbändig gegen ihn aufzulehnen.
V. 9 u. 10. Höre, mein Volk. Um die Gemüter noch mehr in Bewegung zu bringen, stellt der Prophet Gott so vor, wie wenn er selbst als Lehrer mitten in die Versammlung träte und vertraulich zu ihr spräche. Das Volk soll daraus verstehen, dass alle Zusammenkünfte, in denen nicht die Stimme Gottes zur Erweckung des Glaubens und der Gottesfurcht erschallt, nutzlos und nichtig sind. Doch sehen wir uns die Worte näher an. Die Einleitung lehrt uns in Kürze, dass Feiertage nicht rechtmäßig und rein begangen werden, wenn nicht dabei die Gläubigen auf Gottes Stimme merken. Denn will man die Hände, die Füße, die Augen und sich selbst ganz zu seinem Gehorsam weihen, so gilt es mit den Ohren anzufangen; so zeigt Gott, dass er keine Anbeter anerkennt als nur solche, die seine Jünger sind. Mit der Aussage „Ich will unter dir zeugen“ deutet er, um seinen Worten mehr Ansehen zu verschaffen, auf seinen feierlich geschlossenen Bund hin. Das Folgende: „Israel, du sollst mich hören“, ist im Grundtext ein abgebrochener Fragesatz. Wörtlich: „Israel, ob du auf mich hörst?!“ – wie es etwa in erregter Rede vorkommt. Der Nachdruck wird dadurch erhöht. Nebenbei gibt Gott in diesen Worten zu verstehen, dass er dem unbotmäßigen Volke nicht traut und kaum hofft, dass es willfährig und empfänglich für die Belehrung sein werde.
Sodann (V. 10) führt er hier den Hauptpunkt, ja so zu sagen den ganzen Inhalt seines Bundes an, wonach er selbst allein groß sein will. Wenn aber jemand vorzieht, mit manchen Auslegern das zweite Glied des 9. Verses mit dem folgenden zu verbinden und zu erklären: „Israel, wenn du auf mich hören willst, so begehre und verlange ich von dir nichts so ernstlich, als dass du dich mit mir begnügst und keine anderen Götter annimmst“, - so habe ich nichts gegen diese Erklärung. Jedenfalls bekräftigt Gott hier dasselbe, was er anderwärts so oft durch Gesetz und Propheten einschärft, nämlich dass er ein eifriger Gott ist und seine Ehre mit keinem anderen teilen will. Zugleich wird aber daran erinnert, dass der Anfang aller wahren Gottesverehrung im Gehorsam stehe. Dabei ist die Gedankenfolge derjenigen bei Mose (2. Mo. 20, 2. 4 und 5. Mo. 5, 6. 8) entgegengesetzt, wo Gott zuerst aussagt, er sei Israels Gott, und dann die Abgötterei verbietet. Hier aber steht jenes Verbot an erster Stelle, worauf erst die Begründung folgt, dass Gott, der das Volk zu seinem Eigentum gemacht, demselben reichlich genügen solle. Vielleicht stellt er auch deshalb jenen Satz voran, um das Volk vom Aberglauben abzubringen; denn diesen gilt es zuerst aus den Herzen zu reißen und auszufegen, ehe die wahre Frömmigkeit in uns Wurzel schlägt.
V. 11. Tue deinen Mund weit auf. Wie er im vorigen durch die Erinnerung an die Erlösung des Volkes demselben Zügel angelegt hat, um seine Schützlinge im Gehorsam zu erhalten, so kündigt Gott nun für die Zukunft an, er wolle ihnen alles Gute reichlich gewähren zur Stillung ihres Hungers. Zu bemerken sind aber folgende drei Gründe, mit denen Gott die Israeliten an sich allein fesselt und es als verkehrtes und gottloses Beginnen erklärt, wenn sie sich zu anderen Göttern neigen. Indem Gott nämlich sich „Jehova“1) nennt, bezeugt er, dass er wesenhafter Gott ist, und spricht damit den Menschen jede Befugnis ab, nach eigenem Gutdünken sich neue Götter zu ersinnen. Dabei liegt auf dem „Ich“ ein starker Nachdruck. Die Ägypter nämlich gaben zwar vor, Gott als den Werkmeister Himmels und der Erde zu verehren, wurden aber darob Lügen gestraft durch ihre Verachtung des Gottes Israels. Denn sowie Menschen dem Herrn den Rücken kehren, statten sie mit der Ehre, die sie ihm geraubt, ihre Truggebilde aus, wenn auch unter allerlei Beschönigungen. Nachdem also Gott sich als Jehova bezeugt hat, weist er seine Gottheit nach an der Hand von Erfahrungstatsachen, indem er eine deutliche Probe davon bei der Erlösung des Volkes abgelegt hat, und besonders indem er die den Vätern zugesagte Treue damals bewährte. Seine Güte nämlich, die man damals beobachten konnte, darf nicht für sich allein in Betracht gezogen werden. Sie hing vielmehr mit dem Bündnisse zusammen, das ebenderselbe Gott mit Abraham geschlossen, der nun seine Wahrheit sowohl als seine Macht bewies und sich dadurch den ihm gebührenden Ruhm sicherte. –
Zum dritten bietet sich Gott nun für die Zukunft an in dem Sinne, er werde, wenn nur Israel im Glauben beharre, seinerseits derselbe gegen die Kinder sein, als den die Väter ihn erfahren hätten, da seine Güte nicht erschöpft sei. Die Mahnung, den Mund weit aufzutun, birgt nämlich den Tadel in sich, dass ein kleingläubiger Sinn den göttlichen Wohltaten den Zugang versperrt hat. Mit anderen Worten: wenn sie Mangel leiden, so liegt die Schuld beim Volk, das für die Güter, deren es bedarf, nicht empfänglich ist, vielmehr mit seinem Unglauben die Wohltaten, die sonst überreichlich ihm zufließen würden, aufhält und abweist. Und nicht nur befiehlt der Herr, den Mund aufzutun, sondern er empfiehlt seine überfließende Gnade noch großartiger, indem er andeutet, dass nichts fehlen solle an der völligen Befriedigung unserer Wünsche, mögen diese einen noch so breiten Raum einnehmen. Daraus geht hervor, dass die himmlischen Gnadengaben uns deshalb so spärlich und tropfenweise zuteilwerden, weil unser Mund zu wenig geöffnet ist. Andere bleiben vollends hungrig und leer, weil sie ihren Mund überhaupt nicht auftun; denn die meisten verschmähen alle vom Himmel her angebotenen Güter, sei es aus Widerwillen, sei es aus Stolz oder Trotz; andere verwerfen sie wohl nicht geradezu, nehmen aber höchstens etliche Tropfen davon an, da ihr Glaube so eng beschränkt ist, dass er den reichen Zufluss jener Güter verhindert. Darin offenbart sich nur zu deutlich die schlechte Gesinnung der Welt, die Gott weder erkennen und ins Herz schließen, noch in ihm ruhen mag. Wenn nun auch Gott hier eine Verehrung mit äußeren Zeichen der Anbetung fordert, so liegt ihm doch nichts am bloßen Namen, - seine Majestät liegt nicht in den zwei bis drei Silben – er hält vielmehr auf die Sache selbst, dass wir unsere Hoffnung nicht anderswohin wenden oder das ihm gebührende Lob seiner Gerechtigkeit, seines Heils und aller Güter auf andere übertragen. Denn mit seinem Gottesnamen bezeugt er, dass die Fülle alles Guten in ihm wohnt, aus der wir gesättigt und befriedigt werden können.
V. 12 u. 13. Aber mein Volk gehorcht nicht. Nunmehr erhebt Gott Klage darüber, dass seine liebevolle Einladung an die Israeliten verschmäht werde; ja schon früher habe er begonnen, ihnen Mut einzusprechen, und immer seien ihre Ohren gegen sein Wort verschlossen gewesen. Er rügt sie nämlich nicht bloß eines kurze Zeit bewiesenen Trotzes, sondern findet, das Volk sei gleich von Anfang an stumpfsinnig und starrköpfig gewesen und fahre stets in derselben Widerspenstigkeit fort. Nun ist es aber eine ungeheuerliche Bosheit, wenn man dem Herrn den Zugang zu sich absperrt und nicht auf ihn hören will, während er bereit ist, mit uns einen Bund einzugehen unter Bedingungen, fast als ob er unsersgleichen wäre. Und damit man nicht unter dem Vorwand der Unwissenheit die Schuld verkleinere, fügt er bei, man habe offenkundig und überlegter weise ihn verachtet und abgewiesen. Die Menschen, die sich so gegen ihn verhielten, müssen also in ihrem Gemüt recht eigentlich vom Teufel bezaubert gewesen sein.
Daher, sagt er (V. 13), sei es gekommen, dass er sie gelassen habe in ihres Herzens Dünkel, d. h. in ihren verstockten Gedanken, so dass sie nun wandeln nach ihrem Rat. Damit bezeugt der Herr, er habe am Volke gerechte Vergeltung geübt, indem er ihm die gesunde Lehre wegnahm und es in seinen gottlosen Sinn dahingab. Denn wie er uns durch sein Wort als durch einen Zaun vom Irregehen abhält, so lockerte er umgekehrt den verkehrten Gelüsten der Juden die Zügel, indem er ihnen ihre Propheten nahm, so dass sie ihre eigenen Irreführer wurden. Und das ist eine überaus schwere, göttliche Rache und ein Zeichen eines verzweifelten Zustandes, wenn er zu unserer Frechheit schweigt und tut, als bemerke er sie nicht, wendet auch kein Mittel zu unserer Besserung an. Während er nämlich sonst uns straft, uns vor seinen Richterstuhl stellt und mit der Angst vor dem Urteil schreckt, lädt er uns zugleich zur Buße ein; sieht er aber, dass er infolge unserer Widersetzlichkeit seine Mühe vergeblich anwenden und mit seinen Ermahnungen nichts ausrichten wird, so hüllt er sich in Schweigen und erklärt damit, dass er sich um unser Heil nicht mehr kümmere. Nichts haben wir darum mehr zu fürchten, als wenn Menschen derartig von Gott sich lösen, dass Satan sie durch ihre ausschweifenden Gelüste nach sich zieht. Doch kann die Stelle auch in weiterem Sinne gefasst werden: Gott habe, da es ihm entleidet war, sich nicht bemüht, das Volk zurückzuhalten, da es durch seine Verderbtheit und Bosheit ihm alle Hoffnung auf Erfolg abgeschnitten hätte. Töricht ist es aber, wenn einige aus dieser Stelle folgern wollen, Gottes Gnade werde allen gleichermaßen zugeteilt, so lange man sie nicht abweise. Auch zu der Zeit, von der unser Text redet, hat Gott mit besonderer Bevorzugung die Kinder Abrahams allein seiner Berufung gewürdigt unter Hintansetzung der ganzen übrigen Welt. Heutzutage, das gebe ich zu, ist dieser Unterschied aufgehoben, damit die Botschaft des Evangeliums, durch welche Gott die Welt mit sich versöhnt, allen gemeinsam zukomme. Und doch sehen wir, wie Gott an besonderen Orten fromme Lehrer erweckt. Wiewohl dieser äußere Schall seiner Botschaft nicht genügen würde, wenn Gott nicht die, die er berufen, kräftig zu sich zöge. Da übrigens die Stelle zeigt, dass es keine verderblichere Pest gibt, als wenn wir von unsern eigenen Gelüsten uns regieren lassen, so bleibt uns keine andere Wahl, als dass wir der fleischlichen Klugheit den Abschied geben und der Leitung des Geistes folgen.
V. 14. Wollte mein Volk auf mich hören. Wiederum deckt der Psalmist die Schande des Volkes auf, - und zwar mit einem ehrenvollen Lob, das er ihnen so gern erteilen möchte und leider nicht erteilen kann. Denn doppelt sündhaft war es von ihnen, dass sie, obschon nach ihrer Berufung Kinder Gottes, sich doch von den Gott entfremdetsten Geschöpfen so gar nicht unterschieden, wie Gott bei Jesaja (1, 3) klagt: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennt es nicht, und mein Volk vernimmt es nicht.“ Wie ein Seufzender ruft der Herr hier aus, welch ein unglückseliges Volk dieses sei, das für sein Heil aufs Beste könnte sorgen lassen und es aus freien Stücken verwirft. Er nimmt die Stellung eines Vaters an und sieht nun, nachdem er an seinem Volke alle Mittel versucht hat, dass es verlorene Söhne sind. So macht er sich in Schmerzensworten und Seufzern Luft, nicht weil er menschlichen Leidenschaften unterworfen wäre, sondern weil er seine Liebe zu uns anders nicht kundtun kann. Dabei scheint der Prophet unsere Worte dem Liede Moses (5. Mo. 32, 29) entlehnt zu haben, wo des Volkes Halsstarrigkeit mit ungefähr denselben Worten beklagt wird. Es liegt darin ein unausgesprochener Vorwurf, aus dem die Juden erkennen mögen, es habe nur an ihrer Bosheit gelegen, dass es ihnen nicht aufs Beste ging.
Will jemand einwenden, die Klage Gottes sei unnütz und sinnlos, da es ja in seiner Macht gestanden hätte, den harten Nacken des Volkes zu beugen; habe er das nun nicht gewollt, so habe er keinen Grund, sich das Ansehen eines schmerzlich bewegten Menschen zu geben, - so antworte ich: das geschieht um unsertwillen und mit Recht, damit wir die Schuld an unserer Unglückseligkeit nicht anderswo suchen als bei uns selbst. Aber wir müssen uns hier hüten, Dinge zu verwechseln, die doch himmelweit auseinanderliegen. Wenn nämlich Gott sich in seinem Worte zu uns herablässt und alle ohne Ausnahme zu sich beruft, so betrügt er niemand. Denn so viele ihrer irgend kommen, werden aufgenommen und erfahren, dass sie nicht vergeblich berufen wurden. Unterdessen aber entsteht auf Grund der verborgenen Erwählung der Unterschied, dass das Wort in weniger Menschen Herz eindringt, bei den anderen aber eben nur das Ohr trifft. Und doch ist es nicht sinnlos, dass Gott unsern Unverstand, nach welchem wir ihm nicht gehorchen, schmerzlich beklagt. Wie er nämlich durch seine Berufung im Wort als Vater an uns handelt, warum sollte er nicht ebenso in solcher Klage sich als Vater erzeigen? Bei Hesekiel (18, 32) verkündigt er ja der Wahrheit gemäß, er wolle nicht den Tod des Sünders, - man suche nur die Erklärung jenes Ausspruchs aus dem ganzen Zusammenhang, und zwar mit lauterem Sinn und ohne Streitsucht! „Er will nicht den Tod.“ Wieso? Er will, dass alle sich zu ihm bekehren. Es steht aber genugsam fest, dass solche Bekehrung nicht durch den freien Willen des Menschen geschieht; es müsste zuerst Gott aus den steinernen Herzen fleischerne machen; ja, diese Herzenserneuerung ist, wie Augustin sehr treffend lehrt, ein größeres Wunderwerk als die Schöpfung selbst. Was hindert denn aber, dass Gott nicht gleichmäßig alle Herzen geneigt und fähig macht zu seinem Gehorsam? Hier müssen wir uns eben bescheiden und nicht in die geheimen Ratschlüsse Gottes eindringen wollen; es sei uns genug an seinem Willen, wie er im Worte geoffenbart ist. –
Im zweiten Versglied bestimmt der Prophet, was das heißt, „auf Gott hören“. Es ist nicht genug, Beifall zu nicken, wenn er redet. Geben doch auch die Heuchler leicht zu, dass das Wahrheit sei, was aus dem Munde Gottes kommt. Das ist dann ebenso viel wert, wie wenn ein Esel seine Ohren spitzt. Der Psalmist bezeichnet dagegen erst das als ein Hören auf Gott, wenn wir uns dabei seiner Herrschaft unterwerfen.
V. 15 bis 17. So wollte ich ihre Feinde usw. Hier erinnert der Psalmist daran, dass die Niederlagen der Israeliten, so viel sie deren erlitten hätten, sämtlich auf ihre Sünden zurückzuführen seien, da ja die Feinde mit keinen anderen Waffen gekämpft hätten, als mit denen sie vom Himmel her ausgerüstet waren. Gott hatte verheißen, dass sein erwähltes Volk unter seiner Führung alle Feinde besiegen solle; damit nun niemand ihn der Treulosigkeit zeihe, bestätigt er, dass er bereit gewesen sei, solche auch zu tun, und nur des Volkes Sünden hätten ihn daran gehindert. Damit erinnert er unter der Hand an die früheren Siege, die sie nicht durch eigene Kriegstüchtigkeit, sondern durch seine Führung erlangt hatten. Nunmehr sagt er, er sei nicht nur durch ihre Schuld in ihrer Verteidigung behindert, sondern geradezu durch ihre Gottlosigkeit gezwungen, die Feinde gewähren zu lassen und sich mit bewaffneter Hand gegen sein Volk zu kehren. Denselben Gedanken verfolgt er weiter, indem er sagt, die Feinde wären unter ihr Joch gedemütigt worden, wenn nicht die Gottlosigkeit der Israeliten ihnen die Waffen selbst in die Hand gedrückt hätte, indem die letzteren ihr Joch abgeschüttelt und sich übermütig gegen Gott erhoben hätten.
Indem er nun (V. 16) von denen spricht, „die den Herrn hassen“, also von Gottes Feinden, straft er die Israeliten, dass sie ihren Bund gebrochen und sich von Gott losgemacht hätten, so dass er nun den Streit wider seine und des Volkes Feinde unterließ. Wie nämlich irdische Fürsten, wenn sie sich von ihren Bundesgenossen hintergangen sehen, sich zum Waffenstillstand mit den übrigen Feinden entschließen und mit solchem Vertrag sich an den Treulosen und Bundbrüchigen rächen, so, sagt Gott, habe er seine Feinde verschont, da er vom treulosen und verbrecherischen Volk Israel im Stiche gelassen worden war. Denn warum lässt er die offenkundigen Feinde straflos ausgehen und wartet mit der Offenbarung seiner Herrlichkeit zu, wenn nicht deshalb, weil sein widerspenstiges und sittenloses Volk jenen entgegengestellt und von ihnen mürbe gemacht werden soll? – Der Prophet deutet überdies an, dass mit den Gottlosen kein Friede zu erhoffen ist, außer wenn Gott mit geheimen Ketten ihre Wut bändigt; wie ein Löwe auch im eisernen Käfig zwar immer ein Löwe bleibt, aber doch so weit zurückgehalten wird, dass er selbst Menschen, die nur fünf bis sechs Fuß von ihm entfernt stehen, nicht zerreißen und verzehren kann. So mögen die Gottlosen wohl auf unser Verderben lauern, können aber nicht ausführen, was sie gern möchten. Vielmehr demütigt Gott ihre Wildheit so, dass man meinen könnte, sie seien sanftmütig geworden. Kurz, die Schuld der Israeliten ist es, dass ihre Feinde ihnen zu mächtig sind und sie frech verhöhnen, während sie sich ihnen unterwerfen müssten, wenn sie (die Israeliten) züchtige und gehorsame Gotteskinder wären. – Dass „ihre Zeit … ewiglich währen“ würde, ist eine der Verheißungen Gottes,
ebendahin gehört auch (V. 17) die Menge von Weizen und Honig, die ihnen beschert werden soll, dass sie sich daran satt essen können. Gott hatte ja bezeugt, er werde ihnen ein Beschützer und Wächter sein bis ans Ende. Der so plötzlich eingetretene Umschlag wird ihnen also mit scharfem Nachdruck vorgehalten, weil sie mit Fleiß ihre Glückseligkeit von sich geworfen hätten. Dasselbe gilt von der Fruchtbarkeit des Landes. Denn woher kommt es, dass sie Hunger leiden müssen in dem Lande, wo Gott ihnen Weizen und Honig im Überfluss in Aussicht gestellt hatte? Weil Gottes Segen durch ihre Schuld versiegte. „Honig aus dem Felsen“ halten einige für einen überschwänglichen Ausdruck, mit dem der Sänger sagen wolle, eher hätte Honig sogar aus den Felsen fließen müssen, als dass Gott dies Volk nicht gesättigt hätte. Es geht aber aus der heiligen Geschichte hervor, dass bisweilen in hohlen Felsen Honig gefunden wurde, so lange eben Gottes Segen noch in Blüte stand. Und so haben wir es einfach dahin zu verstehen, dass die Gnadenerweisung Gottes sich fortwährend und gleichmäßig fortgesetzt hätte, wenn sie nicht durch die Bosheit und die Missetaten des Volkes unmöglich gemacht worden wäre.