Calvin, Jean - Psalm 54.
Inhaltsangabe :
Der Psalm enthält ein Gebet Davids, das er an Gott richtete, als er sich von den Bewohnern der Wüste Siph verraten und sein letztes Stündlein gekommen sah. Aber eben in dieser Not zeigt er die unüberwindliche Stärke seines Glaubens dadurch, dass er, den Tod vor Augen, dennoch nicht aufhört, Gott anzurufen.
1 Dem Vorsteher auf Saitenspiel: eine Unterweisung Davids; 2 da die von Siph kamen, und sprachen zu Saul: David hat sich bei uns verborgen.
V. 2. Aus der heiligen Geschichte ist es bekannt, dass David des Öfteren in dem Teil der Wüste, der an Siph grenzt, Schlupfwinkel aufgesucht. Wir erfahren, dass er zweimal von den Einwohnern dieser Gegend verraten wurde (1. Sam. 23, 19; 26, 1). Die Notiz, dass unser Psalm gerade unter diesen Umständen gedichtet wurde, stellt uns anschaulich vor Augen, wie kein Übel den David gänzlich zerbrechen noch seine Hoffnung auf Gott lähmen konnte. Es war sicherlich ein Zeichen seltener heldenhafter Tapferkeit, dass er, rings von feindlichen Scharen umgeben, auf Schritt und Tritt den Untergang vor Augen, doch nicht verzweifelte, sondern aus der tiefen Finsternis heraus sich zu Gott erhob, um ihn um seine Hilfe zu bitten. Denn in solcher Lage kann nur jemand bitten, der davon überzeugt ist, dass Gott ebenso leicht einen Toten aus dem Grabe rufen als einen Lebendigen am Leben erhalten kann. Blieb doch dem David nichts anderes mehr übrig, als sich im Höhlendunkel zu verbergen.
3 Hilf mir, Gott, durch deinen Namen, und schaffe mir Recht durch deine Gewalt. 4 Gott, erhöre mein Gebet, vernimm die Rede meines Mundes. 5 Denn Stolze setzen sich wider mich, und Trotzige stehen mir nach meiner Seele, und haben Gott nicht vor Augen. (Sela.)
V. 3. Hilf mir, Gott usw. Weil wir wissen, dass David damals ohne alle menschliche Hilfe und Unterstützung war, so muss uns der Gegensatz auffallen, der besteht zwischen Namen und Gewalt Gottes einerseits und anderseits allen anderen Stützen, auf die sich sonst die Menschen verlassen. Wenn auch Gott allein helfen kann, so hat er doch mancherlei ordnungsmäßige Mittel, die er uns in seiner Gnade und Kraft darreicht. Stellt er uns aber so bloß, dass wir auf der ganzen Welt keine Hilfe finden, dann handelt er in eigener Person. So sucht nun David, jeglicher Hoffnung auf natürliche Hilfe beraubt, mit gutem Recht diese heilige Zufluchtsstätte, im Vertrauen auf seine Rettung durch die Kraft Gottes. In der zweiten Vershälfte bestellt er Gott zum Rächer, der seine Sache zur Entscheidung bringen soll. Damit bekundet er aber auch seine eigene Unschuld. Soll Gott uns schützen, so müssen wir ein gutes Gewissen haben. Denn es gibt keine größere Verkehrtheit, als die, ihn unterschiedslos anzuflehen, als wäre er der Schutzgeist auch für jede böse Sache. David aber kann getrost um seine Rettung bitten, weil er von der Güte seiner Sache überzeugt und sich seiner Rechtschaffenheit bewusst ist. Denn er hegt keinen Zweifel, dass er vor Gottes prüfendem Auge bestehen werde und dass ihn Gott als strenger Richter an seinen treulosen, grausamen Feinden rächen müsse.
V. 4. Gott, erhöre mein Gebet. In diesem Rufe tritt uns die ganze Inbrunst dieses Gebets entgegen. Ohne Zweifel war es der ungeheure Druck der Not, welcher David so ängstlich und brünstig beten ließ. Er klagt darüber, dass er mit rohen und grausamen Menschen zu tun habe, die ohne Scheu auf verbrecherischen Wegen wandelten. Durch diesen Hinweis will er sich aber nicht aufspielen, als müsste er dem Herrn eine Mahnung zukommen lassen. Er sagt ihm vielmehr den Grund seiner Befürchtungen und Unruhe und legt seine Sorgenlast an Gottes Herz. Unter Stolzen und Trotzigen versteht der Psalmist nicht allein die Siphiter, sondern auch Saul und sein Heer. Stammverwandte sind sonst gegeneinander nicht so roh. David will aber hier ihre Entartung brandmarken, indem er sie auf gleiche Stufe mit Fremdlingen stellt. Sie unterscheiden sich gar nicht von diesen, sondern fallen über ihn her, als wäre er ihnen völlig unbekannt und in einem ganz anderen Erdteil geboren. Sie haben keinen Sinn mehr für Menschlichkeit, sondern sinnen allein auf seine Vernichtung. Da ist es kein Wunder, wenn er sich fürchtet und sich zitternd an Gottes Herz flüchtet.
Sie stehen mir nach meiner Seele.Ihre Grausamkeit ist nicht Kränkungen und Anfeindungen zufrieden, sie dürstet nach Blut und Mord. Ihrer Wut lassen sie die Zügel schießen, denn sie haben Gott nicht vor Augen.Allein die Erinnerung an den Richter, der im Himmel thront, und vor dessen Richterstuhl sie einmal Rechenschaft über ihr Leben ablegen müssen, hätte sie zur Besinnung bringen können. Aber der Gedanke an Gott war entschwunden, und so gab es für sie keine Mäßigung.
6 Siehe, Gott stehet mir bei, der Herr erhält meine Seele. 7 Er wird die Bosheit meinen Feinden bezahlen. Verstöre sie durch deine Treue! 8 So will ich dir ein Freudenopfer tun und deinem Namen, Herr, danken, dass er so tröstlich ist. 9 Denn du errettest mich aus aller meiner Not, dass mein Auge an meinen Feinden Lust siehet.
V. 6. Siehe, Gott stehet mir bei.Dieser Vers zeigt, dass David nicht in die Luft hinein betete, sondern dass er bei seinem Gebet von lebendigem Glauben getragen war. Das „Siehe“ hebt dies besonders hervor. Aber wenn er sich auch unter den wilden Tieren schon nicht mehr sicher weiß, wie kann er da die Nähe Gottes fühlen? Wenn ihn schon Todesdunkel wie im Grabe umnachtet, wie kann er da zu Gott aufschauen, als wäre Er zugegen, und gleichsam mit dem Finger auf ihn weisen? Wenn er bangend jeden Augenblick sein letztes Stündlein erwartet, wie kann er da auf die sofortige Hilfe Gottes bauen und sich dessen rühmen? Er muss also von wunderbarer Glaubenskraft erfüllt gewesen sein, um solche Hindernisse zu überwinden und sich ohne Verzug aus den Tiefen des Unglücks zu Gott empor zu schwingen. Der zweite Satz des Verses lautet buchstäblich: „der Herr ist unter den Erhaltern meiner Seele.“ Das hat freilich nicht die Meinung, als wäre er nur einer von vielen. Denn das hieße Gott seiner Ehre berauben, wenn man ihn mit Menschen auf eine Stufe stellen wollte. Wenn David dies meinte, hätte er den Herrn besser ganz aus dem Spiele gelassen, als ihn in die Reihe der Menschen zu rücken. Vielmehr tut er damit kund, dass Gott zu denen gehört, die für sein Heil Sorge tragen, wie Jonathan, der Sohn Sauls u. a. Mögen es aber auch nur wenige sein, die für ihn eintreten, und mögen diese wenigen auch noch schwach und furchtsam sein, so lässt er seinen Glaubensmut doch nicht sinken, der ihm sagt: mit Gott im Bunde und unter Gottes Führung werden wir stärker sein als alle Gottlosen zusammen. In dem einen Gott findet er unendlich mehr Halt als in ungezählten Menschen.
V. 7. Er wird die Bosheit meiner Feinde bezahlen. Dieser Ausdruck kündigt den Feinden nicht bloß im allgemeinen Strafe an, sondern wird zugleich besagen wollen, dass Gott ihre boshaften Anschläge, heimtückischen Ränke und gottlosen Unternehmungen auf ihr Haupt zurücklenken werde. Es wird ihnen mit gleicher Münze heimgezahlt werden. Dabei redet David so zuversichtlich, als hätte er die Erhörung seines Gebets schon erfahren. Oft finden wir seine Gebete durch solche Betrachtungen unterbrochen. Er will sich dadurch selbst stärken und aufmuntern. Darum ist es auch wohl zu verstehen, dass er hier seine Gebetsworte durch den Gedanken unterbricht: Gott wird mein gerechter Rächer sein, der an den Gottlosen und Boshaften Vergeltung üben wird. Ein treffliches Stärkungsmittel ist ihm jetzt die Erinnerung an Gottes Treue. Denn wenn man im Sturm der Anfechtung nicht der festen Überzeugung sein könnte, dass Gott, der für der Seinen Heil sorgt, treu sei und diese nicht mit leeren Worten abspeise, so würde der Geist erlahmen, sobald er mit seiner Hilfe zögert und wartet. David rechnet also mit vollem Recht in seiner Hoffnung darauf, dass Gott seine Treue so wenig verleugnen kann, wie sich selbst.
V. 8. Ich will ein Freudenopfer tun oder wörtlich: ein freiwilliges Opfer. Nach seiner Gewohnheit verspricht David, nach seiner Errettung der Gnade Gottes zu gedenken. Und sicherlich wird er ein feierliches Opfer dargebracht haben, sobald er Gelegenheit dazu hatte. Denn wenn auch Gott nur die Herzensstimmung ansieht, so musste David doch die Vorschriften des Gesetzes erfüllen. So stiftete er ein Gedächtnis der erfahrenen Wohltat, wie es denn allgemein für die Frommen als Pflicht galt, auch andere durch ihr Beispiel zu ermuntern. Freiwillig will er dies tun nicht bloß deshalb, weil es in seinem Belieben stand, sich durch ein Opfer dankbar zu erzeigen, sondern auch deshalb, weil er gerne und freudig ein Gelübde bezahlt, nachdem er die Gefahr überstanden hat. Es ist uns ja nicht verborgen, dass der größte Teil der Welt in Zeiten der Not und Bedrängnis häufig genug dem Herrn Gehorsam verspricht. Sobald aber die Gefahr vorüber, ändern sie ihren Sinn und vergessen Gottes Gnade. Das Gelöbnis Davids, freiwillige Opfer zu bringen, unterscheidet ihn von Heuchlern, die nur von Not und Furcht gezwungen sich Gott unterwerfen. Was lernen wir daraus? So oft wir vor Gottes Auge hintreten, muss unser Herz vom Geist der Freiwilligkeit getragen sein, soll anders unser Dienst dem Herrn wohl gefallen.
Die letzten Sätze des Psalms tun einen Ausblick auf eine fröhliche und friedliche Zeit. Denn mag auch der ganze Psalm erst niedergeschrieben worden sein, als die Gefahr überstanden war, so ist er doch in der Gestalt aufgezeichnet, in der er am Tage der Bedrängnis selbst gebetet worden ist. Jetzt fügt David, nachdem er von aller Angst befreit ist, einen neuen Dankesbeweis hinzu. Durch das eine Beispiel an verschiedene Wohltaten erinnert, die er früher erfahren hatte, bindet er sie gleichsam wie ein Bündlein zusammen. Und so sagt er: Ich will deinem Namen danken, dass er so tröstlich ist. Denn du errettest mich aus aller meiner Not.Dass Davids Auge seine Lust an den Feinden siehet, will besagen, dass er an ihnen einen labenden und ergötzlichen Anblick haben will (vgl. Ps. 35, 21). Allerdings ließe sich fragen, ob Kinder Gottes ein solches Schauspiel, das Gottes Rache über Verbrecher ergeht, so begierig herbeisehnen dürfen. Die Antwort ist leicht: wenn nur das Auge rein ist, kann es in frommer und heiliger Weise sich an den Erweisen der Gerechtigkeit Gottes erquicken; ist es freilich durch eine sündhafte Lust befleckt, so sieht es alles unter diesem verkehrten und sündhaften Gesichtspunkt.