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Calvin, Jean - Psalm 104.

Calvin, Jean - Psalm 104.

Inhaltsangabe: Dieser Psalm unterscheidet sich von dem vorigen, indem er weder von den besonderen Wohltaten Gottes handelt, deren Stätte seine Gemeinde ist, noch uns zur Hoffnung auf das himmlische Leben empor führt. Vielmehr malt er ein lebendiges Bild der Weisheit, Macht und Güte Gottes, die sich im Schöpfungswerk und in der Ordnung der Natur kundtut. So mahnt er uns, den Herrn zu loben, sofern er in diesem vergänglichen Leben sich uns zum Vater gibt.

1Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt. 2Licht ist dein Kleid, das du anhast; du breitest aus den Himmel wie einen Teppich; 3du bauest deine Obergemächer auf Wasser; du fährest auf den Wolken wie auf einem Wagen, und gehest auf den Fittichen des Windes; 4der du Winde zu deinen Boten machst und Feuerflammen zu deinen Dienern.

V. 1. Lobe den Herrn, meine Seele. Nachdem der Dichter sich ermahnt hat, den Herrn zu loben, fügt er hinzu, dass dafür reichlich Grund vorhanden ist. Nebenher sollen wir daraus einen Tadel gegen die Undankbarkeit entnehmen, die des Herrn Lob, welches doch das herrlichste und sichtbarste Stück unseres Lebens sein sollte, in Schweigen begräbt.

V. 2. Licht ist dein Kleid, das du anhast. Dieser Ausdruck gibt zu verstehen, dass der unsichtbare Gott doch seine Herrlichkeit sichtbar macht. Handelt es sich um sein Wesen, so wohnt er gewiss in einem unzugänglichen Lichte. Wenn er aber die ganze Welt mit seinem Glanz erleuchtet, so ist dies ein Gewand, in welchem uns der gleichsam sichtbar erscheint, der in sich selbst verborgen war. Dies vermittelt uns eine überaus nützliche Erkenntnis. Denn wenn die Menschen zu Gottes Höhe sich emporschwingen wollen, mögen sie über die Wolken fliegen, - aber sie müssen doch mitten im Lauf davon abstehen. Es ist Aberwitz, den Herrn in seiner bloßen Majestät zu suchen. Wollen wir seines Anblicks genießen, so muss er mit seinem Schmuck in die Mitte treten, d. h. wir sollen die Augen auf dies schöne Weltgebäude richten, in welchem er sich von uns sehen lassen will, und sollen von der falschen Neugier lassen, die sein verborgenes Wesen erforschen möchte. Bietet sich aber Gott uns an, mit Licht als einem Kleide angetan, so ist auch die Trägheit, die ihn nicht erkennen mag, die Ausrede abgeschnitten, dass er in tiefem Dunkel verborgen sei. Dass Gott den Himmel wie einen Teppich ausbreitet, besagt nicht, dass er sich in denselben verhüllt, sondern dass er sich majestätisch damit schmückt: der Himmel ist gleichsam sein königliches Zelt.

V. 3. Du bauest deine Obergemächer auf Wasser. Was soeben kurz und bildlich über Gottes Gewand gesagt war, wird jetzt mit mehreren Worten erläutert. Alles in allem ist die Meinung, dass man nicht über die Himmel dringen müsse, um Gott zu suchen, weil er uns in der Welt begegnet und überall sein lebendiges Bild vor unsre Augen rückt. Freilich sollen wir uns nicht einbilden, dass etwas von außen zu Gott hinzukäme und die Erschaffung der Welt ihm gleichsam einen Zuwachs brächte: darum ist festzuhalten, dass er um unsertwillen ein Gewand um sich legt. Dass Gott seine Obergemächer auf Wassern bälkt oder erbaut, scheint ein etwas hartes Bild: aber eben dies Unbegreifliche soll uns zur Bewunderung veranlassen. Denn feste und starke Balken sind erforderlich, um auch nur die Last eines mäßigen Hauses zu tragen. Wenn also Gott unter seinen himmlischen Palast Gewässer als Balken legt, wer sollte nicht über ein so unglaubliches Wunder staunen? Unser stumpfer Sinn kann solche hochgespannten Darstellungen nicht entbehren, die eben ausreichen, ihn wenigstens zu einer geringen Erkenntnis zu erwecken. Was es heißt, dass Gott auf den Fittichen des Windes geht, lässt sich aus dem folgenden Vers deutlicher ersehen, wo die Winde als seine Boten bezeichnet werden. Siehe, wie Gott auf den Wolken reitet und auf den Fittichen der Winde einher fährt, da er ja Winde und Wolken nach seinem Belieben umtreibt, mit der Schnelligkeit, die ihm beliebt, hierhin und dorthin sendet und dadurch die Gegenwart seiner Kraft beweist. Diese Worte erinnern uns, dass die Winde nicht von ungefähr sich erheben, noch durch Zufall Blitzstrahlen entstehen, sondern dass Gott unter seinem Regiment und in seinen Zügeln hält, was in der Luft an Ungewittern entsteht. Diese Erkenntnis bringt eine doppelte Frucht. Denn wenn schädliche Winde sich erheben, wenn der Südwind ungesunde Luft herbeiführt, wenn der Nordwind die Saaten ausdörrt und nicht bloß Bäume, sondern auch Häuser umwirft, wenn andere Winde die Früchte der Erde zerstören, soll man vor diesen Geißeln Gottes zittern. Wiederum wenn Gott durch einen sanften Wind die übergroße Hitze mildert, durch den Nordwind die Luft von Fieberkeimen reinigt, durch Südwinde das trockene Erdreich feuchtet, sollen wir darin seine Güte erkennen. Weil übrigens der Apostel im Ebräerbrief (1, 7) unsere Stelle auf die Engel überträgt, haben fast alle Ausleger angenommen, dass David hier allegorisch rede. Ebenso hat man aber auch den ganzen 19. Psalm törichterweise allegorisch umgedeutet, weil Paulus ein Wort, welches dort auf die Himmel sich bezieht, auf die Apostel zu übertragen schien (Ps. 19, 5; vgl. Röm. 10, 18). Aber es war nicht die Absicht des Apostels, die vorliegende Psalmstelle einfach auszulegen: vielmehr weil Gott uns wie in einem Spiegel sichtbar vorgestellt wird, zieht der Apostel einen ganz passenden Vergleich zwischen dem Gehorsam, den ihm handgreiflich und sichtbar die Winde leisten, und demjenigen, welchen er von den Engeln empfängt. Alles in allem: wie sich Gott der Winde als seiner Boten oder Engel bedient, sie hierhin und dorthin lenkt, sie stillt oder erregt, so oft es ihm gut scheint, um durch ihren Dienst seine Macht zu beweisen, - so, dies ist des Apostels Meinung, sind die Engel geschaffen, um Gottes Befehle auszurichten. Das herrliche Schauspiel der ganzen Natur wird uns nur dann zum Fortschritt verhelfen, wenn wir mit den Augen des Glaubens jene geistliche Herrlichkeit erschauen, deren Abbild uns in der Welt erscheint.

5Er hat das Erdreich gegründet auf seine Boden, dass es bleibt immer und ewiglich. 6Mit der Tiefe decktest du es wie mit einem Kleide, und Wasser stunden über den Bergen. 7Aber von deinem Schelten flohen sie, von deinem Donner fuhren sie dahin. 8Die Berge gingen hoch hervor, und die Täler setzten sich herunter zum Ort, den du ihnen gegründet hast. 9Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kommen sie nicht, und dürfen nicht wiederum das Erdreich bedecken.

V. 5. Er hat das Erdreich gegründet usw. Hier predigt der Hinweis auf die Festigkeit des Erdreichs Gottes Herrlichkeit. Denn wie kann die Erde unbeweglich ihren Platz behaupten, da sie doch mitten in der Luft hängt? Dies zählt also der Prophet mit gutem Grunde unter die Wunder Gottes, weil es uns unglaublich sein würde, wenn die Erfahrung nicht zeigte, dass es wahr ist. Es gehört eine starke Böswilligkeit dazu, wenn man sich durch ein so gewisses Zeugnis nicht zu der Erkenntnis führen lässt, dass nichts in der Welt feststeht, wenn es nicht durch Gottes Hand gestützt wird. Denn die Welt hat ihren Ursprung nicht von sich selbst. Darum hängt die ganze Ordnung der Natur von Gottes Ratschluss ab, der jedem einzelnen Element seine Eigentümlichkeit einstiftete. Der Prophet mahnt uns nun nicht bloß, dem Herrn Dank zu sagen, sondern bekräftigt auch für die Zukunft, dass wir unser Leben in der Welt nicht in Angst und Zittern hinzubringen brauchen. Dies müsste ja der Fall sein, hätte nicht Gott bezeugt, dass er den Menschen einen ständigen Wohnsitz auf der Erde gegeben hat. Es ist dies eine ganz besondere Wohltat, dass er uns mit ruhigem Gemüte auf der Erde wohnen lassen will, indem er sie gegründet hat, dass sie bleibt immer und ewiglich. Denn wenn auch oft Städte im Erdbeben untergehen, bleibt doch der Leib der Erde selbst bestehen; je jedes Erdbeben ist nur ein Beweis dafür, dass die Erde in jedem Augenblick zugrunde gehen könnte, wenn sie nicht durch Gottes verborgene Kraft bestünde.

V. 6. Mit der Tiefe decktest du es wie mit einem Kleide. Dies kann doppelt verstanden werden, entweder dass jetzt das Meer die Erde wie ein Kleid bedeckt, oder dass im Anfang, bevor Gott die Gewässer durch sein Wort auf einen Haufen sammelte, die ganze Erde von tiefen Wassern bedeckt war. Besser scheint es zu den Worten des Propheten zu stimmen, dass jetzt das Meer eine Decke für die Erde ist. Denn im Anfang der Schöpfung war die Tiefe weniger ein Gewand, als vielmehr ein Grab: jene ungeordnete Wüste und das ungestaltete Chaos waren ja nichts weniger als ein Schmuck. Wie mir scheint, soll also diese wunderbare Ordnung gepriesen werden, dass das tiefe Meer, welches selbst keine Gestalt hat, doch ein Schmuck der Erde ist. Erläuternd fügt dann der Prophet hinzu: Wasser stunden über den Bergen. Aber von deinem Schelten flohen sie. Das will besagen, dass sie noch immer dort stehen würden, hätte Gott sie nicht vertrieben. Denn dass die Berge hervorragen und die Täler sich senken, ist nur möglich, weil den Gewässern feste Grenzen gezogen sind, so dass sie nicht zurückkehren dürfen, die Erde zu ersäufen. Und er Prophet bekräftigt, dass dies kein Zufall ist; denn müssten sich die Gewässer nicht sofort über die Erde stürzen, wenn Gott sie nicht mit seiner Vorsehung zusammenhielte? Welcher Unterschied von Bergen und Tälern könnte dann noch bleiben? Darum hat der Prophet guten Grund zu der Behauptung, dass es durch ein offenbares Wunder, nicht aber in natürlicher Weise geschieht, wenn eine Fläche von Land zur Erscheinung kommt. Denn wenn Gott dem Meer die Zügel schießen ließe, würden plötzlich die Wasser über den Bergen stehen. Weil sie aber jetzt vor seinem Schelten fliehen, müssen sie sich nach verschiedenen Seiten verteilen. Als ein Schelten Gottes oder als sein Donner wird die schreckliche Herrschaft beschrieben, durch welche er den gewaltigen Ansturm des Meeres zügelt. Denn wenn er auch durch seinen bloßen Wink diese Grenze gezogen hat und noch heute erhält, behält doch angesichts der schäumenden und speienden Wut des Meeres die Vorstellung des Propheten ihr Recht, dass Gott dasselbe mit mächtigem Zwang bändigt und darin seine Kraft herrlich beweist (vergl. auch Jer. 5, 22; Hiob 28, 25). Dass (V. 8) die Berge hoch hervor gingen, und die Täler sich setzten, ist ein dichterischer Ausdruck dafür, dass kein Unterschied zwischen Bergen und Tälern vorhanden sein würde, wenn Gott nicht die Tiefe in ihre Grenzen bannte, so dass sie nun nicht mehr die ganze Erde überströmen kann. Dieser Unterschied aber macht die Erde erst schön. Dass Gott den Tälern einen Ort gegründet hat, wird gesagt, weil am Fuß der Berge kein festes Land sein könnte, sondern die Tiefe dort wüten müsste, wenn nicht Gott gleichsam wider die Ordnung der Natur diese Stellen mit seinem Befehlswort frei hielte.

V. 9. Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kommen sie nicht. Der Hinweis auf die bleibende Ordnung muss zu noch höherem Preis des einmal gesetzten Wunders dienen: es geschieht durch die himmlische Vorsehung, dass ein Teil der Erde als ein trockner Wohnplatz für die Menschen aus den ungeheuren und sich auftürmenden Wassermassen des Meeres hervorragt. Keine Dämme, keine eisernen Schlösser könnten sonst dies von Natur überquillende Element in so festen Schranken halten. Wie ich nun vorhin sagte, dass ein Beben und Reißen der Erde, welches an einzelnen Orten Unheil anrichtet, doch ihren festen Bestand nicht aufhebt, so sollen wir auch wissen, dass das Meer zwar hier und da seine Grenzen überspringt, dass aber nach undurchbrechlichem Gesetz den Menschen eine unberührte Wohnstätte auf dem Lande bleiben muss. Wenn in unserer Zeit das Meer an der flandrischen Küste weite Landstriche verschlungen und ungeheuren Schaden angerichtet hat, so mag diese Überschwemmung uns die Frage nahe legen, was werden würde, wenn Gott seinen Riegel zurückzöge? Dass wir nicht alle mit zugrunde gingen, kam doch nur daher, dass Gott jenes grausame Element mit seinem Wort zusammenhielt. Alles in allem: obwohl die Wasser natürlicherweise das Erdreich bedecken könnten, wird das doch nicht geschehen; denn wie die Wahrheit ewig ist, so bleibt diese Ordnung unangetastet, die Gott durch sein Wort festgelegt hat.

10Du lässest Brunnen quellen in den Gründen, dass die Wasser zwischen den Bergen hinfließen, 11dass alle Tiere auf dem Felde trinken, und das Wild seinen Durst lösche. 12An denselben sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen. 13Du feuchtest die Berge von oben her; du machest das Land voll Früchte, die du schaffest; 14du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde bringest, 15und dass der Wein erfreue des Menschen Herz, dass seine Gestalt schön werde vom Öl, und das Brot des Menschen Herz stärke.

V. 10. Du lässest Brunnen quellen in den Gründen. Als ein weiteres Beispiel der Macht und Gnade Gottes wird uns vorgeführt, dass er Quellen in den Bergen aufbrechen lässt, die nun mitten durch die Täler dahin laufen. Gewiss muss die Erde trocken sein, wenn sie uns zum Wohnplatz dienen soll: wenn aber nicht Wasser zum Trinken vorhanden wäre und nicht die Erde ihre Adern öffnete, müssten alle Lebewesen zugrunde gehen. Der Prophet preist also die weise Ordnung, dass die Erde zwar trocken ist, uns jedoch Feuchtigkeit zufließen lässt. Warum heißt es aber (V. 11), dass alle Tiere auf dem Felde trinken? Warum werden nicht die Menschen genannt, um deren willen die Welt geschaffen ist? Ohne Zweifel soll diese Redeweise die Gnade Gottes noch größer erscheinen lassen, der sich herablässt, seine Fürsorge sogar dem unvernünftigen Vieh zuzuwenden, ja dem Wild des Waldes. Absichtlich spricht der Prophet von wenig bewohnten Gegenden, damit nun ein jeder von uns fruchtbarere und durch Anbau schöner gewordene Landstriche damit vergleiche. Denn auch durch unbebaute Einöden strömen Flüsse, und wilde Tiere genießen dort des Segens Gottes; auch die unfruchtbarste Gegend hat hier und da einen Baum, aus welchem der Gesang der Vögel tönt. Wenn schon an jenen unheimlichen Orten Zeichen der göttlichen Güte und Macht erscheinen, wie viel Bewunderung verdient dann erst die überreiche Fülle von Gütern, die man in angebauten und fruchtbaren Gegenden sehen kann! Es würde doch ein fast tierischer Stumpfsinn dazu gehören, sich hier nicht zur frommen Betrachtung der Herrlichkeit Gottes stimmen zu lassen. Denselben Gedanken verfolgt auch der nächste Satz (V. 13): Du feuchtest die Berge von oben her, buchstäblich: aus deinen Obergemächern. Ist es doch ein ganz besonderes Wunder, dass die Berge, die zu ewiger Trockenheit verurteilt scheinen und gleichsam in der Luft schweben, doch Überfluss an Weideplätzen haben. So schließt der Prophet mit Recht, dass diese Fruchtbarkeit nur daher kommt, weil Gott wie ein verborgener Landmann hier wirkt. Dass Gott dafür eine Arbeit tut, wird zwar in uneigentlichem Sinne, aber doch mit gutem Grunde gesagt: denn er, der trotz seiner ewigen Ruhe das Land segnet, schafft kräftigere Wirkung, als wenn alle Sterblichen mit beständiger Arbeit sich aufreiben würden.

V. 14. Du lässest Gras wachsen usw. Jetzt wendet sich die Rede zu den Menschen, die Gott als seine Kinder seiner besonderen Fürsorge würdigt. Nachdem also der unvernünftigen Tiere gedacht wurde, heißt es, dass Gott Saat für die Menschen gibt, aus welcher Brot hervorgeht, wozu auch noch Öl und Wein kommt, welche nicht zur Stillung der bloßen Notdurft, sondern zur Freude dienen. Wo wir lesen „zu Nutz den Menschen“, übersetzen andere: „für die Arbeit der Menschen“, denn während die Gräser auf den Bergen von selbst und ohne menschlichen Fleiß wachsen, erfordern die Saatfelder Mühe und Schweiß der Menschen. So würde der Ausdruck besagen, dass Gott die Treue segnet, welche die Menschen auf den Ackerbau verwenden. Da dies aber ein etwas fern liegender Sinn ist, bleiben wir besser bei dem gewöhnlichen Verständnis, dass Gott die Saat zu Nutz den Menschen gibt. Will man das „Brot“ im engsten Sinne verstehen, so widerspreche ich nicht; wahrscheinlicher ist es mir doch, dass wir auch an andere Speisen mit zu denken haben. Denn die Erde reicht uns nicht bloß das Getreide, sondern auch Kräuter und Früchte als mannigfaltige Nahrungsmittel dar.

V. 15. Dass der Wein erfreue des Menschen Herz. Diese Worte erinnern daran, dass Gott nicht bloß für das nächste Bedürfnis der Menschen sorgt und ihnen schenkt, was zum regelmäßigen Lebensunterhalt dient, sondern dass er in seiner Herablassung sie noch freundlicher behandelt und ihre Herzen mit Wein und Öl erfreut. Gewiss wäre die Natur mit einem Trunk Wasser zufrieden; kommt der Wein hinzu, so ist dies Gottes besondere Freigebigkeit. Dass des Menschen Gestalt schön, buchstäblich „glänzend“, werde vom Öl, deutet darauf, dass man sich damit salbt. Also wiederum ein Zeichen, dass Gott den Menschen nicht nur darreicht, was zu einem mäßigen Lebensunterhalt gehört, sondern viel mehr schenkt und ihnen auch Freude gönnt. Die letzten Worte: und das Brot des Menschen Herz stärke, buchstäblich „stütze“, verstehe ich folgendermaßen: Es würde zwar das Brot ausreichen, das Leben des Menschen zu erhalten; aber Gott gibt zum Überfluss noch Wein und Öl hinzu. Dieser erneute Hinweis auf das Brot ist also keine überflüssige Wiederholung, sondern dient zum Preise der Gnade Gottes, der als ein überaus freundlicher Vater seine Menschenkinder milde und freigebig erzieht. Weil es nun aber nur zu nahe liegt, dass Gottes Guttätigkeit zum Luxus missbraucht werde, müssen wir in demselben Maße, als Gott uns reichlich spendet, uns hüten, den geschenkten Überfluss durch Maßlosigkeit zu beflecken. Darum gebietet Paulus (Röm. 13, 14), man solle das Fleisch nicht derartig pflegen, dass es üppig werde. Denn wenn wir dem Fleisch alles geben, was es begehrt, lässt sich überhaupt keine Grenze mehr finden. Auf der einen Seite lässt Gott uns in seiner Güte einen weiten Raum, auf der andern Seite befiehlt er uns Mäßigung an, damit man im Überfluss sich freiwillig Schranken ziehe. Er lässt Ochsen und Esel auf die Weide gehen, die zufrieden sind, wenn sie satt werden; indem er aber uns mehr gibt, als nötig, befiehlt er uns ein gewisses Maß an, dass wir seine Wohltaten nicht gierig hinunterschlingen sollen, und will durch Darreichung von Überfluss unsere Bescheidenheit prüfen. Die Regel für den rechten Gebrauch ist die: was uns fürs Leben zur Verfügung steht, soll uns frisch und stark machen, nicht aber lähmen und dämpfen. Auch die brüderliche Mitteilung, die Gott von uns verlangt, ist ein trefflicher Zügel der Unmäßigkeit. Denn der Überfluss der Reichen birgt das Gesetz in sich, dass sie den Brüdern in ihrem Mangel helfen sollen. Weil der Prophet durch den Hinweis auf Gottes Vorsehung gewiss nicht die Schlemmerei befördern will, wollen wir aus seinen Worten zwar schließen, dass man den Wein nicht bloß für den unentbehrlichsten Bedarf, sondern auch für die Freude nützen darf, aber auch, dass man diese Freude in nüchternen Schranken halten soll. Die Menschen sollen sich nicht vergessen, noch ihre Sinne betäuben und ihre Kräfte schwächen, sondern sollen, wie Mose befiehlt (3. Mos. 23, 40), fröhlich sein vor ihrem Gott. Mit Dankbarkeit mögen sie sich in einer Freude ergehen, die sie beweglicher macht für den Gehorsam gegen Gott. Wer in dieser Weise sich freut, wird auch bereit sein, Traurigkeit zu tragen, so oft es Gottes Wille ist. Denn man soll sich an die Regel des Paulus halten (Phil. 4, 12): „Ich bin geschickt, beide, übrig haben und Mangel leiden.“ Wenn also die ernstliche Mahnung ergangen ist, dass man die Lust zügeln müsse, ist es den Menschen auch gut, zu wissen, dass Gott eine ermäßigte Ergötzung gestattet, wo er die Mittel dafür darreicht. Denn ohne dies würde man nicht einmal Brot und Wein mit gutem Gewissen genießen, ja sich vielleicht schon Skrupel darüber machen, dass das Wasser gut schmeckt; sicherlich könnte man nur mit Angst an jede Mahlzeit gehen. Freilich: die meisten Menschen stürzen sich wahllos in alle Vergnügungen, weil sie nicht bedenken, was vor Gottes Angesicht erlaubt ist. Gottes väterliche Freundlichkeit aber sollte uns umso mehr zur Bescheidenheit leiten.

16Die Bäume des Herrn stehen voll Safts, die Zedern Libanons, die er gepflanzt hat. 17Daselbst nisten die Vögel, und die Reiher wohnen auf den Tannen. 18Die hohen Berge sind der Gemsen Zuflucht und Steinklüfte der Kaninchen.

V. 16. Die Bäume des Herrn stehen voll Safts. Jetzt redet der Prophet wieder von der allgemeinen Vorsehung Gottes, die man überall in der Welt spürt; die Bewässerung der Erde, von der schon die Rede war, füllt die Bäume mit Saft, so dass sie den Vögeln eine Wohnstätte bieten. Darnach wird gesagt, dass auch die Gemsen und Kaninchen ihre Schlupfwinkel haben; so erkennt man, dass der gütige Vater nichts versäumt und keine Kreatur von seiner Fürsorge ausgeschlossen ist. Der Übergang der Rede von den Menschen auf die Bäume hat also den Sinn: dass Gott die nach seinem Bilde geschaffenen Menschen so freigebig nährt, darf uns nicht wundern, da es ihm ja nicht zu viel ist, seine Fürsorge auch auf die Bäume auszudehnen. Als Bäume des Herrn werden besonders hohe und schöne Exemplare bezeichnet, in denen Gottes Segen vornehmlich sichtbar wird: scheint es doch, als könnte für diese gewaltige Höhe kein hinreichender Saft aufsteigen, um die Blätter in jedem Jahre wieder zu füllen.

19Du hast den Mond gemacht, das Jahr darnach zu teilen; die Sonne weiß ihren Niedergang. 20Du machst Finsternis, dass es Nacht wird; da regen sich alle wilden Tiere; 21die jungen Löwen, die da brüllen nach dem Raub, und ihre Speise suchen von Gott. 22Wenn aber die Sonne aufgehet, heben sie sich davon, und legen sich in ihre Höhlen. 23So gehet dann der Mensch aus an seine Arbeit und an sein Ackerwerk bis an den Abend.

V. 19. Du hast den Mond gemacht usw. Jetzt wird ein anderer Anlass zum Preise der göttlichen Vorsehung vorgeführt: Gott hat den Lauf der Sonne und des Mondes so geordnet, dass ein überaus passender Wechsel entsteht. Die Mannigfaltigkeit der Bewegungen stört so wenig die Ordnung, dass man vielmehr sehen muss, wie eine bessere Zeiteinteilung gar nicht erdacht werden konnte. Dass der Mond gemacht ist, das Jahr darnach zu teilen, buchstäblich: „für bestimmte Zeitpunkte,“ – erinnert uns daran, dass die Ebräer ihre Monate genau nach dem Mond zu rechnen pflegten und sich an ihn auch bei der Anordnung ihrer Festtage, ihrer heiligen und bürgerlichen Zusammenkünfte hielten. Doch wird der Satz in ganz umfassendem Sinne dahin verstanden werden müssen, dass der Mond nicht bloß Tag und Nacht scheidet, sondern auch die Festtage andeutet, Jahre und Monate abgrenzt und überhaupt mannigfachen Zwecken dient; denn an seinen Lauf lehnte man die Unterscheidung der Zeiten an. Dass die Sonne ihren Niedergang weiß, deute ich nicht allein auf ihren täglichen Umlauf; vielmehr wissen wir, dass sie stufenweise uns bald näher, bald ferner rückt; und darin weiß sie ihre Stationen einzuhalten, wodurch Sommer und Winter, Frühling und Herbst entsteht.

V. 21. Die jungen Löwen, die da brüllen usw. Wenn auch die Löwen, sobald der Hunger sie treibt, gelegentlich am hellen Tage hervorkommen und ein Gebrüll ausstoßen, so beschreibt der Prophet doch, was gewöhnlich geschieht: die Löwen wagen während des Tages nicht hervorzukommen, sondern gehen im Vertrauen auf die Finsternis der Nacht auf Beute aus. Darin kann man Gottes wunderbare Vorsehung erkennen, dass ein so schreckliches Tier sich in seiner Höhle hält, damit die Menschen frei umhergehen können. Dass aber die Löwen zuweilen in größerer Frechheit umherstreifen, ist auf Rechnung des Falles Adams zu setzen, welcher den Menschen die Herrschaft über die wilden Tiere nahm. Indessen bleiben noch gewisse Reste des früheren Segens, indem Gott während des Tageslichts die grausamen Bestien wie in Banden und Ketten hält. Dass dieselben ihre Speise suchen von Gott, will nicht besagen, dass sie sich mit bewusster Anerkennung seiner Fürsorge ihm anvertrauen, sondern nur, dass Gott tatsächlich in wunderbarer Weise diesen so gefräßigen Tieren ihre Speise zukommen lässt.

V. 22. Wenn aber die Sonne aufgehet usw. Der gleiche Gedanke setzt sich noch fort: Gott richtet den Wechsel der Zeiten so rein, dass dem Menschen der Tag zu eigen gehört. Denn es wäre bald um das Menschengeschlecht geschehen, wenn nicht Gott die Schar der uns feindlichen Tiere im Zaum hielte. Da nun nach dem Sündenfall die wilden Tiere nur zu unserer Vernichtung geboren scheinen, damit sie uns zerreißen und zerfleischen, wenn sie uns begegnen, so muss Gottes Vorsehung diese Wut in gewissen Schranken halten. Um sie aber in ihre Höhlen zu verschließen, setzt er ihnen nur das sie schreckende Sonnenlicht entgegen. Dass also der Mensch durch das Tageslicht gegen die Gewalt und die Nachstellungen der wilden Tiere geschützt wird, ist ein Zeichen der unvergleichlichen Güte Gottes, der so väterlich für das menschliche Wohl Fürsorge trifft.

24Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. 25Das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt´s ohne Zahl, beide, große und kleine Tiere. 26Daselbst gehen die Schiffe; da sind Walfische, die du gemacht hast, dass sie drinnen spielen.

V. 24. Der Prophet gibt nicht eine vollständige Beschreibung der Werke Gottes, die ins Unendliche führen müsste, sondern rührt nur einige Beispiele an, damit ein jeder bei sich genauer bedenke und erwäge, wie Gott mit seiner Vorsehung die ganze Welt und alle ihre Teile regiert. Darum bricht er seine Rede ab und ruft bewundernd aus: Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Denn man gibt dem Herrn die gebührende Ehre nur, wenn man sich von Staunen überwältigt fühlt und gestehen muss, dass unsre Sprache und alle unsre Sinne nicht mehr ausreichen. Wenn schon ein kleiner Ausschnitt der Werke Gottes uns zum Staunen zwingt, so wird unser winziger Geist vollends nicht ausreichen, die ganze Fülle zu fassen. Zuerst sagt nun unser Vers, dass Gott alles weislich geordnet habe, sodann: die Erde ist voll deiner Güter. Der Gedanke an Gottes Weisheit schließt seine Macht nicht aus, sondern will nur besagen, dass nichts in der Welt sich in Verwirrung befindet: die ungeheure Menge von Dingen ist mit äußerster Überlegung derartig geordnet, dass man nichts hinzufügen oder wegnehmen oder bessern kann. Dieser Lobspruch steht wider alle sündhaften Träumereien, die uns oft beschleichen, wenn wir in Gottes Werken seinen Plan nicht sehen. Als ob Gott sich durch unsere Torheit zwingen lassen müsste, alle Nörgler zu dulden, die in der Betrachtung seiner Werke sich blind erweisen! Derselbe Lobspruch kehrt sich auch den Wahnglauben, dass die Welt zufällig zusammen geblasen sei, wie denn Epikur den Unsinn vortrug, dass die Elemente aus Atomen sich zusammengesetzt hätten. Es ist aber eine mehr als viehische Lüge, dass ein so wohlgeordnetes und unvergleichlich geschmücktes Gebäude aus einem wilden Sturm von Atomen sich erbaut habe: darum heißt uns der Prophet mit besonderer Aufmerksamkeit auf Gottes Weisheit und unglaubliche Kunst blicken, die in der ganzen Weltregierung widerstrahlt. Als Gottes „Güter“ werden seine Güte und Guttätigkeit bezeichnet. Denn er hat seinen Reichtum nicht für sich, sondern schüttet ihn uns zugute aus, damit für unsern Bedarf nichts fehle. Und es soll uns bezeugt sein, dass die Erde nicht von sich selbst fruchtbar und reicht ist, sondern durch ihren Dienst uns Gottes Freigebigkeit zuleitet.

V. 25. Das Meer, das so groß und weit ist usw. An die auf dem Lande zu findenden Zeugnisse der Herrlichkeit Gottes schließen sich die Wunder des Meeres, welches uns als ein neuer Spiegel der Macht und Weisheit Gottes gezeigt wird. Wenn das Meer von Fischen leer wäre, müsste es schon durch den bloßen Anblick seiner Weite bewunderungswürdig sein, besonders da es bald unter Winden und Stürmen aufschwillt, bald ruhig daliegt. Was (V. 26) die Fahrt der Schiffe angeht, so wird sie zwar durch menschliche Bemühungen bewerkstelligt, hängt aber doch an Gottes Vorsehung, welche den Menschen die Durchquerung des Meeres erlaubt. Die Fülle und die Mannigfaltigkeit der Fische im Meer trägt viel zu Gottes Verherrlichung bei. Besonders herausgehoben werden die Walfische: denn ein einziges von diesen schrecklich großen Tieren stellt uns Gottes gewaltige Kraft vor Augen, weshalb auch im Buch Hiob so viel von ihnen die Rede ist. Von der Bewegung der Walfische, die mit ungeheurer Erschütterung die Herzen der Menschen kaum weniger in Aufruhr versetzt als das Meer, heißt es, dass sie spielen. Gott hat ihnen also das Meer als ihr Feld angewiesen, auf welchem sie sich tummeln sollen.

27Es wartet alles auf dich, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. 28Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftuest, so werden sie mit Gut gesättiget. 29Verbirgest du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub. 30Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und verneuest die Gestalt der Erde.

V. 27. Es wartet alles auf dich usw. Hier beschreibt uns der Prophet wiederum den Herrn als einen Hausvater und Ernährer, der für allerlei Gattung der Lebewesen sorgt. Vorher hörten wir, dass auf den Bergen Gras geschaffen ward zur Nahrung für das Vieh, und dass selbst den Löwen, die doch von Raub leben, Gottes Hand ihre Speise bereitet; der Hinweis auf die Art und Weise, in welcher dies geschieht, lässt nun Gottes Guttätigkeit wunderbar groß erscheinen. Unter allen den unermesslichen Arten von Lebewesen, deren jede eine ungeheure Zahl umfasst, ist doch keins, das nicht täglich seiner Nahrung bedürfte. Darauf deuten die Worte, dass sie alle auf Gott warten oder schauen. Darin wird ausgedrückt, dass sie nicht einmal drei Tage am Leben bleiben könnten, wenn nicht Gott jedes einzelne durch tägliche Fürsorge für seine Bedürfnisse erquickte. Hierfür dient die ungeheure Menge verschiedener Früchte; denn Gott gibt und bestimmt für jede Art die besondere und passende Nahrung. Wenn nun auch die unvernünftigen Tiere der Vernunft und des Urteils entbehren, so dass sie nicht eigentlich selbst bei Gott suchen können, was sie bedürfen, sondern zur Erde geneigt umhergehen, um ihr Futter einzuschlucken, so sagt der Prophet doch ganz passend, dass sie auf Gott warten: denn seine Freigebigkeit muss ihren Hunger stillen, damit sie nicht zu Grunde gehen. Nicht überflüssig ist auch der Zusatz: zu seiner Zeit. Denn Gott legt den Tieren den Jahresertrag derartig zurecht, dass sie zu jeder Zeit ihre Nahrung finden. Da die Erde während des Winters ihr Inneres verschließt, was sollte werden, wenn Gott nicht auf lange Zeit hinaus für Lebensmittel gesorgt hätte? Das Wunder wird also gesteigert, indem Gott zu bestimmten Zeiten die Erde fruchtbar macht und dadurch seinen Segen auch auf die übrige Zeit des Jahres ausdehnt, obgleich Hunger und Durst zu drohen scheinen. Da die Erde im Winter ihren Reichtum zurückzieht, müsste es uns ganz jämmerlich ergehen, wenn wir nicht durch die Hoffnung auf neues Wachstum unsere Seele erquicken dürften. Im Hinblick darauf wird sehr passend gesagt (V. 28): Wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättiget. Denn wenn täglich Getreide wüchse, würde man Gottes Vorsehung nicht so deutlich erkennen. Wenn aber die Erde erstarrt, ist es, als verschlösse Gott seine Hand; wenn er sie wieder fruchtbar macht, scheint er also gleichsam seine Hand auszustrecken und uns vom Himmel her Speise darzureichen. Gibt er aber wilden und unvernünftigen Tieren zur rechten Zeit die Nahrung, mit welcher sie sich sättigen dürfen, so wird für uns sein Segen ein unerschöpfliches Füllhorn sein, wenn wir ihn nur nicht durch den Riegel unseres Unglaubens absperren.

V. 29. Verbirgest du dein Angesicht, so erschrecken sie. Diese Worte zeigen, dass wir nach Gottes Wink stehen und fallen. Denn wir stehen, insoweit er uns mit seiner Kraft hält: sobald er aber den lebendig machenden Geist hinweg nimmt, fallen wir. Dies weiß auch Plato, indem er öfter ausspricht, dass ein eigentliches Sein nur Gott hat, dass alle Dinge aber in ihm ihr Sein haben. Ohne Zweifel wollte Gott durch diesen heidnischen Schriftsteller alle Sterblichen aufwecken, dass sie spüren, wie sie das Leben anderswoher entlehnen. Wenn die Menschen erschrecken, so oft Gott sein Angesicht verbirgt, so geht also von Gottes Augen Leben aus, sobald er uns anzuschauen geruht; und solange sein freundliches Angesicht leuchtet, haucht er allen Geschöpfen Leben ein. Es wäre also eine doppelte unentschuldbare Blindheit, wollten wir nicht auf jene Güte, welche die ganze Welt mit Leben erfüllt, unsererseits die Augen richten. Der Dichter beschreibt nun stufenweise, wie die Lebewesen vergehen, wenn Gott seine verborgene Kraft zurückzieht: so kann er gegensätzlich umso eindrücklicher schildern, wie Gott ihnen ununterbrochen Lebenskraft zufließen lässt. Gewiss hätte er noch weiter fortschreiten und sagen können, dass alles in Nichts zurückkehren wird; er begnügt sich aber mit dem handgreiflichen und verständlichen Ausdruck, dass zu Staub werden muss, was Gott nicht hegt. Neugeschaffen wird nun alles, wenn Gott seinen Odem auslässt. Sehen wir doch eine immer neue Schöpfung der Welt darin, dass immer neue Geschlechter der Lebewesen auftreten. Dass der Odem, der zuvor (V. 29) den Lebewesen zugeschrieben wurde, jetzt (V. 30) als Gottes Odem erscheint, ist kein Widerspruch. Denn Gott lässt den Odem, der bei ihm wohnt, ausgehen, wohin er will; sobald er ihn ausgehen lässt, werden sie geschaffen: auf diese Weise macht er, was sein war, zu unserem Eigentum. Dies will aber nicht im Sinne jenes alten Wahns verstanden werden, den in unsrer Zeit der unreine Hund Servet1) verbreitet hat, der sich erfrechte zu sagen, dass Ochsen, Esel und Hunde Teile des göttlichen Wesens seien. Der Prophet aber beabsichtigte nichts weniger, als den Geist Gottes in dieser Weise zu zerstückeln, so dass ein Teil desselben in jeder Kreatur wohnte. Vielmehr bezeichnete er als Odem Gottes den Geist, der von ihm ausgeht. Unser Odem ist derselbe, weil er uns zum Leben gegeben ward. Alles in allem: wenn wir sehen, wie die Welt täglich dahinschwindet und neu geboren wird, so leuchtet uns in diesem Spiegel Gottes lebendig machende Kraft. Jedes Sterben eines Lebewesens ist ein Beispiel unserer Nichtigkeit; wenn andere Lebewesen nachwachsen, wird uns gleichsam die Erneuerung der Welt vor Augen gestellt. Da also die Welt in ihren Teilen täglich vergeht und neu geboren wird, ergibt sich der Schluss, dass sie nur durch Gottes verborgene Kraft besteht.

31Die Ehre des Herrn ist ewig; der Herr hat Wohlgefallen an seinen Werken. 32Er schauet die Erde an, so bebet sie; er rühret die Berge an, so rauchen sie. 33Ich will dem Herrn singen mein Leben lang, und meinen Gott loben, solange ich bin. 34Meine Rede müsse ihm wohl gefallen. Ich freue des Herrn. 35Der Sünder müsse ein Ende werden auf Erden, und die Gottlosen nicht mehr sein. Lobe den Herrn, meine Seele! Hallelujah!

V. 31. Die Ehre des Herrn ist ewig. Dieser Satz zeigt, zu welchem Zweck Gottes Macht, Weisheit und Güte in seinen Werken gepriesen wurden; der Sinn der Menschen soll zu seinem Lobe aufgerufen werden. Es ist doch eine ganz besondere Ehre, dass Gott die Welt uns zugute mit so glänzendem Schmuck ausgestaltet hat: und wir sind nicht bloß Zuschauer dieses schönen Schauspiels, sondern dürfen auch den mannigfachen Reichtum der Güter genießen, die uns darin dargestellt werden. Dies können wir dem Herrn nur dadurch vergelten, dass wir ihm das schuldige Lob darbringen. Dass der Herr Wohlgefallen hat an seinen Werken, ist ein keineswegs überflüssiger Zusatz. Denn Gott wünscht, dass die Ordnung, die er im Anfang gestiftet hat, durch den rechtmäßigen Gebrauch seiner Gaben Bestand behalte. Als es ihn reute, den Menschen gemacht zu haben (1. Mos. 6, 6), weil er seinen Segen durch dessen Verderbnis befleckt sah, konnten ihm seine Werke nicht mehr zum Wohlgefallen dienen. Die Verwirrungen und Störungen, die eintreten, wenn die Elemente ihren Dienst versagen, sind ein Zeugnis, dass Gott um seines Missfallens und Abscheus willen dem regelmäßigen Lauf seines Segens Einhalt tut. Das will freilich nicht so verstanden werden, als unterläge er der Leidenschaft: er steht wie ein trefflicher Vater vor uns, der sein Wohlgefallen daran hat, seine Kinder freundlich zu hegen und freigebig zu nähren. Der nächste Vers zeigt, dass der Bestand der Welt in jener wohlgefälligen Freude Gottes gegründet ist: denn wenn er die Erde nicht in freundlicher und väterlicher Liebe mit Leben kleidet, sondern mit strengem Auge anblickt, lässt er sie erzittern und lässt selbst die Berge in Rauch aufgehen.

V. 33. Ich will dem Herrn singen mein Leben lang. Indem der Prophet dies ausspricht, geht er andern mit gutem Beispiel voran. Dass er den Herrn bis zu seinem Tode loben will, sagt er nicht, weil etwa die Heiligen im andern Leben dieser Pflicht der Frömmigkeit enthoben wären, sondern weil wir zu dem Zweck geschaffen wurden, dass Gottes Name durch uns auf Erden verherrlicht werde. Weil aber der Sänger sich für unwürdig erkennt, ein solch wertvolles Opfer dem Herrn darzubringen, bittet er demütig (Vers 34): Meine Rede – die ja von befleckten Lippen kommt – müsse ihm wohl gefallen. Gewiss ist dem Herrn nichts erwünschter und angenehmer, als dass wir sein Lob verkündigen, wie er denn auch nichts anderes von uns mit solchem Ernst fordert. Weil aber unsere Unreinigkeit befleckt, was nach seiner Natur hochheilig war, nimmt der Prophet mit gutem Grunde seine Zuflucht zu Gottes Nachsicht: der Herr möge sich herablassen, seinem Lobgesang Raum zu gewähren. Darum lehrt der Apostel (Ebr. 13, 15), dass dem Herrn die Opfer unserer Danksagung wohl gefallen, sofern sie durch Christus dargebracht werden.

Ich freue mich des Herrn. Dies fügt der Prophet hinzu, weil zwar alle ohne Unterschied Gottes Wohltaten genießen, aber unter hundert kaum einer seine Augen zum Geber selbst erhebt. Er beweist damit eine seltene Tugend, weil nichts schwieriger ist, als dass man aus den zwischen Himmel und Erde eitel herumirrenden Freuden den Sinn sammle und sich in Gottes Schranken halte.

V. 35. Der Sünder müsse ein Ende werden auf Erden. Diese Verfluchung ergibt sich aus der früheren Aussage, dass Gott Wohlgefallen an seinen Werken hat. Denn weil die Sünder die Welt mit ihrem Schmutz durchtränken, verliert Gott seine Freude daran, und sein Werk wird ihm beinahe missfällig. Die Befleckung, die sich durch alle Teile der Welt erstreckt und sein heiliges Werk verschlechtert und verderbt, muss ihn beleidigen. Weil also die Gottlosen durch ihren sündhaften Missbrauch der Gaben Gottes die Welt gleichsam herunterbringen und von ihrem ersten Ursprung ablenken, wünscht der Prophet mit gutem Grunde, dass sie bis zu völliger Vernichtung ausgetilgt werden. Wir wollen also lernen, uns durch rechte Betrachtung der Vorsehung Gottes zum Gehorsam gegen ihn bestimmen zu lassen, damit wir die Wohltaten, die er zu unserem Gebrauch heiligt, richtig und rein verwenden. Wir sollen auch Schmerz darüber empfinden, dass man so wertvolle Schätze in gottloser Weise verwüstet. Es soll uns ein abscheuliches Wunder sein, dass die Sterblichen nicht bloß ihren Schöpfer vergessen, sondern gleichsam absichtlich zu einem sündhaften und unwürdigen Zweck verkehren, was er ihnen an Gütern gegeben hat.

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

1)
Pantheistischer Leugner der Dreieinigkeit, der 1553 in Genf als Ketzer verbrannt wurde.
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