Calvin, Jean - Einleitung zum Psalter.
Johannes Calvin wünscht den frommen und edlen Lesern Heil.
Wenn das Lesen meiner Erklärung der Psalmen der Gemeinde Gottes so großen Nutzen bringt wie mir das Schreiben derselben, so wird es mich nicht gereuen, diese Arbeit unternommen zu haben. Ich habe vor drei Jahren an unserer kleinen Hochschule die Psalmen gelesen. Nach Vollendung dieser Arbeit war ich entschlossen, das, was ich meinen Schülern gegeben hatte, nicht zu veröffentlichen. Schon vor Beginn dieser Vorlesungen hatte ich meinen Brüdern, als diese mich um Herausgabe derselben baten, erklärt – was auch der Wahrheit entspricht -, dass dieses unnötig sei, weil der sehr treue Lehrer der Kirche Marin Butzer schon hierüber ein Werk mit Sachkenntnis, Fleiß und Treue geschrieben habe.1) Auch hätte ich von der Erklärung des Wolfgang Musculus2) nicht schweigen dürfen, wenn dieses Buch damals schon erschienen wäre, da dieser nach dem Urteil der Gutgesinnten wegen seines emsigen Fleißes und seiner Tüchtigkeit großes Lob verdient. Noch hatte ich meine Vorlesungen nicht beendet, siehe, da wurde ich aufs Neue mit Bitten bestürmt, meine Betrachtungen, die ich treu und redlich verfasst und auf die ich großen Fleiß verwandt hatte, nicht untergehen zu lassen. Ich blieb aber trotzdem bei meinem Vorsatze, außer dass ich versprach, was ich schon früher im Sinne hatte, hierüber etwas in französischer Sprache zu schreiben. Als ich mich mit diesem Gedanken trug, machte ich plötzlich absichtslos, ich weiß nicht, wie es kam, den Versuch mit der Veröffentlichung eines Psalms in lateinischer Sprache. Der Erfolg überstieg alle Erwartungen. So wuchs mir der Mut. Ich unternahm es, dasselbe mit einigen anderen zu versuchen. Als meine Freunde dieses bemerkten, hielten sie mich für gefangen und drangen kühner auf mich ein, hiervon nicht abzulassen. Ein Grund, der mich auch schon früher zu meinem ersten Versuch veranlasst hatte, war es vor allem, der mich bestimmte, ihnen zu willfahren. Ich befürchtete nämlich, es möchte die Nachschrift meiner Vorlesungen ohne mein Wissen und Wollen im Druck erscheinen. Sicherlich hat die Absicht, mein Eigentumsrecht zu verteidigen, mich mehr zur Herausgabe bestimmt als der freie Wille. Indessen gewann ich, je mehr mein Werk fortschritt, immer mehr die Überzeugung, dass meine angestrengte Arbeit nicht umsonst sein werde. Ich hatte auch die Erfahrung gemacht, dass ich solchen Lesern, die noch wenig geübt sind, ein geeigneter Helfer zum Verstehen der Psalmen sein könne.
Es ist schwer mit Worten auszusprechen, welch mannigfaltige und herrliche Kleinode in diesem Schatzhause aufbewahrt sind. Ich wenigstens bin mir bewusst, dass alles, was ich sagen werde, bei weitem nicht dem Wert der Sache entspricht. Da es jedoch besser ist, die Leser wenigstens etwas von diesem großen Segen schmecken zu lassen, als ganz davon zu schweigen, so wird es mir gewiss gestattet sein, das wenigstens anzudeuten, was ich wegen der Größe der Sache nicht vollständig aussprechen kann. Mit Recht pflege ich dieses Buch eine Zergliederung aller Teile der Seele zu nennen; denn ein jeder findet hier ein Spiegelbild aller inneren Regungen, die ihn bewegen. Ja fürwahr! Hier schildert der heilige Geist uns lebendig die Schmerzen, die Traurigkeit, die Befürchtungen, Zweifel, Hoffnungen, Sorgen, Ängste, Verwirrungen, kurz, alle Regungen, durch die das menschliche Gemüt hin und her gezerrt wird. Die übrigen Teile der Schrift enthalten das, was Gott seinen Dienern aufgetragen hat, um es uns zu übermitteln. Hier jedoch rufen die Propheten, weil sie selbst mit Gott sprechen und alle ihre verborgenen Gedanken offenbaren, einen jeden von uns zur Selbstprüfung und zwingen ihn dazu, so dass keine der vielen Schwächen, die uns anhaften, keiner von den Fehlern, an denen wir so reich sind, verborgen bleibt. Es ist ein einzigartiger, seltener Erfolg, wenn das Herz, nachdem alle seine Falten bloßgelegt sind und die Heuchelei, dieses größte Verderben, zerstört ist, in seiner wahren Gestalt offenbar wird. Endlich wird uns in diesem Buche die beste und zuverlässigste Anweisung zur Anrufung Gottes gegeben, und wenn es wahr ist, dass diese der beste Schutz unseres Heils ist, so wird ein jeder, der tiefer in das Verständnis der Psalmen eindringt, dadurch viel himmlische Weisheit erlangen. Das ernstliche Gebet wird einmal aus dem Gefühl unserer Bedürftigkeit und zweitens aus dem Glauben an die Verheißungen geboren. Hier werden die Leser sowohl aufs Beste angeleitet, ihre Übel zu fühlen, als auch gemahnt, die nötigen Heilmittel zu suchen, - ja alles, was nur dazu dienen kann uns zu ermuntern, wenn wir Gott anrufen, wird uns in diesem Buche, gezeigt. Aber es begegnen uns hier nicht nur Verheißungen, sondern der Beter zeigt sich uns oft mitten zwischen der Einladung Gottes und den Hindernissen des Fleisches stehend, damit wir, falls einmal verschiedenartige Zweifel uns beunruhigen, von ihm lernen, solange zu ringen, bis unser Geist sich frei zu Gott erhebt. Lasst uns trotz Schwanken, Furcht und Zweifel uns anstrengen zum Beten, bis der Trost als Frucht unseres Gebets uns zuteilwird. Wir müssen uns nämlich an diesen Grundsatz halten: Wenn das Misstrauen unseren Gebeten die Tür verschließt, so dürfen wir trotzdem nicht nachlassen, wenn auch unser Herz schwankend oder durch Unruhe erschüttert wird, bis der Glaube als Sieger aus diesen Kämpfen hervorgeht. An vielen Stellen können wir die Beobachtung machen, dass die Diener Gottes beim Beten so schwankend sind, dass sie dem fortwährenden Wechsel fast unterliegen und der Unsicherheit erst nach hartem Kampf Herr werden. Hier zeigt sich einerseits die Schwachheit des Fleisches, anderseits die Kraft des Glaubens. Ist dieser auch nicht so tapfer, wie er eigentlich sein müsste, so ist er doch wenigstens bereit zum Kämpfen, bis er allmählich feste Kraft gewinnt. Da jedoch diese Anleitungen zum rechten Beten in dem ganzen Werke zerstreut sind, so will ich die Leser nicht durch überflüssige Wiederholungen langweilen noch sie aufhalten. Ich hielt es jedoch für nötig, im Vorbeigehen darauf hinzudeuten, dass uns in diesem Buche das Allerwünschenswerteste geboten wird. Wir lernen hier nicht nur, dass für uns ein vertrauter Umgang mit Gott möglich ist, sondern auch, dass wir unsere Schwachheiten, die wir aus Scham den Menschen nicht gestehen mögen, vor ihm frei und offen bekennen dürfen. Ebenfalls finden wir hier ganz genaue Vorschriften darüber, wie wir Gott das Opfer des Dankes, von dem er das Zeugnis gibt, dass es ihm sehr angenehm sei, darbringen müssen. Nirgends sonst haben wir solche Verherrlichungen der einzigartigen Güte Gottes gegen sein Volk und aller seiner Werke; nirgends sonst solch glänzende Zeugnisse seiner väterlichen Vorsehung und Fürsorge für uns, nirgends wird uns vollständiger gezeigt, wie wir Gott zu loben haben, nirgends werden wir mehr zur Erfüllung dieser Pflicht der Frömmigkeit angetrieben. Das Buch ist voll Vorschriften für ein heiliges, frommes und gerechtes Leben, aber vor allem unterweist es uns, wie wir das Kreuz zu tragen haben. Das ist die wahre Bewährung des Gehorsams, wenn wir den eigenen Neigungen entsagen, uns dem Herrn unterwerfen und unser Leben durch seinen Willen so bestimmen lassen, dass auch die bittersten Widerwärtigkeiten uns süß werden, weil sie von seiner Hand kommen. Endlich werden uns hier nicht nur allgemeine Lobpreisungen der Güte Gottes geboten, aus denen fromme Seelen lernen, sich allein auf ihn zu verlassen und sichere Hilfe in aller Not von ihm zu erwarten, sondern die Vergebung der Sünden aus Gnaden, durch die wir allein mit Gott versöhnt werden und Ruhe und Frieden mit ihm erlangen, wird uns hier ebenfalls so angepriesen, dass nichts zur Erkenntnis des ewigen Heils fehlt.
Übrigens, wenn die Arbeit, die ich auf diese Erklärung verwandt habe, den Lesern zum Nutzen sein wird, so ist dieses vor allem dem Umstande zuzuschreiben, dass die Erfahrungen, die ich in den Kämpfen, durch die Gott mich geübt hat, gemacht habe, wenn sie auch gering waren, mich einigermaßen in den Stand setzten, nicht nur die Lehren, die ich gefunden, für die Gegenwart nutzbar zu machen, sondern auch die Absicht der Verfasser der einzelnen Psalmen leichter zu erkennen. Vor allem trifft dieses bei David zu: das Verständnis für seine Klagen über die inneren Übel der Kirche ist mir besonders dadurch eröffnet worden, dass ich dasselbe, was er selbst beklagt, oder doch Ähnliches von den inneren Feinden der Kirche erduldet habe. Wenn ich auch weit hinter ihm zurückstehe, und viele Tugenden, durch die er glänzte, sich bei mir kaum zeigen, während ich an vielen Gebrechen leide, so scheue ich mich doch nicht, das hervorzuheben, was ich mit ihm gemeinsam habe. Allerdings habe ich beim Lesen der Beweise seines Glaubens, seiner Geduld, seines brennenden Eifers, seiner Redlichkeit, oft darüber geseufzt, dass ich ihm hierin so wenig gleiche. Trotzdem war es mir von großem Nutzen, hier gleichsam wie in einem Spiegel sowohl den Anfang meiner Berufung als auch den Fortgang meiner Arbeit zu schauen, sodass alles, was dieser große König und Prophet erduldete, für mich ein Vorbild zur Nachahmung zu sein schien. Es ist nicht nötig zu sagen, wie weit ich hinter ihm zurückstehe. Trotzdem haben wir vieles miteinander gemein. Wie jener von den Schafhürden zur höchsten Würde erhoben worden ist, so hat Gott auch mich von den dunkelsten und geringsten Anfängen emporgehoben, und hat mich gewürdigt, das hohe Amt eines Verkündigers und Dieners des Evangeliums zu bekleiden. Mein Vater hatte mich schon als zarten Knaben für die Gottesgelehrtheit bestimmt; als er jedoch sah, dass die Rechtswissenschaft größere Aussichten bot, bestimmte dieses ihn, plötzlich seinen Plan zu ändern. So kam es, dass ich von dem Studium der Philosophie zur Rechtswissenschaft überging. Im Gehorsam gegen den Willen meines Vaters lag ich treu diesem Studium ob. Aber Gott gab doch endlich durch die verborgenen Zügel seiner Vorsehung meinem Leben eine andere Richtung. Ich war dem Aberglauben des Papsttums sehr ergeben, sodass es nicht leicht war, mich aus diesem Sumpfe herauszuziehen. Deshalb hat Gott mich, weil mein Geist schon trotz meiner Jugend sehr verhärtet war, zuerst durch eine plötzliche Bekehrung zu einem gelehrigen Schüler gemacht. Kaum hatte ich jedoch etwas von der wahren Frömmigkeit gekostet, da entbrannte ich von solchem Eifer, hierin fortzuschreiten, dass ich die übrigen Studien, wenn ich sie auch nicht vernachlässigte, doch weniger eifrig betrieb. Noch war kein Jahr vorübergegangen, da kamen alle, die nach der reinen Lehre verlangten, zu mir, um zu lernen, obgleich ich hierin selbst noch ein Neuling war. Ich bin von Natur schüchtern, immer habe ich die Verborgenheit und die Ruhe geliebt, deshalb suchte ich immer unbekannt zu bleiben. Das ist mir aber so wenig gelungen, dass vielmehr alle Schlupfwinkel, in denen ich mich zu verbergen suchte, zu öffentlichen Schulen wurden. Während es meine Absicht war, unbeachtet der Ruhe zu pflegen, hat Gott mich immer so herumgeführt, dass es mir nie vergönnt war, zu ruhen, bis ich zuletzt trotz meines Widerstrebens ins öffentliche Leben hineingezogen wurde. Ich verließ mein Vaterland und reiste mit der Absicht nach Deutschland, dort in irgendeinem verborgenen Winkel die lang versagte Ruhe zu genießen. Doch siehe, es kam ganz anders. Ich hielt mich unbekannt in Basel auf. Damals wurden in Frankreich viele fromme Menschen verbrannt. Diese Scheiterhaufen hatten die Deutschen zum Teil mit großem Hass erfüllt. Um diesen zu dämpfen, wurden gottlose und lügenhafte Bücher verbreitet, in denen die Sache so dargestellt wurde, als seien die, die so grausam verfolgt wurden, nur Wiedertäufer und Aufrührer, welche durch ihre verkehrten Lehren nicht nur die Religion, sondern auch die ganze Gesellschaftsordnung zu zerstören wünschten. Ich sah hierin Intrigen des französischen Hofes. Man beabsichtigte, die unwürdige Vergießung unschuldigen Blutes durch solch falsche Verleumdung der heiligen Glaubenszeugen zu begraben, um nachher mit Morden wüten zu können, ohne durch Mitleid anderer daran gehindert zu werden. Es wurde mir klar, dass ich, falls ich schwiege, ein Verräter sein werde. Daher sah ich es für meine Pflicht an, diesem nach Kräften entgegenzutreten. Das war der Grund, der mich zur Herausgabe meines Christlichen Unterrichts veranlasste.3) Einmal wollte ich dadurch meine Brüder, deren Tod wert geachtet war vor Gott, von der unverdienten Schmach befreien. Dann wollte ich auch für die vielen Elenden, denen dieselbe Strafe drohte, wenigstens etwas Mitgefühl und Teilnahme bei den anderen Völkern erwecken. Damals erschien aber noch nicht das jetzige umfangreichere Werk, auf das so viel Mühe verwandt worden ist, sondern nur ein kleines Handbuch, und zwar nur zu dem Zweck, um ein Zeugnis für den Glauben derjenigen zu sein, die ich von verruchten und treulosen Schmeichlern schändlich gelästert sah. Dass ich nicht beabsichtigte, mir hiermit einen Namen zu machen, beweist meine baldige Abreise, zumal dort keiner wusste, dass ich der Verfasser sei. Auch an anderen Stellen suchte ich verborgen zu bleiben, und es war meine Absicht, bei dieser Weise zu verharren. Dann wurde ich aber in Genf, nicht so sehr durch den Rat und die Ermahnung als vielmehr durch die furchtbare Verwünschung Wilhelm Farels zurückgehalten, gleich als ob Gott selbst vom Himmel seine starke Hand auf mich gelegt hätte. Als ich nämlich geradeswegs nach Straßburg reisen wollte, war dieser Weg mir durch den Krieg verschlossen. Ich hatte vor, möglichst bald von Genf weiter zu reisen. Nur eine Nacht wollte ich mich in dieser Stadt aufhalten. Hier war kurz vorher durch die Arbeit dieses vorzüglichen Mannes und des Petrus Viret das Papsttum verdrängt worden. Aber es war noch alles ungeordnet und die Stadt in schlimme und gefährliche Parteien zerrissen. Ein Mann, der jetzt nach schmählichem Abfall zu den Päpstlichen zurückgekehrt ist, machte alsbald, dass ich bekannt wurde. Farel nun, da er von unglaublichem Eifer, das Evangelium zu verbreiten, beseelt war, setzte eifrig alle Hebel an, um mich zurückzuhalten. Als er sah, dass ich dem stillen Privatstudium so ergeben war, dass er durch Bitten nichts bei mir erreichen konnte, scheute er sich nicht, mich zu beschwören. Er sagte, Gott möge meine Muße verfluchen, wenn ich ihm in dieser großen Not meine Hilfe versagen würde. Hierüber war ich so erschrocken, dass ich davon abstand, meine Reise fortzusetzen. Meiner Schüchternheit und Furchtsamkeit mir bewusst, verpflichtete ich mich nicht zur Übernahme eines bestimmten Amtes. Kaum waren vier Monate vergangen, da griffen uns von der einen Seite die Wiedertäufer an, von der anderen Seite ein gewisser verruchter Abtrünniger. Dieser konnte uns viel zu schaffen machen, da er sich auf die heimliche Unterstützung einiger Vornehmen verließ. Zu gleicher Zeit beunruhigten uns unaufhörlich innere Unruhen, die sich auf wunderbare Weise immer aufs Neue erhoben. Ich, der von sich gestehen muss, dass er wenig Mut hat und von Natur furchtsam und schlaff ist, wurde gleich anfangs in diese wilden Fluten hineingeworfen. Wenn ich in denselben auch nicht unterging, so war mein Mut doch nicht sehr groß. Daher freute ich mich mehr als billig, als wir in wilder Aufregung verbannt wurden. (Im Jahre 1538). Frei von meiner übernommenen Pflicht, beschloss ich, als Privatmann ein ruhiges Leben zu führen – da rief mich der ausgezeichnete Diener Christi Martin Butzer wiederum durch eine ähnliche Beschwörung, wie sie Farel gebrauchte, auf einen neuen Posten. Erschreckt durch das Beispiel des Jonas, das er mir vorhielt, setzte ich meine Lehrtätigkeit fort. Da ich mir immer gleich blieb, mied ich die Öffentlichkeit; trotzdem wurde ich, ich weiß nicht, wie es kam, zu den Religionsgesprächen, die der Kaiser angeordnet hatte, hinzugezogen. Hierbei musste ich, ich mochte wollen oder nicht, mich vielen zeigen. Später erbarmte der Herr sich über unsere Stadt Genf. Er beschwichtigte die Unruhen und vereitelte durch seine wunderbare Macht sowohl verruchte Pläne als auch blutige Unternehmungen. Jetzt trat an mich gegen meinen Wunsch die Notwendigkeit heran, meinen, früheren Posten wieder einzunehmen (Im Jahre 1541). War die Sorge für das Heil dieser Kirche bei mir auch so groß, dass ich mich nicht geweigert hätte, für sie zu sterben, so zeigte meine Furchtsamkeit mir doch so viele Schwierigkeiten, dass ich Bedenken trug, mir eine so schwere Last aufzubürden. Doch endlich siegten das Pflichtgefühl und der Glaube, und ich kehrte zu der Herde zurück, von der ich gewaltsam getrennt worden war. Gott ist mein Zeuge, dass ich es unter großer Trauer, mit vielen Tränen und in großer Angst getan habe. Dasselbe können auch viele fromme Menschen bezeugen; diese hätten gewünscht, dass ich von dieser Mühe und Last freigeblieben wäre, aber sie fürchteten wie ich, dass ich dadurch meine Pflicht versäumen würde. Es würde eine lange Geschichte sein, wenn ich erzählen wollte, wie mannigfache Kämpfe ich seit jener Zeit zu bestehen hatte und wie Gott mich geprüft hat.
Um nicht die Leser mit unnötigem Gerede zu langweilen, will ich nur kurz wiederholen, was ich schon früher berührt habe, nämlich dass ich darin einen großen Trost fand, dass David mir den Weg zeigte, den ich zu wandeln hatte. Die Philister und andere äußere Feinden haben jenen heiligen König fortwährend bekriegt, aber mehr noch kränkte ihn die Bosheit und Frechheit treuloser Menschen im eigenen Staate. Gleicherweise habe auch ich fast keinen Augenblick Ruhe gehabt von äußeren und inneren Kämpfen. Da Satan es viel und oft versuchte, diese Kirche zu zerstören, so kam es zuletzt dahin, dass ich, der ich unkriegerisch und furchtsam bin, gezwungen wurde, meinen eigenen Körper diesen tödlichen Angriffen entgegenzusetzen, um sie zu brechen. Ganze fünf Jahre hindurch mussten wir ununterbrochen kämpfen, um die Kirchenzucht aufrecht zu erhalten, da verderbte Menschen, die sehr große Macht besaßen, und ein Teil des gemeinen Volkes, der durch ihre Verführungen verdorben worden war, eine zügellose Freiheit erstrebten. Diesen gemeinen Menschen, welche die himmlische Lehre verachteten, lag nichts daran, ob die Kirche unterging, wenn sie nur die Macht erlangten, die sie sich wünschten; darum scheuten sie auch vor nichts zurück. Viele trieb auch Mangel und Hunger, einige unersättlicher Ehrgeiz oder schnöde Gewinnsucht zur Raserei. Sie wollten alle Ordnung zerstören und lieber sich selbst und uns zu Grunde richten, als der Ordnung sich fügen. Ich glaube, dass in dieser langen Zeit kaum ein Mittel, das in Satans Apotheke gebraut wird, unversucht gelassen worden ist. Erst ihre schimpfliche Niederlage machte ihren ruchlosen Bestrebungen ein Ende. Für mich war dieses ein trauriges Schauspiel. Denn wenn sie auch jede schwere Strafe verdient hatten, so hätte ich es doch lieber gesehen, wenn sie verschont geblieben wären. Das würde auch der Fall gewesen sein, wenn sie sich nicht jedem vernünftigen Rat widersetzt hätten. Diese fünfjährige Prüfung war hart für mich, aber ihre Bosheit kränkte mich noch mehr, da sie nicht abließen, mit giftigen Schmähungen mich und mein Amt zu bekämpfen. Einen Teil von ihnen hatte die Schmähsucht so verblendet, dass sie ihre Unverschämtheit gleich ohne Scheu zeigten, andere suchten sie durch Verschlagenheit zu verdecken, aber auch diese wurden entlarvt und zu Schanden.
Trotz alledem ist es eine äußerst kränkende Nichtswürdigkeit, wenn eine Beschuldigung, von der man hundertmal gereinigt worden ist, immer wieder aufs Neue aufgewärmt wird. Da ich lehre, dass die Welt durch Gottes verborgene Vorsehung regiert werde, so brachten diese frechen Leute hiergegen ein, dass ich auf diese Weise Gott zum Urheber der Sünde mache. Es war dieses eine ungesalzene Verleumdung, die, wenn sie keine begierigen Hörer gefunden hätte, leicht von selbst hingefallen wäre; aber Neid, Missgunst, Undankbarkeit und Bosheit beherrschten viele Herzen so, dass sie vor keiner auch noch so verkehrten und wunderlichen Lüge zurückschreckten. Andere suchten die göttliche Vorherbestimmung, die die Verworfenen von den Auserwählten scheidet, umzustoßen, andere warfen sich zu Verteidigern des freien Willens auf. Alsbald zog nicht so sehr die Unwissenheit als vielmehr ein mir unverständliches verkehrtes Streben viele auf ihre Seite. Wenn ausgesprochene Feinde mich in dieser Weise belästigt hätten, so wäre es zu tragen gewesen – aber meine Gegner waren solche, die sich Brüder nannten und nicht nur das heilige Brot Christi genossen, sondern es auch anderen austeilten, ja die sich laut rühmten, Herolde des Evangeliums zu sein. Welch eine Schande war es, dass diese in so schändlicher Weise kämpften! Hier konnte man wahrlich mit vollem Recht mit David klagen (Ps. 41, 10): „Auch mein Freund, dem ich mich vertraute, der mein Brot aß, tritt mich unter die Füße.“ Und wiederum (Ps. 55, 14 f.): „Du bist mein Geselle, mein Freund und Verwandter, wir waren freundlich miteinander unter uns; wir wandelten im Hause Gottes unter der Menge; der hat mich schmählich wie ein Feind angegriffen.“ Andere verbreiteten abgeschmackte Gerüchte über meine Schätze oder meine gewaltige Macht. Von anderen wiederum wurde meine Pracht gerühmt, während ich doch einfach lebe und mich in ganz gewöhnlicher Weise kleide. Wie kann man jemand üppig nennen, wenn er auch von den geringsten Leuten keine größere Einfachheit fordert, als er sie selbst zeigt? Sie beneiden mich wegen meiner Macht. Ach, dass sie selbst meine Nachfolger wären! Sie beurteilen meinen Einfluss nämlich nach der Last meiner Arbeit, unter der ich seufze. Wenn ich einige bei meinem Leben nicht davon überzeugen kann, dass ich nicht begütert bin, so wird dieses sich bei meinem Tode zeigen. Allerdings gestehe ich, durchaus nicht arm zu sein, da ich nichts mehr erstrebe, als ich nötig habe. Obgleich diese falschen Beschuldigungen ganz gehaltlos waren, so fanden sie doch deswegen vielfachen Beifall, weil mancher darin das einzige Mittel sah, seine Schandtaten zu verdecken, dass er aus Schwarz Weiß machte, - und weil man hoffte, dann ungestraft ein zügelloses Leben führen zu können, wenn das Ansehen der Diener Christi zerstört sein würde. Zu diesen kamen noch die glatten, witzigen Streber, über welche David sich Ps. 35, 16 beklagt. Ich meine nicht nur die Speichellecker und Schmarotzer, sondern alle, die durch falsche Angebereien um die Gunst der Mächtigen buhlten. War ich auch schon lange an solche Ungerechtigkeiten gewöhnt, dass ich fast dagegen gefeit war, so konnte es doch nicht ausbleiben, dass es mich bisweilen bitter schmerzte, wenn ihre Frechheit zunahm. Nicht allein von den Nachbarn wurde ich so unmenschlich behandelt, selbst vom Eismeer her schleuderten überspannte Tagediebe ihre brennenden Pfeile. Bisher spreche ich nur von den inneren Feinden der Kirche, die das Evangelium herrlich priesen, aber mich nichtsdestoweniger heftiger als die Feinde anfielen, weil ich ihre verkehrte und grob sinnliche Ansicht von dem fleischlichen Essen Christi nicht teilte. In Bezug auf diese habe ich ebenfalls ein Recht mit David zu bezeugen (Ps. 120, 7): „Ich halte Frieden, aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an.“ Besonders zeigte sich das darin die grenzenlose Undankbarkeit aller, dass sie einen Mann, der ritterlich für die gemeinsame Sache kämpfte, und dem sie Hilfe bringen mussten, von der Seite und hinterrücks angriffen. Sicherlich, hätten sie auch nur etwas menschliches Gefühl gehabt, so hätte die Wut der Päpstlichen, die sich mit aller Wucht gegen mich richtete, wenigstens ihren größten Hass besänftigen müssen. Aber David war ja auch in derselben Lage. Obgleich er sich um sein Volk aufs Beste verdient gemacht hatte, war er doch vielen ohne Grund verhasst. Wie er sich Ps. 69, 5 beklagt: „Ich muss bezahlen, was ich nicht geraubt habe.“
Es war für mich daher, als ich ohne Grund von denen gehasst wurde, die mich billig hätten unterstützen müssen, ein großer Trost, dass ich an David ein so herrliches Vorbild hatte, nach dem ich mich richten konnte. Diese Erfahrung nützte mir auch sehr zum Verständnis der Psalmen. Die Leser werden, wie ich glaube, merken, dass ich, wenn ich die geheimen Gedanken Davids und auch der anderen entwickele, wie von persönlich Erlebtem rede. Es war mein ernstliches Bestreben, diesen Schatz allen nutzbar zu machen. Wenn ich auch nicht erreicht habe, was ich wollte, so verdient doch wenigstens der Versuch dankbare Anerkennung. Ich beanspruche jedoch nichts anderes, als dass ein jeder meine Arbeit billig und vorurteilslos nach der Frucht und dem Nutzen, den er selbst daraus gewonnen, beurteile. Sicherlich wird ein jeder beim Lesen das bestätigt finden, was ich gesagt habe, dass ich nämlich durchaus nicht darnach getrachtet habe, zu gefallen, sondern nur zu nützen, deshalb habe ich mich nicht nur immer einer einfachen Lehrweise bedient, sondern mich auch möglichst aller Widerlegungen enthalten, um jede Prahlerei zu vermeiden. Es ist ja bekannt, dass gerade hier ein weites Feld ist, sein Licht leuchten zu lassen und sich Beifall zu erwerben. Entgegenstehende Ansichten habe ich nur dann berührt, wenn zu befürchten war, dass ich, wenn ich schwieg, die Leser in Unklarheit lassen würde. Ich weiß wohl, welch ein Genuss es für viele ist, eine Menge Stoff aufzuhäufen, umso recht ihre Gelehrsamkeit zu zeigen. Aber mir lag mehr daran, die Kirche zu erbauen. Möge Gott, der mir diesen Vorsatz gegeben hat, machen, dass der Erfolg ihm auch entspreche.
Genf, 22. Juli 1557.