Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 6.

Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 6.

V. 1. Jericho aber war verschlossen. Dies wird gesagt, weil die Stadttore nicht geöffnet wurden, wie ja die Städte in Kriegszeiten sorgfältiger als gewöhnlich bewacht werden. Die Bürger waren sehr auf der Hut, damit sie nicht unerwartet überrumpelt würden. Da man also die Stadt nicht mit List nehmen konnte, gab es keine andere Hoffnung auf Sieg, als wenn man sie durch Waffengewalt eroberte. Da zeigt sich wieder klar die Gnade Gottes. Denn eine lange und mühsame Belagerung hätte die Kinder Israel sehr ermüdet, wenn nicht rechtzeitig vom Himmel her Abhilfe geschafft worden wäre. Auch war noch zu befürchten, dass sie in die Enge getrieben und dann durch Hungersnot und Entbehrungen aufgerieben werden konnten; denn in der feindseligen Gegend war ja keine Gelegenheit, sich zu verproviantieren. Damit sie also nicht bei der ersten Stadt sich aufhalten ließen, half Gott durch ein ungewöhnliches Hilfsmittel. Er bahnte durch Einsturz der Mauern ihnen einen Eingang und machte sie dadurch für die zukünftigen Angriffe auf andere Städte desto mutiger. Alles in allem: indem der Herr einen so glücklichen Anfang und leichten Sieg verlieh, verhütete er, dass die Kinder Israel nicht für die Zukunft den Mut verlören. Wie geistesstumpf war doch jenes Heidenvolk, dass es wider Gottes Macht seine Mauern und Tore stellte! Dem, der den Jordan trocken legen konnte, ist es nicht zu schwer, ein paar Riegel zu zerbrechen und zu öffnen.

V. 3. Lass alle Kriegsmänner rings um die Stadt gehen usw. Diese Verheißung war wohl geeignet, Siegeshoffnung zu wecken. Doch hätte die vorgeschriebene Handlungsweise, die fast lächerlich erschien, den Glauben wieder zerstören können. Gott befiehlt, täglich einen Umzug rings um die Stadt zu veranstalten bis zum siebenten Tage. An diesem sollen sie sieben Mal herumziehen mit Posaunenklang und Feldgeschrei. Das war doch nichts anderes als kindliches Spiel. Allein diese Prüfung, durch die ihr Glaube erprobt wurde, war der Mühe wert. Ihr Tun selbst erschien ganz und gar vergeblich; nichtsdestoweniger sollten sie sich auf Gottes Verheißung völlig verlassen. In solcher Absicht verbirgt Gott oft zeitweilig seine Macht unter der Schwachheit und scheint mit wertlosen Kleinigkeiten zu spielen. Schließlich erweist sich aber seine Schwäche viel stärker als alle Kraft, und seine Torheit überstrahlt endlich alle Weisheit. Während also die Kinder Israel ihre Vernunft zum Schweigen bringen und einfach an Gottes Wort sich heften, haben sie durch ihr törichtes Handeln sich selbst mehr genützt, als wenn sie mit heftigem Ansturm einen Angriff gemacht und die Mauern mit unzähligen gewaltigen Maschinen erschüttert hätten. Eine Zeitlang mussten sie sich töricht gebärden, ihren Scharfsinn verleugnen und ein genaueres Nachdenken über den Ausgang unterdrücken: denn damit hätten sie der Macht Gottes gewissermaßen den Weg versperrt. Obgleich aber ihr Rundgang Ursache zum Spotten hätte sein können, so zeigte doch der glückliche Ausgang, dass Gott nichts umsonst vorschreibt. Ihr Herz hätte auch von der angstvollen Sorge ergriffen werden können, dass bei einem plötzlichen Überfall der Bürger ihr ganzes Heer ohne Mühe versprengt worden wäre. Denn sie zogen ja weit verstreut um die ganze Stadt herum und bildeten nicht geordnete Schlachtreihen, die Angriffe aufnehmen konnten. Aber sie mussten alle ihre Angst auf Gott werfen, - in jener heiligen Sorglosigkeit, die sich auf seine Vorsehung verlässt. Die Wiederholung an sieben Tagen musste ihre Geduld noch mehr auf die Probe stellen. Es war doch unsinnig, sich durch das sechsmalige Umziehen ohne Erfolg zu ermüden. Und wozu (V. 10) das Schweigen? Das konnte doch höchstens als Zeichen ihrer Furchtsamkeit den Feind zum Kampf locken, dem sie doch nicht entgegenzutreten beabsichtigten. Der natürliche Mensch ängstigt sich und wird dadurch ganz verwirrt, ihnen aber wurde Schweigen und Ruhigsein auferlegt, damit sie sich nur umso besser an die schlichte Verfolgung der göttlichen Befehle gewöhnten. – Übrigens wurden nicht die silbernen Trompeten aus dem Heiligtum (4. Mo. 10, 2 ff.) genommen, auf welchen die Priester bliesen, sondern nur die Widderhörner (3. Mo. 25, 8 ff.). Sicherlich hätte der Klang der heiligen Trompete mehr zur Hebung ihres Vertrauens gewirkt, aber ihr Gehorsam wurde noch besser erprobt, da sie mit dem gewöhnlichen Zeichen zufrieden sein mussten. Die Umzüge wurden nun so angeordnet, dass vor der Lade der größere Teil, nämlich die bewaffneten Krieger herzogen, und diejenigen, welche gewöhnlich den Tross begleiteten, nachfolgten. Sie hatten dafür zu sorgen, dass die Nachhut sich nicht zerstreute.

V. 15. Am siebenten Tage aber usw. Auch jetzt schien Gott die Entscheidung hinzuziehen, nachdem er das Volk schon so oft umhergeführt hatte, und die Armen trotz ihrer vergeblichen Mühe zum Gespött zu machen. Warum lässt er sie nicht ganz plötzlich die Stadt angreifen? Warum hält er sie bis zur Ermüdung in dem bisherigen Schweigen fest und öffnet ihren Mund nicht zum Geschrei? Wahrlich, hier zeigt der Erfolg des Ausharrens, dass es am allerbesten ist, die Bestimmung der rechten Zeit und Gelegenheit zum Handeln dem Willen des Herrn zu überlassen. Wir sollen nicht durch unsere Voreiligkeit seiner Vorsehung zuvorkommen und durch unsere Unruhe seiner Macht den Weg verbauen. Sobald also die Priester die Posaune bliesen, befahl Gott, dass das Volk sein Geschrei dazu erheben sollte. Hierdurch wollte er zeigen, dass nichts, was Menschen von sich aus unternehmen, von ihm gebilligt werde, sondern dass er vor allem Mäßigung unseres Eifers verlangt. So soll das für uns als einzige Regel gelten: keinen Fuß, keine Hand zu regen, bis er selbst es befiehlt. Die Posaunen verkündigten seinen Befehl.

V. 17. Diese Stadt soll dem Herrn verbannt sein. Es war zuvor Gottes Wille, seinem Volke nicht nur die Beute zu schenken, sondern sie auch anzusiedeln in den Städten, welche sie nicht erbaut hatten; bei der ersten Stadt aber sollten sie eine Ausnahme machen und sie gleichsam als Erstlingsopfer Gott weihen. Darum verlangt er Gebäude und Geräte für sich allein und verbietet, dass jemand etwas zu eigenem Gebrauch forttrage. Es musste zwar dem Volke schwer fallen, die Häuser selbst zu zerstören, in denen sie so gut hätten wohnen können. Aber sie mussten bereitwillig die Beute unberührt lassen, da sie sich ja am Kampfe nicht beteiligt hatten, und den Preis des Sieges willig dem Herrn abtreten: denn durch seinen Wink allein waren ja die Mauern der Stadt eingestürzt und zugleich damit der Mut der Bewohner zusammengesunken. – Gott war mit diesem Pfande der Dankbarkeit zufrieden, und das Volk lernte daraus, dass nichts sein Eigentum sei, als was aus Gottes gnädiger Freigebigkeit im geschenkt wurde. Mit demselben Rechte nämlich wären auch die anderen Städte dem Banne verfallen, wenn er sie nicht den Seinigen zum Wohnen überlassen hätte. Sie werden ermahnt (V. 18): Hütet euch vor dem Verbannten! Denn, was gebannt, d. h. für Gott abgesondert war, bestand für die Menschen überhaupt nicht mehr. Im nächsten Satz wird das Wort in etwas verändertem Sinne gebraucht: dass das Lager Israels verbannt sein würde, besagt, dass es dem Untergang und der Vernichtung anheimfallen müsste. Die Metallgefäße (V. 19) bestimmte Gott zum Gebrauch im Heiligtum, alles andere befahl er durch Feuer zu verbrennen oder auf andere Weise zu vernichten.

V. 20. Da machte das Volk ein Feldgeschrei. Hier wird der Gehorsam des Volkes gelobt und Gottes Wahrhaftigkeit gepriesen. Ihren Glauben bezeugen sie durch ihr Schreien, denn sie waren überzeugt davon, dass es ihnen nicht umsonst befohlen war. Und Gott selbst, der nicht duldet, dass sie vergebens sich bemühen, bestätigt sein Wort. Ebenso lobenswert wie ihr Glaube war der Gehorsam, mit dem sie freimütig die ganze Beute vernichteten. Ohne Zweifel ist bei vielen der Gedanke aufgestiegen: wozu will Gott denn die Vernichtung all der Schätze, warum gönnt er uns nicht, was er uns in die Hand gegeben hat? Es war also ein Beweis außerordentlicher und hervorragender Selbstbeherrschung, dass sie alle diese Fragen unterdrückten und willig die Beutestücke, welche sie in Händen hatten, und die Schätze einer ganzen Stadt wegwarfen. – Dass sie ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes Frauen, kleine Kinder und schwache hinfällig Greise miteinander töteten, könnte als entsetzliche, grausame Mörderei erscheinen, wenn nicht Gott den Befehl dazu gegeben hätte. Aber weil er selbst, dessen Wille über Leben und Tod verfügt, jene Menschen zum Untergang bestimmt hatte, so muss jede weitere Erörterung darüber schweigen. Schon vier Jahrhunderte lang hatte er sie geduldet, bis das Maß ihrer Ungerechtigkeit voll war. Wer wird sich nun noch über maßlose Strenge beklagen, wenn doch Gott sein Urteil schon so lange aufgeschoben hatte? Wenn jemand mit den unmündigen Kindern eine Ausnahme machen und sagen wollte, sie seien bis dahin noch frei von Schuld gewesen, dann ist dieser Einwurf schnell beantwortet: sie kamen mit Recht um, weil auch die Nachkommenschaft verworfen und verflucht war. Das aber steht fest, dass es ein grausames und barbarisches Wüten gewesen wäre, wenn die Israeliten nach eigener Lust und im Zorn die zarten Kinder mit den Müttern ermordet hätten. So aber wird ihr strenges Vorgehen mit Recht als fromm und lobenswert bezeichnet und ihrem heiligen Eifer zugeschrieben. Denn sie führten ja dadurch Gottes Befehl aus, der das Land auf diese Weise von aller schändlichen Unreinigkeit und Fäulnis reinigen wollte.

V. 22. Aber Josua sprach zu den zwei Männern usw. Dies fürsorgliche Verfahren Josuas zeigt, wie treulich und ehrlich er darauf bedacht war, das gegebene Versprechen zu halten. Da aber die ganze Stadt dem Bann verfallen war, so lässt sich fragen, ob bezüglich der einen Familie eine Ausnahme gemacht werden durfte. Doch ist ja leicht ersichtlich, dass Rahab durch eine besondere göttliche Bewilligung gerettet wurde. Während ihr Volk im Ganzen den Frieden hartnäckig und verstockt ablehnte, den die Israeliten in Gottes Auftrag anboten, schlug sie sich aus freien Stücken auf die Seite des Gottesvolkes, woraus Josua mit Recht den Schluss zog, dass Gottes besondere Gnade ihr zugedacht war. Etwas anders liegt die Sache freilich bei dem Vater und der ganzen Familie; aber da sie alle ja selbst dem früheren Zustand absagen, so erlangen auch sie durch den bereitwilligen Gehorsam die Rettung, welche Rahab für sie erbeten hatte. Wir lernen aus dem Beispiel des Josua, dass es zum Beweise von Treue und Redlichkeit nicht genügt, ein Versprechen nicht böswillig und absichtlich zu brechen, sondern dass wir uns zugleich eifrig bemühen müssen, das gegebene Versprechen zu erfüllen. Denn er lässt es nicht etwa nur geschehen, dass Rahab durch ihre Gäste befreit werde, sondern rechtzeitig trifft er schon Vorkehrungen, damit ihr nicht im ersten Tumult irgendein Unrecht geschehe, und durch den Hinweis auf das eidliche Versprechen mahnt er die beiden Männer desto eifriger zur Erfüllung ihrer Pflicht.

V. 23. Da gingen die Jünglinge hinein usw. Ohne Zweifel war es Gottes Absicht, Rahabs Leute zu retten, darum hatte er ihr Herz so zur Annahme der Freiheit geneigt gemacht. Andernfalls hätten sie dieselbe ebenso stolz und ebenso spöttisch zurückgewiesen wie Lots Schwiegertöchter. Auch dass sie zunächst außer dem Lager bleiben müssen, ist ein Zeichen besonderer göttlicher Fürsorge: es lag darin eine ernste Aufforderung, ihren früheren Lebenswandel abzulegen. Wenn sie ohne weiteres zugelassen worden wären, würde ihnen wohl nie ihre Unreinigkeit zum Bewusstsein gekommen sein, und auf diese Weise wären sie dagegen ganz gleichgültig geworden. Jetzt aber, da sie abgesondert werden, damit sie durch ihre Berührung das Gottesvolk nicht verunreinigen, wird zugleich ihr Schamgefühl geweckt, welches sie zur rechten Umkehr treiben sollte. Ihre frühere Unreinigkeit wurde ihnen also vor Augen gestellt, damit sie, die Befleckten, nicht blindlings in die heilige Gemeinde hineingerieten, sondern vielmehr sich in dieser Vorbereitungszeit an die veränderte Lebensweise gewöhnten. Bald darauf (V. 25) wird mitgeteilt, dass sie mitten im Volke gewohnt hätten. Als sie von ihrer Unreinigkeit gereinigt waren, wurden sie geradeso angesehen, als wenn sie Nachkommen aus Abrahams Stamm gewesen wären. Diese Zulassung war für Rahab eine herrliche Frucht ihres Glaubens.

V. 26. In der Zeit schwur Josua usw. Aus Josuas Worten ersehen wir, dass der über die Stadt verhängte Fluch nicht bloß für einen Tag gelten, sondern alle Geschlechter späterer Zeiten daran erinnern sollte, dass diese Stadt nur durch göttliche Kraft erobert ward. Daher sollten die Ruinen und Trümmer als Siegeszeichen ein dauerndes Denkmal bilden, weil ein erneuter Aufbau das Andenken an jenes Wunder ausgewischt hätte. Damit die Zerstörung des Ortes die Nachkommen an Gottes Macht und Gnade erinnern möchte, spricht Josua einen gewaltigen Fluch darüber, damit niemand die einmal zerstörte Stadt wieder aufbaue. Die unachtsamen Menschen haben solche Hilfsmittel zur Erinnerung nötig, sonst würden sie Gottes Wohltaten in Vergessenheit begraben. Und dass Gott ihnen durch solch äußeres Schaustück einprägen musste, was er vermag, darin liegt ein versteckter Tadel ihrer Undankbarkeit. Des Schwures Inhalt ist, dass jeder, der etwa sich anschickt, Jericho wieder aufzubauen, durch den unglücklichen und traurigen Anfang erfahren soll, dass er ein frevelhaftes und verbrecherisches Werk beginnt. Durch den Tod seiner Söhne wird derjenige gestraft werden, der sich in seiner wahnsinnigen Verblendung soweit versteigt. Diese Verfluchung hat Josua nicht aus sich selbst hervorgebracht, sondern er war ein Prediger der göttlichen Rache. Umso unglaublicher ist es, dass im Volke Gottes sich doch ein Mann fand, welchen jene furchtbare Verfluchung in den feierlichen Worten Josuas von einer frevelhaften Schändung nicht zurückhielt: zu Ahabs Zeit trat Hiel, ein Bürger von Bethel auf, welcher den Herrn durch sein Tun geradezu mit bewusster Absicht zu reizen wagte (1. Kön. 16, 34). Aber gleichzeitig bestätigt die heilige Schrift, dass die Voraussage Gottes durch Josuas Mund nicht unerfüllt blieb; denn auf seinen Erstgeborenen Abiram legte er Jerichos Grundstein, und auf seinem jüngeren Sohn Segub errichtete ihre Tore. So musste er durch den Tod seiner Söhne erkennen, was es heißt, gegen den Willen und die Absicht Gottes irgendetwas zu versuchen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/calvin/calvin-josua/calvin-josua_-_kapitel_6.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain