Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 4.
V. 1. Da nun das Volk usw. Über die zwölf Männer, die vorher (3, 12) kurz erwähnt wurden, wird jetzt ausführlich berichtet. Der Bericht hatte gesagt, dass jeder einzelne auf Gottes Befehl aus seinem Stamme ausgewählt werden sollte, brach aber ab und gab nicht an, zu welchem Zweck das geschah. Nun hören wir, dass sie auf Josuas Befehl zwölf Steine mitgenommen und in Gilgal niedergelegt haben als Denkmal für die Nachwelt. Bevor die Priester ihre Füße von ihrem Standort mitten im Fluss entfernten, hoben sie Steine zu ihren Füßen auf und nahmen sie als bleibende Zeugnisse des Wunders mit nach Gilgal. So führte Josua treulich aus, was Gott befohlen hatte. Er berief also die vorher genannten Männer – nicht ohne Gottes Befehl, damit das Zeugnis desto mehr Bedeutung habe. Denn wenn Josua aus eigenem Antriebe ein solches Siegeszeichen errichtet hätte, so wäre seine Frömmigkeit zwar zu loben gewesen, aber das Erinnerungszeichen wäre vielleicht verachtet worden, weil es nur nach eines Menschen Willen errichtet worden wäre. Nun aber, da Gott selbst das Zeichen bestimmt, darf keiner es unbeachtet lassen und daran vorbeigehen. Daher bezeichnet (V. 6) Josua dasselbe den Israeliten als ein höchst beachtenswertes Denkmal, indem er ihre Kinder fragen lässt, was diese Steine sollten.
V. 7. So sollt ihr ihnen sagen usw. Zwar konnten die Steine für sich nicht reden, doch gab das Denkmal den Eltern Veranlassung zum Reden, dass sie ihren Kindern von Gottes Wohltat erzählten. Bei den Erwachsenen wird hier also großer Eifer um die Förderung der Verehrung Gottes erwartet. Auch wird ihnen der Auftrag erteilt, sich mit der Belehrung der Kinder Mühe zu geben. Gott wollte, dass diese Belehrung von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben würde. Auch diejenigen, welche damals noch nicht geboren waren, sollten auf diese Weise durch Erzählung vonseiten der Eltern doch auch Zeugen werden durch Hörensagen, auch wenn sie es mit eigenen Augen nicht gesehen hatten. Die Steine wurden nach der Zahl der Stämme aufgestellt, damit jeder einzelne durch sein eigenes Symbol zur Dankbarkeit angetrieben würde. Die zweieinhalb Stämme, denen das Erbteil jenseits des Jordans zugefallen war, hatten diesen Übergang über den Jordan für sich selbst zwar nicht nötig. Aber weil das Land Kanaan als gemeinsames Gut des ganzen Geschlechts Abrahams von den übrigen in Besitz genommen wurde, so sollte sich keiner von den anderen trennen, weil es sich noch um eine gemeinsame Sache handelte. – Obgleich bisher nur die zwölf Männer erwähnt wurden, so ergibt sich aus dem Schlusssatze, dass Gottes Befehl dem ganzen Volke vorgelegt worden ist. Es heißt ja (V. 8), dass die Kinder Israel taten, wie ihnen Josua geboten hatte. Daher ist es auch wahrscheinlich, dass die Männer, welche in aller Namen die Steine tragen sollten, durch Abstimmung ausgewählt worden sind.
V. 9. Und Josua richtete zwölf Steine auf mitten im Jordan. Die Steine unter dem Wasser scheinen keinen Wert gehabt zu haben, und darum scheint es unsinnig zu sein, die Steine an jener tiefen Stelle aufzurichten. Die anderen in Gilgal waren öffentlich zu sehen und boten Veranlassung zum Fragen. Aber die vor Menschenaugen unsichtbaren Steine, welche in der Tiefe verborgen waren, halfen doch nicht, den Geist der Menschen zum Nachdenken anzuregen. Allerdings wäre es unnütz gewesen, wäre jenes Denkmal nur in Schweigen begraben. Aber wenn die Israeliten untereinander erzählten, es sei dort eine Spur ihres Durchzuges zurückgelassen worden, dann konnte der Bericht von dem, was sie nicht sahen, doch zur Bestärkung ihres Glaubens dienen. Die Bundeslade war ja auch im Heiligtum eingeschlossen und wurde durch aufgelegte Teppiche bedeckt; dennoch war ihr verborgener Glanz nicht wertlos und fruchtlos, da das Gesetz die Kinder Israel lehrte, dass dort Gottes Bund verborgen sei. Man könnte auch annehmen, dass bei niedrigem Wasserstande die Spitze des Steinhaufens bisweilen sichtbar wurde. Wahrscheinlicher aber ist, wie gesagt, dass die Steine, obwohl Josua sie mitten im Fluss eingegraben hatte, doch ein wertvolles Zeugnis vor dem Volke waren, an welches noch viel später die Reden der Menschen rühmend erinnerten.
V. 10. Denn die Priester usw. Wenn alle anderen vorwärts eilen und wir müssen stehen bleiben, dann regt sich, wie wir wissen, bei solchem Warten leicht der Unmut in unserem Herzen, weil unsere Lage uns immer schlimmer zu werden scheint. Mit Recht wird daher die Geduld der Priester gelobt, weil sie, während alles Volk eiligst zum jenseitigen Ufer stürzte, allein an ihrem Platze ruhig stehen blieben. Furcht konnte ihr Herz erfüllen, wenn sie daran dachten, dass die drohend über ihren Häuptern aufgetürmten Wassermassen plötzlich zusammenbrechen und sie verschlingen würden. Ihr Gottvertrauen zeigt sich also nicht weniger in ihrem standhaften Ausharren als in dem mutigen Vorwärtsschreiten in den gefährlichen Fluss hinein. Zu ihrer Bereitwilligkeit kam ihre Standhaftigkeit hinzu, und dadurch wurde es klar, dass sie nicht nur in der ersten Begeisterung Gott gehorcht hatten. Solch unerschütterlicher Vorsatz, wie er hier gelobt wird, kann nur aus einer lebenskräftigen Wurzel emporwachsen. Anderseits war es ein Beweis ihrer Bescheidenheit, dass sie nichts unbedachtsam versuchten, sondern ihr ganzes Handeln nach der Richtschnur des göttlichen Wortes bestimmen ließen. Vielleicht ist Josua durch ein neues Orakel darüber belehrt worden, was zu tun sei; dem widerspricht nicht, was hier gesagt wird, er habe befolgt, was Mose ihm geboten habe. Mose hat ihn nachdrücklich ermahnt, an Gottes Munde zu hängen: nun ist er ganz und gar gehorsam gewesen und hat stets auf das geachtet, was Gott gefiel. Was Mose ihm gesagt hatte, war allgemein; Gott selbst belehrte den Josua den besonderen Umständen entsprechend.
V. 12. Und die Rubeniter und Gaditer usw. Besonders erwähnt werden die zweieinhalb Stämme, denn sie zogen nicht in eigenem Interesse zum Kampf aus, sondern um ihren Brüdern, deren Tapferkeit ihnen zum Besitz verholfen hatte, gleicherweise wieder bei der Eroberung des Landes Kanaan zu helfen. Diese Bedingung hatte Mose ihnen auferlegt, und sie hatten sich eidlich verpflichtet, die übrigen Teile des Volkes zu begleiten, bis alle zum ruhigen Besitze gekommen wären. Das haben sie beim Aufbruch nochmals versprochen (Kap. 1). Hier erfahren wir, dass nur ein Teil auserwählt wurde. Es werden nämlich jetzt (V. 13) nur 40 000 Mann gezählt, also etwa der dritte Teil derer, die sich wenig früher bei der allgemeinen Zählung ergaben (4. Mo. 26, 7. 18. 34). Man darf wohl annehmen, dass es nicht Moses Absicht gewesen sei, von allen, welche ihr Versprechen gegeben hatten, nun auch zu verlangen, sie sollten ihre Weiber und Kinder zurücklassen und in Kanaan Kriegsdienste leisten, bis es ganz erobert wäre. Es wäre grausam und hart gewesen, diese waffenlose Volksmasse ohne Schutz mitten unter den sie umgebenden wilden Völkern zurückzulassen. Zweifellos hätten die besiegten Feinde mit Hilfe der Nachbarstämme bei solcher Gelegenheit nicht lange gezögert, sich durch Ermordung der Weiber und Kinder zu rächen. Darum musste ein Schutz in dieser noch recht unruhigen Gegend zurückbleiben, stark genug, um drohende Überfälle abzuwehren. Auch Mose war sicher nicht so rücksichtslos, dass er für diese Schwachen nicht hätte gesorgt wissen wollen; ebenso war er klug genug, um das, was er eben mit den Waffen erobert hatte, nicht alles Schutzes zu berauben. Dazu kommt, dass die Zusammenhäufung einer solchen Menschenmenge mehr gehindert als geholfen hätte bei der Eroberung des Landes. Diese Einschränkung war daher wohl im Sinne des Mose. Die Rubeniter und Gaditer sollten nicht in Ruhe daheim die Früchte des Landes genießen, während ihre Brüder noch kämpften; sie sollten ihnen ihre Hilfe nicht entziehen, weil sie ja auch ihnen ihr eigenes Erbteil verdankten. So beweisen denn die 40 000 ihre redliche Absicht dadurch, dass sie sich den Mühen, Lasten und Gefahren des Kriegsdienstes nicht entziehen, nachdem ihre Stammesbrüder bereits zur Ruhe gekommen waren. Leicht hätten sie das Recht auf Befreiung vom Kriegsdienste auch für sich beanspruchen können. Wenn sie also nach vorgenommener Auswahl freudig dorthin ziehen, wohin befohlen wird, und die Brüder um ihre Ruhe nicht beneiden, so zeigt sich darin, dass sie von selbst und freiwillig zum Dienste bereit gewesen sind.
V. 14. An dem Tage machte der Herr Josua groß usw. Der eigentliche Zweck des Wunders war nicht die Stärkung der Macht und des Ansehens Josuas. Doch war es für seine Stellung sehr wertvoll, was hier gleichsam als Höhe der Wohltaten Gottes hingestellt wird, dass er mit heiligen Auszeichnungen geschmückt wurde. So wurde das Volk mit Ehrfurcht ihm gegenüber erfüllt, und keiner wagte, ihn gering zu achten. Die vielgestaltige Volksmenge musste durch ein Haupt regiert werden, um nicht, sich selbst überlassen, auseinander zu fallen. Gott hat daher aus Fürsorge für das Volk den Josua mit außerordentlichen Kennzeichen ausgerüstet, um dadurch seine Herrschaftsstellung zu bestätigen. Daraus wollen wir lernen, dass alle diejenigen Menschen, durch deren Hand Gott in besonderer Weise seine Macht kundtut, uns ganz besonders empfohlen werden, damit sie bei uns die gebührende Verehrung und Achtung genießen. Wenn es nun hier heißt, dass die Israeliten Josua fürchteten, wie sie Mose fürchteten, so könnte einer sagen: dem widersprechen die zahlreichen Berichte über Aufruhr und Unruhe, nach denen das Volk sich oft sogar in frecher Wut gegen Mose aufgelehnt hat. Doch hier ist nicht an die ganze Zeit seit dem Auszuge gedacht, sondern nur an die Zeiten der demütigenden Niederlagen, in denen sie anfingen, dem Mose ehrfurchtsvoll zu gehorchen. Jetzt war die alte Hartnäckigkeit abgelegt, jetzt war nach dem Tode der aufrührerischen Väter ein besseres Geschlecht herangewachsen. Darum lesen wir nicht, dass es noch derartige Schwierigkeiten gemacht habe, das Volk zu leiten und zu regieren. Als Josua sie im Anfang zum Gehorsam ermahnte, haben sie versprochen, sie würden sorgsam sein, wie früher gegenüber Mose.
V. 17. Also gebot Josua den Priestern usw. Nachdrücklich wird darauf hingewiesen, wie die Priester mit ruhigen und unbesorgten Herzen auf Gottes Wink achteten. Sie gingen nicht von der Stelle, bis Josua sie den Rückzug antreten ließ. Sie bewiesen besondere Standhaftigkeit dadurch, dass sie so folgsam und gehorsam waren. Aber Gottes väterliche Fürsorge für sie zeigte sich darin, dass es ihm nicht zu lästig war, sozusagen ihre einzelnen Schritte durch ein Wort zu leiten und zu lenken, damit nicht irgendeine Überraschung sie zaghaft mache. – Es folgt noch (V. 18) eine herrliche Bestätigung des Wunders: sobald sie den Uferrand überschritten hatten, floss der Jordan wieder wie zuvor. Wäre er nämlich nicht plötzlich in sein altes Bett zurückgekehrt, dann hätten viele irgendeinen verborgenen Zufall als Ursache für die Veränderung sich ausgedacht. Aber jeder Zweifel muss fallen, da Gott in ganz kurzen Zeitabschnitten seine Macht und Gnade beweist. Als zum ersten Male die Füße der Priester benetzt wurden, trat der Jordan zurück; jetzt, als sie heraussteigen, nimmt er seinen freien Lauf wieder an, und zwar in demselben Augenblick, als sie das Ufer betreten. Das Trockene ist hier Bezeichnung des Teils, der durch die Überschwemmung der Ufer nicht bedeckt war. Somit ist der stumme Fluss der beredtste Zeuge, da er besser als durch eine laute Stimme bezeugt, dass dem Gott Israels Himmel und Erde untertan sind.
V. 19. Es war aber der zehnte Tag usw. Im nächsten Kapitel (5, 10) hören wir, warum der Tag genau angegeben wird, an welchem sie das Land betraten und zum ersten Male darin ihr Lager aufschlugen. Als Name der ersten Station wird jetzt schon im Voraus „Gilgal“ angegeben, denn so wurde der Ort durch Josua nach der neuen Beschneidung genannt. Was dieser Name bedeutet, erfahren wir später (5, 9). Hier handelt es sich in der Hauptsache um die Aufrichtung des Denkmals der zwölf Steine, das vorher kurz erwähnt wurde, dessen feierliche Weihe aber erst hier erzählt wird. Josua hat nämlich nicht nur den Steinhaufen aufgerichtet, sondern hat dem Volk auch gesagt, er solle dazu dienen, dass die Eltern den Kindern das herrliche Gedächtnis göttlicher Gnadenerweisungen überliefern sollten. Er führt die Kinder ein mit der Frage, was jene Steine bedeuten sollten? Demnach waren sie so aufgestellt, dass sie die Aufmerksamkeit des Beschauers fesseln mussten. Denn wenn sie blindlings ohne Ordnung zusammengetragen worden wären, so würde es doch den Nachkommen nie in den Sinn gekommen sein, nach ihrer Bedeutung zu fragen. Darum waren sie in auffälliger Weise zusammengestellt, sodass man sie nicht übersehen konnte. Weil Gottes Bund mit Abraham von Geschlecht zu Geschlecht durch die Jahrtausende hin feststand, so galten infolge der Zusammengehörigkeit durch die Abstammung die Wohltaten Gottes, welche er den verstorbenen Vätern erwiesen hatte, gleicherweise auch den später geborenen Söhnen. Dieser Zusammenhang sollte sie zum Nachdenken anregen. Deshalb werden die Nachkommen hier darauf hingewiesen, dass alles, was früher den Vorfahren gegeben worden war, sich auch auf sie beziehe. Gottes Gnade galt ja nicht nur für einen Tag. Aber wenn die Kindeskinder hörten, dass vor den Augen des Volkes der Jordan einst, viele Jahrhunderte ehe sie geboren wurden, trocken gelegt worden war, so sollten sie daraus erkennen, dass sie das Volk seien, gegen welches Gott seine wunderbare Güte und Gnade zum Ausdruck gebracht hatte. Ebenso verhält es sich mit der Erinnerung an das rote Meer, obwohl, was dort geschehen war, noch nicht allzu lange zurücklag. Sicherlich waren ja nur noch zwei Männer übrig geblieben, die aus Ägypten mit ausgezogen waren. Aber das ganze Volk wird hier so angeredet, als ob sie selbst alle Augenzeugen dieses Wunders gewesen wären, indem es von dem Schilfmeer heißt, „dass es vor uns vertrocknete“. Das war ja auch geschehen zum Beweise des dauernden Gnadenbundes, der von den Vätern auf die Söhne überging. Es war jedenfalls wohl der Mühe wert, den Durchzug durchs rote Meer ins Gedächtnis zurückzurufen, nicht allein, damit die Ähnlichkeit des Wunders den Glauben bestärkte, sondern damit durch die Kunde vom Jordanübergang zugleich jenes frühere Wunder wieder ins Gedächtnis eingeprägt würde, obwohl kein sichtbares Zeichen davon ihnen vor Augen stand.
V. 24. Auf dass alle Völker erkennen usw. Gott hat dieses besondere Zeichen seiner Macht vollbracht, damit es nicht nur in seinem Volk allein verkündigt würde, sondern damit die Kunde davon sich weit und breit unter den Nationen verbreiten möchte. Zwar will er, dass seine Ehre in Zion wohne, aber er möchte doch auch denen, die nicht zu seinem Volke gehören, seine Werke einigermaßen kundtun. Dadurch sollen sie zu dem Bekenntnis gezwungen werden, dass er der wahrhaftige Gott ist. Sie müssen ihn, den sie gerne verachten möchten, wider ihren Willen fürchten, wie es im Liede Moses heißt (5. Mo. 32, 31): „Unser Fels ist nicht, wie ihr Fels, des sind unsere Feinde selbst Richter.“ Auch den Ungläubigen, mögen sie wollen oder nicht, wird dennoch dieses Geständnis ausgepresst, wenn sie solche Taten Gottes kennenlernen. Doch ihnen nützt es nichts, zu wissen, wie gewaltig Gottes Macht ist. Darum unterscheidet Josua sie von den Israeliten, denen er eine ganz besondere Gotteserkenntnis zuschreibt, nämlich eine solche, aus der ernstliche Gottesfurcht erwächst. Darum lautet der Ausdruck verschieden: die Völker sollen die Hand des Herrn erkennen, - von Israel aber heißt es: dass ihr den Herrn fürchtet. Die Ungläubigen verschütten das Licht durch ihre eigene Finsternis; wir aber sollen aus der Betrachtung der Werke Gottes lernen, in seiner Furcht Fortschritte zu machen. Josua fügt hinzu: „allezeit“, weil der Gnadenbund, um den es sich hier handelt, viele Generationen umfasst.