Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 20.
V. 1 u. 2. An dem ersten Tage der Woche. Da die Auferstehung Christi ein Hauptstück unseres Glaubens ist, und die Hoffnung auf ein ewiges Leben ohne sie elend darniederläge, so wenden die Evangelisten besonderen Fleiß darauf, sie glaubwürdig darzustellen. Auch unser Evangelist trägt hier viele Zeugnisse zusammen, die uns der Tatsache der Auferstehung Christi von den Toten vergewissern. Allerdings könnte man sich darüber wundern, dass er nicht mehr klassische Zeugen anführt, sondern mit einem Weibe den Anfang macht. So wird aber erfüllt, was Paulus (1. Kor. 1,27) schreibt: Gott erwählt, was schwach ist vor der Welt, ja töricht und verächtlich, um zuschanden zu machen, was in den Augen fleischlich gesinnter Menschen weise und stark und herrlich ist. Was irdischen Rang anbetrifft, so hatten die Jünger davon gewiss ebenso wenig wie die Frauen, welche Jesu nachgefolgt waren. Christus hat nun einmal Gefallen daran gehabt, dass gerade diese Menschen die ersten Zeugen seiner Auferstehung werden sollten. Das ist für uns entscheidend, dadurch sind sie für uns vollkommen legitimiert, und wir bedürfen keiner besseren Zeugen, als sie es sind. Was den Priestern und Schriftgelehrten, dem ganzen Volk und dem Pilatus im Wege stand, der Auferstehung Christi gewiss zu werden, das war einzig und allein ihre grobe und willentliche Blindheit. Sie waren es alle wert, zu sehen und doch nicht zu sehen. Seiner kleinen Jüngerschar hat Christus sich geoffenbart. –
Ehe wir nun weiter gehen, verlohnt es sich der Mühe, zu sehen, wie die Aussagen der Evangelisten untereinander zusammenstimmen, und wo sich einzelne Stellen finden, die beim ersten Zusehen scheinbar nicht unter sich in Einklang stehen. Johannes nennt nur die Magdalena, Matthäus dagegen zwei und Markus drei Frauen. Lukas gibt überhaupt keine bestimmte Zahl an, sondern sagt nur, die Frauen seien gekommen, welche Jesu von Galiläa her nachfolgten (Mt. 28,1; Mk. 16,1; Lk. 23,55 – 24,1). Dieser Knoten löst sich doch sehr einfach. Während Matthäus zwei Namen von Frauen nennt, die in der Jüngergemeinde besonders bekannt waren, begnügt sich Johannes mit dem einen Namen der Maria Magdalena. Damit will er die anderen keineswegs ausschließen; ja, der Fortgang seines eigenen Berichtes deutet auf deren Gegenwart. Redet doch Maria Magdalena in der Mehrzahl (V. 2): Wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Auch die scheinbar voneinander abweichenden Zeitbestimmungen lassen sich unschwer miteinander vereinigen. Wenn Johannes sagt, Maria Magdalena sei vor Tagesgrauen gekommen, so denkt er daran, dass die Frauen ihre Wanderung angetreten haben, als es noch finster war; als sie aber beim Grabe eintrafen, war es schon längst hell geworden. Die Salben hatten sie nach Sonnenuntergang eingekauft, als der Sabbat vorüber war. So ordnet sich auch an diesem Punkte alles, was die vier Evangelisten erzählen, bestens ein.
Eine dritte Unebenheit scheint zu bestehen, wenn Johannes sagt, Maria habe mit ihm und Petrus geredet, Lukas aber erzählt, sie sei zu den elf Aposteln gekommen und man habe ihren Bericht für ein Märlein angesehen. Auch hier glättet sich alles leicht, wenn man sich klar macht, dass Johannes absichtlich die anderen Mitapostel übergeht. Wozu sollte er sie auch nennen? Nur Petrus und er eilten zum Grabe. Wenn Lukas allein des Petrus gedenkt, so verhält es sich damit ebenso, wie mit der alleinigen Anführung der Magdalena bei Johannes; so gut es hier mehr Frauen waren, so gut dort mehr Apostel, - Lukas bestreitet das nicht. Vermutlich blieben die übrigen neun daheim, weil sie bange waren, es möchte Argwohn entstehen, wenn eine solche Schar von Männern durch die Straßen Jerusalems lief. Dem steht nicht im Wege, was Lukas wohl andeuten will, nämlich, dass sie die Rede der Maria verachtet hätten, denn unmittelbar darauf erzählt Lukas, Petrus sei davongeeilt. Also meint er ganz einfach dies: zunächst waren die Apostel wie angedonnert über dem Gehörten, Petrus sammelte sich endlich und folgte dann der Maria, um zuzusehen, was daran wäre. Wenn Lukas nun erzählt, Christus sei der Maria erschienen, ehe sie den Jüngern mitgeteilt habe, das Grab sei leer, so hält er ganz offenbar die Reihenfolge nicht genau inne, - das geht klar aus dem Zusammenhange hervor. Bei Johannes wird beides sorgfältig auseinander gehalten: das, was Maria erlebte, ehe sie zu den Jüngern kam, und das, was sie danach erlebte. –
Übrigens beschreibt keiner unter den Evangelisten, wie und wann Christus aus dem Grabe hervorging: sie begnügen sich alle mit dem Bericht darüber, wenn und welchen Personen der Auferstandene erschien. Maria Magdalena kam also mit den anderen Weibern, nachdem der Sabbat als der siebente Wochentag vorüber war, am ersten Tage der Woche zum Grabe. Mit dem Beginn dieses Tages (nach jüdischer Zeiteinteilung bei Sonnenuntergang, als nach abends 6 Uhr) hatten sie die Spezereien gekauft, und dann waren sie noch in dunkler Nacht, wie ängstliche Gemüter pflegen, heimlich aus der Stadt geschlichen.
V. 3 u. 4. Da ging Petrus hinaus. Über diesen Eifer können wir uns nur wundern, da ja sowohl bei den Jüngern wie bei den Frauen nur ein ganz winziger, fast völlig ausgelöschter Glaube vorhanden war. Ganz offenbar hat wahre Frömmigkeit sie bewogen, Christum zu suchen. Eine Art Glaubenskeim blieb also in ihren Herzen; aber er war so zart und schwach, dass nicht einmal sie selber wussten, dass ein solcher Keim noch vorhanden war. So ist das Wirken des heiligen Geistes im Menschenherzen oft ein ganz verborgenes. Aus jenem unscheinbaren Keim brechen jetzt Blätter und Blüten hervor. Mag dieser Überrest wahrer Frömmigkeit immerhin von recht verworrener Art, ja mit viel Aberglauben vermengt gewesen sein, dennoch verdient er noch den Namen „Glauben“, da er jedenfalls von der Predigt Jesu, von der Lehre des Evangeliums herrührte und sein Ziel allein in Christo hatte. Aus diesem Anfangsglauben erwuchs nach und nach der Glaube, welcher in vollem Sinne dieses Namens würdig ist, der Glaube, welcher nicht mehr an dem Grabe Christi hängt, sondern sich emporschwingt zu der himmlischen Herrlichkeit unseres Heilandes. Wenn die Schrift von den Anfängen des Glaubenslebens redet, so sagt sie, Christus werde in uns geboren und wir in ihm. Der Glaube der Jünger steht aber wohl noch unter dieser Glaubenskindheit, so lange sie nichts von Christi Auferstehung wissen; ihr Glaube gleicht dem Lebenskeim, den Gott der Herr im Mutterschoße behütet und wachsen und reifen lässt. Früher waren sie einmal wie heranwachsende Knaben; der Tod Christi aber versetzte ihrem Glaubensleben einen solchen Stoß, dass es fast ganz verwelkte und verdorrte. So glichen sie den Galatern, denen Paulus (Gal. 4,19) schreiben muss: „Meine lieben Kinder, welche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis dass Christus in euch eine Gestalt gewinne.“ –
Petrus hatte sich nicht so sehr beeilt wie Johannes; trotzdem geht er zuerst in das Grab. Wir sollen daraus lernen, dass viele, die sich zurückhalten, doch wohl mehr besitzen, als ihnen an der Stirn geschrieben steht. Wir sehen ja, dass viele, die anfänglich lauter Feuer und Flamme waren, sich allmählich sehr abkühlen und im Kampf nicht standhalten. Bei anderen dagegen, die man anfänglich für langsame und träge Leute halten musste, beobachten wir mit Staunen, wie gerade mitten in der Gefahr eine bisher an ihnen nicht wahrgenommene Begeisterung sie überkommt.
V. 5 bis 7. Und sieht die Leinen gelegt. Diese leinenen Tücher waren sozusagen die dem Feinde entrissenen Siegestrophäen, an denen die Jünger sich davon vergewissern konnten, dass Christus auferstanden war. Denn das war doch recht unwahrscheinlich, dass jemand, der die Leiche an einen anderen Ort schaffen wollte, sie zuvor nackt auszog. Solche Handlungsweise wäre keinem Freunde, aber auch keinem Feinde zuzutrauen gewesen. Außerdem redet der Evangelist noch besonders von einem Schweißtuche, womit das Haupt bedeckt gewesen war. Indem Christus alle diese Zeichen des Todes von sich warf, wollte er den Jüngern sagen: Ich wandle nun in einem neuen Leben voll Seligkeit, das von keinem Sterben mehr bedroht ist.
V. 8 u. 9. Und sah, und glaubte es. Was sie aus Christi Munde längst vernommen, was aber aus ihrem Sinne wieder entschwunden war, dürfen die Jünger jetzt mit Augen sehen. Es ist also eine Selbstanklage, wenn Johannes berichtet, dass erst der Blick auf die Zeichen der Auferstehung Christi ihn zum Glauben gebracht habe. Wie groß seine und seiner Mitapostel Sünde war, spricht er offen aus (V. 9): sie hatten nicht nur die Worte Christi vergessen, sie hatten auch die Schrift nicht im Gedächtnis. Dass ihr Glaube so mangelhaft war, das leitet er von dieser Unwissenheit ab. Daraus können wir eine nützliche Mahnung für uns entnehmen: auch bei uns ist allein die eigene Trägheit schuld, wenn wir in Unklarheit sind über das, was wir von Christo wissen müssten; es wird daraus nur offenbar, dass wir in der heiligen Schrift noch lange nicht so gut Bescheid wissen, wie wir sollten: denn die Bibel zeigt uns mit wunderbarer Deutlichkeit, wie groß und stark unser Heiland ist. Um das nächstliegende Beispiel zu wählen: anscheinend spricht das Alte Testament nur dunkel und andeutungsweise von der Auferstehung Christi; wer aber aufmerkt beim Lesen, der findet darin klare Zeugnisse von ihr. Dass Christus auferstehen musste, belegt Paulus (Apg. 13, 4) damit, dass Jesaja (55,3) betont, Gott wolle die David verheißene Gnade treulich halten. Wer die Schrift nicht näher kennt, der meint wohl gar, dass Paulus diese Stelle ziemlich unpassend herangezogen habe. Wer aber zum Glauben gekommen ist und in der Schrift sich wohl geübt hat, der merkt leicht, wie treffend dies Jesajawort ist. Christus ist der Bürge, durch welchen Gott uns seine Gnade immerdar treulich hält; wie sollte Christus uns aber immerdar Gottes Gnade zuwenden, wenn er nicht immerdar lebte? Derartige Schriftstellen gibt es nun eine Menge. Es ist überflüssig sie alle zusammenzustellen. Drei mögen hier genügen. In Psalm 16,10 steht: „Du wirst nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese.“ Petrus und Paulus (Apg. 2,27; 13,35) deuten diese Weissagung auf Christum, und zwar ganz mit Recht, denn unter den Nachkommen Adams ist keiner zu finden, der nicht an und für sich der Verwesung verfallen müsste. Folglich redet diese Stelle von der Unsterblichkeit Christi. Ferner kann darüber kein Zweifel obwalten, dass der Spruch Ps. 110,1 sich auf Christum bezieht: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege.“ Der Tod, als der letzte Feind (1. Kor. 15,26), wird erst am jüngsten Tage vertilgt werden. Folglich wird Christo hier königliche Herrschaft bis ans Weltende zuerteilt; diese Königsherrschaft kann er aber nur dann ausüben, wenn er bis zum Ende der Welt lebt. Am deutlichsten von allen redet Jesaja, der unmittelbar, nachdem er den Tod Christi vorhergesagt hat, fortfährt (53,8): „Wer will seines Lebens Länge ausreden?“ Jedenfalls ist die Lehre der Schrift dermaßen vollständig und alles umfassend, dass wir jedes Mal, wenn wir einen Mangel unseres Glaubens entdecken, bestimmt annehmen dürfen: daran ist nur der Unverstand schuld, dass wir die Schrift noch nicht recht kennen.
V. 10. Da gingen die Jünger usw. Man kann es wohl verstehen, dass sie noch immer voll Bedenken und Spannung waren, als sie nach Hause zurückkehrten; denn, wenn Johannes auch erzählt, dass er geglaubt hat, so war doch jener Glaube nicht besonders fest, sondern er bestand nur in dem verworrenen Gefühl: Ein großes Wunder ist geschehen! Dieses Gefühl wirkte erhebend, aufregend, bedurfte aber noch sehr einer Bestätigung. Aus dem bloßen Betrachten des Grabes und der Leinentücher konnte ein ruhiger, gewisser Glaube ja auch nicht gewonnen werden. Christus wollte sich den Jüngern gewiss nicht eher zeigen, als bis sie jener rein menschlichen Aufregung besser Herr geworden waren. Einen löblichen Beweis ihres Eifers hatten sie damit geliefert, dass sie zum Grabe eilten. Trotzdem hielt sich Christus noch vor ihnen verborgen, denn mit ihrem Suchen verbanden sich noch reichlich abergläubische Vorstellungen.
V. 11. Maria aber stand vor dem Grabe. Jetzt hebt der Evangelist an zu erzählen, wie Christus, um seine Auferstehung zu bezeugen, sowohl den Frauen als den Jüngern erschien. Erwähnt wird hier freilich nur Maria. Trotzdem halte ich es für wahrscheinlich, dass noch andere Frauen bei ihr waren. Einige Ausleger sind freilich der Meinung, diese anderen seien nur anfänglich dabei gewesen, nachher aber vor Angst weggelaufen. Diese Annahme hält jedoch vor vernünftiger Überlegung nicht Stich. Man sucht mit ihr den Widerspruch gegen andere Berichte wegzuschaffen. Ich habe jedoch (zu V. 1) gezeigt, dass, recht betrachtet, ein Widerspruch gar nicht vorhanden ist. Wenn übrigens die Jünger zur Stadt umkehren, und die Frauen noch beim Grabe verweilen, so ist kein Grund vorhanden, die Treue und Liebe der letzteren zu Ungunsten der Männer herauszustreichen. Die Jünger nehmen Trost und Freude mit nach Hause, die Jüngerinnen dagegen vergießen ohne Grund und Zweck viele Tränen. Es ist ein abergläubischer Zug zu dem Leichnam des Gekreuzigten und eine gewisse rein natürliche Anhänglichkeit, die sie beim Grabe festhält.
V. 12. Sieht zwei Engel. Der Herr übt eine wunderbare Nachsicht, wenn er der Maria und ihren Begleiterinnen so viele Fehler verzeiht. Er würdigt sie einer außerordentlichen Ehre, indem er seine Engel zu ihnen sendet und endlich sich selbst offenbart, - was er den Aposteln bisher versagt hat. Im Grunde haben sich ja beide, sowohl die Apostel als die Frauen, recht schwach gezeigt; aber doch war die Unempfänglichkeit der Männer weniger entschuldbar, weil die gründliche und eingehende Belehrung Jesu so wenig bei ihnen ausgerichtet hatte. Gewiss wollte Jesus, als er es erwählte, sich zuerst den Frauen zu offenbaren, nebenher seine Jünger dadurch beschämen. Übrigens ist es ungewiss, ob Maria die Engels als solche erkannt oder aber für gewöhnliche Menschen gehalten hat. Wir wissen, dass weiße Gewänder das Sinnbild himmlischer Herrlichkeit sind; so war Christus mit einem weißen Gewande angetan, als die drei Apostel auf dem Berge seine Herrlichkeit zu sehen bekamen (Mt. 17,2). Das Gleiche berichtet Lukas von dem Engel, welcher dem Cornelius erschien (Apg. 10,30). Unleugbar waren weiße Leinengewänder auch bei den Morgenländern im Gebrauch, ab er Gott hat an der Tracht der Engel gewiss irgendetwas Ungewöhnliches, Auszeichnendes angebracht, hat ihrem Gewand sozusagen einen himmlischen Stempel aufgedrückt, sodass sie von Menschen zu unterscheiden waren. Man nehme hinzu, dass Matthäus (28,3) von dem Engel, welcher den Frauen erschien, aussagt, seine Gestalt sei gewesen wie der Blitz. Mit Bewunderung gepaarte Frucht überwältigte sie bei diesem Anblick; sie blieben stehen, wie vom Wetterschlag gerührt. Offenbar handelte es sich stets, wenn Engel nach den Erzählungen der Schrift wie Menschen anzusehen und gekleidet sichtbar wurden, um eine Herablassung Gottes zu dem irdischen Begriffsvermögen der Menschen. Allerdings zweifle ich nicht daran, dass bisweilen die Engel mit Menschenleibern angetan waren. Ob aber die beiden Engel in unserer Geschichte nur scheinbar körperliche Wesen waren, das lasse ich dahingestellt sein; eine Untersuchung darüber ist überflüssig. Mir genügt es, dass der Herr ihnen menschliche Gestalt verliehen hat, so dass sie von den Frauen erblickt und gehört werden konnten, und dass ihre Kleidung irgendwie mit Kennzeichen von Himmelsboten versehen gewesen sein muss.
Einen zu den Häupten und den anderen zu den Füßen. Wenn bei Matthäus nur ein Engel erwähnt wird, so ergibt sich daraus kein Widerspruch zu der Erzählung hier. Gewiss haben nicht beide gleichzeitig die Maria angeredet, sondern nur einer von ihnen ist mit dieser Aufgabe betraut worden. Jesus hat sein Herrlichkeitsreich mit herrlichen Zeichen angefangen. Diese Engelerscheinung in seinem Grabe überstrahlt auf der einen Seite die Schande des Kreuzes und ist auf der anderen ein klarer Ausdruck seiner göttlichen Majestät.
V. 13. Weib, was weinst du? Die anderen Evangelisten berichten, dass der Engel ausführlicher geredet hat; dem Johannes genügt diese kurze Zusammenfassung seiner Worte: denn mehr bedurfte es nicht, um die Auferstehung Jesu zu bezeugen. In seiner Rede an Maria verbindet der Engel miteinander Vorwurf und Trost; vorwurfsvoll fragt er nach ihren Tränen, mildert jedoch den Vorwurf durch die Freudenkunde, dass zum Weinen kein Grund vorliege, da Jesus auferstanden sei.
V. 14. Sieht Jesum stehen. Hier drängt sich gewiss manchem die Frage auf: Wie ist diese Sinnestäuschung zu erklären? Maria erkennt Jesum nicht, obwohl sie ihn früher so oft gesehen hat und ihn eigentlich kennen müsste. Einige nehmen an, Jesus sei in veränderter Gestalt erschienen; ich vermute vielmehr, dass der Blick der Frauen an dem Nichterkennen schuld war, wie wir dies ja auch bei den Emmausjüngern erfahren (Lk. 24,16). Gott, der den Menschen die Augen gab, hat Macht, ihre Sehkraft derart zu lähmen, dass sie mit sehenden Augen doch nicht sehen. Ja, gerade Maria liefert uns ein Beispiel allgemeingültiger Art dafür, wie irrtumsfähig der Menschengeist ist. Mag Christus dicht vor uns stehen, immer sehen wir nicht ihn, sondern etwas anderes, jetzt dies, jetzt das. Alles andere sehen und merken wir eher, als Christum, wenn er uns auch noch so nahe kommt. Schon an und für sich sind die Augen unseres Geistes trübe und trügerisch; nun werden sie noch obendrein von Welt und Satan in einem Zauberbanne gehalten und verlieren die Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, in hohem Maße.
V. 15. Herr, hast du ihn weggetragen. Die Anrede „Herr“ ist die ganz geläufige, wie sie bei den Juden gar nicht bloß für höhergestellte Personen, sondern für jeden Bauern üblich war. Wir sehen hier, wie völlig Maria noch innerhalb ihres gewohnten irdischen Gedankenkreises sich befindet. Sie denkt: Ach, hätte ich nur die Leiche wieder und könnte sie im Grabe bergen und aufbewahren! Über solchen Gedanken unterlässt sie die Hauptsache, nämlich, sich nach der Gotteskraft des Auferstandenen zu sehnen. So nimmt es denn nicht wunder, wenn ihr so wenig himmlisches Begehren ihr einen Schleier vor die Augen zieht.
V. 16. Maria! Dass Jesus die Maria ein Weilchen in ihrem Irrtum ließ, ist nützlich, uns im Glauben zu befestigen; jetzt ab er ruft er sie aus ihren verkehrten Gedanken mit einem einzigen kleinen Worte heraus. Angeredet hat er sie schon vorher, aber sie nahm seine Rede auf wie die eines Unbekannten, jetzt ruft er, wie er es als Meister oft genug getan haben mag, seine Jüngerin bei Namen auf, - wie wir früher (10,14) lasen, dass der gute Hirte jedes einzelne seiner Schafe mit seinem Namen zu sich ruft. Seine Hirtenstimme dringt der Maria tief in die Seele, schließt ihr die Augen auf, ruft all ihre Sinne wach und bewegt sie dazu, alsbald sich ihrem Heiland zu übergeben. In Maria ist uns das Bild unserer Berufung vor die Augen gemalt. Zur wahren Erkenntnis Christi gibt es nur einen Weg: zuerst erkennt er uns, dann lädt er uns freundlich zu sich ein, nicht allein mit der Predigt, welche ohne Unterschied irgend beliebigen Menschen an das Ohr schallt, sondern mit jenem Hirtenruf, vermittels dessen er die vom Vater ihm gegebenen Schafe insonderheit beruft. Deshalb schreibt Paulus (Gal. 4,9): „Ihr habt Gott erkannt, ja vielmehr, ihr seid von Gott erkannt.“ Dass der Ruf Jesu gewirkt hat, wird daran sichtbar, dass Maria sofort Christo die Ehre erweist, die ihm gebührt; denn der Name Rabbuni ist nicht nur eine ehrende Anrede, er enthält auch das Gelübde des Gehorsams. Maria bezeugt damit: Ich bin deine Jüngerin und bin willig, dir als meinem Meister folgsam zu sein. Eine wundersame, unerklärliche Verwandlung eines Menschenherzens! Eben noch ist Maria gefühllos, ja stockblind, da macht Gott sie im Nu durch Erleuchtung mit seinem Geiste scharfsehend.
Ferner sehen wir an dem Beispiele Maria, dass alle, die Christus zu sich beruft, ihm unverzüglich antworten. Das chaldäische oder aramäische Wort Rabbuni bedeutet soviel als „mein Herr“ oder „mein Meister“. Zur Zeit Christi dachte man dabei im allerengsten Sinne an das Verhältnis des Rabbi oder Lehrers zu seinem Schüler.
V. 17 u. 18. Rühre mich nicht an. Das scheint mit dem Bericht des Matthäus nicht recht zu stimmen (28,9), der ja gerade ausdrücklich berichtet, dass die Frauen Jesu Füße umfassten. Wenn er sich von ihnen ruhig berühren ließ, weshalb hat er dann der Maria untersagt, ihn anzurühren? Die Lösung dieses Rätsels liegt ganz nahe. Beachten wir nur, wozu Jesus als Auferstandener sich betasten ließ, - offenbar dazu, dass aller Zweifel schwand und die Gewissheit einkehrte: Jesus lebt! War der Zweifel geschwunden, so tat keine weitere Berührung not. Als Jesus sah, dass die Frauen einen übertriebenen Wert darauf legten, seine Füße zu umfassen, da erst – nicht vorher – wehrte er es ihnen und wies ihren verkehrten Eifer in die rechten Schranken zurück. Ohne das würden sie in ihrer törichten, unzeitigen Sehnsucht darauf verfallen sein, ihn überhaupt für immer leiblich in dieser Welt zurückhalten zu wollen.
Den Grund seiner Zurückweisung setzt Jesus auch sofort hinzu: denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Mit diesen Worten heißt er die Frauen von ihrem Verlangen abstehen, bis er in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen sei. Er zeigt weiter mit diesen Worten worin die Auferstehung ihren Abschluss findet: nicht darin, wie die Frauen wohl träumten, dass Jesus nun als Neubelebter etwa einen Triumphzug anträte, sondern vielmehr darin, dass er durch seine Himmelfahrt von der ihm verheißenen Herrschaft Besitz ergriff und zur Rechten des Vaters durch seinen Geist die Kirche regiert. Der Sinn dieser Worte ist also der: Erst damit ist die Auferstehung zu ihrem Endziel gelangt und nach jeder Hinsicht abgeschlossen, dass ich im Himmel zur Rechten Gottes meinen Thronsitz besteige; folglich tut ihr nicht wohl daran, meine Jüngerinnen, mich aufzuhalten. Ihr dürft nicht damit zufrieden sein, dass die Auferstehung halb geschehen ist. Ich kann nicht in sichtbarer Leiblichkeit bei euch auf der Erde bleiben. – In doppelter Hinsicht entnehmen wir hieraus Belehrung für uns: einmal, dass jeder, der wirklich das Heil in Christo finden will, sein Herz emporheben muss, und dann, dass alle, die nach Jesu verlangen, sich von irdischen Begehrungen des Fleisches frei machen müssen (Kol. 3,1 ff.).
Gehe hin zu meinen Brüdern . Darunter sind nicht Jesu Anverwandte zu verstehen, die etwa von ihrem früheren Unglauben (Joh. 7,5) nun zum Glauben gebracht werden sollten. Was sollte Jesus für einen Grund haben, lieber zu ihnen, als zu seinen Jüngern zu senden? Tatsächlich wird auch Maria den Befehl ausgeführt haben, wie er gemeint war: sie geht aber (V. 18) zu den Jüngern. Von ihnen wusste ja Jesus, dass sie an einem bestimmten Orte versammelt waren. Der Ausdruck, welchen er gebraucht, lehnt sich vielleicht an Ps. 22,23 an: „Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern.“ Dass an unserer Stelle die Erfüllung dieser Weissagung berichtet wird, steht jedenfalls außer Frage. Maria wurde zu den Jüngern insgesamt gesendet, und zwar geschah das, weil sie den Vorwurf verdienten, sie seien recht langsam und träge gewesen, an die geschehene Auferstehung zu glauben. Ja, wenn man berechnet, welche Mühe sich der Sohn Gottes so unablässig mit ihnen gegeben hatte, so darf man kühnlich behaupten, es wäre noch keine zu harte Strafe für sie gewesen, wenn Christus seinen Jüngern nicht Frauen, sondern vielmehr Ochsen oder Esel zu Lehrmeistern gegeben hätte. Aber er verfährt milde mit ihnen, und es ist eine recht gelinde Züchtigung für die Ungelehrigkeit, wenn Christus seine Jünger bei Frauen in die Schule schickt, gleich kleinen Kindern, welche die Mutter unterweist, um sie durch den Unterricht derselben wieder zu sich, ihrem einigen Meister, zurückzurufen.
Darin, dass er die Frauen zu Zeugen seiner Auferstehung gegenüber den Aposteln bestellt, leuchtet aber auch seine ganze Jesusgüte hell hervor. Die Botschaft, welche sie zu überbringen haben, enthält ja den einigen Grund unseres Heils das vornehmste Stück himmlischer Weisheit; sie ist eben die Kunde, welche die Apostel späterhin entsprechend ihrem besonderen Amte der ganzen Welt öffentlich zu sagen hatten. Ein eigentliches apostolisches Amt haben diese Jüngerinnen durch solchen ausnahmsweisen Auftrag nicht überkommen. Man darf daraus nicht etwa schließen, dass Frauen überhaupt öffentlich lehren oder taufen dürften.
Ich fahre auf zu meinem Vater. Der Herr wehrt es mit diesem Worte seinen Aposteln, bei der einfachen, nackten Tatsache der Auferstehung beruhigt Halt zu machen, als wäre nun alles fertig. Vielmehr sollen sie jetzt noch weiter vorwärts schreiten und wissen, dass Jesu Ziel ein geistliches Reich, die Herrlichkeit des Himmels, ja Gott selbst ist. Auf den Worten „Ich fahre auf“ liegt großer Nachdruck. Christus streckt mit diesen Worten den Jüngern seine Hand hin: Empor, hinauf! Suchet nirgend anderswo als im Himmel selbst eure Seligkeit! Denn wo unser Schatz ist, da soll auch unser Herz sein (Mt. 6,21). Wenn Christus auffährt, so müssen auch wir zur Höhe empor, wenn wir nicht von ihm getrennt werden wollen. Übrigens verscheucht er mit dem Hinweis auf seine Auffahrt alle Traurigkeit und Angst, in welche die Apostel sonst durch sein Scheiden hätten geraten können. Damit deutet er ja an, dass er mit göttlicher Allmacht ihnen immer nahe sein wird. Wenn er auf Auffahren redet, so sagt er damit allerdings, er werde sich räumlich von ihnen entfernen; aber mag Christus auch leiblich in der Ferne weilen, so ist er doch bei Gott, und seine allenthalben waltende Kraft zeigt deutlich, dass er geistlich gegenwärtig ist.
Was ist der Zweck seiner Auffahrt zu Gott? Er sitzt nun zur Rechten Gottes und herrscht über Himmel und Erde. Er hat mit diesem Ausspruch auf die göttliche Vollmacht seines Reiches hinweisen wollen, damit seine Jünger nicht besorgt wären wegen seiner leiblichen Abwesenheit. Was nun die Frucht und Wirkung der brüderlichen Verbundenheit Christi mit den Seinen ist, werden wir hier gewahr, wo Christus Gott in ganz gleicher Weise seinen Vater nennt und ihren Vater. An anderen Stellen hören wir, dass wir alles des Guten teilhaftig sind, das Christus besitzt. Die Grundlage solcher Gemeinschaft aber ist, dass er den Quell aller dieser Güter uns zu eigen macht. Das ist in Wahrheit ein ganz unschätzbares Gut, wenn der Christ dessen im Glauben felsenfest gewiss sein kann, dass der Gott und Vater Jesu Christi sein Gott und Vater ist. Auch brauchen wir uns nicht zu fürchten, dass diese Zuversicht eine Vermessenheit gescholten werde oder als leere Prahlerei dastehe, sobald sie sich nur auf Christum gründet. Wer gibt uns den Mut zu solcher Zuversicht? Christi eigenes Wort. Christus nennt Gott nur deshalb seinen Gott, weil er Knechtsgestalt angenommen und sich der göttlichen Gestalt entäußert hat. Diese Bezeichnung passt eigentlich nur in seinen Mund, insofern er wahrer Mensch ist; indes spalten wir seine Persönlichkeit nicht. Der ganze Christus redet von Gott als seinem Gott. Unser Heiland heißt als einheitliche Persönlichkeit wahrer Gott und wahrer Mensch. In der Gotteskindschaft aber besteht dieser Unterschied zwischen ihm und uns: Er ist von Natur Gottes Sohn, wir sind durch Annahme an Kindes Statt Gottes Kinder. Diese Gnade Gottes aber, die wir durch Christum erlangen, steht so fest, dass sie durch keine Teufelsränke erschüttert werden kann. Wir dürfen Gott jederzeit als unseren Vater anrufen; in seinem eingeborenen Sohn hat er uns angenommen.
V. 19. Am Abend aber usw. Nunmehr erzählt der Evangelist, wie Christus seinen Jüngern durch seine Erscheinung zeigte, dass er auferstanden war. Gewiss ist die Hand der göttlichen Vorsehung darin zu sehen, dass alle an einem Orte zusammengekommen waren; so sollte dies Ereignis umso fester verbürgt und desto glaubwürdiger sein. Wir haben zu beachten, wie milde Jesus mit den Jüngern verfuhr: nur bis zum Abend ließ er sie warten. Gerade, als sich Dunkelheit über die Erde senkte, stand er, das Unterpfand eines neuen Lebens ihnen zu überbringen, leuchtend vor ihnen. Dass sie alle beisammen waren, ist ein Zeichen des Glaubens oder wenigstens eines frommen Gefühls. Wenn sie sich hinter verschlossenen Türen verbargen, so bemerken wir daran freilich noch etwas Schwachheit. Es kommt ja bei den tapfersten Leuten vor, deren Standhaftigkeit sonst unbezwinglich ist, dass sie bisweilen eine Bangigkeit anwandelt; damals aber verriet das Zittern der Apostel ganz offenbar einen Mangel an Glauben. Ein merkwürdiges Beispiel! Wenn sie sich auch weniger tapfer zeigen, als sie hätten tun sollen, so geben sie doch ihrer Schwachheit nicht nach. Allerdings suchen sie, um der Gefahr aus dem Wege zu gehen, ein Versteck auf; aber sie beherrschen das Angstgefühl doch so weit, dass sie alle beisammen bleiben. Sonst würden sie sich zerstreut haben; der eine wäre hierhin, der andere dorthin geeilt, und keiner hätte es gewagt, den anderen offen anzusehen. Auch wir müssen so mit der Schwachheit unseres Fleisches kämpfen und der Ängstlichkeit nicht den Zügel schießen lassen, um nur ja nicht abtrünnig zu werden. Christus gibt durch seine Erscheinung dem einmütigen Beisammensein und eben damit dem Sieg, den jeder über seine Bangigkeit errungen hat, seinen Segen. Thomas allein geht leer aus und bekommt von der den Brüdern widerfahrenden Gnade nichts zu schmecken. Der Grund dafür ist, dass er sozusagen als ein fahnenflüchtiger Krieger seine Truppe verlassen hat. Wer seiner Bangigkeit gegenüber zu nachgiebig ist, der lerne sich zusammennehmen und mit der natürlichen Furcht gründlich aufräumen. Insbesondere haben wir uns davor zu hüten, dass wir nicht aus lauter Angst uns vereinzeln.
Und die Türen verschlossen waren. Dieser Umstand ist mit gutem Bedacht hervorgehoben; denn er lässt eine herrliche Probe der göttlichen Kraft, die dem Auferstandenen eigen war, zutage treten. Einige meinen zwar, es habe ihm jemand den Riegel zurückgeschoben, und so sei er genau wie jeder andere in das Zimmer eingetreten. Das steht jedoch in völligem Widerspruch zu der Meinung des Evangelisten. Es ist nicht ohne Wunder hergegangen; vielmehr trat Christus unter seine Jünger, um seine Gottheit zu bezeugen und die Jünger desto mehr zum Aufmerken zu nötigen. Dabei stimme ich übrigens nicht denjenigen Auslegern zu, welche behaupten, der Leib Christi sei durch die fest verschlossenen Türen hindurchgedrungen. Man stellt diese Behauptung auf, um einerseits den verklärten Leib Jesu einem Geiste ähnlich zu machen, anderseits, um sagen zu können, er sei unendlich, nicht mehr an den Raum gebunden.
Der Wortlaut unserer Stelle sagt von dem allem nichts. Der Evangelist berichtet nicht, der Auferstandene sei durch die geschlossenen Türen hereingekommen, sondern nur, er habe plötzlich unter den Jüngern gestanden, während die Türen doch verschlossen waren und Menschenhand ihm den Zutritt nicht eröffnet hatte. Bekanntlich ist Petrus aus wohl verwahrtem Gefängnis entkommen; ist etwa auch er mitten durch das Eisen und die Bretter der Kerkerpforte hindurchgegangen? Man verschone doch die heiligen Geschichten mit so kindischen Spitzfindigkeiten, die ja keinerlei festen Anhalt haben nur immer neue tolle Einfälle nach sich ziehen. Wir begnügen uns dabei: Christus wollte durch ein Wunder von auffallender Art seine Jünger in dem Glauben an seine Auferstehung bestärken.
Friede sei mit euch! So lautet der gewöhnliche hebräische Gruß, in welchem das Wort „Friede“ alles Gute und Wünschenswerte bezeichnen soll, was man zu einem glücklichen Leben gern haben möchte. Diese Begrüßung bedeutet also: Ich wünsche euch Glück und Segen! Daran zu erinnern ist deswegen nicht überflüssig, weil ungeschickte Ausleger hier sich ohne Grund über Frieden und Eintracht verbreiten, während doch Christus nur beabsichtigte, seinen Jüngern seine freundlichen Gruß darzubieten.
V. 20. Zeigte ihnen die Hände. Jesus musste dies noch zur Bestätigung hinzufügen, damit die Jünger sich auf alle Weise von seiner wirklichen Auferstehung überzeugen konnten. Wenn jemand es für des Standes der Herrlichkeit unwürdig ansieht, dass Christus unmittelbar nach der Auferstehung noch seine Wundmale an sich trägt, so mag er zunächst daran denken, dass Christus nicht in erster Linie für sich, sondern für uns auferstanden ist; sodann überlege er sich dies: Alles, was zu unserer Errettung dient, kann nur dazu beitragen, die Herrlichkeit Jesu klarer hervortreten zu lassen. Er hat sich eine Zeitlang erniedrigt; damit aber hat er seiner Majestät nicht vergeben. Nun haben aber die Nägelspuren in den durchbohrten Händen Jesu wirklich die Bedeutung, dass sie die Glaubwürdigkeit der Tatsache seiner Auferstehung erhöhen; so tun sie denn auch seiner Herrlichkeit durchaus keinen Abbruch.
Da wurden die Jünger froh. Alle Betrübnis, die der Tod Christi ihnen gebracht hatte, wurde durch sein neues Leben beseitigt.
V. 21. Da sprach Jesus abermals. Durch die Wiederholung des Friedengrußes will Jesus wohl nur für die gewichtigen Gegenstände, von denen er zu reden hat, eine besondere Aufmerksamkeit erwecken.
Gleichwie mich der Vater gesandt hat. Mit diesen Worten führt Christus gewissermaßen die Apostel in das Amt ein, für das er sie früher bestimmt hatte. Er hatte sie schon einmal nach verschiedenen Richtungen durch Judäa hin gesandt, aber doch nur als Ausrufer und Herolde, die den Befehl überbrachten: Höret auf die Stimme des Lehrers aller Lehrer! - noch nicht als Apostel, die als solche einen dauernden Amtsauftrag auszuführen erhielten. Jetzt bestellt sie der Herr zu Gesandten in seinem Dienst, die sein Reich auf der weiten Erde errichten sollen. Er will sagen: Bisher habe Ich des Lehramtes gewaltet, nun ist mein Lauf vollendet. Von jetzt ab tretet ihr in mein Amt ein. Jesus weiß, dass der Vater ihn in der Weise zum Lehrer der Gemeinde erwählt hat, dass er zeitweilig den anderen vorangehen solle und dann an seinen Platz andere stelle, die ihn in seiner Abwesenheit vertreten. So meint es auch Paulus (Eph. 4,11), wenn er sagt: „Er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten.“ Diese von Christo eingesetzten Amtsträger sollen bis zum Ende der Welt die Gemeinde leiten. Christus bezeugt hier zunächst: Mag ich selbst auch das Lehramt nur vorübergehend bekleidet haben, - die Predigt des Evangeliums wird nicht bloß eine gewisse Zeit lang, sondern alle Zeit erschallen. Damit ferner das Ansehen dessen, was die Apostel lehren, nicht um deswillen geringer gewertet werde, weil nur sie es lehren, gebietet er ihnen, in dem vom Vater ihm selber übertragenen Amte seine Nachfolger zu werden; dadurch legt er ihnen in Bezug auf die Lehre ganz die gleiche Bedeutung und dieselbe Berechtigung bei, wie er sie selber gehabt hat. Und es war nötig, dass ihr Amt eine solche Weihe aus Jesu Hand empfing; waren sie doch unbekannte Leute aus dem gewöhnlichen Volke. Christus hat reichlich Ursache, seinen Aposteln das ihm vom Vater beigelegte Ansehen mitzuteilen. Er will auf diese Weise erklären: Es ist kein menschlicher Einfall, sondern ein göttlicher Befehl, dass diesen Männern die Predigt des Evangeliums als Beruf auf die Seele gebunden wird. Übrigens setzt er sie nicht dermaßen an seine Stelle ein, dass er selbst etwa von dem Platze des höchsten und einzigen Lehrers zurückträte. Nimmermehr! Dieser Platz gebührt nach des Vaters Willen ganz allein Christo selbst. Der Wechsel, der von jetzt ab eintreten soll, besteht lediglich darin, dass Christus künftig nicht mehr mit dem eigenen Munde, wie er getan hat, so lange er auf Erden weilte, sondern durch den Mund der Apostel reden will. Das ist die von der Bibel gelehrte „apostolische Sukzession“, eine Nachfolge der Apostel in dem Lehramt Christi, wodurch Jesu Ansehen nicht die mindeste Einbuße und Schädigung erleidet. Der Gottesbefehl, dass wir auf ihn allein hören sollen (Mt. 17,5), also nicht auf andere, muss unverletzt bleiben.
Alles in allem: Christus hat es hier nicht auf hohe Ehren abgesehen, die irgendwelchen Menschen widerfahren sollen, sondern er will das Evangelium selbst in aller Welt zu hohen Ehren bringen. Um was es sich hier handelt, ist einzig und allein die Predigt des Evangeliums. Jesus setzt Diener und Hirten ein, welche die Gemeinde regieren sollen, aber ausschließlich unter dem Vorbehalt, dass er selbst unverkürzt alle Gewalt in seiner Hand behält, sie dagegen nichts anderes sein wollen, als Christi Werkzeuge.
V. 22. Blies er sie an. Weil zu einem so schweren Amte kein Sterblicher fähig ist, deshalb begabt Christus die Apostel mit einer besonderen Geistesausrüstung. Gewiss ist es eine Sache, die aus sich selbst kein Mensch fertig brächte, die Gemeinde Gottes zu regieren, die Botschaft des ewigen Heils unter die Menschen zu tragen, das Reich Gottes auf Erden aufzurichten und die Menschen zum Himmel emporzuheben. Deshalb ist es in keiner Weise zu verwundern, dass man nur solche Leute dazu geeignet finden wird, die vom heiligen Geist angehaucht sind. Niemand kann von Christo ein einziges rechtes Wort sagen, wenn nicht der Geist Gottes seine Zunge lenkt (1. Kor. 12,3). So viel fehlt daran, dass Menschenkraft ausreichte, ein so herrliches Amt nach allen Seiten hin mit Treue und Hingebung auszufüllen. Der Ruhm, die Lehrer seiner Kirche auszubilden, kommt allein Christo zu. Er gibt seiner Gemeinde die rechten Führer. Die Fülle des Geistes ist dazu auf Christum ausgegossen, dass er jedem einzelnen so viel davon austeile, als er haben muss. Der Herr, welcher der alleinige Hirt seiner Gemeinde bleibt, muss also die Diener, durch deren Wirken er die Gemeinde weidet, mit der Kraft seines Geistes ausrüsten. Dass er dies tut, hat er durch das Anhauchen der Apostel hier äußerlich versinnbildlicht. Dies Zeichen deutet eben darauf hin, dass der Geist von Christo ausgeht. Welche Lästerung ist es also, wenn die papistischen Bischöfe dem Sohne Gottes diese Ehre rauben und behaupten, dass sie den Priestern, die sie weihen, durch den Hauch ihres Mundes den Geist mitteilen könnten! Man bedenke doch noch dazu, dass Christus nicht nur den Geist, den er empfing, seinen Jüngern mitteilt, sondern dass er ihn den Aposteln als seinen Geist, als den göttlichen Geist schenkt, den er mit dem Vater in Gemeinschaft besitzt. Mit diesem Geiste teilt Jesus den Männern, die er zum Hirtenamte beruft, die Gaben und Kräfte mit, die sie zur Führung desselben bedürfen. Vornehmlich wollte Christus allerdings hier dem Amt seiner ersten Apostel die Weihe erteilen. Es war angemessen, dass denjenigen, welche an erster Stelle und in hervorragender Weise dazu auserkoren waren, das Evangelium zu predigen, auch ein besonderes Ansehen beigelegt wurde. War denn aber die zu Pfingsten erfolgende Ausgießung des heiligen Geistes nicht überflüssig, wenn Christus hier schon durch seinen Hauch den Aposteln den Geist gab? Ich beantworte diese Frage dahin: An dieser Stelle gab Christus seinen Aposteln den Geist insoweit, dass sie sozusagen damit nur wie mit einigen Tropfen besprengt waren; noch wurden sie nicht mit dem Geiste überströmt. Erst da, als der Geist in feurigen Zungen über ihnen sichtbar wurde, war das Werk ihrer Erneuerung geschehen. Jedenfalls hat Christus sie damals nicht dermaßen in das evangelische Heroldsamt eingesetzt, dass er sie alsbald an das Werk sandte; er hat sie vielmehr, wie wir bei Lukas (24,49) lesen, zunächst noch ruhen heißen. Erwägen wir also recht, so rüstet er sie nicht so sehr für die Gegenwart mit der ihnen notwendigen Mitgift aus, sondern bestimmt sie vielmehr für die Zukunft zu Werkzeugen seines Geistes. Dies Anblasen ist also mehr ein zeichenhafter Hinweis auf jene große Geistesausgießung, die Jesus oft verheißen hatte. Christus hätte ja durch ein verborgenes Einhauchen seinen Aposteln die Kraft seines Geistes schenken können; er hat aber das sichtbare Anblasen hinzugefügt, um sie desto gewisser zu machen. Das Sinnbild nimmt Christus aus dem üblichen Sprachgebrauch der Schrift, welche gewöhnlich den Geist mit dem Winde vergleicht (vgl. auch zu 3,8). Dabei wollen wir nicht übersehen, dass Jesus zum äußeren Zeichen sein Wort fügt. Daraus empfangen ja auch die Sakramente ihre Kraft, nicht, als wäre die Wirkung des Geistes in den Klang eingeschlossen, der uns in das Ohr hineinschallt, vielmehr so, dass alle Frucht, welche die Gläubigen aus dem Sakramente entnehmen können, sich durch dieses klare Zeugnis des Wortes vermittelt. Christus bläst die Apostel an: sie empfange jedoch nicht bloß den Hauch seines Mundes, sondern auch den Geist. Wie geht das zu? Die Verheißung Christi wirkt das Empfangen. Ähnlich ziehen wir in der Taufe Christum an, werden gewaschen mit seinem Blute, und unser alter Mensch wird gekreuzigt, damit Gottes Gerechtigkeit in uns regiere. Im heiligen Abendmahl werden wir mit Christi Fleisch und Blut geistlich gespeist. Woher haben das Abendmahl und die Taufe solche Kraft? Allein von der Verheißung Christi, welcher durch seinen Geist wirkt, und leistet, was er durch sein Wort bezeugt. Alle sogenannten Sakramente, die sich die Menschen ausgesonnen haben, sind völlig wertlos, ja ein Spott auf die wahren Sakramente. Auf äußere Zeichen allein darf ein Sakrament nimmermehr seine Wahrheit gründen wollen; es muss stets ein ausdrückliches Gotteswort dabei sein. Noch eins ist zu betonen: Christus allein gibt wirklich alle die Güter, die er in äußeren Zeichen abbildet und verheißt. Die Apostel sollen nicht aus seinem äußerlichen Anhauchen, sondern aus Christo selbst heraus den heiligen Geist erhalten.
V. 23. Welchen ihr die Sünden erlasset. Unzweifelhaft fasst Christus hier den ganzen Inhalt des Evangeliums kurz zusammen. Die Vollmacht, Sünden zu vergeben, lässt sich nicht von dem Lehramt trennen. Mit ihm ist sie fest verbunden. Kurz vorher hat Christus gesagt: „Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende Ich euch.“ Jetzt erklärt er, was das Ziel und die Absicht dieser Sendung ist; dazwischen hat er nur eingefügt, er gebe den Jüngern den heiligen Geist, damit sie nicht dächten, sie seien auf sich allein angewiesen. Das vornehmste Ziel der evangelischen Predigt ist die Versöhnung der Menschen mit Gott durch die Vergebung der Sünden aus Gnaden, wie Paulus das 2. Kor. 5,18 lehrt, wo er das evangelische Lehramt als das Amt bezeichnet, das die Versöhnung predigt. Das Evangelium enthält noch vieles andere, aber Gott betreibt im Evangelium vor allem immer das eine, dass er die Menschen zu Gnaden annehmen will dadurch, dass er ihnen ihre Sünden nicht anrechnet. Wollen wir treue Diener des Evangeliums sein, so geziemt es sich, dass wir uns mit der ganzen Wucht immer wieder auf dies Eine verlegen. Das ist auch der Hauptpunkt, in welchem sich das Evangelium von der Weltweisheit unterscheidet: es setzt das Heil des Menschen in die Vergebung der Sünden aus Gnaden. Sie ist der Quell, aus dem die anderen Liebeserweisungen Gottes hervorströmen: sind uns die Sünden vergeben, so erleuchtet uns Gott, macht uns zu wiedergeborenen Menschen durch seinen Geist, gestaltet uns um in sein Ebenbild und wappnet uns mit unbezwinglicher Tapferkeit gegen Welt und Satan. Die gesamte Belehrung über wahres Christentum, das ganze geistliche Gebäude der Kirche steht auf dem einen Grunde, dass Gott uns losspricht von allen Sünden und aus Gnaden uns zu seinen Kindern annimmt. Wenn übrigens Christus den Aposteln den Auftrag erteilt, Sünden zu vergeben, so denkt er doch keineswegs daran, das, was ihm allein zusteht, auf sie zu übertragen. Sünden vergibt Jesus allein. Auf dies Ehrenamt, soweit es allein in seine Befugnis fällt, verzichtet er nicht zugunsten der Apostel. Er befiehlt ihnen nur, die Vergebung der Sünden in seinem Namen zu bezeugen, um durch ihre Vermittlung die Menschen mit Gott zu versöhnen. Recht eigentlich geredet ist es Christus selbst, der die Sünden vergibt und sich dazu der Apostel als seiner Werkzeuge bedient.
Dabei erhebt sich die Frage: Warum macht er dann aber von der Vollmacht der Apostel so viel Aufhebens, wenn er sie nur zu Zeugen oder Herolden der Sündenvergebung, nicht zu Spendern und Urhebern derselben bestimmt und einsetzt? Antwort: dies geschieht zur Stärkung unseres Glaubens. Ist es doch für uns das Allerwichtigste, mit völliger Gewissheit darauf trauen zu dürfen, dass Gott unserer Sünden nicht mehr gedenkt. Zacharias nennt das in seinem Lobgesang die „Erkenntnis des Heils“ (Luk. 1,77). Wenn Gott, um uns diese Erkenntnis zu schenken, sich des Zeugnisses von Menschen bedient, so wird doch unser Gewissen sich niemals damit zufrieden geben, es sei denn, dass wir klar zu erkennen vermöchten, dass durch diese Menschen Gott selber mit uns redet. Deswegen sagt Paulus (2. Kor. 5,20): „Gott vermahnet durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!“ So sehen wir denn, warum Christus das Amt, welches er den Aposteln überträgt, so gewaltig herausstreicht und mit so feierlichen Worten beglaubigt: die Gläubigen sollen zu einer vollkommenen Überzeugung von der Vergebung der Sünden kommen und sollen die Versöhnung nicht deshalb geringer anschlagen, weil sie durch die Stimme von Menschen ihnen angeboten wird. In der menschlichen Predigt sollen sie vielmehr die vom Himmel her ihnen väterlich vergebend dargebotene Gotteshand erkennen und ergreifen. Jeden Tag genießt die Christenheit in reichstem Maße den Segen dieser Worte unseres Heilandes, wenn sie nämlich sich sagt: Unsere Seelsorger und Hirten sind von Gott selber dazu verordnet, dass sie uns das ewige Heil zusprechen; die Sündenvergebung, die sie uns austeilen aus dem von Christo ihnen anvertrauten Schatz göttlicher Barmherzigkeit, ist wirklich da, - wir brauchen sie nicht erst noch weit her zu holen! Dieser unvergleichliche Schatz braucht uns nun nicht um deswillen als wertlos zu erscheinen, dass er in irdenen Gefäßen aufbewahrt und uns gereicht wird; wir haben allen Grund, Gott dafür Dank zu sagen, wenn er Menschen solcher Ehre gewürdigt hat, dass sie bei der Bezeugung der Sündenvergebung an seiner und seines Sohnes Stelle stehen dürfen. Wer dies den Menschen verliehene Amt verachtet, der tritt das Blut Christi mit Füßen. Wenn aber die Papisten diesen Spruch auf ihre magische Absolution beziehen, so ist das ganz abgeschmackt. Als ob niemand Vergebung empfangen könnte, wenn er nicht die Ohrenbeichte vor dem Priester abgelegt hat! Als ob Christus die Apostel hier zu Beichtvätern bestellt hätte, die erst über die Sünden im Einzelnen nachforschen sollten, und nicht vielmehr zu Predigern seines Evangeliums, die mit ihrem Wort die von ihm beschaffte Versöhnungsgnade den Herzen der Gläubigen versiegeln sollen!
Welchen ihr sie behaltet. Dies fügt Christus hinzu, um die Verächter seines Evangeliums zu schrecken, damit sie wissen, dass solche Vermessenheit ihnen nicht ungestraft hingehen wird. Wie die Apostel beauftragt waren, Heil und ewiges Leben anzubieten, so waren sie auch ausgerüstet, alle Gottlosen zu strafen, wenn sie sich von dem ihnen nahe gebrachten Heile mit Geringschätzung abwandten (2. Kor. 10,6). Christus redet davon erst an zweiter Stelle, weil er zu allererst natürlich von dem eigentlichen und ursprünglichen Zweck des Evangeliums reden musste.
Was will das Evangelium? Uns mit Gott versöhnen. Nur nebenher leistet das Evangelium noch etwas anderes, nämlich: es verhängt über die, welche nicht glauben wollen, den ewigen Tod. Deshalb sagt auch Paulus an der angegebenen Stelle (2. Kor. 10,6): „Wenn euer Gehorsam erfüllet ist, dann sind wir bereit, allen Ungehorsam zu rächen.“ Damit deutet er an, dass die eigentliche Aufgabe des Evangeliums die Einladung aller zur Errettung durch Christum ist; dass das Evangelium einigen den Tod bringt, ist nicht in seinem ursprünglichen Zwecke einbegriffen. Doch ist wohl zu beachten, dass jeder, der den Ruf des Evangeliums hört, falls er die dadurch ihm zugesagte Vergebung der Sünden nicht ergreift, dadurch eine Schuld auf sich lädt und der ewigen Verdammnis entgegen geht. Das Evangelium ist für Gotteskinder ein lebenschaffender Grund, genau entsprechend aber für solche, die verloren gehen, ein Geruch des Todes zum Tode. Nicht als wäre die Predigt des Evangeliums notwendig für die Verdammung der Verworfenen, denn von Natur sind wir sämtlich Verlorene, und ganz abgesehen von dem auf uns lastenden Erbfluche macht sich jeder immer aufs Neue des Todes schuldig; aber das trotzige Widerstreben derer, die mit Wissen und Willen den Sohn Gottes verachten, verdient eine umso ärgere Strafe.
V. 24. Thomas aber usw. Hier wird von dem Unglauben des Thomas berichtet, damit durch solchen Bericht der Glaube der Frommen umso besser erstarke. Thomas war nicht nur langsam und schwerfällig, als es zu glauben galt, er war geradezu störrig. Sein hartes Herz gab Jesu Anlass, nochmals in derselben Weise, wie oben erzählt, zu erscheinen und sich abermals betasten zu lassen. So wurde er zum Glauben gebracht; aber auch wir empfangen ein weiteres Hilfsmittel, das uns die Bezeugung der Auferstehung Christi erleichtert. Im Übrigen mag die Halsstarrigkeit des Thomas uns zum warnenden Beispiel dienen. Diese üble Eigenschaft bringen wir ja fast alle mit auf die Welt. Wie viele erschweren, ja verbauen sich durch ihren Eigensinn den Zutritt, wenn die Tür des Glaubens für sie weit aufgetan ist!
V. 25. Es sei denn, dass ich sehe usw. Hier stehen wir an der Quelle des Übels: jeder hält sich für klug und will mit seinen Gedanken durchaus nicht nachgeben. Die Worte des Thomas haben mit wahrem Glauben nichts zu schaffen; so redet nur ein Mensch, der nichts gelten lässt, als was er mit seinen Händen fühlen und mit seinen Augen sehen kann. Gerade so benehmen sich alle, die in das eigene Ich verliebt sind. Bei ihnen findet das Wort Gottes keinen Anklang.
V. 27. Reiche deinen Finger her. Über das Hereinkommen Christi und den Gruß, dessen er sich bediente, war schon bei V. 19 die Rede.
Wenn Christus dem Thomas so freundlich gewährt, was er sich in so wenig schöner Weise ausbedungen hatte, und ihn nun einlädt, seine Hände zu befühlen und die Wunde in seiner Seite zu untersuchen, so erschließen wir aus diesem bereitwilligen Entgegenkommen, wie unermüdlich besorgt er für unseren Glauben und für den Glauben des Thomas war; denn er dachte dabei nicht nur an diesen einen, den Apostel Thomas, er dachte an uns alle und wollte, dass nichts, was zur Befestigung unseres Glaubens geschehen konnte, unterblieb. Wunderbar, ja ungeheuerlich ist, wie starrsinnig Thomas sich zeigte: es genügte ihm nicht, Jesum zu sehen; seinen Augen allein wollte er nicht trauen, auch seine Hände sollten Zeugen der Auferstehung sein. Das geht noch über Starrsinn hinaus: es ist Selbstüberhebung, ja es ist eine Beleidigung Christi. Wenigstens jetzt, als er Christum sah, hätte Thomas sich mit Scham und Zittern demütigen sollen. Aber, als wäre er sich keiner Schuld bewusst, streckt er kühn und furchtlos seine Hand aus und untersucht die Wunden an dem Leibe Jesu. Nach den Worten des Evangelisten zu urteilen, ist er nicht eher zur Besinnung gekommen, als bis er durch den Befund seiner Untersuchung überführt war. Geradeso ergeht es uns, wenn wir einmal dem Worte des Herrn nicht ganz die Ehre zollen, die ihm gebührt; dann schleicht sich leise und unvermerkt in unser Herz ein Starrsinn ein, der uns herunterzieht und uns allmählich dahin bringt, dass wir alle Ehrfurcht davor verlieren. Darum sollen wir diesen hochfahrenden Geist in uns dämpfen, dabei aber der eigenen Widerstandskraft nicht über Gebühr vertrauen: unterlassen wir dies, so möchten wir leicht von der wahren Frömmigkeit abkommen und uns die Tür des Glaubens verschließen.
V. 28. Mein Herr und mein Gott. Spät endlich erwacht Thomas, und da ist er denn, wie es in der Regel bei einem Menschen hergeht, der geistesabwesend war, aber nun wieder zu sich selbst kommt, voll von Erstaunen. Laut ruft er aus: Mein Herr und mein Gott! Solche hervorgestoßenen kurzen Worte bezeugen eine tiefe Bewegung der Seele. Ohne Zweifel erfasste ihn jetzt die Scham, und mit seinem Ausruf verdammt er selbst seine bisherige Stumpfheit. Dieser plötzliche Ausbruch seines Gefühls gibt kund, dass der Glaube in ihm nicht ganz erloschen war, sondern noch unter der Asche weiter glimmte. Die Gottheit Christi hat er doch mit seinen Händen nicht zu befühlen vermocht, da er Jesu Wunden betastete. Er hat also aus diesen äußeren Zeichen viel mehr erschlossen, als die bloße Sinneswahrnehmung vermag. Wie ist das möglich? Was er vergessen hatte, was wie ein dunkler Traum schon hinter ihm lag, wurde wieder in ihm lebendig. Plötzlich tauchte es in seinem Herzen empor. Er wurde wieder er selbst. Ähnliches erleben viele. Eine Zeitlang leben sie ohne Gottesfurcht im Leichtsinn dahin, und es ist an ihnen keine Spur von Christentum mehr wahrzunehmen, - rührt sie Gott aber mit seiner Rute einmal an, so gewinnen sie wieder die Herrschaft über ihren fleischlichen Trotz und kommen zur Vernunft. Eine Krankheit kann an und für sich einen Menschen nicht fromm machen. Aber es können durch sie Steinblöcke weggeräumt werden, unter denen das gute Samenkorn lag, ohne dass Licht und Luft es zum Wachstum zu bringen vermochten.
Dafür gibt David uns ein hervorragendes Beispiel. Ganz ohne Scham und Furcht hat er sich seiner Lust hingegeben. Jedermann würde glauben, dass zu dieser Zeit seine Seele alles Glaubens bar gewesen wäre. Aber der Prophet kommt (2. Sam. 12), und urplötzlich steht David, von Nathan ermahnt, wieder auf dem rechten Wege. Daraus ist zu ersehen, das auch in jener schlimmen Zeit noch ein ganz kleines Feuer, so tief es auch herabgebrannt war, in seiner Seele glühte, das unter dem Anhauche des prophetischen Geistes alsbald in heller Flamme emporloderte. Wenn man nur auf die Menschen sieht, so stecken sie mitunter so tief in Schuld und Sünde, dass man an ihnen zu verzweifeln wohl Anlass hätte. Aller Glaube scheint geschwunden, und keine Wirkung des Geistes Gottes lässt sich mehr an ihnen verspüren.
Dann bedenke man die unermessliche Güte Gottes. Er duldet es nicht, dass seine Auserwählten für immer in den Abgrund der Gottentfremdung hinabstürzen. Hüten wir uns nur ernstlich davor, dass wir nicht vom Glauben abfallen!
Gott tut seinerseits alles, damit seine Auserwählten nicht verloren gehen. Er hält sie durch einen geheimen Zügel vom Äußersten zurück. Durch ein Wunder hält er in ihren Herzen immer noch, wenn auch ganz kleine Fünkchen des Glaubens in Glut. Durch erneuten Anhauch seines Geistes treibt er dann später die hellen Flammen daraus hervor. –
Das Bekenntnis des Thomas besteht aus zwei Gliedern. Zunächst nennt er Christum seinen Herrn, dann schwingt er sich höher empor und bezeichnet ihn als seinen Gott. Wir wissen, welchen Sinn es hat, wenn die Schrift Christo den Namen „Herr“ beilegt: der Vater hat ihn zum obersten Gebieter eingesetzt, der durch sein Befehlswort alles anordnet, vor dem sich jedes Knie beugen soll, der den Vater bei der Regierung der Welt zu vertreten hat. Der Name „Herr“ kommt ihm insoweit zu, als er der im Fleisch geoffenbarte Mittler und das Haupt der Gemeinde ist. Doch Thomas bleibt nicht bei der Erkenntnis stehen, dass Christus der Herr ist. Im Hochflug der Begeisterung schaut er hinein in Christi ewige Gottheit. Und so musste es auch gehen. Christus ist ja deshalb zu uns hernieder gestiegen, damit er, nachdem er sich zunächst entäußert und danach, zur Rechten Gottes thronend, die Herrschaft über Himmel und Erde angetreten hatte, uns die Augen für seine und des Vaters Herrlichkeit öffnete. Soll unser Glaube die ewige Gottheit Christi erfassen, so müssen wir mit der Erkenntnis den Anfang machen, die uns näher liegt und leichter zugänglich ist. So ist es vollständig richtig, wenn man sagt, dass wir von dem Menschen Christus ausgehen müssen, um zu dem Gotte Christus zu kommen. Der Glaube entwickelt sich Schritt für Schritt. Zunächst erfasst er Christum auf der Erde, wie er in einem Stalle geboren wird, dann betrachtet er ihn, wie er am Kreuze hängt, geht nun zu seiner herrlichen Auferstehung über und macht von da aus den Schluss auf sein ewiges Leben und seine Macht, worin seine göttliche Majestät sich strahlend zeigt. Schließlich kann die Erkenntnis als des Herrn nur dann richtig und klar sein, wenn sie in die Erkenntnis seiner Gottheit ausmündet. Ohne Zweifel muss das Bekenntnis, welches Christus hier annimmt und gutheißt, das gemeinsame Bekenntnis aller Frommen sein. Sicherlich würde er es nie zugelassen haben, dass ein Mensch dem Vater eine Ehre entrissen und widerrechtlich auf ihn übertragen hätte. Er ist völlig mit dem Ausruf des Thomas einverstanden, der in ihm nicht einen Halbgott oder zweiten Gott, sondern die Erscheinung des einen Gottes selbst erkennt. Dass aber Thomas sagt: mein Herr und mein Gott, - ist ein Zeichen dafür, dass sein Ausruf aus lebendigem und persönlichem Glauben kommt.
V. 29. Dieweil du mich gesehen hast usw. Christus tadelt nur das eine an Thomas, dass er gar so träge im Glauben war und erst durch seine Sinne überführt und so gewissermaßen zum Glauben gezwungen werden musste, was doch wider die Natur des Glaubens ist. Man könnte ja überhaupt sagen, dass eine durch Sehen und Betasten gewonnene Überzeugung gar nicht Glaube zu heißen verdient. Für den vorliegenden Fall muss demgegenüber doch bemerkt werden, dass den Thomas keineswegs bloß sein Sehen und Fühlen zum Glauben an Christum als seinen Herrn und Gott gebracht hat: es war nur ein neuer Anstoß, der ihm ins Gedächtnis zurückrief, was ihm zuvor so gut wie entfallen war. Aus der bloßen erfahrungsmäßigen Beobachtung kann freilich kein Glaube entstehen: wahrer Glaube kommt immer aus dem Worte Gottes. Und eben dies macht Jesus dem Thomas zum Vorwurf, dass er sein Wort nicht so, wie er gesollt, ehrte, und dass er seinen Glauben vom Sehen und Fühlen abhängig machte, während der Glaube doch durch Hören des Evangeliums entsteht und sich ganz und gar auf das Wort richten muss.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Hier betont Christus, dass wahrer Glaube sich einfach auf das Wort verlässt und nicht erst nach dem Empfinden und Überlegen des natürlichen Menschen fragt. Mit wenigen Strichen gibt er ein erschöpfendes Bild von Kraft und Art des Glaubens. Der Glaube sagt nicht: Ich muss erst sehen, - sondern, er dringt in den Himmel ein und erfasst die Wirklichkeit der allem menschlichen Verstand verborgenen Dinge. Gott es wahrlich um uns verdient, dass wir ihm die Ehre antun, seine Wahrheit selber als ausreichenden Grund zum Glauben anzusehen. Der Glaube hat nun freilich auch eine Art von Anschauung, er ist nicht blind. Aber sein Sehen beruht nicht etwa auf der Welt oder dem, was in der Welt ist. Der Glaube ist ein Überführtsein von der Wirklichkeit unsichtbarer Dinge (Hebr. 11,1). Wenn Paulus (2. Kor. 5,7) den Glauben im Gegensatz zum Schauen stellt, so will er damit zu verstehen geben, dass er sich nicht an den Befund der Gegenwart hält, auch nicht nach den Dingen dieser Welt sich umschaut, sondern allein an Gottes Munde hängt, im Vertrauen auf Gottes Wort sich über die ganze Welt emporschwingt und seinen Anker in festen Himmelsgrund wirft. Kurz, nur das ist der rechte Glaube, der, auf Gottes Wort gegründet, sich in das unsichtbare Reich Gottes erhebt und so über allem menschlichen Begreifen steht. Vielleicht ließe sich aber noch auf den scheinbaren Widerspruch hinweisen, in welchem das vorliegende Wort Jesu mit dem anderen steht, welches die Augen selig preist, die ihn gegenwärtig sehen (Mt. 13,16). Aber dort ist ja nicht wie hier vom körperlichen Anblick Christi die Rede, sondern der geistigen Offenbarung seiner Person, kraft deren er allen Gläubigen sich als den Welterlöser kundtut. In jenem Spruche verglich Jesus die Apostel mit den heiligen Königen und Propheten, die nichts weiter hatten, als die dunklen Andeutungen und Abschattungen des mosaischen Gesetzes. Jetzt, so will er sagen, ist das Los der Gläubigen ein besseres; denn ein reicheres Licht leuchtet ihnen und an Stelle jener Bilder steht nun die Sache selbst, die Erfüllung. Damals sahen mit Augen des Leibes auch viele gottlose Menschen Christum. Aber das macht sie wahrlich nicht selig. Wir dagegen, die wir Christum nicht einen Augenblick lang so gesehen haben, wie seine Zeitgenossen es konnten, genießen im Glauben eben die Seligkeit, die Christus mit jenem Spruche im Matthäusevangelium meint. Folglich heißen nur die Augen selig, welche im Geiste auf das schauen, was Christo göttlich und himmlisch ist. Im Evangelium schauen wir Christum gerade so gut an, als wenn er sichtbar sich vor unsere Augen hinstellte. Daran denkt Paulus, wenn er (Gal. 3,1) schreibt: „Euch war Christus Jesus vor die Augen gemalt, als wäre er unter gekreuzigt.“ Wünschen wir an Christo zu sehen, was uns glücklich und selig macht, so müssen wir glauben lernen, ohne zu schauen. Diesen Worten Christi entspricht die Stelle im ersten Briefe Petri (1,8), wo die Gläubigen dafür gelobt werden, dass sie Christum lieben, den sie nicht gesehen haben, und frohlocken mit unbeschreiblicher Freude, obwohl sie ihn nicht schauen. Selbstverständlich darf man nicht für jeden menschlich erdachten Unsinn, wie z. B. für die römische Wandlungslehre einen Glauben beanspruchen, der auf das Sehen verzichtet, sondern nur für die Wahrheiten, welche Gottes Wort verbürgt.
V. 30. Auch viele andere Zeichen tat Jesus. Ohne diese ausdrückliche Einschränkung hätten die Leser meinen können, dass Johannes keines der Wunder Jesu übergangen habe, sondern einen vollständigen und lückenlosen Bericht geben wolle. Darum erklärt er zuerst, dass er nur eine Auswahl getroffen habe, nicht in der Meinung, als wären die übergangenen Geschichten unwichtig, sondern lediglich, weil das Erzählte genügte, dem Glauben zur Erbauung zu dienen. Es folgt also nicht, dass die nicht berichteten Wunder überhaupt umsonst geschehen sind; sie haben dem Geschlecht, das sie erlebte, Nutzen gebracht. Wenn wir nun auch nicht mehr wissen können, welcher Art sie im Einzelnen gewesen sind, so hat es doch seinen Wert, wenn wir hier die Versicherung empfangen, dass das Evangelium durch massenhafte Wundertaten Jesu bekräftigt wurde.
V. 31. Diese aber sind geschrieben, dass ihr glaubt. Johannes will uns damit zu verstehen geben: Ich habe dieser Niederschrift so viel einverleibt, als ein jeder braucht; wer dies zu Herzen nimmt, der findet darin reichlich Stärkung seines Glaubens. – Er wollte mit diesen Worten sich der eitlen Neugier der Menschen erwehren, die ja unersättlich ist und in ihren Ansprüchen das rechte Maß weit überschreitet. Johannes hat recht wohl Bescheid gewusst, was die anderen Evangelisten geschrieben hatten. Nun aber hatte er durchaus nicht etwa vor, ihre Bücher zu verdrängen, als wären sie minderwertig. Ohne Zweifel sieht er das, was er, und das, was die anderen berichten, als zusammengehörig an. –
Wenn jedoch der Glaube sich ganz an Gottes Wort und seine Verheißungen binden soll, so scheint es verkehrt, ihn auf Wunder gründen zu wollen. Aber Johannes denkt hier die Wunder auch nur als weitere Hilfsmittel und Stützen des Glaubens. Sie vermögen die Herzen der Menschen vorzubereiten, dass sie dem Worte Gottes größere Ehrfurcht entgegenbringen. Wir wissen ja, wie gering unsere Aufmerksamkeit, wie kalt und träge unser Herz ist, wenn wir nicht noch einen besonderen Antrieb erhalten. Ist die Lehre bereits angenommen, so erlangt sie nicht wenig Gewicht dadurch, dass Gott zu ihrer Bestätigung seine allmächtige Hand aus dem Himmel hervorreckt, wie Markus ja erzählt (16,20), dass der Herr mit den Aposteln wirkte, indem er ihr Wort durch mitfolgende Zeichen bekräftigte. Sonach ist, wenn der Glaube auch eigentlich nur auf dem Worte Gottes ruht und immer wieder auf das Wort Gottes abzielt, es doch nicht einerlei, dass auch die Wunder ihren Beitrag liefern, allerdings vorausgesetzt, dass sie stets auf Grund des Wortes betrachtet werden und den Glauben auf das Wort verweisen. Weshalb die Wunder „Zeichen“ genannt werden, ist schon früher besprochen worden (zu 3,2; 4,48): wo Gott den Menschen etwas Neues, Ungewohntes zeigen will, bedient er sich der Zeichen, um uns dadurch zu veranlassen, dass wir seinem Tun Beachtung schenken.
Jesus sei Christ. Mit dem Namen Christus bezeichnet der Evangelist den, der im Gesetz und in den Propheten verheißen war, den Mittler zwischen Gott und den Menschen, den höchsten Gesandten des Vaters, den einigen Wiederhersteller der Welt und den Urheber der vollkommenen Seligkeit. Johannes will ja dem Sohn Gottes nicht einen Titel als leeren Schmuck anheften, sondern er denkt bei diesem Namen an alle die Aufgaben, welche der Messias nach den Aussprüchen der Propheten durchführen soll. Deshalb müssen wir zur Ergänzung unserer Stelle in unseren Gedanken die gesamte Prophetie über den Messias heranziehen. Das bewahrheitet nochmals die obige Ausführung darüber, dass der Glaube nicht an den Wundern hängt, sondern geradeswegs zu dem Worte Gottes hinleitet. Von den Wundern will Johannes offenbar nichts anderes sagen, als dass sie dem Worte der Propheten zur Bestätigung dienen. Die Evangelisten erzählen ja auch nicht fortwährend Wunder, sondern beschäftigen sich vielmehr mit der Lehre: denn die Wunder für sich allein würden nur ein dumpfes Staunen erregen. Johannes kann also nur meinen, dass sein Bericht insoweit dem Glauben zur Stärkung dienen soll, als dies durch Wunder überhaupt möglich ist. –
Wenn Christus weiter als der Sohn Gottes bezeichnet wird, so entnehmen wir daraus, dass sich unter gewöhnlichen Menschen niemand gefunden hätte, der geeignet war, so Großes auszuführen, nämlich den Vater mit uns auszusöhnen, die Sünden der Welt zu sühnen, den Tod wegzuschaffen, das Reich Satans zu zerstören, Heil und Gerechtigkeit uns zu bringen. Übrigens folgt daraus, dass der Name „Sohn“ in ganz einzigartigem Sinne auf Jesum zutrifft, dass er nicht Sohn ist durch einen Annahme an Kindes Statt, sondern von Natur. Somit ist diesem Namen die ewige Gottheit Christi einbegriffen. Wer nun trotz der klaren Beweise, die das Evangelium davon bringt, Christi Gottheit nicht anerkennt, der ist, weil er im vollen Strahle des Lichtes blind sein will, nicht wert, die Erde und die Sonne zu schauen.
Dass ihr durch den Glauben das Leben habt. Dieser Hinweis auf die selige Wirkung des Glaubens schiebt die menschliche Neugier beiseite, die immer viel mehr wissen will, als was uns zu Leben und Seligkeit dient. Wäre es doch ein Frevel ohnegleichen, wollte jemand sich mit dem ewigen Heil nicht zufrieden geben und über die Schranken des göttlichen Reiches hinausgreifen. Übrigens wiederholt Johannes hier das hauptsächlichste Stück seiner Lehre, nämlich, dass wir durch den Glauben das ewige Leben erlangen, weil wir ohne Christum im Tode liegen und nur durch seine Gnade zum Leben erwachen (vgl. besonders zu 3,16 ff.; 5,21 ff.). Was es aber bedeutet, dass nicht einfach vom Leben in Christo die Rede ist, sondern vom Leben „in seinem Namen“, ist schon zu 1,12 erörtert worden.