Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 60.
V. 1. Mache dich auf usw. Nunmehr zeigt der Prophet, welche Wirkungskraft jenes Wort besitzt, von welchem er soeben (59, 21) sprach. Es richtet die niedergeworfene und schwer gebeugte Gemeinde auf und stellt sie durch seinen Glanz wieder her; und da es für uns eine Darstellung Gottes selbst ist, so erklärt dieser damit seine Machtvollkommenheit. Um seiner Rede desto größere Wirksamkeit zu verleihen, gebraucht der Prophet die Befehlsform; es ist, als wenn er gebieterisch die Gemeinde in den Besitz des verheißenen, glücklichen Zustandes versetzen wollte. Die Gläubigen sollen erkennen, dass er seine Worte nicht in den Wind spricht, sondern dass sie Erfolg haben werden. Er befiehlt der Gemeinde, sich aufzumachen oder aufzustehen, weil sie ja im Gegensatz dazu gegenwärtig darniederliegt. Von Babylon hieß es früher (47, 1): „Herunter, setze dich in den Staub“, ebenso von den Juden selbst (26, 5), dass das Volk im Staube sitzt. Dagegen später (52, 1): „Mache dich auf, mache dich auf, schmücke dich herrlich!“ So veranlasst der Prophet nun gleichsam mit ausgestreckter Hand die Gemeinde, die vorher so niedergeworfen und mit Schmutz und Unflat so besudelte, ihren Ehrenplatz wiederum einzunehmen. Damit nun das Dunkel der Trübsale die Juden nicht in Verzweiflung bringe, heißt es in Anspielung an den Wechsel von Tag und Nacht: dein Licht kommt. Das will besagen: Gott hat sich deiner erbarmt und reißt dich aus der Finsternis, in der du liegst, heraus; du hast genug Strafe erlitten, die Zeit ist schon da, dass du es besser bekommst. Mit dem Worte „Licht“ wird also die Rettung und der unversehrte Zustand der Gemeinde bezeichnet, wie vorher das Wort Finsternis die gegenteilige Lage andeutete. Zugleich aber erinnert der Ausdruck daran, dass dies Licht einzig und allein in dem freundlichen Antlitz Gottes seinen Ursprung hat, wenn er seine Gnade offenbaren will. Wenn der Herr uns mit seinem Lichte entgegenstrahlt, haben wir in allen Dingen Glück und Erfolg; wenn er sich aber von uns abgewendet hat, sind wir in dem größten Jammer und Elend.
V. 2. Denn siehe, Finsternis usw. Jetzt hebt eine Vergleichung die verheißene Gnade noch stärker hervor, damit wir die große Liebe Gottes zu seinen Auserwählten und ihr besonderes Vorrecht schätzen lernen. Die Meinung ist nämlich die, dass, während wir von unendlichen Nöten bedrängt werden und der Erdkreis gleichsam versinkt, doch Gott für sein Volk sorgt und es mit mannigfachen Wohltaten segnen will. So zeigen denn diese Sätze, dass das Licht der Gnade nicht allen unterschiedslos leuchtet, sondern nur dem Volke Gottes. Wenn wir durch das Wort „Licht“ den glücklichen Zustand der Gemeinde ausgedrückt finden, so sollen wir dies nicht äußerlich auffassen. Der Prophet steigt höher empor und redet zweifellos von dem geistlichen Licht und Glanz. Nur bei diesem Verständnis schließen sich die folgenden Worte passend an: Die Heiden werden in deinem Licht wandeln. Auch der Zusammenhang unseres Kapitels mit dem vorigen ist hierfür ein deutlicher Beweis. Dort heißt es ja (59, 21), dass Gottes Bund auf seinem Wort und Geist beruht. Schließlich kann man aus der Gegenüberstellung leicht erkennen, dass der Gemeinde ein anderes Glück als Essen und Trinken, Ruhe und Frieden und sonstige Vorteile verheißen wird. Sicherlich ist später niemals eine Zeit gekommen, wo das Dunkel der Leiden über allen Völkern lagerte, während Israel Ruhe und Freude genoss. Wenn also der Zustand der Gemeinde von dem der ganzen Welt unterschieden wird, dann ist die Wohltat, deren Besitz Jesaja der Gemeinde zuschreibt, eine geistliche, und ebenso ist das verheißene Licht ein geistliches. Seine Worte beziehen sich also auf das geistliche Reich Christi, durch welches das Licht des Evangeliums über alle Teile der Erde hin erglänzte und die fern wohnenden Völker erleuchtet wurden. Darauf deutet auch das Folgende: über dir geht auf der Herr. Wenn auch der Prophet davon zu sagen weiß, dass die Gnade des Herrn mit herrlichen Zeichen und Erfolgen erscheinen werde, so übergeht er nicht das Wichtigste, dass die Gläubigen ihn wirklich als Vater erkennen werden und von ihm das Heil erwarten. Daraus soll man entnehmen, dass Finsternis uns umfängt, bis uns Gott entgegenleuchtet mit dem Zeugnis, dass er uns in Gnaden als seine Kinder annimmt. Ich habe dabei das ganze Menschengeschlecht im Auge. Von Gott allein geht, wie Jesaja darlegt, dieses lebenspendende Licht aus, es ist eine besondere Wohltat Gottes. Sodann muss man beachten, dass allein die Gemeinde, d. h. die Auserwählten Gottes, dieses Licht teilhaftig wird. Dann ist es aber keine unterschiedslos gegebene oder natürliche Gabe, sondern der Herr will dadurch den allgemeinen Mangel der menschlichen Natur beseitigen. So verstehen wir auch, dass nur in der Gemeinde das helle Licht vorhanden ist. Denn die übrigen Menschen sind, auch wenn sie in hellem Lichte sich befinden glauben, von Finsternis umgeben. Daraus können sie nur durch das Licht des Evangeliums befreit werden. Zugefügt wird ein Hinweis auf die Herrlichkeit des Herrn. Denn nachdem uns Gott einmal mit seiner Gnade umfasst hat, führt er uns so, dass er seine Wohltaten immer reichlicher über uns ausschüttet.
V. 3. Und die Heiden werden in deinem Licht wandeln. Dieser Satz bestätigt, was wir soeben sagten, dass es nämlich kein anderes Licht gibt für die Menschen, als wenn der Herr ihnen sein Wort leuchten lässt. Dies geben wohl alle zu, aber sie schätzen diese Wohltat nicht so hoch, als es sich gebührt, und halten sie für etwas Gewöhnliches, das sich auf alle Menschen ohne weiteres erstreckt. Und doch betont der Prophet das Übernatürliche dieser Gnade. Man muss sie von der Natur unterscheiden, und gerade die Wiederholung der vorher gebrauchten Worte „über dir“ lässt dies deutlich genug erkennen. Zuerst muss man festhalten, dass diese Wohltat einzig und allein von Gott kommt, sodann dass nicht alle ausnahmslos daran teilhaben, sondern nur die Auserwählten; diesen lässt der Herr seine Gnade leuchten, um sie aus der Menschenmenge herauszunehmen. Das geschieht aber durch Christus, der die Sonne der Gerechtigkeit genannt wird, da wir ja gleichsam von seinen Strahlen beleuchtet werden. Überdies lehrt der Prophet, dass die Gnade von den Juden aus nach allen Seiten hin sich ausbreiten soll. So lauten ja auch die Bundesworte: In deinem Samen sollen gesegnet werden alle Völker. Denn wenn nur ein Volk den Genuss dieses Lichtes hätte, dann würde dies den anderen nichts helfen. Soweit aber das Evangelium durch die ganze Welt hin ausgebreitet wurde, leuchtete Judäa den zuvor blinden Völkern voran, um ihnen den Weg zu zeigen. Gerade dadurch, dass Gott das Licht zum besonderen Eigentum eines Volkes machte, sollte die Welt erleuchtet werden und zur Teilnahme an dieser Wohltat gelangen; sie sollte das Licht suchen in seinem von den Juden aufgegangenen und in Jerusalem verkündigten Wort. Dort ist der Leuchter des Herrn angezündet worden, dort die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen, von dort soll sich sein Licht über alle Länder der Erde ausbreiten, wie wir früher hörten (2, 3): „Von Zion wird das Gesetz ausgehen.“ Nur aus der Verkündigung der Propheten leuchtet dies Licht hervor, und Leute, welche dieselbe abweisen, rühmen sich umsonst, im Lichte zu wandeln.
Im Glanz, der über dir aufgeht. Der Prophet spielt an auf die Morgenröte. Wie der Morgenstern den Tag nur an der einen Seite des Himmels ankündigt, die Sonne aber sogleich die ganze Welt bestrahlt, so erfolgte der erste Anbruch des Tages in Judäa: von dort ist das Licht ausgegangen und hat sich über den ganzen Erdkreis ausgebreitet. Es gibt keinen Winkel der Erde, den Gott nicht mit diesem Lichte bestrahlt hätte. Die Könige werden insbesondere genannt, damit wir nicht meinen, dass nur das gewöhnliche Volk zu diesem Lichte gehen werde; vielmehr kommen auch die Fürsten und Großen, die sonst in ihrer Würde so selbstgefällig einhergehen. Dadurch wird der Gemeinde die höchste Ehre beigelegt, wenn sie in solchem Glanze erstrahlt, dass sie Völker und Fürsten an sich zieht. Wenn aber der Prophet von dem Licht der Gemeinde redet, so meint er nicht, dass sie es aus sich selbst hat, sondern von Christus, sowie der Mond sein Licht von der Sonne entlehnt.
V. 4. Hebe deine Augen auf usw. Ausführlich bestätigen diese Sätze jene Verheißung über die Wiederherstellung der Gemeinde, die ganz unglaublich schien. Bei der traurigen und verwirrten Lage war es nicht leicht, die Juden davon zu überzeugen. Das Reich Juda war damals allein übrig geblieben, es wurde aber von Tag zu Tag schwächer, bis es völlig zusammenbrach. Als aber das Volk, furchtbar auseinandergerissen und elend zugerichtet, in die Verbannung geführt wurde, war die Lage so verzweifelt, dass man hätte meinen können, es sei um die Gemeinde geschehen. Um nun die von Natur schon zum Misstrauen geneigten Gemüter nicht noch mehr zu verwirren, musste die Verheißung ausführlich bestätigt werden. Deswegen führt der Prophet den Juden die ferne Zukunft gleichsam als Gegenwart vor die Seele, damit sie so wenig zweifelten, als wenn es vor ihren Augen stände. Er heißt die Gläubigen die Augen aufheben, d. h. aufschauen zu einer Höhe, die über menschliches Denken hinausgeht. Denn solange wir unverwandt auf den äußeren Zustand sehen, können wir die Frucht dieser Verheißungen nicht erkennen. Der Prophet fügt hinzu: siehe umher. Israel soll mit aller Bestimmtheit wissen, dass nicht von einer Seite nur, sondern von überallher die Völker kommen werden, um zu einem Leibe zusammenzuwachsen. Er verheißt ja nicht bloß Hilfe und ein gutes Ende für die bevorstehende Zerstreuung, wie er an einer anderen Stelle sagt (11, 12): Er wird die Zerstreuten Israels zusammenbringen, - sondern diese Sammlung erstreckt sich viel weiter. Er verkündigt eine zukünftige, wunderbare Bekehrung der Welt, sodass die, die früher getrennt waren und draußen standen, zu seinem Leibe zusammenwachsen. Dabei sollen wir auch zwischen den Zeilen lesen, in welch jämmerlichem und traurigem Zustande die Welt sich befand, ehe sie unter Christi Führung gesammelt wurde.
Deine Söhne werden von ferne kommen usw. Söhne und Töchter sollen der Gemeinde nicht nur in ihrer Mitte geboren werden, sondern auch außerhalb, ja sogar in den fernsten Weltgegenden. Der Mutterleib der Gemeinde soll nicht auf irgendeinen Winkel in der Welt beschränkt sein, sondern sich ausdehnen, so lang und weit der Erdkreis ist.
V. 5. Dann wirst du deine Lust sehen usw. Auf den ersten Blick scheint es ein Widerspruch, dass der Prophet soeben in der Gegenwartsform redete, jetzt aber etwas erst Zukünftiges verkündet. Aber zuvor schaute er mit den Augen des Glaubens, was menschlichen Sinnen noch verborgen ist, - jetzt spricht er vom Eintreten der Sache selbst. Durch die vorher gebrauchte Gegenwartsform wollte er die Gewissheit anzeigen, jetzt aber schränkt er denselben Gedanken ein, damit die Gläubigen sich in Geduld fassen. Im Übrigen werden die Verheißungen des Herrn, auch wenn sie zunächst den Augen der Menschen verborgen sind, doch von den Frommen im Glauben geschaut; sie erwarten ganz gewiss deren Erfüllung, wenn sie auch den anderen noch so unglaublich erscheinen mag.
Und ausbrechen. Mit gleichem Rechte kann auch übersetzt werden: „und wirst glänzen“. Zu denken ist entweder an die Freude, in welche die Gemeinde ausbricht, wenn sie eine derartige Mehrung erfährt, oder an den herrlichen Schmuck, in welchem sie glänzt und strahlt. Der folgende Satz: dein Herz wird sich wundern – wäre buchstäblich zu übersetzen: es wird „erschrecken“ oder „erzittern“. Dies freilich scheint zu dem Glanz oder der Freude, von der soeben die Rede war, nicht zu passen. Aber der Prophet beschreibt mit diesem Wort ohne Zweifel, wie die Gemeinde von Verwunderung gleichsam betroffen sein wird, wenn sie sich in so ungeahnter Weise verherrlicht und auf solch hohe Ehrenstufe erhoben sieht. Damit will er sagen: die Tatsache ist so großartig, dass sie deine Vorstellung übertrifft. Gemeint ist also nicht ein Zittern, das aus irgendeiner Gefahr oder einer Trauer entspringt, sondern das bei großen Ereignissen, die wir nicht mit unserem Geist fassen können, einzutreten pflegt, indem wir, von Staunen überwältigt, gewissermaßen zu träumen glauben. Dies Zittern aber passt aufs beste zu der Freude.
V. 6. Denn die Menge der Kamele usw. Der Prophet beschreibt in Bildern die Herrlichkeit der Gemeinde und passt dabei seine Rede der Zeit und den Personen an, mit denen er es zu tun hatte. Wir erinnern uns dabei, wie wir dies schon öfter taten, dass die Sprechweise der Propheten auf das Volk Rücksicht nimmt, das sie lehren sollten: sie knüpft an alltägliche Dinge und gebräuchliche Zeremonien an, um unter dem Bilde derselben die geistliche Verehrung Gottes darzustellen. Denn zuerst mussten die Kinder Israel unterwiesen werden, darnach die Völker, zu denen die unter diesen Bildern verborgene Wahrheit später gelangte. Der Prophet will sagen, dass weit entfernte Völker sich mit ihrem Besitz unter die Herrschaft Gottes stellen werden. Was nämlich der Prophet von dem Reichtum der Gemeinde weissagt, darf nicht äußerlich auf deren einzelne Glieder bezogen werden. Vielmehr soll wegen der Gemeinschaft des Hauptes und der Glieder die Gemeinde als solche an den Gütern Gottes und Christi Anteil gewinnen. Torheit ist es darum, wenn die Juden unter Hinweis auf diese Weissagung mit ihrer unersättlichen Gier alle Schätze der Erde sich aneignen; und nicht weniger töricht ist es, wenn die Päpstlichen diese Worte auf ihre üppige Pracht und ihren Pomp anwenden. Kamele, Weihrauch, Gold und Herden nennt der Prophet im Hinblick auf die Produkte der einzelnen Länder; er will zeigen, dass sie alle ihren ganzen Besitz dem Herrn weihen, sich und all ihr Hab und Gut gleichsam ihm zum Opfer darbringen wollen. Daraus sollen wir entnehmen, dass wir uns nicht wahrhaft zum Herrn bekehren können, ohne ihm alle unsere Gaben darzubringen. Es sind dies die geistlichen Opfer, die er sucht und die wir ihm nicht verweigern dürfen, wenn unsere Herzen ihm wirklich ergeben und geweiht sind. Die Gottlosen missbrauchen die Wohltaten Gottes zur Üppigkeit und Unmäßigkeit und verderben sie durch ihre eigene Schuld in schändlicher Entweihung, während die Frommen sie mit reinem Gewissen gebrauchen und dadurch dem Herrn weihen. Niemand kann also Gott angehören, ohne ihm zugleich all das Seinige zu weihen. Hinsichtlich der Lage der hier genannten Gegenden braucht nicht viel gesagt zu werden. Es genügt die Erinnerung, dass der Prophet lauter im Osten gelegene Länder aufzählt: Midia , Epha , Saba deuten auf Arabien, (V. 7) Kedar und Nebajoth auf daran angrenzende Landschaften. Lächerlich ist es, die Erfüllung unserer Weissagung in den Weisen aus dem Morgenlande und ihren Christo dargebrachten Gaben finden zu wollen. Die Stelle besagt einfach, dass man den Herrn allenthalben anrufen werde und dass alle Völker, die jetzt noch ausgeschlossen sind, zu seiner Verehrung sich zusammenschließen sollen.
Sie sollen als ein angenehmes Opfer auf meinen Altar kommen, wörtlich: „emporsteigen“. Durch das Opfer wird also Gott versöhnt, wie denn eben dazu der Altar verordnet ist und Opfer gebracht werden, damit die Menschen einen gnädigen und freundlichen Gott haben können: und auch Gott seinerseits will nach seiner Verheißung die Opfer, die ihm auf seinem Altar gebracht werden, wohlgefällig annehmen. Der Altar war damals das Mittel zur Erlangung des göttlichen Wohlgefallens. Drei Punkte stellt der Prophet hier klar ans Licht. Zuerst spielt er mit der Wendung, dass die Opfer auf den Altar „emporsteigen“ sollen, auf einen alten, einst geübten Brauch an. Man ließ nämlich die Opfertiere in die Höhe heben, um anzudeuten, dass die Menschen ihre Blicke nicht auf die Erde heften oder allein auf das Opfertier richten, sondern dass aller Herzen sich zur Höhe emporheben sollten. Zum anderen prägt der Prophet ein, dass diese Opfer dem Herrn „angenehm“ waren: er will sie damit von den unheiligen Darbringungen der Heiden unterscheiden, die ohne Glauben waren. Drittens heißt es, dass die Opfergaben „auf den Altar“ Gottes kommen; denn dieser allein konnte die Gaben heiligen. Alles, was außerhalb desselben geopfert wurde, war unrein und verworfen. Übrigens soll uns diese bildliche Darstellung zur Wahrheit selbst leiten. Denn Christus ist der Altar Gottes; in ihm müssen wir opfern, wenn unsere Gaben dem Herrn angenehm sein sollen.
Ich will das Haus meiner Herrlichkeit zieren. Dieser Satz deutet auf die wahre Wiederherstellung des Gottesvolkes. Denn das Hauptstück in dessen Glückseligkeit war es ja, dass der Tempel da war, in dem Gott wahrhaftig angebetet wurde. Wenn wir wirklich glücklich sein wollen, müssen wir damit beginnen, dass Gott unter uns herrsche. Deswegen erinnert der Herr bei dem Hinweis auf die zukünftige Erneuerung der Gemeinde an den Tempel, dessen Herrlichkeit er wiederherstellen will. Er sagt damit: Mein Haus ist jetzt dem Spott der Heiden preisgegeben, aber ich will ihm später die jetzt geraubte Herrlichkeit wieder verleihen. Aus den Worten des Sacharja, Haggai und Maleachi geht aber hervor, dass dies nicht sofort bei der Rückkehr des Volkes in Erfüllung gegangen ist. Auch dürfen wir nicht meinen, dass jenes kostspielige Gebäude, mit dem Herodes sich listiger Weise Gunst erwerben wollte, die wahre Herrlichkeit besessen habe. Nicht eher kam die hier geweissagte Würde und Zier zum Vorschein, als bis Gott die Tür des Himmels in Jerusalem öffnete und dann rückhaltlos alle Völker zur Hoffnung auf das ewige Heil berief.
V. 8. Wer sind die, welche fliegen usw. Da der Prophet in der Beschreibung dieser Wohltat Gottes sich nicht genugtun kann, so ruft er, selbst von Staunen ergriffen, aus: „Wer sind jene?“ Das hat viel mehr Nachdruck, als wenn er, auch unter Benutzung derselben Bilder, gesagt hätte, dass eine gewaltige Menge herbeifliege. Seine Frage will noch völliger zum Ausdruck bringen, wie großartig jene Ausbreitung sein wird. Auf eine erläuternde Antwort verzichtet er. Die wie die Wolken fliegen, hat man mit einem gewissen Schein auf die Apostel gedeutet, die mit unglaublicher Schnelligkeit bis an die äußersten Enden der Welt vordrangen. Aber der Prophet redet hier doch von der allgemeinen Sammlung der Gemeinde: von allen Seiten kommen die Menschen eilig und freudig zu ihr geströmt. Die Vergleichung mit den Tauben passt hier sehr gut. Denn wenn diese auf dem Felde hin und her zerstreut sind, unterscheiden sie sich scheinbar gar nicht von den wilden Vögeln, und doch sind sie Haustiere und haben ihren Taubenschlag, in den sie zurückkehren und in dem sie nisten. So beginnen auch die im Glauben erleuchteten Frommen die Gemeinschaft zu erkennen, zu der sie gehören und zu der sie sich aus elender Zerstreuung heraus zurückziehen können. Die Notwendigkeit dieser Erinnerung werden leicht alle anerkennen, die den schrecklichen und jämmerlichen Zustand jener Zeit erwägen. Denn wenn die Propheten in den vielen Jahren, in denen sie unaufhörlich an den Juden arbeiteten, nichts oder fast nichts erreichten, was konnte man dann noch von den völlig gottentfremdeten Heiden erhoffen? War es nicht etwas Widersinniges, dass sie einst in die Gemeinde hineinkommen würden? Und doch hat der Prophet nicht in Übertreibungen geredet, sondern ist selbst so erstaunt, dass er auch uns in dieselbe Verwunderung versetzt.
V. 9. Die Inseln harren auf mich usw. Nachdem Jesaja mit den erdenklichsten Lobreden die herrliche Wohltat der Erneuerung erhoben, führt er Gott selbst redend ein: dadurch soll die Rede ein erhöhtes Gewicht gewinnen. Dass die Inseln auf Gott „harren“, deuten manche Ausleger von der Sehnsucht, mit welcher die Völker jenseits des Meeres wie im Hunger sich dem Herrn entgegenstrecken, weil sie ihren Mangel an Leben und Heil fühlen. Aber das betreffende hebräische Wort bedeutet auch „auf jemanden achthaben.“ In diesem Sinne sagt David (Ps. 56, 7), dass die Gottlosen auf seine Seele achthaben, d. h. dass sie ihm nach dem Leben trachten. In dieser Bedeutung kann das Wort auch hier genommen werden: Sie harren, d. h. sie geben acht auf meinen Wink, so wie die Sklaven von dem Willen ihres Herrn abhangen. Wundert euch also nicht, dass so viele in die Gemeinde hineinströmen, denn die Inseln, die jetzt teils mich geringschätzen, teils mir widerstehen, werden mir so ergeben sein, dass sie alle meine Befehle ausführen. Und gewiss geht aus den übrigen Worten des Verses hervor, dass es sich hier um solchen Gehorsam handelt.
Tharsis-Schiffe sind solche von dem Judäa gegenüberliegenden Cilicien. Gemeint sind schließlich alle Schifffahrts- und Handelsverbindungen, die Israel mit auswärtigen Völkern pflog. Der Gedanke ist einfach der: Die Tharsisschiffe, die jetzt stolz meine Gemeinde verachten, werden meinem Befehle untertan sein und ihr Kinder von fernen Ländern herzuführen.
Samt ihrem Silber und Golde. Diese Worte wiederholen, was wir soeben schon (V. 6 f.) hörten, dass die Heiden, wenn sie dem Herrn untertänig werden, sich und all ihr Hab und Gut ihm darbringen. Gott will seine Gemeinde zur höchsten Ehre führen und sie durch den notwendigen Schmuck herrlich machen. – Damit nun die Frommen keinen Zweifel an dieser großartigen Verheißung hegen, aber auch nicht in ihren Verdiensten die Ursache suchen möchten, verspricht Gott, selbst dies bewirken zu wollen. Den Reichtum der Völker, den der Prophet kurz vorher, wie es schien, der Gemeinde als Beute oder Siegespreis zuerteilte, erklärt er jetzt als heiliges Opfer für Gott. Damit drückt er es noch ganz besonders deutlich aus, wie es unser höchster Wunsch sein muss, dass die Welt sich ganz der Herrschaft Gottes unterwerfe.
V. 10. Fremde werden deine Mauern bauen. Der Prophet führt denselben Gedanken noch weiter aus. Wie bereits erwähnt, werden die Auswärtigen sich zwecks Wiederherstellung des Tempels der Herrschaft Gottes unterwerfen; ebenso werden sich die Fremdgeborenen jetzt an der Erbauung der Mauern beteiligen. Unter mannigfachen Bildern verheißt der Prophet die Erneuerung der Gemeinde. Es ist die Eigentümlichkeit der Schrift, für die Beschreibung der Gemeinde Gottes bald den Tempel, bald Jerusalem als Bild zu gebrauchen. Gott verheißt aber die Mithilfe der Auswärtigen und Fremdgeborenen bei der Errichtung dieses Baues, damit die Juden nicht aus Bekümmernis über ihre geringe Anzahl oder über ihre Armseligkeit den Mut sinken ließen. Sie konnten ja in der Gefangenschaft leicht misstrauisch werden und trotz der Hoffnung auf Rückkehr in das Vaterland glauben, dies von sich aus nicht bewirken zu können. Dies bewirkte aber Cyrus, der eine große Menge Gold und Silber hergab. Indessen war er nur ein Schatten des Zukünftigen. Die wahre Erfüllung geschah durch Christus, auf dessen Reich dies alles bezogen werden muss. Zuerst hatte Jesus einige wenige Apostel, die aber für das große Werk nicht genügen konnten; dann erweckte er Fremdgeborene, aus denen er sich Hirten auserwählte, und Auswärtige, deren Fürsten nach seinem Willen Jünger der Gemeinde wurden. Dem etwaigen Vorwurf aber, es sei leichter gewesen, die Gemeinde unversehrt zu erhalten, als sie von den Toten zu erwecken, kommt Gott zuvor durch den Hinweis, dass die Juden mit Recht so heimgesucht seien; denn sie hatten ihn durch ihre Freveltaten zu sehr gereizt: in meinem Zorn hab ich dich geschlagen. Aber er bietet ihnen Grund zu einer guten Hoffnung dar, indem er nicht die Erduldung der verdienten Strafen fordert, sondern zufrieden sein will, wenn die zeitliche Züchtigung sie demütigt. Er erinnert dabei die Juden an die Ursache dieser Änderung, damit sie letztere sich nicht nach ihrem eigenen Gutdünken zurechtlegen. Wenn Weltreiche sich ändern, bald emporsteigen, bald zerfallen, hält man dies für Zufall oder für das allgemeine Los der Welt. So konnten auch die Juden denken, als ihnen nach der Zerstörung des chaldäischen Reiches die Freiheit wiedergeben wurde. Damit sie nun nicht wie die Gottlosen verblendet seien, bezeugt der Herr, dass seine Vorsehung das alles lenke. Er will ihnen zurufen: Wenn du fragst, warum du so viele Mühsale erduldet hast, dann ist die Ursache dies, dass ich dir zornig gewesen bin und deine Freveltaten gerächt habe. Fragst du aber nach der Ursache deiner Befreiung, dann ist es meine freie Gnade, nicht deine Würdigkeit oder der Zufall. Also nicht von ungefähr kommt das Unheil, noch zürnt der Herr ohne Ursache, aber er zürnt auch nicht so, dass er nicht seiner Barmherzigkeit Raum gäbe.
V. 11. Und deine Tore sollen stets offen stehen usw. Dieser Vers wird gewöhnlich verkehrt ausgelegt. Man glaubt, der Prophet bezeichne den sicheren und sorglosen Zustand der Gemeinde unter dem treuen Schutze des Herrn; die offenen Tore sollen das Fernsein jeglicher Gefahr anzeigen. Aber, wie mir scheint, legt der Prophet sich selbst aus: die Tore werden offen sein zu dem Zweck, dass die Schätze von allen Seiten in die Stadt eingeführt werden können. Während man sonst nur bei Tage Lasten zu tragen pflegt, reicht hier, wie er sagt, der Tag nicht aus, so gewaltig ist das Zusammenströmen derer, die ihre kostbaren Schätze hereinbringen. Diese Herbeischaffung ist so anhaltend, dass Tag und Nacht die Tore offen sein müssen. Wenn er sagt, dass die Schätze der Heiden der Gemeinde gehören sollen, so sollen wir das nicht deuten auf fleischliche Üppigkeit, sondern auf den Gehorsam, den die ganze Welt dem Herrn in der Gemeinde leisten soll. Was ihm dargebracht wird, soll der Gemeinde gehören, denn Gott will nichts von seinem Eigentum seiner Gemeinde vorenthalten.
Und ihre Könige herzu geführt werden. So groß ist der Trotz der Könige, dass sie kaum sich herführen lassen, ja sie sind im Vertrauen auf ihre Macht derart mutwillig, dass sie nicht nur nach eigenem Gutdünken ihr Leben führen, sondern auch wie reißende Bäche andere mit sich ziehen. Und doch werden sie nach des Propheten Worten trotz ihres stolzen und ungebändigten Wesens der Herrschaft Gottes und seiner Gemeinde sich unterwerfen.
V. 12. Denn welche Heiden usw. Unablässig bemüht sich der Prophet um die Stärkung der Frommen, damit sie nicht an der von ihm verkündigten Wiederherstellung zweifeln. Ganz unglaublich waren ja auch diese Dinge; und auch wir würden sie trotz ihrer durch die Ereignisse genügend erfolgten Bestätigung – denn sie liegt klar vor aller Auge – kaum fassen können, wenn wir nicht vom Geist des Herrn geleitet würden. Die Juden haben nun nach den Ausführungen des Propheten keine Ursache, an der Wiederherstellung des Volkes zu zweifeln, da ja die Heiden sie nach Kräften unterstützen werden. Aber Jesaja hat hier noch Höheres im Auge als die Erbauung des sichtbaren Tempels. Er meint den Gehorsam, den die Könige, die Vornehmen und die gewöhnlichen Leute der Gemeinde beweisen, indem sie die reine Lehre nach Kräften ausbreiten, ja er geht noch weiter, indem er die Vernichtung der Reiche und Völker ankündigt, die der Gemeinde ihre Dienste nicht gewähren wollen. Wenn nun ein so fruchtbares Urteil ergeht über Leute, welche der Gemeinde ihre Hilfe verweigern, was sollen wir dann sagen von den Tyrannen, die sich in wildem Ungestüm auf sie stürzen und sie mit allen Kräften zu vernichten suchen? Wenn es für die Gleichgültigen und Trägen schon keine Straflosigkeit gibt, erwartet dann nicht schreckliche Rache die Gottlosen, die das Werk des Herrn verwirren und zerstören? Ausdrücklich redet der Prophet nicht bloß von einem Königreich, sondern von Heidenvölkern in der Mehrzahl. Er will damit ausdrücken, dass die ganze Welt, wenn sie in gleiche Schuld sich verstrickt, auch ohne Unterschied zugrunde gehen soll. Denn auch die Menge der Schuldigen kann es nicht hindern, dass alle, die sich von Gott abgekehrt haben, umkommen. Auch werden die Gottlosen dadurch nicht im Geringsten entschuldigt, dass sie sich gegenseitig hindern und sich zur Gottlosigkeit und Schlechtigkeit auffordern. Der Dienst aber, den Könige und Völker der Gemeinde leisten, hat seinen Grund nicht darin, dass letztere durch sich selbst irgendeine Herrschaft ausübte, sondern darin, dass Gott das Zepter seines Wortes, durch das er herrscht, ihr übergeben hat.
V. 13. Die Herrlichkeit des Libanon usw. Wiederum vergleicht Jesaja die Gemeinde mit einem Gebäude oder einer Stadt. Er zählt Dinge auf, die zum Hausbau erforderlich sind: Tanne, Fichte, Buchsbaum, die auf dem Libanon wuchsen, einem Waldgebirge, das, wie wir wissen, mit herrlichen Bäumen geschmückt war. Das Beste und Schönste also, was es dort gab, soll der Gemeinde zugeführt werden. Man darf aber nicht vergessen, dass diese Bilder hinweisen auf den geistlichen Gottesdienst. Denn mit dem Titel „Heiligtum“ schmückt der Herr seine Gemeinde, weil er in ihrer Mitte thront. Der Prophet spielt jedoch immer auf den Tempel an, weil er sich den Gebräuchen und Verhältnissen seiner Zeit anpassen muss. Er stellt uns also den Tempel in Jerusalem vor Augen, damit wir unter diesem Bilde den geistlichen Tempel anschauen, dessen lebendige Steine und Baustoff wir sind. Schon durch den Ausdruck „Stätte meiner Füße“ deutet der Herr auf sein Thronen im Tempel hin, jedoch in dem Sinne, dass seine Majestät von diesem nicht eingeschlossen wird; ein so begrenzter Raum kann ihn nicht fassen. Nur die Füße, also gleichsam der unterste Teil, ist dort. Wir sollen uns gen Himmel erheben und nicht an diesem äußeren Zeichen haften bleiben, die, unserem Verständnis angepasst, uns auf etwas Höheres hinweisen wollen. So heißt es auch in den Psalmen (99, 5; 132, 7): „Betet an zu seinem Fußschemel, denn Er ist heilig“, und: „Wir wollen in seine Wohnung gehen und anbeten vor seinem Fußschemel“, - nicht etwa weil Gottes Wesen nach oben und nach unten geteilt wäre, sondern weil er auf diese Weise seine Knechte gleichsam von den Füßen zum Haupte emporhebt.
V. 14. Es werden auch gebückt zu dir kommen usw. Dies ist ein weiterer Zug in der Schilderung des herrlichen Erlösungswerkes: es werden die Verfolger und Verächter der Gemeinde kommen, um demütig zu ihren Füßen niederzufallen und sich völlig zu unterwerfen. Dies ist nun teilweise in Erfüllung gegangen, als die Juden in ihr Vaterland zurückkehrten, aber diese Befreiung war doch nur ein Schatten von jener Erlösung, die wir durch Christus erlangt haben. Wirklich erfüllt also ist dies erst im Reiche Christi, doch so, dass die vollständige Erfüllung erst bei seiner zweiten Ankunft zu erwarten ist. Wollte nun jemand fragen, ob nicht diese von dem Propheten erwähnte Ehre allzu groß ist und größer, als sie der Gemeinde zukommt, - denn sich bücken und niederwerfen sind Zeichen einer Ehrerweisung, die kein Mensch sich anmaßen darf – so antworte ich, dass diese Ehre nicht den Gliedern, sondern dem Haupte dargebracht wird, nämlich Christo, der in der Gemeinde angebetet wird. Und diese Verehrung erzeigen ihm solche, die ihn einst hassten und verfolgten. Wenn wir sagen, dass Christus in der Gemeinde angebetet wird, so erweisen nur solche ihm diese Ehre, die seiner Lehre gehorchen. Das ist auch die Meinung des Propheten, dass diejenigen, die früher fern von der Gemeinde standen, sich völlig unterwerfen und Christo zu Willen sein werden. Denn wenn Christus irgendwelche Majestät besitzt, dann leuchtet sie hervor aus seiner Lehre, die durch menschlichen Dienst verkündigt wird.
Sie werden dich nennen eine Stadt des Herrn. Die Gemeinde war früher mit diesem Titel geschmückt, aber er war beinahe beseitigt, als die Stadt zerstört, der Tempel geplündert und das Volk in die Verbannung geführt war. Jerusalem war ein Nichts, dort war nur eine grauenvolle Verwüstung zu sehen. Sie muss nun nach des Propheten Meinung so wiederhergestellt werden, dass alle Menschen sie als die Stadt Gottes anerkennen. Darnach ist von Zion, d. h. vom Tempel, die Rede, damit jedermann erkenne, dass Jerusalem diese Würde nur mit Rücksicht auf den Tempel beigelegt wird, d. h. wegen des Gottesdienstes, den der Herr dort angeordnet hat.
V. 15. Denn darum, dass du bist die Verlassene gewesen usw. Der Prophet blickt auf die unmittelbar bevorstehende Zwischenzeit. Denn bald nach seinem Tode wurde das Volk seines Erbes beraubt und in die Verbannung geführt, sodass es nach jedermanns Meinung mit seinem Heil zu Ende war. Damit nun dieser Gedanke die Herzen der Gläubigen nicht zum Verzweifeln bringe und zu dem Bekenntnis dringe: Wir sind ein Nichts, für unsere traurige Lage kann es kein Heilmittel geben, eine Besserung ist nicht mehr zu erwarten, - zeigt der Prophet, dass jene schweren Nöte den Herrn nicht an ihrer Wiederherstellung hindern können. Denn wenn sie auch eine Zeitlang gewissermaßen verlassen waren, indem der Herr sie strafte, so war es ihm doch leicht, sie wieder in den früheren Zustand zu versetzen. Sollte jemand einwenden, dass diese Herrlichkeit der Gemeinde keine dauernde gewesen sei, so ist die Antwort nicht schwer. Obgleich das Volk nach seiner Rückkehr manchmal zertreten wurde, auch die christliche Gemeinde nicht lange ihre Würde behielt, so sind doch alle Weissagungen des Propheten erfüllt. Unter dem Kreuze nämlich leuchtet die Herrlichkeit Christi hervor, sodass der Name Gottes bleibt und es immer irgendein Volk gibt, das ihn anruft. Wir müssen aber bedenken, dass wir die Frucht jener Verheißungen nicht empfangen wegen unserer Undankbarkeit, denn wir hindern dadurch den Fortgang der Gottestaten und berauben uns selbst ihrer Frucht durch unsere Bosheit. Ferner müssen wir uns immer daran erinnern, dass der Prophet nicht einen kurzen Zeitraum von wenigen Jahren im Auge hat, sondern die ganze Geschichte der Erlösung vom Ende der Verbannung bis zur Verkündigung des Evangeliums und von da an bis zum Ende des Reiches Christi.
V. 16. Dass du sollst Milch von den Heiden saugen. Es ist von der Ausbreitung der Gemeinde die Rede, von der wir schon früher hörten. Diese öftere Wiederholung war wertvoll, denn es erschien unglaublich, dass die in so viele und so große Schwierigkeiten gebrachte Gemeinde wiederhergestellt werden und über den ganzen Erdkreis sich ausbreiten würde. Ihre Lage war ja jammervoll, aber sie ist doch endlich aus jenen schwachen, gleichsam wie ein Brand aus dem Feuer gerissenen Überbleibseln zur größten Verwunderung aller wiederhergestellt und ihr Same über den ganzen Erdkreis ausgebreitet. Der Prophet will also sagen: Wenn du auch in einem eng begrenzten Lande wohnst und keinen Verkehr mit anderen Völkern hast, so wirst du doch sehr großen Nutzen von ihnen ziehen. Mit den Worten „Milch“ und „Brust“ meint er den willigen Dienst, den die Heiden der Gemeinde zur Ernährung ihres Nachwuchses leisten sollen. Während er früher (54, 1 ff.; 60, 4) davon sprach, dass die Gemeinde zahllose Kinder auf einmal hervorbringen werde, weist er ihnen jetzt Milch als Nahrung für die Zeit ihres Heranwachsens zu. Im Besonderen redet er von den Königen; dies war ja etwas, das recht schwer zu glauben war. Die Könige werden hier so nebenbei an ihre Pflicht erinnert; wenn sie diese recht erfüllen wollen, müssen sie der Gemeinde Dienste erweisen. An anderen Stellen der Schrift fordert der Herr außerdem noch Verstand von ihnen; wir wissen, was David im 2. Psalm (V. 10) von ihnen sagt. Hier ist nun wohl zu beachten, in welcher Weise die Gemeinde die Milch und die Brüste der Heiden saugt. Sie erhält nicht das Recht, die Mittel der ganzen Welt zu verzehren, sondern soll nur ihren Zustand unversehrt erhalten. Was würde auch mehr in Widerspruch stehen zu dem Wesen der Gemeinde, als wenn sie einen unersättlichen Schlund besäße und die Güter aller Menschen an sich risse? Dies muss natürlich auf ihre geistliche Stellung bezogen werden: Gott soll in ihr wahrhaftig verehrt werden, der Dienst am Worte soll recht blühen und gedeihen, eine Zucht soll gehandhabt werden, durch die alle im Zaum gehalten werden. Jedoch sollen die Gläubigen daran denken, dass Geben seliger ist als Nehmen; auch der Mangel muss so geduldig ertragen werden, dass man reich ist an geistlichen Gütern und andere damit reich macht. Schließlich fügt der Prophet hinzu, dass offenbar werden soll, was eine Zeitlang verborgen schien, dass nämlich die Juden nicht vergeblich erwählt sind, indem sie aus sicherer Erfahrung wissen sollen, wie Gott für ihr Heil sorgt: auf dass du erfährst, dass Ich, der Herr, bin dein Heiland. Wenn man fragt, ob sie dies nicht auch vor ihrer Rückkehr aus der Verbannung wussten, dann antworte ich: jene Verbannung war einer tiefen Finsternis ähnlich; vergleicht sie doch auch der Prophet im Anfang dieses Kapitels damit. Da sie nun unter jener harten Gewaltherrschaft die Macht und Herrlichkeit Gottes nicht schauen konnten, führte der Herr sie hinaus ins offene Licht; nicht als ob der Glaube in der Bedrängnis aufhörte, sondern weil man beim Glauben anders empfindet als nach der erlebten Erfahrung. Wenn wir dem Untergang verfallen zu sein scheinen, dann erhebt sich der Glaube über die augenblickliche Lage und über die dichte, uns umgebende Finsternis. Wenn aber Gott den früheren Zustand wiederhergestellt hat, dann schauen wir die Sache nicht mehr mit den Augen des Glaubens, sondern der Erfahrung an. Dies ist der klare Sinn unserer Worte. Der Herr will sagen: Ihr werdet, wenn ich mich so gütig gegen euch erzeige, mich dann tatsächlich als euren Erlöser anerkennen. Insonderheit legt er sich die Bezeichnung „der Mächtige in Jakob“ bei, weil er sich als solchen öfter bewiesen hatte. Und nicht bloß Jakob hatte in mancherlei Weise die Kraft Gottes erfahren, auch die Nachkommen hatten den genugsamen Schutz seiner Gnade erkannt. Den Starken nennt er sich also, damit sie erkennen, dass Gott sich in Zukunft ebenso gegen sie verhalten werde, wie einst gegen die Väter.
V. 17. Ich will Gold anstatt des Erzes bringen usw. Das ist eine Anspielung auf den alten Tempelbau, der mit dem himmlischen und geistlichen Tempel verglichen wird. Die Meinung ist: Wenn ihr in die Gefangenschaft weggeführt seid, werdet ihr klagen über den zerstörten Tempel, aber ich bewirke, dass er viel herrlicher von euch wiederaufgebaut werde. Darum bringe ich statt Erz Gold, statt Eisen Silber, statt Holz Erz, statt Steinen Eisen herbei, d. h. in diesem, auf den ersten folgenden Tempel wird alles voll Pracht und Herrlichkeit sein. Wir wissen nun, dass diese Weissagung niemals bei jener äußeren Wiederherstellung des Volkes oder im Verlauf jener Anfänge erfüllt wurde, ja, dass der damals wiederaufgerichtete Tempel viel geringer war als der erste. Daraus folgt, dass der Prophet, der die wahrhaftige Erlösung im Geiste geschaut hatte, nicht bloß die der Rückkehr des Volkes unmittelbar folgenden Ereignisse meint, sondern von der Herrlichkeit des geistlichen Tempels, d. h. der Gemeinde Christi, spricht. Man muss also diese Weissagung durch den ganzen Gang der Geschichte bis auf Christus hinführen. In seinem Reiche ist dies alles in reichem Maße erfüllt, und es ist die Herrlichkeit des ersten Tempels weit übertroffen. Denn der Herr hat die Gaben des heiligen Geistes ausgegossen, die viel herrlicher sind als Gold, Silber und Edelsteine. Den aus kostbaren Steinen errichteten Tempel können wir also jetzt sehen, wie dies vorher im 54. Kapitel ausgeführt wurde.
Und will zu deiner Obrigkeit den Frieden machen usw. Zweifellos hat der Prophet die traurige Knechtschaft des Volkes, unter der es festgehalten werden sollte, andeutungsweise vergleichen wollen mit der nachher ihm zuteil gewordenen herrlichen Würde. Dem Frieden und der Herrlichkeit stellt er die Obrigkeit gegenüber, die eine ungerechte Herrschaft zur Zeit ihrer harten, grausamen Bedrückung seitens der Babylonier über sie ausübte. Jetzt zeigt er, dass nach der Beseitigung der Vögte nur eine Obrigkeit des Friedens und der Gerechtigkeit da sein werde: Die die Herrschaft über dich besitzen, werden Gerechtigkeit und Frieden pflegen. Dies ist vollkommen erfüllt, als wir durch Christus der Gewaltherrschaft des Teufels entrissen wurden. Denn durch das Evangelium hat Christus das Reich der Gerechtigkeit aufgerichtet, jedoch noch nicht vollendet; wir müssen noch seine letzte Ankunft erwarten und uns auf sie zubereiten, inzwischen aber mit jenen Erstlingsgaben zufrieden sein.
V. 18. Man soll keinen Frevel mehr hören usw. Hier preist der Prophet den glücklichen Zustand der Gemeinde und stellt ihm stillschweigend die Beschwerden und Nöte gegenüber, von denen sie in mannigfacher Weise betroffen war. Er verheißt, dass sie in Zukunft niemals solche Unterdrückungen erleiden werden. Und doch, kann man entgegnen, sind letztere nachher trotz alledem häufig eingetreten. Freilich, - aber das Volk ist niemals derartig zerstreut worden, dass die Gemeinde nicht in irgendeiner Gestalt übriggeblieben wäre, Frieden genossen und ihre Beschützung und Bewahrung durch Gottes Hand erkannt hätte. Mit diesen Worten war aber nicht eine Befreiung von allen Beschwerden und Nachteilen verheißen, sondern dieser Trost war in Ansehung der zukünftigen Nöte ausgesprochen, dass nämlich Gott seine Gemeinde schonen wolle und sie sich unter seinem Schutze sicher fühlen werde. Eine deutliche Rede dieses vom Propheten gepriesenen Friedens zeigte sich in der Geschichte der Erlösung. Doch müssen wir uns immer daran erinnern, dass wir das alles nur teilweise erfahren können, da das Reich Christi noch nicht vollendet ist.
Und deine Tore Lob heißen. Der Prophet spielt, wie so häufig, auf den Bau des Tempels oder der Stadt an. Nicht durch Mauern oder Türme oder sonstige Befestigungen wird die Gemeinde beschützt, vielmehr ist, wenn auch aller irdische Schutz wegfällt, bei Gott allein genug Heil und ungetrübte Freude. So erscheint das Heil der Gemeinde mit dem Lob oder der Freude verbunden. Denn sie jubelt, weil sie gerettet und unversehrt ist, während sie vorher, zertreten und verzweifelt, stumm darniederlag.
V. 19 und 20. Die Sonne usw. Die Glückseligkeit der Gemeinde dauert nicht kurze Zeit, sondern immer. Sie wird hier von den gewöhnlichen Verhältnissen der Menschen unterschieden, bei denen es nichts Dauerndes oder Beständiges gibt. Denn alles unter der Sonne, mag es auch noch so trefflich sein, ist einem mannigfachen Wechsel unterworfen. Die Gemeinde aber soll man nicht nach den Gefahren des gegenwärtigen Lebens beurteilen, denn sie wird mitten in den brausenden Wellen erhalten. Der Prophet will sagen: Beurteile dein Heil nicht nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge, sondern wisse, dass es in Gott gegründet ist. Gott wird deine Sonne sein, sodass man nicht von der Sonne oder dem Monde Licht zu entlehnen braucht; fürchte also keinen Wechsel und keine Veränderung der Verhältnisse, denn du wirst ein beständiges und unveränderliches Licht haben. Die Meinung dieser Worte ist nun gewiss nicht, dass die Kinder Gottes die gewöhnlichen Lebensgüter entbehren müssten. Denn wenn der Herr diese unterschiedslos allen Menschen schenkt, so hat er sie doch sicher auch für seine Kinder bestimmt, da er ja für sie besonders sorgt. Aber der Prophet will hier ein größeres Gut bezeichnen, das nur Gottes Kinder genießen, nämlich das himmlische Licht; so sehr die Gottlosen dies hassen, so wenig können sie es empfangen. Denn wenn sie auch die Sonne und andere Güter genießen, so kann ihr Glück doch nicht fest und sicher sein. In ihrer Torheit lernen sie ja nicht das Beste kennen, nämlich dass Gott ihr Vater sein will. Darum unterscheidet sich der Zustand der Gemeinde und der Frommen von dem gewöhnlichen Lose der Menschen. Wir sollen diesen Zustand nicht nach dem Wechsel und der Veränderung der Dinge beurteilen, sondern sollen wissen, dass in der größten Dunkelheit den Frommen die fröhlich machende, göttliche Gnade leuchtet. Und fürwahr, wenn auch alle Elemente ihren Dienst versagen oder durch ein schauriges Aussehen uns bange machen, so muss uns doch Gottes gnädige Gesinnung genügen. Bei den Worten „Sonne“ und „Mond“ sollen wir an die ganze, oft sich verändernde Lage der Menschen denken.
V. 21. Dein Volk sollen eitel Gerechte sein. Hier wird das wahre Wesen der Gemeinde gekennzeichnet. Sie ist von Gottlosen gereinigt, und nur Gerechte befinden sich in ihr. Und doch wissen wir, dass den wahren Gotteskindern in der Gemeinde immer Heuchler beigesellt sind. Nach unseren Darlegungen wird hier das ganze Reich Christi beschrieben, und zwar seine Beschaffenheit nicht in einem einzelnen Zeitpunkt der Zukunft, sondern in seiner Vollendung. Dies Werk begann Christus bei seiner Ankunft, als er die Gemeinde wieder reinigte. Deswegen nennt er das Evangelium auch ein Sieb, weil es das Korn von der Spreu trennt. „Es“ setzt diese Reinigung täglich fort und wird damit fortfahren bis zum Tage der Ernte. Inzwischen mischt sich notwendigerweise mit dem Weizen viel Kehricht, der endlich an jenem Tage beseitigt wird. Die Mehrzahl „Gerechte“ deutet wohl auf eine größere Anzahl von Heidenvölkern, die dann gerecht sein werden. Der Zusatz, sie würden das Erdreich ewiglich besitzen, ist zweifellos im Hinblick auf Judäa gemacht und stellt die Zeit der Wiederherstellung der nahe bevorstehenden Zeit der Verbannung stillschweigend gegenüber. Die Meinung ist: Wenn ich auch mein Volk aus seinem Erbe vertreibe, so will ich es doch nach siebzig Jahren wiederaufrichten und ihm den dauernden Besitz desselben verleihen. Bemerkenswert ist dabei, dass die zuerst für das Volk Zions gegeben Verheißung jetzt auf die Gerechten eingeschränkt wird. Darin liegt eine Art von Verbesserung: es sollen die Heuchler ausgeschlossen werden, die, was von den Kindern Gottes gilt, in falscher und eitler Weise auf sich zu beziehen pflegen. Diese Darlegung stimmt überein mit dem Anfang des 73. Psalms: „Israel hat dennoch Gott zum Trost, wer nur reines Herzens ist.“ Dort erkennt der Prophet den Namen Israel, den alle ohne Ausnahme im Munde führten, allein den aufrichtigen Verehrern Gottes zu. Hier steht „dein Volk“, d. h. jener Rest, der vom Schmutz gereinigt ist. Dies ist nicht in allen Stücken bei den Juden erfüllt, aber sie haben den Anfang gemacht, als sie in das Vaterland zurückkehrten; später sollte der Besitz der ganzen Erde ihnen, d. h. den Kindern Gottes, durch ihre Vermittlung verliehen werden. Denn wie der Prophet vorher von der Wiederaufrichtung des Tempels sprach, die in Jerusalem nicht völlig erfolgte, vielmehr über die ganze Welt sich erstrecken soll, so darf auch dieses Besitzen des Landes nicht auf Judäa beschränkt werden; es reicht viel weiter. Alle Menschen werden dazu gerufen, damit sie im Glauben Abrahams Kinder und dadurch Erben werden.
Ein Zweig meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hände. Diese Bezeichnung soll die Hoffnung stärken. Denn die Gemeinde, welche allen menschlichen Blicken als abgestorben erschien, zumal ihre Wurzel verborgen war, konnte nicht aus Menschenkraft wiedererstehen. Damit sie nun wieder grüne und blühe, wird Gott wie ein Landmann verfahren, der wiederum pflanzt, was er ausgerissen und niedergepflügt hatte. Der Prophet bezeichnet es als ein wunderbares, nicht von Menschen, sondern von Gott gewirktes Werk, dass die Gemeinde aus der elenden und harten Gefangenschaft wieder hervorsteigt; sie steht gleichsam vom Tode wieder auf. Und fürwahr, alles, was das himmlische Leben betrifft, ist uns weder von Natur angeboren, noch wird es durch unsere Leistungen erworben, sondern es geht allein von Gott aus. Was hier nur im Allgemeinen vom ganzen Leibe ausgesagt ist, das muss im Besonderen jeder auf sich anwenden. Denn wir sind eine Pflanzung Gottes von Anbeginn der Welt her, dann aber sind wir in Christus eingepflanzt und berufen worden, damit wir ein Zeugnis für unsere Erwählung und Pflanzung haben möchten. Die Gottlosen sind nicht eine Pflanzung Gottes, darum verkündet auch Christus (Mat. 15, 13), dass alle Pflanzen, die der Vater nicht gepflanzt hat, ausgerottet werden müssen. Schließlich wird als Zweck der Pflanzung angegeben, dass wir Gottes Ruhm verherrlichen und seine Tugenden verkündigen sollen, wie dies auch Paulus vortrefflich darlegt (Eph. 1, 12).
V. 22. Aus dem Kleinsten sollen tausend werden. Hier erfolgt wiederum eine Bestätigung der früheren Aussagen: Wie gering an Zahl sie auch sein möge, die Gemeinde Gottes wird doch sehr volkreich werden. Als der Prophet dies vorhersagte, war die Volksmenge noch sehr groß, aber darnach wurde sie so vermindert, dass nur geringe Überreste blieben, wie wir im 1. und 10. Kapitel lasen. Diese kleine Schar aber wird sich, wie er sagt, so vermehren, dass das Volk ungeheuer zahlreich und groß an Macht werden wird. Was nun den Juden gesagt ist, gilt nach meiner Meinung auch uns heute noch: wie gering und schwach wir auch sein und wie sehr wir auch dem Untergang geweiht scheinen mögen, dennoch kann die Gemeinde nicht untergehen, sondern muss sich stark vermehren und ausbreiten. Denn sie ist eine Pflanzung Gottes, die nicht nach dem äußeren Schein noch nach der Zahl und Macht der Menschen beurteilt werden darf.
Ich, der Herr usw. Jetzt zeigt der Prophet, in welcher Absicht er das alles sagte, was wir hörten: wir sollen Gott nicht den Menschen gleichstellen, deren Bestrebungen und Unternehmungen so leicht vereitelt werden. Diese erreichen nichts, auch wenn sie sich vornehmen, ein Königreich oder den Erdkreis zu verändern. Der Herr aber kann alles in einem Augenblick verwandeln. Der Prophet redet also nicht von dem gewöhnlichen Regiment des Herrn, sondern von seinem wunderbaren Werk der Befreiung und Ausbreitung der Gemeinde. Am Schluss des Verses heißt es, der Herr wolle solches eilend ausrichten. Der Prophet fügt aber ein bemerkenswertes Wort ein: zu ihrer, d. h. der Gemeinde, Zeit. Die Übersetzung „zu seiner Zeit“ und die Beziehung auf Gott ist nämlich irreführend. Die Meinung ist, dass der Gemeinde ihre Zeit bestimmt ward, in der sie erlöst werden soll. Darin liegt für die Gläubigen eine Mahnung zur Geduld: sie sollen nicht kopfüber voranstürzen, sondern sich an Gottes ewigen Ratschluss hängen, der die Abschnitte der Zeit richtig einzuteilen weiß. Zuerst weist der Prophet also auf den richtigen Zeitpunkt hin, in dem die Befreiung für die Gemeinde nützlich ist. Wir können das freilich nicht verstehen, weil wir, was Gott verheißt, sofort in die Hand bekommen wollen und ungeduldig über sein Verziehen werden. Der Herr aber schiebt die Sache auf zu unserem Besten, weil die rechte Zeit noch nicht da ist. Sodann spricht der Prophet über die Eile Gottes. Der Herr scheint uns, wenn er zögert, untätig und kraftlos zu sein, während er doch eilt, um zur rechten Zeit, die er ja kennt, alles auszuführen.