Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 55.
V. 1. Wohlan alle, die ihr durstig seid usw. Hier predigt der Prophet in herrlicher Weise die Güte Gottes, die sich in außergewöhnlich reichlichem Maße über die Gemeinde ergießen sollte unter der Herrschaft Christi, dem alle Schätze der Gnade Gottes übergeben waren. Denn mit ihm hat sich uns Gott völlig dargestellt, sodass in Wahrheit das Wort bei Johannes (1, 16) erfüllt ist: Wir haben alle aus seiner Fülle genommen und Gnade um Gnade empfangen. Zwar waren die Väter unter dem Gesetz nicht ohne jede Erfahrung der göttlichen Güte und der geistlichen Wohltaten, wie sie hier beschrieben werden. David spricht (Ps. 31, 20): „Wie groß ist deine Güte, die du verborgen hast für die, die dich fürchten!“ Aber viel reichlicher und völliger hat Gott diese Güte in Christo ausströmen lassen. Somit haben wir hier eine herrliche Anpreisung der göttlichen, im Reiche Christi für uns vorhandenen Gnade. Der Prophet redet auch nicht von einem einmaligen Ereignis, sondern von etwas, das täglich geschieht, solange uns der Herr zum Genuss aller Güter durch seine Verkündigung einlädt. Das Wort „Wasser “ beziehen einige auf die Lehre des Evangeliums, andere auf den heiligen Geist, aber beide urteilen nach meiner Meinung unrichtig. Die Ausleger, welche darunter die Lehre des Evangeliums verstehen und sie dem Gesetz (von dem der Prophet nach Meinung der Juden hier redet) entgegenstellen, erfassen nur einen Teil dessen, was der Prophet will. Die andern, welche an den heiligen Geist denken, können schon auf mehr Beifall rechnen; sie weisen hin auf jenes Wort bei Johannes (4, 10): „Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser.“ Und kurz nachher scheint Christus selbst diese Stelle zu erläutern, wenn er sagt: „Wer das Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Für mich aber ist es zweifellos, dass Jesaja unter diesen Bezeichnungen: Wasser, Milch, Wein, Brot, alles begreift, was zum geistlichen Leben notwendig ist. Die Vergleichungen sind hergenommen von unseren täglichen Nahrungsmitteln. Wie wir uns von Brot, Wein, Milch, Wasser ernähren, so soll unsere Seele sich von der Lehre des Evangeliums, vom heiligen Geist und anderen Gaben Christi nähren und erhalten. – Der Prophet ruft nun mit lauter Stimme: „Wohlan!“ weil unter den Menschen eine solche Stumpfheit herrscht, dass sie sich nur schwer aufrütteln lassen. Ihren Mangel erkennen sie nicht, obgleich sie hungrig sind; nach der Speise haben sie kein Verlangen, die sie doch im höchsten Maße bedürfen. Daher muss man ihre Stumpfheit durch lautes, anhaltendes Rufen zu vertreiben suchen. Umso schändlicher und bedauernswerter ist die Trägheit solcher, die gegen diese Aufmunterung sich taub verhalten oder trotz so starker Aufrüttelung in ihrer Gleichgültigkeit verharren. Die Einladung ist nun eine allgemeine; jedermann bedarf dieses Wassers, jedermann hat Christum nötig. Daher lädt der Herr alle ausnahmslos ein, ohne Ansehen der Person. Aber so tief gesunken sind die Menschen, dass sie trotz der Erkenntnis ihrer Hilfsbedürftigkeit allerlei Gründe ersinnen, durch die sie die Wohltaten Christi ausschlagen können und eher dem Teufel, der ihnen doch mannigfache Hindernisse bereitet, Glauben schenken, als dieser gütigen Einladung. Darum muss man auf die rechte Bedingung zum Empfang dieser Gnade achten. Auf sie deuten die Worte: „die ihr durstig seid.“ Denn Leute, die von eitlem Selbstvertrauen geschwollen sind, oder, berauscht von irdischen Begierden, nicht den Hunger der Seele fühlen, werden Christo nicht Raum geben; sie haben ja keinen Geschmack an geistlichen Gaben. Sie gleichen solchen, die der Nahrung zwar bedürfen, aber, an Blähungen leidend, bei dem Essen Ekel empfinden, oder die, von Eitelkeit erfüllt, an ihrer eigenen Stumpfheit sich sättigen, als ob sie nichts bedürften. So kommen Leute, die sich in Übermut oder in falschem Vertrauen auf ihre eigene Gerechtigkeit blähen oder von den Lüsten des Fleisches ebenso wie von schläfriger Gleichgültigkeit erfasst sind, zur Abweisung und Verschmähung der göttlichen Gnade. Durst also, d. h. glühendes Verlangen, muss bei uns vorhanden sein, damit wir solcher Wohltaten teilhaftig werden können.
Kauft ohne Geld! Den Menschen steht, wenngleich sie arm sind und den größten Mangel leiden, doch der Zugang zu Christus offen, der diese Wohltaten umsonst spendet. Sollte aber jemand fragen, wie dieses „Kaufen ohne Geld“ gemeint ist, so ist zu antworten, dass mit „Kaufen“ die Art und Weise des Erwerbs einer Sache bezeichnet wird; mit dem Preis ist die Mühe und Anstrengung oder die sonstige Weise des Erwerbs gemeint. Wir aber sind, wie der Herr uns hier zeigt, arm und ganz bloß und können uns gar keinen Verdienst vor Gott erwerben. Aber wir werden gütig eingeladen, uns alles umsonst, ohne Gegenleistung von ihm schenken zu lassen.
V. 2. Warum zählt ihr Geld dar? usw. Gott klagt über die Undankbarkeit und Torheit der Menschen, weil sie seine Güte, in der er alles freiwillig anbietet, verschmähen und zurückweisen, inzwischen sich aber mit mannigfachen törichten Dingen quälen, die ihnen nichts helfen. So sehr sind ja die Menschen vom Teufel bezaubert, dass sie lieber durch Wüsten irren und sich selbst nutzlos quälen wollen, als ruhen in der dargebotenen Gnade Gottes. Die Erfahrung unserer Zeit lehrt zur Genüge, dass der Prophet nicht nur über sein eigenes Volk sich beschwert, sondern sich gegen alle Menschen wendet, welcher Zeit auch immer sie angehören mögen. Denn alle Nachkommen Adams sind so betört, dass sie im Suchen nach dem himmlischen Leben völlig auf Irrwegen gehen und eher ihren nichtigen Meinungen folgen als der Stimme Gottes. Der Prophet beklagt sich nicht über die Trägheit derjenigen, die sich und Gott völlig vergessen und über das geistliche Leben der Seele nicht nachdenken – und ihrer gibt es ja viele -, sondern über diejenigen, die zwar nach diesem Leben trachten, aber doch den rechten Weg zu seiner Erlangung nicht gehen und unsicher durch wüste und unwegsame Gegenden irren. Hier werden also alle Mittel und Weg verurteilt, welche die Menschen sich außerhalb des göttlichen Wortes zur Heilserlangung ausdenken. Es sind unnütze Anwendungen. Denn das Wort „Geld“ soll alle Mühe, Anstrengung und Arbeit der Menschen bezeichnen, - nicht als ob Gott selbst, was wir zwecklos zu seiner Verehrung aufwenden, auch nur einen Heller wert achtete, sondern weil unser fleischlicher Sinn solche Mühen, mit denen wir uns törichterweise belasten, als äußerst wertvoll einschätzt.
Da kein Brot ist. Hier wird mit dem Wort „Brot“ dasselbe bezeichnet, wie vorher mit Wasser. Ebenso meint das Wort „Arbeit“ das gleiche, was vorher „Geld“ hieß. Der Satz will sagen, dass die Menschen sich erfolglos abmühen, dass sie, wenn sie ihren eigenen Plänen folgen, trotz der ernstesten Mühe und Anstrengung keinen Lohn zu erwarten haben. Alle, die so unvernünftig sich abquälen, werden nie satt. Niemals können Leute, die Gott verlassen und neue Wege des Heils zu gehen versuchen, satt werden, denn sie nähren sich vom Winde, wie Hosea sagt (12, 2). Sie können sich zwar für satt halten, aber nur solange als sie voll eitlen Vertrauens sind. Besser wäre es, sie würden gequält von Hunger und Durst, damit sie dadurch zur ernsthaften Anrufung Gottes kämen, wie es im Psalm (143, 6) heißt: „Meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land.“ Nicht Brot allein oder Wasser allein würde genügen zur Sättigung; auch würde keines von beiden allein das Leben erhalten. Darum braucht der Prophet verschiedene Ausdrücke, um zu zeigen, dass alles zum Leben Notwendige uns reichlich von Gott gewährt wird; wir sollen eben nicht von anderswoher Hilfe suchen. Da aber ein jeder durch eigenen Entschluss in den Irrtum gezogen wird und alle, die Gott verlassen, sich in verkehrten Bestrebungen verlieren, so gibt der Prophet ein Mittel dagegen an; wir sollen uns ganz an Gottes Mund hängen: Hört mir doch zu! Keiner, der sich seinem Worte unterwirft, braucht zu fürchten, dass er sich umsonst müht. Hier erkennt man die wunderbare Güte Gottes, der seine Gnade auch den undankbaren und unwürdigen Menschen anbietet. Aber eine Bedingung fügt er hinzu: Der Weg zum Leben steht nur dann offen, wenn wir selbst ihn hören. Und wie Taubheit gegen Gottes Wort die Ursache unseres Verderbens ist, so steht der Weg zum Leben nur dann offen, wenn wir unsere Ohren ihm öffnen. Um desto mehr Eindruck zu machen, wiederholt er dieselbe Mahnung. Um uns desto mehr anzufeuern, bezeugt er, dass es allein unsere Schuld sei, wenn wir nicht durch die ganze Fülle der göttlichen Güter bis zur Sättigung erquickt werden.
V. 3. Neigt eure Ohren usw. Aus der Wortfülle dieses Verses wird noch deutlicher, was wir schon sagten, dass nämlich Gott nichts unterlässt, unser Zaudern zu überwinden und uns aufzurütteln. Darin ist freilich der Vorwurf enthalten, dass diejenigen, die der gütigen Einladung nicht sofort Folge leisten, doch wohl zu träge sein müssen. Aus dieser bemerkenswerten Stelle erhellt, dass unser ganzes Glück auf dem Gehorsam gegen das Wort Gottes beruht. Wenn Gott so redet, dann hat er sich vorgenommen, uns zum Leben zu führen. Eine Schuld liegt dann nur bei uns, weil wir dies heilsame und lebenspendende Wort gering schätzen. Wenn übrigens Gott nur vorschriebe, was wir tun müssten, dann würde er uns zwar den Weg zur Erlangung des Lebens anbefehlen, aber es hätte keinen Erfolg. Denn das Gesetz, das aus dem Munde Gottes hervorging, ist ein Amt des Todes (2. Kor. 3, 6 ff.). Aber wenn er uns zu sich einlädt, wenn er uns in die Kindschaft aufnimmt, wenn er Sündenvergebung und Heiligung verheißt, so ist der Erfolg, dass die, welche dies hören, das Leben von ihm empfangen. Wir müssen also hier auf die Leben spendende Weise der prophetischen Verkündigung unser Augenmerk richten, damit wir das Heil suchen. Hierbei erkennen wir, dass es keine Hoffnung auf Heil gibt ohne Gehorsam gegen Gott und sein Wort. Auch wird hier das ganze Menschengeschlecht dessen versichert, dass Unwissenheit nicht entschuldigt. Denn wer es nicht der Mühe für wert hält, zu hören, kann nichts Begründetes zu seiner Verteidigung vorbringen. Dass aber, wie gesagt, der Ruf so oft wiederholt wird, ist ein Beweis der Geduld Gottes. Nicht einmal nur lädt er uns ein, sondern er mahnt, sobald er unser Zögern sieht, immer wieder, um unsere Herzenshärtigkeit zu überwinden. Nicht sofort also verwirft er diejenigen, die ihn zurückweisen, sondern erst nach wiederholter Einladung. Hier wird auch, indem der Herr uns zu sich kommen heißt, das Wesen des Glaubens zum Ausdruck gebracht: den Herrn muss man so hören, dass Frucht daraus hervorgeht. Diejenigen, die das Wort des Herrn im Glauben erfassen, kommen willig und freudig zu Gott, legen ihre Begierden ab, verleugnen die Welt und sprengen so gleichsam die Fesseln. Der Glaube aber kann nicht gewonnen werden ohne Hören, d. h. ohne Erkenntnis des Wortes Gottes. Darum befiehlt er, zuerst zu hören und dann sich ihm zu nahen. So oft also vom Glauben die Rede ist, wollen wir uns daran erinnern, dass er am Worte hangen muss, welches seine Grundlage bildet.
Ich will mit euch einen ewigen Bund machen. Man kann fragen, ob nicht die Juden bereits früher ein einen ewigen Bund mit Gott getreten waren. Er scheint hier ja etwas Neues und Ungewöhnliches zu verheißen. Ich antworte: Es wird hier nichts Neues verheißen, was Gott nicht schon früher dem Volke feierlich zugesagt hätte, sondern es handelt sich um eine Erneuerung und Bestätigung des Bundes, damit die Juden wegen der lang andauernden Verbannung denselben nicht für hinfällig erachten möchten. Denn als sie aus dem ihnen verheißenen Lande vertrieben waren, als sie keinen Tempel, kein Opfer, kein Bundeszeichen außer der Beschneidung hatten, wer von ihnen hätte da nicht zu der Meinung kommen können, es sei alles zu Ende? Jesaja hat also seine Ausdrucksweise dem Verständnis des Volkes angepasst; es sollte den mit den Vätern geschlossenen Bund Gottes als gültig, fest und ewig und nicht als veränderlich und zeitweilig ansehen. Ebendasselbe meint der Herr mit den Gnaden Davids; zugleich aber bezeichnet dies Wort den Bund als einen aus Gnaden gewährten, da er auf keinem anderen Grunde als auf der reinen Güte Gottes ruht. So oft uns also in der heiligen Schrift das Wort Bund begegnet, müssen wir zugleich an das Wort Gnade denken. Von gewissen Gnaden aber ist die Rede, weil Gott in diesem Bunde seine Wahrhaftigkeit beweisen will. Ja, er ist jetzt schon wahrhaftig und beständig und kann keiner Untreue beschuldigt werden, als ob er seinen Bund verletzt hätte; vielmehr sind die Juden bundbrüchig und treulos wegen ihres Abfalls von ihm; ihn aber gereuen sein Bund und seine Verheißung nicht. Gnaden Davids nennt er diesen jetzt feierlich bestätigten Bund, weil er in Davids Hand geschlossen war. Der Herr hat diesen Bund einst mit Abraham festgesetzt, dann durch Mose bestätigt, endlich in Davids Hand seine ewige Geltung feierlich verordnet. So oft also die Juden über ihren Erlöser, d. h. über ihr Heil, nachdachten, mussten sie sich Davids erinnern, der gleichsam als Vermittler die Rolle Christi spielte. David kommt hier aber nicht als Privatmann, sondern mit seiner Würde und Stellung in Betracht. Überdies muss man sich die Verhältnisse jener Zeit vergegenwärtigen. Denn als in der babylonischen Verbannung die königliche Würde völlig beseitigt und der Name des königlichen Geschlechtes unberühmt und geringwertig geworden war, konnte es scheinen, als ob durch den Untergang jener Familie die göttliche Wahrheit zusammengebrochen sei. Darum befiehlt er, den zerstört gewesenen Thron Davids im Glauben anzuschauen.
V. 4. Siehe, ich habe ihn den Leuten zum Zeugen gestellt. Hier legt der Prophet noch deutlicher dar, weswegen er an David erinnert: in seiner Hand war ja die Verheißung von dem kommenden Erlöser niedergelegt worden. So will Jesaja uns nicht bei David festhalten, sondern uns von ihm unmittelbar zu Christo führen. Er will sagen: Kommen wird einst jener Nachfolger Davids, durch dessen Hand völliges Heil und Glück verheißen ist. Dadurch, dass er ihn den „Zeugen“ nennt, bezeichnet er den Bund in Christo als wahr und fest. Das Wort Zeuge ist bedeutungsvoll; es drückt aus, dass die Bestätigung dieses Bundes in Christo erfolgen wird, der die Wahrheit Gottes offenbart. Er bezeugt es ja, dass Gott nicht trügt. Dieses Zeugnis hat aber seinen Grund in seiner Verkündigung und Lehre. Wenn diese nicht hinzukämen, würden wir zu wenig Nutzen haben von dem Kommen Christi; wie es im Psalm (2, 7) heißt: „Melden will ich von einem Gesetz.“ In diesem Sinne sagt auch Jesaja anderswo (49, 2), Christus werde einen Mund gleich einem Schwert oder Pfeil haben. Dass er zum Fürsten und Gebieter gesetzt sein soll, wird hinzugefügt, um uns auf seine Lehre desto achtsamer zu machen. Denn wenn wir nicht seiner Rede lauschen und nicht im festen Glauben das, was er uns über den Willen des Vaters verkündigt, erfassen, verliert seine Wirksamkeit ihren Erfolg. So erschallt ja der Name Christi laut genug in der Papstkirche, aber da man ihn nicht als Lehrer und Erzieher gelten lassen will, auch ihn nur dem Namen nach anerkennt, so ist das Rühmen jener Menschen eitel und nichtig. Das Wort „den Völkern“ ist als eine Steigerung hinzugefügt: die Gemeinde kann nicht die frühere Würde erlangen, geschweige darin zunehmen, ohne dass die Heiden ihr hinzugefügt werden. Daher muss die Stimme Christi bis zu den entferntesten Ländern dringen. Denn er ist als Zeuge, Führer und Gebieter für das ganze menschliche Geschlecht bestimmt.
V. 5. Siehe, du wirst Heiden rufen usw. Jesaja erklärt hier die vorherigen kurzen Angaben ausführlicher. Christum bezeichnet er als den zukünftigen Führer nicht eines Volkes, sondern aller Völker. Dass er die Völker „rufen“ wird, bedeutet, dass sie sein Besitztum werden. Es besteht ja eine wechselseitige Beziehung zwischen Rufen und Antworten. Christus ruft also als einer, der mit der höchsten Macht ausgestattet ist, für sein Reich. Er ruft die Heiden, um sie zu unterwerfen und unter sein Wort zu beugen. Sie werden aber zum Gehorsam willig sein, obwohl er sie bisher nicht kannte; nicht als ob der Sohn Gottes, durch den sie geschaffen wurden, von ihnen überhaupt nichts gewusst hätte, - aber sie kamen nicht eher in Betracht, als bis sie als Glieder der Gemeinde mitgezählt wurden. Gott hatte ja die Juden sich zum Eigentum berufen, die Heiden schienen ausgeschlossen zu sein, als ob sie in gar keiner Beziehung zu ihm ständen. Nun aber verheißt er, dass Christus, den er anredet, sie sich unterwerfen werde, mögen sie seiner Herrschaft früher auch noch so ferne gestanden haben. Ganz dasselbe sagt das Folgende. Anschaulich wird vorgeführt, wie die Gemeinde aus verschiedenen Völkern sich sammelt, indem Leute, die bis dahin getrennt waren, auf ein Ziel zusammenstreben. Dass sie zu Christo laufen, beschreibt den gemeinsamen Zielpunkt ihres Glaubens. Hieß es vorher, dass die Heiden Christo unbekannt gewesen seien, so hat es nun einen anderen Sinn, wenn wir lesen: Heiden, die dich nicht kennen. Denn dass unheilige und ungläubige Menschen in Unwissenheit stecken, gilt in recht eigentlichem Sinne: sie entbehren ja das Licht der himmlischen Lehre, ohne das man keine Gotteserkenntnis besitzen kann. Obwohl allen Menschenseelen von Natur eine Gotteserkenntnis eingepflanzt ist, so ist diese doch so verwirrt und dunkel und mit so mannigfachen Wahngedanken vermischt, dass man ohne das Licht des Wortes Gott, obwohl man ihn kennt, doch nicht erkennt, sondern jämmerlich in der Finsternis umherirrt. Hier haben wir ein bemerkenswertes Zeugnis Gottes über die Berufung der Heiden, für die Christus ebenso sehr wie für die Juden bestimmt ist. Daraus entnehmen wir auch, dass Gott, wenn wir uns unter seine Herrschaft stellen, für uns sorgt, nicht nur, wie er für alle Geschöpfe sorgt, sondern wie ein Vater für seine Kinder. Dass die Heiden herbeilaufen, stellt uns die kräftige Wirkung des Rufes deutlich vor Augen. Sein Zweck ist ja, Gehorsam gegen Gott zu erzielen; wir sollen mit willigem, freudigem Geist vor ihn hintreten und aufmerksam jedem Winke folgen, wie auch Paulus (Röm. 1, 5; 16, 26) als Ziel unserer Berufung den Gehorsam hinstellt. Weil aber die Heiden so ferne von Gott waren, mussten sie sich sehr anstrengen, um alle Hindernisse zu beseitigen und wieder zu ihm zurückzukehren.
Um des Herrn willen. Dies gibt den Grund für diese schnelle Bereitwilligkeit an: die Völker erkennen, dass sie es mit Gott zu tun haben. Wollten wir Christum nur für einen Menschen halten, dann würde seine Lehre keinen großen Eindruck auf uns machen; wenn wir aber in ihm Gott erfassen, dann werden wir von wunderbarer Glut entflammt. Christus wird uns hier dargestellt als ein Diener, von Gott bestimmt, sein Werk zu vollenden. Er nimmt ja mit unserem Fleische Knechtsgestalt an und wird als einer unter vielen anderen dem Willen des Vaters untertan. Übrigens muss man das festhalten, was wir früher schon häufig über die Verbindung von Haupt und Gliedern gesagt haben. Das jetzt über Christus Gesagte bezieht sich auf den ganzen Leib. Die ganze Gemeinde hat teil an seiner Verherrlichung. Den Vorrang freilich hat immer Christus, der in die Höhe gefahren und das Oberhaupt der ganzen Welt geworden ist, damit alle Völker ihm huldigen. Die Menschen sollen also nach der Meinung des Propheten Christo gehorchen und seiner Lehrer sich unterwerfen, weil Gott ihn erhoben hat und will, dass alle Sterblichen von seiner Erhabenheit Kenntnis besitzen. Die Verkündigung des Evangeliums würde ja zu wenig Erfolg haben, wenn Gott nicht durch seinen Geist seiner Verkündigung Kraft und Wirksamkeit verliehe.
V. 6. Suchet den Herrn usw. Nach der Erörterung über den Erfolg des Evangeliums unter den Heiden, die vorher dem Reiche Gottes ferne standen, feuert der Prophet die Juden an; sie müssten sich ja schämen, wenn sie müßig die Hände in den Schoß legten, während andere eifrig laufen. Da sie in erster Linie berufen sind, wäre es schimpflich, wenn sie die Letzten würden. Diese Aufforderung richtet sich also recht eigentlich an die Juden, denen das Beispiel der Heiden zur Nacheiferung vorgehalten wird; hat doch auch der Herr vorhergesagt, dass er die Juden durch ein törichtes Volk zur Nacheiferung herausfordern wolle (5. Mose 32, 21 vgl. Röm. 10, 19).
So lang er zu finden ist, buchstäblich: „zur Zeit des Findens.“ Im 32. Psalm (V. 6) begegnen wir einem ähnlichen Ausdruck: aber der Sinn deckt sich wenigstens nicht völlig. Hier ist eine Zeit gemeint, in welcher Gott sich anbietet, - wie er denn auch laut einer anderen Stelle (Jes. 49, 8 vgl. 2. Kor. 6, 2) Zeit und Tag für seine Gnade und sein Heil festgesetzt hat. Doch gebe ich gerne zu, dass zugleich eine Zeit gemeint ist, wo die Not zum Suchen nach der Hilfe Gottes drängt. Doch muss man das vor allem festhalten, dass Gott dann am bequemsten von uns gesucht werden kann, wenn er uns selbst aus freien Stücken entgegenkommt. Die Schlaffen und Trägen beklagen sich ohne Grund über den Verlust der Gnade, weil sie dieselbe ja zurückgewiesen haben. Der Herr duldet eine Zeitlang unser Zögern und trägt uns, aber wenn kein Erfolg sich zeigt, wendet er sich weg und bietet seine Gnade anderen an. Deshalb mahnt Christus, man müsse am Tage wandeln, es käme die Nacht, da man nicht wandeln könne (Joh. 9, 4). Es muss uns dies einen großen Trost gewähren, wenn wir hören, dass wir Gott nicht vergeblich suchen. Suchet, sagt Christus (Mt. 7, 7 f.), so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan; bittet, so wird euch gegeben! Man kann das Wort „suchen“ ganz allgemein fassen, ich glaube aber, es ist hier eine ganz besondere Art des Gottsuchens gemeint, nämlich die Aufforderung, mit Gelübden und Gebeten zu ihm seine Zuflucht zu nehmen. „Nahe“ aber ist er uns, wenn er uns die Türen öffnet und uns freudig zu sich einlädt oder wenn er mitten auf den Weg tritt, damit wir ihn nicht auf weiten Umwegen zu suchen brauchen. Solang er nahe ist. Dabei ist zu denken an die Erklärung Pauli (Röm. 10, 8), der darunter die Predigt des Evangeliums verstanden wissen will. Der Herr ist nahe und bietet sich uns an, wenn die Stimme des Evangeliums an unser Ohr dringt. Man braucht ihn auch nicht in der Ferne zu suchen, auch ist kein großer Umweg nötig, wie ihn die Ungläubigen gehen. Er bietet sich an in seinem Worte, und daraufhin sollen wir zu ihm gehen.
V. 7. Der Gottlose lasse von seinem Wege usw. Hier wird die vorhergehende Ausführung bestätigt. Während der Prophet die Menschen zur Annahme der göttlichen Gnade aufgerufen hat, beschreibt er jetzt die Art und Weise des Annehmens ausführlicher. Wir wissen ja, wie die Heuchler immer mit aller Kraft Gott anrufen, so oft sie Erleichterung in ihren Nöten begehren, während sie doch dabei hartnäckig ihr Herz ihm verschließen. Damit nun die Juden bei ihrem Gottsuchen sich keiner Täuschung hingeben, ermahnt er sie zu aufrichtiger Frömmigkeit. Daraus ergibt sich für uns, dass die Predigt von der Buße immer mit der Heilsverheißung verbunden sein muss. Denn die Menschen können die Gnade Gottes nicht anders erfahren, als wenn sie an sich selbst in ihren Sünden Missfallen haben und sich von sich selbst und der Welt lossagen. Auch hier wird keiner ernstlich nach der Versöhnung mit Gott und nach dem Erwerb der Sündenvergebung trachten, der nicht wirklich von dem Verlangen nach Erneuerung getrieben wird. In drei Wendungen erläutert der Prophet nun das Wesen der Buße. Erstens: der Gottlose möge seinen Weg verlassen, zweitens: der Übeltäter seine Gedanken, drittens: er möge zurückkehren zum Herrn. Mit dem Wort „Weg“ meint er die gesamte Lebensführung und fordert also, dass man Früchte der Gerechtigkeit als Zeugnis der Erneuerung hervorbringen solle. Durch die Hinzufügung der „Gedanken“ wird ausgedrückt, dass man nicht bloß das äußere Verhalten bessern, sondern mit dem Herzen den Anfang machen muss. Denn wenn unsere Lebensführung auch bei den Menschen den Eindruck der Besserung macht, so wird doch nur wenig erzielt, wenn die Seele sich nicht ändert. Die Buße umfasst also eine Änderung des ganzen Menschen. Bei dem Menschen ziehen wir ja seine Triebe, seine Entschlüsse und seine Taten in Betracht. Die Taten werden den Menschen offenbar, die innere Wurzel aber ist verborgen. Diese letztere aber muss zuerst geändert werden, damit man nützliche Werke zu verrichten fähig werde. Besonders muss man alle Unsauberkeit der Gesinnung beseitigen, alle niedrigen Begierden ablegen; äußere Zeugnisse der Besserung müssen dann hinzukommen. Wenn einer sich seiner Änderung rühmt, aber dabei doch in alter Weise weiterlebt, dessen Rühmen ist eitel. Denn beides wird gefordert: Bekehrung des Herzens und Änderung des Lebens. Übrigens lässt Gott seine Forderung, man solle sich zu ihm bekehren, nicht eher ergehen, als er auch das Mittel zur Umkehr aus dem Abfall an die Hand gibt. Denn gern würden die Heuchler es sich gefallen lassen, dass man ihnen das Rechte und Gute anpreist, - wenn sie nur dabei ruhig in ihrem Schmutz verharren dürften. Aber wir können keine Gemeinschaft mit Gott haben, wenn wir uns nicht von uns selbst lossagen, besonders nachdem wir uns von ihm durch schändlichen Abfall entfernt haben. Deshalb ist es die rechte Reihenfolge, dass man zuerst sich selbst absage, dann sich dem Herrn anschließe.
So wird er sich erbarmen. Hier muss man genau auf den Zusammenhang achten. Denn der Prophet zeigt, dass die Menschen nicht anders als durch das dargebotene Vertrauen auf Vergebung zur Buße gebracht werden können. Wer also die Lehre von der Buße noch so sorgfältig behandelt und nicht hinweist auf die Barmherzigkeit Gottes und die umsonst angebotene Versöhnung, der gibt sich vergebliche Mühe. Fürwahr, der Sünder wird den Anblick Gottes immer fliehen, wenn und solange er zur Rechenschaft vor seinen Richterstuhl gezogen wird; und nur dann, wenn seine Seele Frieden gefunden hat, wird er zum Gehorsam und zur Gottesfurcht willig werden. Weil es überhaupt schwierig ist, erschrockene Gemüter von ihrer Angst zu befreien, so folgert Jesaja schon aus dem Wesen Gottes seine gnädige, gern erhörende Gesinnung: denn bei ihm ist viel Vergebung. Der heilige Geist legt aber gerade deswegen Nachdruck auf dieses Lehrstück, weil wir immer zweifeln, ob Gott uns verzeihen wolle. Denn wenn wir auch manchmal einen Gedanken an Gottes Barmherzigkeit fassen, so wagen wir doch nicht, die feste Überzeugung zu ergreifen, dass sie sich auf uns bezieht. Dieser Zusatz steht also nicht umsonst da; wir sollen an Gottes großer Güte gegen uns nicht zweifeln und nicht zaudernd fernbleiben.
V. 8. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken usw. Einige Ausleger deuten diese Sätze auf die törichte Meinung, die wir uns von unserer Gerechtigkeit machen, und die wir aufgeben müssen, sollen wir anders Zugang zu Gott gewinnen. Suchen doch nur solche Leute den Arzt auf, die an schmerzvoller Krankheit leiden, damit sie Heilmittel und Gesundheit erlangen. Deshalb vergleicht man diese Stelle mit dem Worte Christi (Lk. 16, 15): „Was hoch ist unter den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott.“ Mir scheint jedoch, dass andere Erklärer mehr Recht haben, die hier den Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Empfindung ausgedrückt sehen wollen. Denn die Menschen pflegen Gott nach sich selbst zu beurteilen. Da sie selbst leicht sich erzürnen und sehr schwer sich versöhnen lassen, glauben sie auch an eine Unversöhnlichkeit Gottes, sobald sie ihn einmal beleidigt haben. Aber der Herr weist darauf hin, dass er sich völlig von den Menschen unterscheide. Er will etwa sagen: Ich bin kein sterblicher Mensch, dass ich mich euch hart und unversöhnlich zeigen müsste; meine Gedanken sind von den eurigen weit verschieden. Wenn ihr euch auch schwer erbitten und versöhnen lasst mit denen, die euch Unrecht getan, - ich gleiche euch nicht in solchem lieblosen Verhalten. Hierzu stimmt vortrefflich das Wort Davids (Ps. 103, 11), welcher von Gottes Barmherzigkeit rühmt, dass sie so hoch sei, wie der Himmel über der Erde ist. Es ist eben niemand so gütig und zum Verzeihen bereit wie Gott. Darum hat nur unser Misstrauen Schuld, wenn wir keine Vergebung von ihm empfangen. Nichts aber kann unser Gewissen mehr beunruhigen, als wenn wir Gott uns ähnlich denken. Dann wagen wir es nicht, zu ihm zu gehen, fliehen ihn wie einen Feind und sind immer unruhig. Eine falsche, ja völlig dem Wesen Gottes widersprechende Vorstellung machen sich also diejenigen, die ihn nach ihrem Maße messen; sie können ihm sicher keine schwerere Beleidigung zufügen. Sollten sich aber die von sündigen Leidenschaften erfüllten und verderbten Menschen nicht schämen, das erhabene und reine Wesen Gottes mit ihrem Wesen zu vergleichen und das Unendliche in das Endliche hinein zu bannen, von dem sie selbst sich so elend gefesselt sehen? Kein Zuchthaus kann uns fester einschließen, als es unser eigener Unglaube tut! Alles in allem will der Prophet sagen, dass die Menschen sich selbst vergessen müssen, wenn sie sich zu Gott bekehren wollen. Es gibt aber dabei kein größeres und verderblicheres Hindernis, als wenn wir Gott für unerbittlich halten. Übrigens wird auch hier der große Irrtum derjenigen offenbar, die Gottes Gnade missbrauchen, um desto größere Freiheit zum Sündigen zu haben. Denn des Propheten Beweisführung lautet: Seid verständig, verlasst eure Wege, denn die Gnade des Herrn ist unendlich. Wenn nun die Menschen verzagen oder zweifeln, ob sie Vergebung erlangen werden, so pflegen sie nur schlechter und verstockter zu werden, die Erfahrung der Barmherzigkeit aber lockt sie an und bekehrt sie. Daraus folgt, dass niemand einen Anteil an der Gnade hat, der nicht von seinem sündigen Leben absteht und innerlich umkehrt.
V. 10. Denn gleichwie der Regen usw. Nach der Schilderung der freundlichen und unendlich gütigen Gesinnung Gottes gegen uns stellt der Prophet uns wieder die Verheißungen vor die Seele. Im Vertrauen auf sie werden wir furchtlos alle Übel überwinden. Eine Erörterung über das Wesen und den verborgenen Ratschluss Gottes würde uns kaum einen Nutzen verschaffen, wenn wir nicht zum Worte, in dem er sich uns offenbart, zurückgerufen würden. Gott spricht darin so deutlich zu uns, dass ein längeres Fragen überflüssig ist. Wir müssen uns also an sein Wort wenden, in dem sein Wille uns deutlich gesagt wird: alle unsere Sinne sollen sich innerhalb dieser Grenzen halten. Tun wir das nicht, so bleiben wir in unsicherem Schwanken und Zweifeln, was über uns beschlossen sei, auch wenn Gott hundertmal erklärt hat, dass er ganz anders ist als die Menschen. Mag man dies auch zugestehen, so will man doch Gewissheit über sich und sein Heil haben. Deshalb müssen wir sorgfältig auf die vom Propheten bestimmte Ordnung achten. So rief auch Mose das Volk zur Erkenntnis des Wortes zurück (5. Mose 30, 11 ff.): „Spricht nicht: Wer will hinauf gen Himmel fahren, oder wer will in die Tiefe fahren? Das Wort ist dir nahe in deinem Munde und in deinem Herzen.“ Und Paulus fügt hinzu (Röm. 10, 8): „Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen.“ Der Prophet nimmt ein besonders passendes Bild aus der täglichen Erfahrung. Wenn wir an dem Regen, der die Erde befeuchtet und fruchtbar macht, eine große Wirkung sehen, eine viel größere noch hat Gott in sein Wort gelegt. Denn das Wasser verschwindet und ist dem Verderben ausgesetzt, das Wort aber ist ewig, unveränderlich und unvergänglich, es kann nicht wie der Regen verschwinden. Um die Worte des Propheten noch besser zu verstehen, müssen wir auf den von ihm beabsichtigten Zweck achten. Die Menschen zweifeln, ob Gott das, was er im Worte verheißen hat, wirklich erfüllen werde, denn wir betrachten das Wort gleichsam als in der Luft schwebend ohne seine Wirkungen. Wie unberechtigt das ist, zeigt der Herr an der Ordnung der Natur. Denn dem Worte weniger Wirksamkeit beizumessen als der stummen Kreatur, wäre die größte Torheit. So wird uns eingeprägt, dass das Wort niemals ohne Wirkung bleibt. Einige verstehen dies so, dass die Verkündigung des Evangeliums niemals umsonst sei, sondern immer irgendeine Frucht hervorbringe. Das ist an und für sich richtig: Gott wirkt durch seinen Geist und gibt Gedeihen, damit die Arbeit seiner Diener nicht umsonst geschehe. Aber der Prophet will noch etwas anderes ausdrücken, nämlich dass Gott seine Verheißungen nicht umsonst kund tut oder in den Wind wirft, und dass wir endlich ihre Frucht sehen werden, wenn wir ihm nur nicht durch unseren Unglauben widerstehen. Eine doppelte Wirkung des befeuchtenden und befruchtenden Regens wird hier ausgesagt: zunächst haben die Menschen reichlich Nahrung, sodann auch Vorrat zum Säen für das nächste Jahr. Wenn also in den vergänglichen Dingen Gottes Kraft so groß ist, was dürfen wir dann nicht von seinem Wort erwarten?
V. 11. Also soll das Wort, so aus meinem Munde geht usw. Das Wort geht aus dem Munde Gottes zugleich mit dem Wort aus Menschenmund. Denn Gott redet nicht mehr vom Himmel hernieder, sondern gebraucht die Menschen als seine Werkzeuge und erklärt durch ihren Dienst seinen Willen. Seine Verheißungen aber erhalten ein höheres Ansehen, wenn wir hören, dass sie aus dem heiligen Gottesmund hervorgehen. Wenn er nun auch irdische Zeugen gebraucht, so soll doch alles, was sie verheißen, sicher und fest sein. Um nun die Kraft und Wirksamkeit der Predigt den Menschen einzuprägen, erinnert er daran, dass er nicht zwecklos jenen wertvollen Samen ausstreue, sondern ihn zum Gebrauch bestimmt; darum dürfe man an dem Erfolg nicht zweifeln. Nichts ist verhängnisvoller, als wenn die Menschen den Herrn nach sich selbst beurteilen, sodass sie dann seiner Stimme den Glauben versagen. Diese Lehre muss also öfter wiederholt und eingeschärft werden: Gott wird ausführen, was er einmal geredet hat. So oft wir nun die Verheißungen Gottes hören, müssen wir in ihnen seinen Willen erkennen und dürfen, wenn er uns die freie Vergebung der Sünden zusichert, nicht an unserer durch Christus gewirkten Versöhnung zweifeln. Wie aber das Wort Gottes wirksam ist zum Heil der Frommen, so hat es auch Kraft zum Verdammen der Gottlosen, wie auch Christus sagt (Joh. 12, 48): „Das Wort, das ich geredet habe, das wird sie richten am jüngsten Tage.“
V. 12. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen. Der Prophet bringt den Inhalt des Kapitels zum Abschluss. Seine Worte von der Barmherzigkeit Gottes sollten die Juden zu der Überzeugung bringen, dass Gott sie befreien wolle. Seine Ausführungen über die unermessliche Güte Gottes lässt er auf diesen Zweck abzielen und weist hin auf den großen Unterschied zwischen Gottes und der Menschen Gedanken. Das ist ja die rechte Lehrweise, dass man allgemeine Sätze auf den einzelnen, gegenwärtigen Fall anwendet. Schließlich redet der Prophet von der Wiederherstellung des Volkes, die von der freien Gnade Gottes abhing. Mit den Worten „Berge und Hügel“ will er andeuten, dass alles, was sonst ein störendes Hemmnis auf dem Wege hätte sein müssen, denen, die nach Jerusalem zurückkehren, als Hilfsmittel dienen wird. Durch diese Bilder will er ausdrücken, wie alle Kreaturen dem Willen Gottes beifällig zustimmen und sein Werk fördern helfen wollen. Er spielt in einer den Propheten geläufigen Weise auf die Befreiung aus Ägypten an. So heißt es auch im Psalm (114, 4 f.): „Die Berge hüpften wie die Lämmer, die Hügel wie die jungen Schafe. Was war dir, du Meer, dass du flohest, und du Jordan, dass du dich zurückwandtest?“
V. 13. Es sollen Tannen für Hecken wachsen usw. Auch diese Sätze preisen noch die Macht Gottes, die sich bei der Wiederherstellung des Volkes offenbaren wird; der Wandel aller Verhältnisse wird derartig sein, dass der Weg zur Rückkehr offen und freundlich daliegt. Einige Ausleger erklären dies allegorisch und verstehen unter den Hecken schändliche, böswillige Leute; sie würden Tannen werden, d. h. wertvoll und nützlich für die Menschen. Aber diese Auslegung erscheint mir zu spitzfindig. Wenn man aber sagt, dies beziehe sich auf das Reich Christi und müsse geistlich verstanden werden, so pflichte ich dem bei. Denn der Prophet beginnt mit dem Auszug aus Babel und hat dann den ganzen Zustand der Gemeinde bis zur Offenbarung Christi in der Welt im Auge. Christus nimmt, wenn er uns die Wohltat der Erlösung verheißt, alles Schädliche und Hinderliche weg, ja er gebraucht es zu einem anderen, ganz entgegengesetzten Zweck, sodass daraus noch ein Segen hervorgehen kann. Denn den Frommen gereicht alles zum Guten; auch das sonst verderbliche Unheil gebraucht Gott als Heilmittel zu ihrer Läuterung, damit sie nicht der Welt sich ergeben, sondern freudiger und williger werden zu seinem Dienste. Endlich wird auf den letzten Zweck der Wiederherstellung der Gemeinde hingewiesen: dem Herrn soll ein Name sein. Gottes Name soll unter den Menschen noch herrlicher leuchten, sein Gedächtnis gefeiert und erhalten werden. Er soll ein: „ewiges Zeichen“, d. h. ein Denkmal, haben. Wie auch die Gemeinde hin- und herwogt und auf mannigfaltige Weise bedrängt wird, so wird doch der Herr sie beschützen und verteidigen, weil er will, dass das Gedächtnis seines Namens immerdar währen soll.