Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 12.
V. 1. Zu derselbigen Zeit wirst du sagen: Ich danke dir usw. Jetzt ermahnt Jesaja alle Frommen zur Danksagung. Zugleich aber ist seine Absicht, die Verheißung noch glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Denn er bekräftigt sie durch diese Ermahnung: wenn den Kindern Israel ein Loblied vorgesprochen und gleichsam in den Mund gelegt wird, so dürfen sie die Verheißung für gewiss halten und brauchen nicht zu glauben, dass man sie mit eitler Hoffnung betrügt. Denn ein solcher Lobgesang hat guten und festen Grund. Zugleich erinnert der Prophet, zu welchem Zweck der Herr seiner Gemeinde Gutes tut: es soll seines Namens Gedächtnis gerühmt werden. Freilich bedarf der Herr unseres Lobes nicht, aber uns selbst ist es nützlich. Wir sollen es auch für eine Ehre halten, dass er uns würdigt, unsere Hilfe zur Ausbreitung seines Namens anzunehmen, obgleich wir durch und durch unnütz und ein Nichts sind. Der Prophet redet das ganze Volk gleichwie eine einzige Person an: denn alle Volksgenossen sollten sich zu völliger Einheit verbinden. Diesem Beispiel müssen auch wir folgen: es muss nur eine Seele und ein Mund sein, wenn wir wünschen, dass unsere Gebete und Danksagungen dem Herrn annehmbar seien.
Dass du zornig bist gewesen usw. Der Hauptinhalt des Liedes ist der, dass Gott zwar mit Recht über sein Volk zürnen musste, sich aber erhören ließ und mit einer mäßigen Züchtigung sich begnügte. Die Gläubigen erkennen also zuerst ihre Schuld an, sodann schreiben sie es der Barmherzigkeit Gottes zu, dass sie in ihrem Elend Erleichterung fanden. Sobald die Empfindung des Zornes Gottes unser Herz ergreift, treibt sie uns zur Verzweiflung, und wir müssten ganz überschüttet werden, wenn nicht alsbald Hilfe käme. Auch der Satan versucht uns auf alle Weise und greift uns mit allerlei Künsten an, damit wir den Mut verlieren. Wir müssen uns also mit dieser Erkenntnis wappnen: fühlen wir auch den Zorn Gottes, so dürfen wir doch wissen, dass er nur kurz sein wird; sobald uns der Herr gezüchtigt hat, wird sich der Trost einstellen. Übrigens sollen wir uns ins Gedächtnis rufen, dass die Strafe ein Ende hat und Gott das Übel von uns nimmt, nicht weil wir seinem Gericht gezahlt hätten, was wir schuldig waren, sondern weil er in seiner väterlichen Liebe unserer Schwachheit schont. Dieses Bekenntnis bezieht sich insbesondere auf die Frommen und Auserwählten. Wenn auch Fromme und Unfromme durch die gleichen Plagen getroffen zu werden scheinen, so ist ihre Lage doch durchaus verschieden. Denn Gottes Zorn gegen die Gottlosen währt immer, und die Plagen, welche sie treffen, sind ein Vorspiel des ewigen Verderbens: keine Erleichterung noch Trost wird ihnen verheißen. Die Frommen dagegen erfahren, dass Gottes Zorn nur kurz währt. So halten sie ihre Seele in Hoffnung und Vertrauen aufrecht. Denn sie wissen, dass Gott ihnen gnädig sein wird. Hat er doch bezeugt, dass seine Strafen kein anderes Ziel haben, als sie zur Umkehr zu erziehen, damit sie nicht mit der Welt zugrunde gehen.
V. 2. Siehe, Gott ist mein Heil. Obgleich wir auch noch mitten in der Trübsal durch den Glauben das Heil Gottes ergreifen müssen, redet Jesaja doch hier von der tatsächlichen Erfahrung. Denn er stimmt einen Lobgesang an, nachdem Gott sich durch äußere Zeichen seiner Gemeinde gnädig erwiesen. Darum heißt es mit nachdrücklichem Hinweis: „Siehe“. Denn jetzt leuchtet Gottes freundliches Angesicht, welches sich eine Zeitlang verborgen hatte. Da wir also unter der Strafe erzittern und sich unsre Sünden wie ein Übel um unsern Sinn legen, als wäre Gottes Heil uns fremd und fern, so wird hier die Stimmungsänderung beschrieben, die eintritt, wenn Gott uns wieder in seine Gnade aufnimmt. Diese Weissagung ist nun vornehmlich auf Christi Ankunft zu deuten, in welcher uns Gottes Heil besonders nahe gebracht wurde.
Ich bin sicher und fürchte mich nicht. Diese Worte zeigen, dass dies Heil Gottes der allein feste Grund voller Zuversicht ist und das beste Mittel, die Furcht zu stillen. Ohne dies müssten wir uns fürchten, stets unruhigen Geistes sein und uns jämmerlich umgetrieben fühlen. Daraus schließen wir, dass diese frohe Zuversicht aus dem Glauben sich ergibt, wie die Wirkung aus der Ursache. Denn durch den Glauben eignen wir uns das Heil an, das in Gott für uns bereitliegt: daraus ergibt sich dann ein ruhiger und friedlicher Zustand der Seele. Wo aber der Glaube fehlt, kann das Gewissen keine Ruhe haben. Wir können also erst dann einen Fortschritt im Glauben verzeichnen, wenn wir diese Zuversicht aufzuweisen haben, die der Prophet hier beschreibt. Dieselbe muss in unserm Herzen die Oberhand haben und Furcht und Schrecken besiegen. Freilich sind wir nicht über jede Erregung und Unruhe erhaben: aber die innere Sicherheit muss schließlich siegen. Es gilt festzuhalten, dass der Prophet hier von der Freudigkeit redet, welche die Gläubigen durch ihren gnädigen Gott gewinnen, nachdem sie zuvor von der Last der Anfechtungen fast erdrückt waren.
Denn Gott der Herr ist meine Stärke. Jetzt sagt der Prophet noch deutlicher, dass die Gläubigen Anlass zum Lobgesang haben werden. Insbesondere weist er darauf hin, dass sie in ihrem Gott stark sein durften: denn ihre Erlösung war sicherlich ein herrliches Beispiel der Kraft Gottes. Da nun Jesaja nicht bloß eines einzigen Tages Wohltat rühmt, sondern eine Errettung, die Gott bis zu Christi Ankunft durchzuführen beschlossen hatte, so folgt, dass nur der in Wahrheit und von Herzen des Herrn Lob singt, der im Bewusstsein eigener Schwachheit von ihm allein Tapferkeit entlehnt und erbittet. Es wird hier auch nicht ein bloßes Stück oder eine Stütze unserer Kraft genannt, sondern das, was unsere ganze Kraft überhaupt ausmacht: denn wir haben nur soviel Stärke, als der Herr uns darreicht. Unter diesem Gesichtspunkt heißt er der Psalm der Frommen: denn eben darum werden sie so freundlich behandelt, damit sie sich in der Pflicht der Danksagung üben. Daraus schließen wir, dass der Quell unserer Freude Gottes Gnade ist, ihr Ziel aber das Opfer des Lobes. Die Herzen der Frommen sollen derartig zur Geduld gestimmt sein, dass sie unaufhörlich dem Herrn Dank sagen; freilich öffnet ihnen nur ein froher und glücklicher Zustand den Mund so weit, dass sie mit vollen Tönen Gottes Wohltaten besingen. Weil aber die Gottlosen Gott verachten, übermütig werden und mit schlafenden Gewissen sich viehisch in trunkener Lust berauschen, ohne sich jemals zum Lobe Gottes zu erwecken, spricht Christus mit Recht über ihre Freude den Fluch (Lk. 6, 25): „Weh euch, die ihr hie lachet! denn ihr werdet weinen und heulen“.
V. 3. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen. Hier bestätigt sich, was wir schon sagten, dass dieses Kapitel ein bekräftigendes Siegel auf die Verheißung von der Erlösung des Volks sein soll. Gottes Heil ist aufgeschlossen, als sprudelte ein ewiger Quell, aus dem man reichlich Wasser schöpfen kann. Dieser Vergleich ist überaus treffend: denn in diesem Leben ist nichts unentbehrlicher als das Wasser; an Wasser Mangel zu leiden, ist das allerunerträglichste Ding. So sagt dies Bild, dass uns aus Gottes freier Gnade alles zufließt, was zur Erhaltung unseres Lebens dient. Und da wir alles Guten bar und unfruchtbar sind, vergleicht der Prophet mit gutem Grunde das Erbarmen Gottes einem Quell, der die Durstigen und Dürren sättiget, die von der Hitze Mitgenommenen erfrischt, die von der Müdigkeit Übermannten erquickt. Da nun diese Verheißung das ganze Reich Christi in sich begreift, müssen wir uns ständig ihrer bedienen. Wir sollen wissen, dass Gottes Güte wie ein Heilsbrunnen ist, aus dem wir uns sättigen. Sollen wir aber dies Wasser des Herrn begehren, so muss auf uns zutreffen, was der Psalm (143, 6) sagt: „Meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land.“ Und Gottes Güte ist wunderbar groß: er lässt uns nicht in vergeblicher Sehnsucht brennen, sondern bietet uns den Quell, aus dem wir reichlich schöpfen dürfen. Dieser Quell ist Christus, in welchem uns alle Güter Gottes mitgeteilt werden: denn nach dem Wort des Johannes (1, 16) schöpfen wir alle aus seiner Fülle. Sobald uns irgendein Mangel überfällt, gilt es also geradeswegs zu ihm zu eilen.
V. 4. Und werdet sagen usw. Der Prophet ermahnt nicht nur jeden einzelnen, dass er dem Herrn Lob singe und Dank sage, sondern auch, dass er die andern zu gleichem Tun antreibe. So hatte er schon früher gesagt (2, 3): „Es werden viel Völker hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen.“ So werden sie sich durch gegenseitige Ermahnung reizen, in reiner Weise den Herrn zu verehren. Ganz ebenso will der Prophet auch hier, dass nicht bloß der einzelne dem Herrn sich dankbar beweise, sondern dass man sich auch gegenseitig zur Dankbarkeit treibe. Dies soll man nicht bloß einzelnen Menschen sagen, sondern allen, und nicht bloß zu einer Zeit, sondern während des ganzen Lebens. Es wird auch mit einem kurzen Wort gesagt, wie man Gott in rechter Weise ehrt: Ruft seinen Namen an! Denn nur des Herrn sollen wir uns rühmen. Darum meint die Schrift oft die gesamte Verehrung Gottes, wenn sie von der Anrufung seines Namens spricht. Denn damit zeigen wir, dass unsere Zuversicht sich auf Gott gründet; und eben dies will er vor allem haben. Dass an unserer Stelle die gesamte Gottesverehrung gemeint ist, sieht man daraus, dass der Prophet die Anrufung und Danksagung miteinander verbindet.
Machet kund usw. Das Werk dieser Erlösung wird so herrlich sein, dass es nicht in einem Winkel verborgen bleibt, sondern über den ganzen Erdkreis verkündet werden muss. Gewiss sollte es zuerst den Juden bekannt werden, darnach aber allen Sterblichen zufließen. Diese Mahnung, in welcher die Juden ihre Dankbarkeit bezeugten, war wie ein Vorspiel der Predigt des Evangeliums, welche dann in ihrer Ordnung folgte. Denn wie die Juden bei Medern, Persern und anderen Nachbarvölkern die erfahrene Gnade rühmten, so muss es nach der Erscheinung Christi Herolde geben, die Gottes Namen durch alle Teile der Welt mit vollem Munde ausrufen. Hier sehen wir, welche Stimmung alle Frommen beherrschen soll: es muss ihr Anliegen sein, dass Gottes Güte allen Menschen offenbar werde, damit alle zu gleicher Anbetung sich vereinigen. Ein besonderer Eifer aber muss uns entzünden, nachdem wir aus so schwerer Gefahr, aus der Herrschaft des Teufels und vom ewigen Tode errettet sind.
V. 5. Lobsinget dem Herrn. Der Prophet fährt in seiner Ermahnung fort und zeigt, aus welcher Stimmung diese Danksagung fließen muss. Er erklärt es als unsere Pflicht, unter allen Völkern Gottes Güte kund zu machen. Aber nicht darum sollen wir die andern ermahnen und vorschieben, um selbst müßig zu bleiben: wir sollen mit unserem Beispiel den anderen vorangehen. Denn nichts wäre verkehrter, als dass man diejenigen träge und müßig sähe, die andere zum Lob Gottes ermuntern. Wenn sich der Herr herrlich bewiesen hat, so ist dies ein Grund zu erhabenem Lobgesang. Er gibt dazu schönsten und reichsten Stoff, indem er das Volk aus der härtesten Knechtschaft befreit. Wir sagten schon, dass man diesen Lobgesang nicht auf eine kurze Zeit beschränken, sondern über das ganze Königreich Christi ausdehnen muss. Gottes wahrhaft herrliches Werk ist dies, dass er seinen Sohn sandte, um uns mit sich zu versöhnen und die Herrschaft des Todes und des Teufels zu vernichten. Betrachten wir das Werk unserer Erlösung, wie es sich gebührt, so haben wir reichsten Stoff zum Lobgesang. Das letzte Satzglied, welches auf eine Verkündigung in allen Landen hinweist, rührt leise die Berufung der Heiden an und bestätigt noch einmal, dass es sich um ein Werk handelt, dass nicht im Winkel verborgen bleiben, sondern überall verkündet werden soll.
V. 6. Jauchze und rühme usw. Noch einmal ermahnt der Prophet die Frommen, in ihrem Gott fröhlich zu sein, und zeigt, worin die wahre Freude besteht und worauf sie sich gründet. Denn wir haben kein anderes Glück, als dass Gott in unserer Mitte wohnt: ohne dies wäre unser Leben jämmerlich und elend, auch wenn wir an allerlei anderen Gütern und Schätzen Überfluss hätten. Wenn unser Herz an unserem Schatz hängt, wird dieses Glück alle unsere Sinne durchdringen. Gott heißt der Heilige, damit wir wissen, wie er sich uns zeigen will, wenn er bei uns wohnt. Gemeint ist nicht bloß, dass seine Majestät uns Ehrfurcht abgewinnen will, - denn sie allein müsste uns durch Schrecken erdrücken, - sondern auch, dass er uns besonderer Fürsorge würdigt, wenn wir auch von der übrigen Welt geschieden sind. Gott ist heilig, weil er uns zu seinem Eigentum heiligt und aussondert, uns zu sich sammelt und durch seine Gnade rettet. Ist also der Herr bei uns, so wird uns das Gefühl seiner Gegenwart mit unvergleichlicher Freude durchströmen. Ist er aber fern, so müssen wir in Jammer und Traurigkeit gefangen bleiben. Dass die Einwohnerin zu Zion insbesondere angeredet wird, ist ein Beweis, dass nicht alle Menschen für die große Gnade und Machterweisung Gottes empfänglich sind. Es liegt in diesem Wort auch eine stille Mahnung, dass wir die Einigkeit des Glaubens pflegen möchten, damit wir in der Verbindung mit der Gemeinde Gottes diese selige Freude genießen.