Calvin, Jean - Der Brief des Apostels Jakobus - Kapitel 1.

Calvin, Jean - Der Brief des Apostels Jakobus - Kapitel 1.

V. 1. Den zwölf Geschlechtern. Bei der Wegführung der zehn Stämme in die Gefangenschaft haben die Assyrer sie in verschiedenen Orten angesiedelt. Sehr wahrscheinlich ist es denn, dass sie hernach hierhin und dorthin gewandert sind und sich zerstreut haben – wie das im Gefolge solcher geschichtlichen Umwälzungen, wie sie auch damals sich ereigneten, zu geschehen pflegt. Die Juden waren ja doch in fast alle Länder der Welt zerstreut. Diese alle konnte der Verfasser mit dem Laut des Mundes nicht erreichen, weil sie ferne hin und her voneinander getrennt wohnten: so wendet er sich nun an sie mit schriftlicher Mahnung. Dass er aber über die Gnade Christi und den Glauben an ihn sich nicht ausführlicher auslässt, hat offenbar seinen Grund in dem Umstand, dass er sich an solche wendet, die schon anderweitig eine genügende Einführung in das Christentum empfangen hatten, so dass sie nunmehr nicht so sehr der Lehre als vielmehr anstachelnder Ermahnung bedurften.

V. 2. Achtet es eitel Freude usw. Das ist seine erste Ermahnung: heiteren Mutes sollen sie die Anfechtungen aufnehmen, die ihren Glauben bewähren. Zuvörderst war es damals nämlich nötig, die von den Trübsalen fast zu Boden gedrückten Juden aufzurichten. Denn so schmachvoll war der Name dieses Volkes, dass sie allen Nationen, wohin sie auch gekommen sein mochten, ein Gegenstand des Hasses und der Verachtung waren. Die Lage der Christen aber war noch schlimmer, weil die eigenen Stammesgenossen ihre erbittertsten Feinde waren – obwohl doch diese Ermahnung nicht in dem Maße nur für diese eine Zeit zugeschnitten ist, dass sie nicht allezeit den Gläubigen dienlich wäre, deren irdisches Leben ja doch ein unausgesetzter Kriegsdienst ist. Im Übrigen ist – um die Absicht des Jakobus klar auszudrücken – kein Zweifel, dass er bei den Anfechtungen an widrige Lebensumstände denkt; denn diese sind ja die Prüfsteine unseres Gehorsams gegen Gott. Während die Gläubigen in solchen Umständen geübt werden, sollen sie fröhlich sein, und das nicht etwa nur, wenn sie in eine einzige Versuchung fallen, sondern auch wenn deren mehr sind, sondern auch, wenn sie vielfältig und mannigfaltig sind. Da sie ja zur Ertötung unseres Fleisches dienen, ist es sicherlich notwendig, dass sie ebenso unaufhörlich wiederkehren, wie die Lüste des Fleisches in uns unablässig aufsprossen. Kurz, es ist nicht zu verwundern, wenn den verschiedenen Leiden, an denen wir kranken, auch verschiedene Heilmittel entsprechen. Auf mannigfaltige Weise züchtigt uns deshalb der Herr, weil Ehrsucht, Geiz, Missgunst, Lust am Wohlleben, geschweige denn die Weltlust und die Unzahl uns erfüllender Begierden unmöglich mit einem einzigen Gifte behandelt werden können. Wenn Jakobus befiehlt: achtet jene Versuchungen für eitel Freude – so ist es, als wenn er sagte, man solle sie in dem Maße als Gewinn sich anrechnen, dass sie nur Anlass zur Freude bleiben. Außerdem deutet er auch an, es sei in den Anfechtungen nichts enthalten, was unsere Freude hindere. In dieser Weise weist er uns also nicht nur an, das Unglück friedlichen und gleichmütigen Sinnes zu tragen, sondern er lehrt, es eben unter dem Druck des Leidens selbst als einen Anlass der Freude zu nehmen. Zwar ist ja sicherlich von Natur her unsere innere Verfassung derart, dass jede Anfechtung und jeder Schmerz uns Betrübnis erregt – und niemand von uns kann sich seiner Natur bis zu dem Grabe entäußern, dass er nicht mehr Schmerz empfände oder betrübt werden könnte, sobald ihn etwas Übles berührt. Das hindert aber die Kinder Gottes nicht, auf Antrieb des Geistes sich über den Schmerz des Fleisches zu erheben. Daher geschieht es denn, dass sie auch mitten in der Traurigkeit nicht ablassen, sich dennoch zu freuen.

V. 3. Und wisst, dass die Bewährung usw. Nun wird es uns klar, warum Jakobus die widrigen Umstände unseres Lebens Anfechtungen genannt hat: nämlich, weil ihre Angriffe dazu dienen, unseren Glauben zu prüfen. Er begründet den vorigen Satz. Man könnte ja den Einwurf machen: wie ist es möglich, das für süß zu achten, was doch als bitter empfunden wird? Deswegen zeigt er an der Wirkung, dass man im Leiden sich freuen müsse, weil daraus aus eine köstliche Frucht, die Geduld nämlich, hervorgehe. Wenn Gott also solcherweise für unser Heil sorgt, gibt er uns Anlass zur Freude. Denselben Schluss macht Petrus im Anfang seines ersten Briefes: auf dass eures Glaubens Bewährung viel köstlicher erfunden werde als Gold, zu Lobe usw. Gewiss scheuen wir vor Krankheiten, Mangel, Verleumdung, Gefängnis, Schmach und Tod zurück, weil wir alle diese Dinge für Übel halten. Wenn wir aber einsehen, dass sie durch Gottes wohltätige Fügung in Hilfsmittel des Heils verwandelt werden, so würden wir undankbar sein, wenn wir murren und nicht vielmehr uns ihm freiwillig zu solch väterlicher Behandlung hingeben wollten. Was Jakobus hier Freude nennt, das nennt Paulus Röm. 5, 3 „sich rühmen“. Wir rühmen uns auch der Trübsale, sagt er, in der Gewissheit, dass Trübsal Geduld wirkt. Aber das, was bald folgt, scheint im Gegensatz zu des Jakobus Worten zu stehen. Denn Paulus setzt die Bewährung an die dritte Stelle gleichsam als Wirkung der Geduld, während sie hier gleichsam als Ursache doch an erster Stelle steht. Aber die Auflösung dieses Gegensatzes liegt sehr nahe, da ja dort das Wort Bewährung im Sinne einer Tätigkeit genommen wird, hier aber im Sinn eines Zustandes, in den jemand versetzt wird und den er über sich ergehen lassen muss. Die Bewährung, von der Jakobus spricht, soll die Geduld bewirken, insofern es ja keine Geduld gäbe, wenn Gott uns nicht in Prüfungen versetzte, sondern uns ohne Aufgabe ließe: Geduld ist ja nichts anderes als tapferer Mut im Ertragen von Leiden. Paulus dagegen meint, dass wir im Siege der Geduld über das Leiden erproben, was Gottes Hilfe in Not vermag. Denn in solcher Lage zeigt sich uns Gottes Wahrhaftigkeit gleichsam gegenwärtig. Daher kommt es denn, dass wir für die Zukunft unsere Hoffnung weiter auszuspannen wagen: die aus Erfahrung erkannte Wahrhaftigkeit Gottes nimmt unser Vertrauen in höherem Maße in Beschlag. Aus solcher Bewährung, d. h. aus solcher Erfahrung göttlicher Gnade, werde Hoffnung geboren, lehrt Paulus – nicht als ob die Hoffnung dann erst begänne, aber sie wird dadurch vermehrt und gestärkt. Beide aber, Jakobus und Paulus, bezeichnen die Trübsal als den Anlass der Geduld. Übrigens ist das menschliche Gemüt von Natur nicht so angelegt, dass die Trübsal den Menschen die Geduld von selbst mitbrächte. Aber Paulus und Jakobus haben bei dieser Aussage weniger die menschliche Natur als Gottes Vorsehung im Auge. Diese Vorsehung ist nämlich die Ursache dafür, dass die Gläubigen unter ihrer Bürde Geduld lernen, während die Gottlosen mehr und mehr zu sinnloser Wut sich reizen lassen, wie man an Pharaos Beispiel sieht.

V. 4. Die Geduld aber soll ein vollendetes Werk haben. Weil in uns sich oft edle Geistesregungen erheben und sogleich wieder versinken, so fordert Jakobus Beharrlichkeit: das, sagt er, ist die wahre Geduld, die bis ans Ende ausharrt. Denn das Wort „Werk“ steht hier für Wirkung, und es handelt sich nicht bloß darum, dass wir in einem Kampfe Sieger bleiben, sondern dass wir das ganze Leben hindurch es bleiben. Man könnte diese Vollendung auch auf die aufrichtige Hinneigung des Herzens beziehen, dass die Menschen sich Gott mit vollem Willen und nicht heuchlerischerweise unterwerfen sollen. Aber da Jakobus den Ausdruck „Werk“ gebraucht, ziehe ich vor, seine Äußerung von der Beharrlichkeit zu verstehen. Denn, wie gesagt, viele, die zuerst mit Heldenmut sich brüsten, sind bald hernach ermüdet. Deshalb befiehlt Jakobus denen, bis zum Ende auszuhalten, die vollkommen und tadellos heißen wollen. Mit diesen beiden Worten nämlich bezeichnet er die eben geforderten Eigenschaften und die Leute, die weder sinken noch ermatten. Denn wer, von der Ungeduld besiegt, scheitert, der muss allmählich schwächer werden und endlich ganz dahinsinken.

V. 5. So jemand Weisheit mangelt usw. Da unsere Vernunft, ja alles natürliche Gefühl weit von dem Glauben entfernt sind, dass im Unglück Glückseligkeit geborgen sei, so werden wir angewiesen, Gott um Unterweisung in solcher Weisheit zu bitten. Denn ich verstehe das Wort „Weisheit“ hier im Zusammenhang der vorliegenden Stelle: wenn die oben gegebene Lehre über eure Fassungskraft geht, so bittet Gott um Erleuchtung mit seinem Geist! Allein die eine Überlegung, dass heilsam ist, was dem Leibe beschwerlich, versüßt jedwede Bitterkeit des Leidens. Wo aber Trost solcher Art fehlt, da erliegt man sicherlich der Ungeduld. So sehen wir den Herrn nicht anders als in der vollen Bereitschaft seiner Hilfe solche unsre Kraft überschreitenden Anforderungen stehen: nur müssen wir eben um seine Hilfe bitten. „Weisheit“ heißt an dieser Stelle offenbar die Unterwerfung unter Gottes Willen, so dass man die Leiden erduldet in der klaren Erwägung, er leite alle Leiden so, dass sie zu unserem Heil ausschlagen. Trotz der Beschränkung des Sinnes auf diesen Umkreis kann man aber den Rat des Jakobus allgemeinhin ausdehnen auf jedes Gebiet, das klarer Einsicht bedarf. Doch warum heißt es: so jemand, - als wenn nicht alle bedürftig wären? Die Auflösung der Schwierigkeit liegt darin, dass zwar von Natur her jedem die Weisheit fehlt, dass aber der eine mit dem Geist der Klugheit beschenkt ist, den andere entbehren. Weil also nicht alle bis dahin gediehen sind, sich in der Trübsal glücklich zu preisen, sondern nur wenige diese Gabe besitzen, so begegnet Jakobus denjenigen, welche noch nicht der Überzeugung sind, dass Gott unsres Heils Fortschritt gerade durch das Kreuz bewirke, mit der Ermahnung, um das Geschenk dieser Weisheit zu bitten. Doch ist es zweifellos, dass notgedrungen alle eben diese Bitte tun müssen. Denn ein gewisser Fortschritt auf dem rechten Wege bedeutet noch lange nicht, dass man das Ziel erreicht habe. Aber freilich ist es ein anderes Ding, den Fortschritt erbitten, als erst den Beginn. Wenn Jakobus uns von Gott bitten heißt, so bezeichnet er ihn als den einzigen Arzt unsrer Krankheit und Helfer in unserer Not.

Der da gibt einfältiglich jedermann. Jakobus meint damit alle, die bitten; denn die für ihre Armut keine Hilfe suchen, die sind freilich wert, darin zu verschmachten. Dennoch liegt in der Allgemeinheit seines Ausdrucks, mit der er jeden von uns ohne Ausnahme einlädt, eine große Kraft: niemand soll sich deswegen so großen Gutes berauben. Hinzu kommt die gleich angehängte Verheißung. Zeigt er nämlich mit seinem Befehl, welche Pflicht jedwedem obliegt, so bestätigt er auch, dass niemand vergeblich nach seinem Befehl tun wird, - jenem Wort Christi entsprechend (Mt. 7, 7; Lk. 11, 9): „Klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Dass Gott „einfältiglich“ gibt, bezeichnet die Bereitwilligkeit seines Gebens. Gleicherweise fordert Paulus Röm. 12, 8 von den Diakonen die Einfalt, und im zweiten Korintherbrief (Kap. 8 f.) in der Verhandlung über das Almosen wendet er mehrfach dasselbe Wort an. Der Sinn ist: Gott sei in dem Maße zum Geben geneigt und bereit, dass er niemand zurückweise oder schnöde vertröste; auch gleiche er keineswegs den Sparsamen und Kargen, die unwillig, sozusagen mit halbgeschlossener Hand kärglich ausgeben, auch noch etwas von dem, was sie eigentlich schon geben wollten, abschneiden, oder auch lange innerlich schwanken, ob sie geben wollen oder nicht.

Und rücket es niemand auf. Das ist hinzugefügt, damit niemand sich fürchte, Gott oft anzugehen. Auch die freigebigsten unter den Menschen erinnern doch, wenn einer immer wieder ihre Hilfe erbittet, an die bereits ausgeteilten Wohltaten und beugen so für später vor. Darum schämen wir uns, einen sterblichen Menschen, selbst wenn er noch so reich ist, mit oftmaliger Bitte zu ermüden. Jakobus aber erinnert uns, dass in Gottes Wesen nichts dem Ähnliches vorhanden ist, weil er bereit ist, auf die schon erwiesenen Wohltaten ohne Ende und Maß nach und nach neue zu häufen.

V. 6. Er bitte aber im Glauben . Zuerst empfangen wir hier Belehrung über das rechte Fundament des Gebets. Wie wir nicht beten können, wenn nicht ein Wort, auf das wir uns stützen, vorangegangen ist, so müssen wir vor dem Beten erst glauben. Mit unserm Bitten bezeugen wir ja, dass wir die von Gott verheißene Gnade wirklich von ihm erhoffen. Jedweder also, der den Verheißungen Gottes nicht glaubt, betet heuchlerisch. Von hier aus ergibt sich auch die Einsicht in die wahre Natur des Glaubens; denn Jakobus fügt seiner Aufforderung, im Glauben zu bitten, gleich die nähere Erklärung hinzu: und zweifle nicht. Also der Glaube ist es, der im Vertrauen auf Gottes Verheißungen uns gewiss macht, dass wir erlangen, um was wir bitten. Daraus folgt, dass der Glaube mit Vertrauen und Gewissheit in Bezug auf Gottes Liebe gegen uns verbunden ist. Das von Jakobus gebrauchte Wort „zweifeln“ bedeutet eigentlich „nach beiden Seiten hin forschen“, wie solche es tun, die eine Streitfrage zur Erörterung bringen. Was Gott uns einmal verheißen hat, soll uns also so gewiss sein, will Jakobus sagen, dass wir die Frage der Erhörung gar nicht mehr in zweifelnde Erwägung ziehen.

Der da zweifelt usw. Dieser Vergleich des Zweiflers mit der Meereswoge beschreibt sehr fein, wie Gott den Unglauben straft, der an seinen Verheißungen zweifelt. Solche Leute martern sich mit der eigenen innerlichen Unruhe, weil unsre Seele keine Ruhe hat, sie senke sich denn zur Ruhe in Gottes Wahrheit hinab. Endlich beweist Jakobus, solche Leute seien unwürdig, von Gott etwas zu erlangen. Besonders treffend widerlegt diese Stelle das unfromme Dogma, welches überall im Papsttum wie eine Offenbarung angesehen wird, man müsse mit Zweifel und Ungewissheit über den Erfolg beten. Wir sollen deshalb den Grundsatz festhalten, dass unsre Bitten nur dann vom Herrn erhört werden, wenn auch Vertrauen auf die Erfüllung sie begleitet. Es kann freilich in dieser Schwachheit unsres Fleisches nicht anders gehen, als dass wir von mannigfachen Versuchungen erregt werden, die gleichsam als Hebel ansetzen, unser Vertrauen ins Wanken zu bringen, so dass keiner sich finden wird, der nicht dem Trieb seines Fleisches nach zittert und bebt. Aber wir müssen solche Anfechtungen doch endlich im Glauben überwinden, wie ein Baum, der starke Wurzeln getrieben hat: er wird wohl vom Stoß des Sturmwindes geschüttelt, aber nicht losgerüttelt, vielmehr bleibt er fest an seinem Platze stehen.

V. 8. Ein Zweifler usw. Diesen Vers kann man für sich nehmen, so dass er im Allgemeinen von den Heuchlern handelt. Mir will aber besser scheinen, ihn als den Schlusssatz der vorherigen Erörterung aufzufassen, so dass man einen Gegensatz zwischen den Zeilen liest zwischen der Einfalt Gottes, deren Jakobus erst gedachte, und dem zwiespältigen Gemüt des Menschen. Wie Gott uns mit offener Hand beschenkt, so muss auf der anderen Seite unseres Herzens Schoß ausgebreitet sein. Die Ungläubigen also mit ihren gewundenen Ausflüchten bezeichnet Jakobus als unbeständig, weil sie niemals sich selbst gleichbleiben, sondern bald durch Zuversicht des Fleisches emporgetrieben, bald durch Verzweiflung in die Tiefe hinuntergetaucht werden.

V. 9. Ein Bruder aber, der niedrig ist usw. Ebenso wie Paulus 1. Kor. 7, 22 verfährt hier Jakobus. Paulus ermahnt die Sklaven, ihr Los mit Gleichmut zu ertragen, indem er sie auf den Trost hinweist, dass sie Freigelassene Gottes seien, durch seine Gnade befreit aus der erbarmungswürdigen Knechtschaft des Satans, während er den Freien vorhält, dass sie sich erinnern müssen, Knechte Gottes zu sein. In demselben Sinne heißt Jakobus die Niedrigen sich des rühmen, dass Gott sie als Kinder angenommen, die Reichen aber des, dass sie zurechtgebracht wurden, indem sich ihnen die Welt als eitel erwies. Er möchte also, dass die Einen mit ihrem niedrigen, gemeinen Stande zufrieden seien, während er den Anderen verbietet, sich zu überheben. Angesichts dieser höchsten und unvergleichlichen Begnadigung, die uns in die Gesellschaft der Engel aufnimmt, ja sogar zu Miterben Christi macht, wird gewiss der, der eine solche Gnadengabe Gottes nur wirklich nach ihrem Wert schätzt, gegen alles übrige gleichgültig sein. Also: weder Armut noch Verachtung noch Blöße noch Hunger noch Durst können sein Gemüt bedrücken, dass nicht dieser Trost ihn aufrecht hielte: hat Gott mir die Hauptsache gegeben, so muss ich den Mangel an Geringerem mit Gleichmut tragen. Jetzt verstehen wir, wie ein niedriger Bruder sich seiner Höhe rühmen soll: hat er doch mit der Gnade Gottes in dem einzigen Umstand, dass er als Kind und Erbe angenommen ward, einen vollauf genügenden Trostgrund, um sich durch einen minder gedeihlichen, irdischen Lebensstand nicht übermäßig bedrücken zu lassen.

V. 10. Und der da reich ist usw. Jakobus nennt nur beispielsweise eine Gruppe aus einer ganzen Gattung von Menschen. Denn diese Mahnung bezieht sich auf alle, die durch Ehre, Adel oder andere Vorzüge hervorragen. Ihnen befiehlt er, sich der Niedrigkeit und Kleinheit zu rühmen. Er will damit jene hochmütigen Geister beugen, die durch ihr Glück sich aufblasen lassen. Von Niedrigkeit spricht er, weil die Offenbarung des Himmelreichs uns zur Verachtung der Welt bringen muss, nämlich zu der Erkenntnis, dass alles früher so Bewunderte nichtig oder doch nur sehr dürftig sei. Denn Christus, der freilich nur der Kleinen Lehrer ist, zähmt mit seiner Lehre jeden Fleischesstolz. Damit also die leere Weltfreude nicht die Reichen ergreife, mögen sie sich daran gewöhnen, des Sturzes ihrer Fleischesherrlichkeit sich zu rühmen.

Wie eine Blume des Grases wird er vergehen. Es mag sein, dass Jakobus hier auf Worte des Propheten Jesaja (40, 6 ff.) anspielt. Dass er dieselben aber als ausdrückliches Zeugnis zitiere, kann ich nicht zugeben. Denn der Prophet redet nicht allein von Glücksgütern und vom nichtigen Schein der Welt, sondern vom ganzen Menschen, und zwar nicht minder von der Seele als vom Leibe. Hier aber handelt es sich um den hohlen Schein von Schätzen und Gütern. Die Hauptsache aber ist: das Rühmen über Reichtümer, die im Nu zerstieben, ist töricht und verkehrt. Die Philosophen sagen das freilich auch, aber sie singen ihr Lied tauben Ohren vor; erst muss der Herr die Ohren öffnen für den Klang der Ewigkeit des Himmelreiches. Deswegen redet Jakobus (V. 9) zu seinem Bruder; er deutet an, dass erst dann sein Wort eine Stätte finde, wenn wir aufgenommen sind in den Stand der Kinder Gottes.

V. 12. Selig ist der Mann usw. Nachdem Jakobus mit dem eben gegebenen Trost den Schmerz derer besänftigt, die in dieser Welt schlecht behandelt werden, und anderseits die stolze Vermessenheit der Großen gedemütigt hat, zieht er nun den Schluss: die sind selig, die großen Sinnes Sorgen und andere Versuchungen ertragen und sich siegreich daraus hervorarbeiten. Unter der Anfechtung könnte man wohl auch die versuchliche, uns innerlich reizende Lust verstehen; aber ich halte dafür, dass hier die Tapferkeit im Unglück ihr Lob finden soll, so dass die überraschende Aussage entsteht, nicht die, welchen alles nach Wunsch gelingt, seien glücklich, wie man gewöhnlich meint, sondern die, welche vom Unglück sich nicht überwinden lassen. Der Satz „denn nachdem er bewährt ist“, gibt den Grund der vorangehenden Behauptung an: durch Kampf zur Krone. Daraus ergibt sich der logische Schluss: ist es höchste Seligkeit, im Reich Gottes mit der Krone bedacht zu werden, so sind die von Gott zur Übung uns gesandten Kämpfe Hilfen unseres Glücks. Wir haben es also mit einem vom Zweck, von der erreichten Wirkung ausgehenden Schluss zu tun. Es fällt daraus ein Licht auf die Tatsache, dass die Gläubigen durch eine solche Fülle von Übeln in Atem gehalten werden: ihre Frömmigkeit, ihr Gehorsam sollen dadurch offenbar werden; so sollen sie zum Empfang der Lebenskrone erst bereitet werden. Übrigens ist es ein ganz törichter Irrtum, wenn man aus diesem Verse meint schließen zu können, wir verdienten durch unseren Kampf die Krone. Denn wenn Jakobus nun hinzufügt, sie sei verheißen denen, die Gott lieben, so will er nicht behaupten, die Liebe des Menschen sei der Grund der göttlichen Anerkennung: denn Gott kommt doch immer mit seiner Liebe uns zuvor. Nur darauf will er hinweisen, dass in der Liebe eines Menschen zu Gott erst der Erweis seiner Erwählung liegt. Jakobus gibt indessen zu bedenken: siegreich in allen Anfechtungen seien die Leute, welche Gott lieben, und unsere Mutlosigkeit in der Versuchung habe nur im Vorwiegen der Weltliebe bei uns den Grund.

V. 13. Niemand sage, wenn er versucht wirdusw. Hier ist nun zweifellos von einer andersartigen Versuchung die Rede. Es ist ganz klar, dass alle äußeren Versuchungen oder Anfechtungen, von denen bisher die Rede war, uns von Gott geschickt werden. In diesem Sinne versuchte Gott den Abraham (1. Mo. 22) und versucht er uns noch täglich, d. h. er bringt unsere innere Art an den Tag durch einen uns in den Weg geworfenen Anlass zur Offenbarung unseres Herzens. Aber ganz verschieden von diesem Herauslocken dessen, was im Schrein des Herzens verborgen ist, ist die Erregung der Seele durch schlechte Lüste. Hier handelt es sich also um die inneren Versuchungen, die nichts anderes sind, als die unzähligen Triebe, die uns zur Sünde reizen. Mit allem Grund lehnt Jakobus ab, dass Gott ihr Erreger sei: fließen sie doch aus dem eigenen, verderbten Fleisch. Jakobus macht damit einen sehr notwendigen Vorbehalt: ist es doch unter den Menschen nur zu sehr gang und gäbe, die Schuld der begangenen, bösen Taten anderen zuzuschreiben: und dann glauben sie am meisten, sich gereinigt zu haben, wenn sie die Schuld auf Gott abladen. Diese vom ersten Menschen überlieferte Kunst der Ausflüchte befolgen wir eifrigst. Deswegen holt uns Jakobus zum Bekenntnis unserer eigenen Schuld heran, damit wir nicht Gott an unsere Stelle schieben, als wenn er uns zur Sünde angetrieben hätte. Freilich scheint die ganze Schriftlehre diesem Satz zu widersprechen, die doch sagt, dass die Menschen von Gott geblendet, in widerspenstigen Sinn hineingeworfen, in das schmachvolle Joch hässlicher und schlechter Lüste hineingetan werden. Demgegenüber sage ich: vielleicht hat die Tatsache, dass die Gottlosen aus Schriftstellen ihre Meinung als die der Bibel zu erhärten sich unterfangen, den Jakobus gerade veranlasst, ausdrücklich zu verneinen, dass Gott uns versuche. Zweierlei muss man hier beachten. Wenn die Schrift Gott zuschreibt, dass er die Herzen verblende oder verstocke (2. Mo. 9, 12), so teilt sie ihm weder den Anfang zu, noch auch macht sie ihn zum Urheber des Schlechten, so dass er die Schuld tragen müsste. Auf diesen beiden Punkten besteht Jakobus allein. Die Schrift sagt freilich, dass die Bösen von Gott in schlechte Lüste dahingegeben werden (Röm. 1, 26). Aber heißt dies, dass Gott ihr Herz verderbe und verführe? Weit gefehlt! Denn deswegen unterwirft er es der verderbten Lust, weil es schon verführt und lasterhaft war. Oder ist Gott der Sünde Urheber oder Diener, wenn er verblendet oder verstockt? Er rächt ja gerade die Sünden auf diesem Wege und teilt den Gottlosen, die von seinem Geist sich nicht wollen regieren lassen, den gerechten Lohn zu. Weder hat also die Sünde ihren Ursprung in Gott, noch kann man ihm die Schuld zuschreiben, als ob er an dem Bösen sein Vergnügen hätte. Summa: es ist eine ganz vergebliche Ausflucht, wenn der Mensch seine Schuld auf Gott zurückzuschieben sucht. Es kommt ja doch alles Böse nur aus der einen Quelle der widernatürlich verkehrten Lust des Menschen. So verhält es sich offenbar: nicht anderswoher empfangen wir den Antrieb, sondern die eigene Neigung ist für jeden Führer und Treiber. Dass aber Gott niemand versucht, erhellt daraus, dass er vom Bösen nicht versucht wird. Denn deswegen reizt uns der Teufel zur Sünde, weil er selbst ganz von unheimlicher Gier zu sündigen brennt. Gott aber hat keine Neigung zum Bösen, also ist er auch kein Urheber böser Taten bei uns.

V. 14. Wenn er von seiner eigenen Lust usw. Da Bewegung und Trieb zum Bösen innerlich sind, so sucht der Sünder vergeblich, vom äußeren Anlass her einen Vorwand zur Entschuldigung zu gewinnen, - obgleich auch diese zwei Wirkungen der Lust zu bemerken sind, dass sie uns mit Lockungen ködert und uns hinreißt: jede einzelne dieser Wirkungen reicht hin, uns schuldig zu machen.

V. 15. Darnach, wenn die Lust empfangen hat usw. „Lust“ nennt Jakobus hier nicht irgendeinen Trieb, sondern den Quell aller Triebe. Bei ihr, sagt er, finde eine böse Empfängnis statt, die endlich zur Geburt der Sünde führt. Er scheint aber den Begriff Sünde in uneigentlicher und von der Schrift sonst nirgends befolgter Weise auf äußerliche Werke zu beschränken, als wenn die böse Lust selbst an sich keine Sünde, als wenn auch verderbte Wünsche, die aber inwendig verschlossen und unterdrückt bleiben, nicht ebenso viele Sünden wären. Da aber der Gebrauch des Wortes vielfältig ist, so hat es nichts gegen sich, es hier für die Tatsünde zu nehmen, ähnlich wie an anderen Stellen auch. Unklug ist es, wenn die Papisten diese Stelle aufgreifen, um daraus zu beweisen, dass die lasterhaften, ja scheußlichen, verbrecherischen und mehr als gottlosen Lüste keine Sünde seien, wenn nur nicht die ausdrückliche Willenszustimmung hinzutrete. Jakobus erwägt ja gar nicht die Frage, wann die Sünde, sofern sie Sünde ist und dafür von Gott angesehen wird, zu entstehen anfange, sondern wann sie ans Licht trete. So nämlich schreitet er stufenweise aufwärts: der Vollzug der Sünde ist Ursache des ewigen Todes; die Sünde entsteht aus den unerlaubten Wünschen; die Wünsche haben schon ihre Wurzel in der Lust. Im ewigen Verderben ernten die Menschen also die Frucht, die sie selbst erzeugt haben. Unter der Sünde, die vollendet ist, verstehe ich daher nicht nur eine einzelne, vollbrachte Tat, sondern den zum Schluss gekommenen Verlauf der Sünde. Denn obwohl jede einzelne Sünde den Tod verdient hat, heißt er doch der Sold des gottlosen und verbrecherischen Lebens. So wird der Wahn derer widerlegt, die aus diesem Wort den Schluss ziehen: eine Todsünde sei erst dann vorhanden, wenn sie in eine äußere Handlung ausgebrochen sei; denn das behandelt Jakobus gar nicht, nur darüber verbreitet er sich, dass er die Wurzel unseres Verderbens als in uns selbst liegend aufdeckt.

V. 16. Irret nicht usw. Der Beweis ist indirekt. Wenn Gott der Urheber alles Guten ist, so wäre es sinnlos, ihn als Urheber des Bösen anzusehen. Wohltun ist die Art und Natur dessen, von dem alles Gute uns zukommt: also liegt es nicht in seiner Natur, irgendetwas Böses zu tun. Hin und wieder kommt es ja freilich vor, dass einer bei ausgezeichneter Führung im ganzen Leben doch zugleich an irgendeinem Punkte strauchelt. Deshalb begegnet Jakobus einem auf diese Erfahrung begründeten Zweifel mit dem Hinweis, dass Gott nicht wandelbar sei wie die Menschen. In allen Dingen und immer ist er sich selbst gleich. Aus dieser Beständigkeit folgt, dass die Tendenz, wohlzutun, in ihm ständig ist. Das ist eine ganz andere Erwägung als die Platos, welcher behauptet, dass Gott, der ja gut ist, den Menschen kein Unglück auflegen könne. Denn da es gerecht sei, dass Gott die Untaten der Menschen straft, dürften auf seinem Standpunkt die Strafen, die er gerechterweise verhängt, nicht als Übel gelten. Das ist eine ungereimte Rede. Jakobus dagegen lässt Gott Recht und Pflicht zu strafen in vollem Umfang und wendet nur jede Schuld von ihm ab. Das lehrt uns sein Wort, dass wir von den unzähligen, täglich aus seiner Hand empfangenen Wohltaten Gottes so angetan sein sollten, dass all unser Denken die Richtung auf seine Ehre nähme, jeder Gedanke aber, der seinem Lobe abhold ist, sei es ein eigener, sei es ein fremder, dem innersten Abscheu begegnete. Vater des Lichts wird Gott genannt als Urheber aller Herrlichkeit und Harmonie. Und wenn hinzugefügt wird, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis, so bleibt die Rede im Bilde mit der Mahnung, nicht Gottes Herrlichkeit mit dem Maße des irdischen Sonnenlichts zu messen.

V. 18. Er hat uns gezeugt nach seinem Willen. Das eigenste Werk dieser besprochenen göttlichen Güte stellt Jakobus nun ins Licht: sie hat uns wiedergeboren zum ewigen Leben. Diese unschätzbare Wohltat fühlt jeder Gläubige in sich: so kann die allen aus Erfahrung bekannte Güte Gottes jede entgegenstehende Meinung über Gott besiegen. Wenn es aber heißt, Gott habe uns gezeugt nach seinem freien Willen, so soll das sagen, er sei durch keine außer ihm bestehende Ursache bewogen, wie auch sonst oft Gottes Rat und Willen dem menschlichen Verdienst gegenübergestellt werden. Wäre es etwas Besonderes, wenn Jakobus etwa ausdrücklich jeden zu dem Zweck auf Gott ausgeübten Zwang verneinte? Er geht noch darüber hinaus mit dieser Aussage, Gott habe uns nach seinem Wohlgefallen gezeugt, sei selbst sich zur Ursache geworden. Es folgt daraus, dass Wohltun Gottes eigenste Art ist. Im Übrigen wird es hier klar, dass der geschenkweisen Erwählung vor Grundlegung der Welt unsere, nur der Gnade Gottes entspringende Erleuchtung zur Erkenntnis der Wahrheit entspricht, der Wahl die Berufung. Die Schrift lehrt (Eph. 1, 4 f.), dass Gott uns aus Gnaden zu Kindern angenommen habe, ehe wir geboren wurden; aber Jakobus sagt hier noch etwas mehr: wir treten in das Recht der Kindschaft ein, weil Gott uns auch aus Gnaden beruft. Zudem lernen wir hier, dass es Gottes eigenste Aufgabe ist, uns geistliche zu zeugen. Dass dasselbe auch den Dienern am Evangeliums zugeschrieben wird, ändert daran nichts, weil Gott ja durch sie wirkt; und wenn es auch durch sie geschieht, ist es doch sein Werk. Der Begriff der „Zeugung“ wird angewandt, um zu betonen, dass wir neue Menschen werden, so dass wir die alte Natur ablegen, wenn die Berufung Gottes an uns wirksam wird. Es wird auch auf das Mittel hingewiesen, durch das Gott uns neu zeugt, das Wort der Wahrheit. Wir sollen wissen, dass man durch keine andere Tür in das Reich Gottes eingehen kann.

Dass wir gewissermaßen Erstlinge wären. Dass wir „gewissermaßen“ Erstlinge sind, deutet auf die Bildlichkeit dieses Ausdrucks. Der Begriff der Erstlinge darf aber nicht etwa auf einzelne wenige unter den Gläubigen beschränkt werden, er bezieht sich gemeinsam auf alle. Wie der Mensch unter allen Geschöpfen hervorragt, so wählt Gott seine Gläubigen aus dem Haufen der anderen und sondert sie sich ab zum heiligen Opfer. Ein hoher Adelsstand ist es, in den Gott seine Kinder erhebt. Mit allem Recht heißt es deshalb, sie würden wie Erstlinge herausgenommen: wird doch in ihnen das Ebenbild Gottes hergestellt.

V. 19. Ein jeglicher Mensch sei schnell zu hören. Wenn das hier ein ganz allgemeiner Ausspruch sein sollte, so möchte der Zusammenhang einigermaßen weitläufig sein. Aber Jakobus spricht alsbald wieder, wie kurz zuvor, vom Wort der Wahrheit (21 vgl. 18). So ist die vorliegende Ermahnung zweifellos auch in diesen besonderen Zusammenhang eingefügt. Auf Grund der ins Licht gesetzten Güte Gottes mahnt uns der Satz zur rechten Bereitschaft für die Aufnahme jener unvergleichlichen, uns erwiesenen Wohltat. Das ist eine sehr nützliche Erinnerung. Denn die geistliche Zeugung ist nicht etwa das Werk eines Augenblicks. Da immer einige Reste des alten Menschen übrigbleiben, so ist Beharrlichkeit in der Neubildung nötig, bis dass das Fleisch abgetan ist. Unser ungezügelter Sinn, unsere Anmaßung, unsere Schlaffheit hindern Gott stark an der Vollendung seines Werkes in uns. Wenn Jakobus also will, wir sollen schnell zum Hören sein, so will er uns entschlossene Bereitschaft empfehlen, als wenn er sagen wollte: Wenn Gott sich euch so freigebig darbietet, so gebt auch ihr euch mit aller Willigkeit ihm hin, damit eure Trägheit ihm doch nicht Verzug bereite! Nun ertragen wir es ja aber in unserer viel zu guten Meinung von unserer eigenen Weisheit gar nicht, ruhig der Rede Gottes zuzuhören, sondern brechen mit unserer Ungeduld seine Rede ab. Daher befiehlt uns der Apostel, zu schweigen. Und sicherlich wird keiner ein guter Schüler Gottes sein, der nicht schweigend ihm zuhört. Indessen gebietet er nicht das Schweigen der Pythagoreer: es soll kein Unrecht sein, zu fragen, so oft wir wissenswerte Dinge zu lernen begehren, sondern er will nur unseren Vorwitz in Schranken halten, damit wir nicht, wie so oft, unbescheidenerweise Gott stören und hindern, und damit wir, solange er seinen heiligen Mund geöffnet hat, auch Herz und Ohren ihm öffnen und nicht selbst das Wort für uns in Beschlag nehmen.

Langsam zum Zorn. Der Zorn wird, glaube ich, ebenfalls verdammt, insofern er das Hören, das Gott für sich fordert, durch seine Erregung gänzlich stört und hindert. Gottes Stimme kann ja nicht anders als mit ganz stillem Gemüt vernommen werden. Deswegen fügt Jakobus hinzu, solange der Zorn das Zepter habe, sei kein Platz für die Gerechtigkeit, die Gottes Willen tut. Überhaupt werden wir dieses maßvolle, stille Wesen niemals Gott darbringen, wenn nicht der Eifer der Leidenschaft von uns weicht.

V. 21. Darum so legt ab usw. Nunmehr zieht Jakobus den Schluss, in welcher Weise das Lebensbrot angenommen werden müsse. Zuerst verneint er eine richtige Aufnahme dann, wenn es nicht gepflanzt wird und Wurzel in uns schlägt. Denn diese Redeweise: nehmt das Wort an, das in euch gepflanzt ist – muss man etwa so auflösen: nehmt es so auf, dass es wahrhaft gepflanzt werde. Auf den Samen wird angespielt, der oft an eine trockene Stelle fällt und nicht vom feuchten Schoß der Erde aufgenommen wird, oder auf Pfropfreiser, die, auf die Erde geworfen oder auf totes Holz gepfropft, verdorren. Es muss also eine lebendiges Einpfropfen geschehen, ein Verwachsen mit unserem Herzen. Auch auf diese Weise der Aufnahme folgt ein Hinweis: mit Sanftmut. Damit ist die Bescheidenheit und Geneigtheit zum Lernen bezeichnet, die Jesaja (57, 15) beschreibt: auf wem anders wird Gottes Geist ruhen als auf dem Demütigen und Stillen? Daher kommt es, dass so wenige in Gottes Schule vorankommen, weil von hundert kaum einer seinen trotzigen Eigenwillen ablegt, um sich Gott willig zu unterwerfen, sondern aufgeblasen und widerspenstig kommen sie fast alle heran. Wir aber, falls wir wirklich eine lebendige Pflanzung Gottes sein möchten, wollen uns Mühe geben, uns demütig unter sein Joch zu beugen, um uns wie die Schafe von unserm Hirten leiten zu lassen. Weil aber die Menschen sich zu Frieden und Sanftmut erst zähmen lassen, wenn sie von ihren bösen Herzenstrieben gereinigt sind, heißt uns Jakobus alle Unsauberkeit und überschäumende Bosheit ablegen. Den vom Ackerbau entlehnten Bildern entsprechend, war es hier an der Zeit, vom Ausjäten des Unkrauts zu reden. Da aber der Apostel alle anredet, wollen wir uns merken, dass diese bösen Dinge unserer Natur angeboren sind und in uns allen festsitzen. Ja, er wendet sich an Gläubige, zeigt also, dass er uns niemals in diesem Leben bis ins Innerste von diesen Dingen gereinigt glaubt, vielmehr wieder und wieder sie in uns aufsprießen sieht. Deswegen fordert er anhaltendes, sorgsames Ausrotten. Da Gottes Wort etwas Heiliges ist, ziemt es uns zuerst, allen befleckenden Unflat abzutun. Der Name „Bosheit“ begreift ebenso Heuchelei und Widerspenstigkeit, wie die Gesamtheit der verkehrten Begierden in sich. Es genügt dem Apostel auch nicht, auf den innerlichen Sitz der Bosheit den Finger zu legen. Er zeigt auch, wie sie in solcher Fülle da thront, dass sie heraustritt, oder gleichsam zum Überschwall sich erhebt. Und sicherlich wird, wer sich selbst genau untersucht, ein ungeheures Chaos des Bösen in sich finden.

Welches kann eure Seelen selig machen.Herrliches Lob der himmlischen Lehre, dass wir durch sie gewisses Heil erlangen! Es ist hinzugefügt, damit wir lernen, dies Wort als einen unvergleichlichen Schatz erstreben, lieben und preisen. Die Bezeichnung des Wortes, dem wir so nachlässig unser Ohr zu gewähren pflegen, als der Ursache unserer Seligkeit, ist ein scharfer Stachel zur Züchtigung unserer energielosen Trägheit. Doch wird dem Worte nicht in dem Sinne die Kraft der Bewahrung zugeschrieben, als wenn das Heil im äußeren Klang der Laute eingeschlossen wäre, oder als ob das Werk der Bewahrung Gott abgenommen und auf etwas anderes übertragen werden sollte. Jakobus spricht von dem Wort, das durch den Glauben ins menschliche Herz eindringt, und will nur sagen, der Urheber der Seligkeit, bringe sie durch sein Evangelium zustande.

V. 22. Seid aber Täter. „Täter“ bedeutet hier nicht wie Röm. 2, 13 den, der dem Gesetz Gottes genugtut, allseitig es erfüllt, sondern der Gottes Wort innerlich erfasst und mit seiner Lebensführung bezeugt, dass er ernstlichen Glauben hat, entsprechend jenem Wort Christi (Lk. 11, 28): „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Hier zeigt Jakobus an den Früchten, welcher Art jene eben genannte Einpflanzung ist. Zu bemerken ist außerdem, dass der Glaube vom Apostel mit anderen Werken zusammen in eine Reihe gestellt wird, ja er wird sogar ganz besonders so betrachtet, als das vorzüglichste Werk, das Gott von uns fordert. Die Hauptsache ist: wir sollen uns Mühe geben, dass das Wort des Herrn Wurzel in uns schlage zum späteren Fruchtbringen.

V. 23. Der ist gleich einem Mann usw. In der Tat ist die himmlische Lehre ein Spiegel, in dem Gott sich uns zum Anschauen darbietet, aber so, dass wir in sein Bild verklärt werden, wie Paulus 2. Kor. 3, 18 sagt. Hier aber handelt es sich um den äußeren Blick, nicht um die lebendige und wirksame Beschauung, die bis ins Herz dringt. Ein fein gewähltes Gleichnis, das kurz andeutet, wie nutzlos die Lehre sei, wenn sie nur mit dem Ohr, nicht mit der innerlichen Teilnahme des Herzens aufgefasst wird, weil sie in diesem Fall ja bald sich verliert.

V. 25. In das vollkommene Gesetz der Freiheit.Vom leeren Hineinschauen hat Jakobus gesprochen. Nun steigt er zu jenem innerlichen, eindringenden Blick auf, der uns in das Ebenbild Gottes verklärt. Weil er es aber mit Juden zu tun hat, braucht er den ihnen vertrauten Ausdruck „Gesetz“ für die ganze Heilslehre Gottes. Wenn er dann vom „vollkommenen“ Gesetz und vom Gesetz der „Freiheit“ spricht, so haben ihn die Erklärer nicht verstanden, weil sie den hier bemerkbaren Gegensatz nicht begriffen, der aus anderen Stellen der Schrift erhellt. Solange das Gesetz mit äußerem Laut von den Menschen zwar gepredigt, aber nicht mit Gottes Geist oder Finger ins Herz geschrieben wird, bleibt der Buchstabe tot, einem leblosen Leichnam gleich. Dass man es für ein unvollkommenes, verstümmeltes Gesetz hält, bis es im Herzen aufgenommen wird, ist also nicht verwunderlich. In der gleichen Weise ist auch die Beziehung des Gesetzes zur Knechtschaft, wie Paulus Gal. 4, 24 lehrt, und kann uns nur hinabstürzen in Misstrauen und Furcht, wie derselbe Paulus Röm. 8, 15 zeigt. Der Geist aber der Wiedergeburt schreibt es uns ins Gemüt und bringt gleichermaßen die Gnade der Kindschaft. Unsere Aussage bedeutet also so viel, als hätte Jakobus gesagt: nicht mehr zur Knechtschaft soll das Gesetz wirken, vielmehr euch frei erklären, nicht mehr soll es nur ein erzieherischer Zuchtmeister sein, sondern zur Vollkommenheit führen; ihr müsst es mit aufrichtiger Freude annehmen, damit ihr einen frommen und heiligen Wandel führt. Da diese Erneuerung durch Gottes Gesetz aber nach dem Zeugnis des Jeremia (31, 33) und anderer eine neutestamentliche Gabe ist, so ist weiter klar, dass sie erst nach Christi Kommen erlangt werden kann. Gewiss ist er selbst allein des Gesetzes Ziel und Vollendung. Deshalb fügt Jakobus das Wort „Freiheit“ hinzu: denn diese ist die unzertrennliche Begleiterin dieser Erneuerung, weil der Geist Christi uns ja niemals erneuert, ohne dass die Befreiung des Herzens von Furcht und Angst uns zugleich Zeugnis und auch Pfand der Kindesannahme bei Gott wird. Dass ein Mensch im Gesetz beharret, besagt, dass er seinen Blick ständig auf die Erkenntnis Gottes gerichtet hält. Und wenn Jakobus hinzufügt: der wird selig sein in seiner Tat,so gibt er zu verstehen, dass die Seligkeit im Handeln liegt, nicht im teilnahmslosen Hören.

V. 26. So sich jemand unter euch lässt dünken, er diene Gott usw. Nun tadelt Jakobus auch an denen, die sich selbstbewusst als Täter des Gesetzes gebärden, den Fehler, an dem die Heuchler gemeinsam kranken, die schamlose Klatschsucht. Vorher (V. 19) hatte er es schon mit der Zucht der Zunge zu tun, aber mit anderer Absicht. Da hieß er uns, Gott gegenüber schweigen, damit wir zum Lernen umso geneigter wären. Jetzt hat er etwas anderes vor: nicht zum Lästern sollen die Gläubigen ihre Zunge gebrauchen. Dies Laster musste besonders in seiner Schwere gewogen werden, wenn die Beobachtung des Gesetzes in Frage stand. Denn wer die gröberen Fehler abgelegt hat, ist meistens dieser Krankheit unterworfen. Wer weder Ehebrecher noch Dieb noch Trinker ist, vielmehr im Glanze äußerer Heiligkeit strahlt, der führt den guten Ruf anderer fortwährend im Munde und reißt ihn herunter, natürlich unter dem Vorwand des guten Eifers, in der Tat aus Lust am Verkleinern. Deshalb will Jakobus hier die wahren Gottesverehrer von den Heuchlern unterscheiden, die geschwollen und mit pharisäischem Stirnrunzeln durch Herabsetzung aller anderen sich selbst das höchste Lob erwerben wollen. „Wenn jemand sich lässt dünken“, d. h. sonst den Schein der Heiligung trägt, inzwischen aber am Klatschen sich ergötzt, so ist dies der Beweis, dass er Gott nicht wahrhaft dient. Denn die Bezeichnung seiner Religiosität als einer eitlen besagt nicht nur, dass seine übrigen Tugenden vom Makel der Lästersucht befleckt werden, sondern dass sein scheinbar frommer Eifer nicht aufrichtig ist.

Sondern täuscht sein Herz.So wird die Quelle des Übermuts, dem die Heuchler ergeben sind, bezeichnet. In unmäßiger Selbstliebe verblendet, reden sie sich ein, dass sie bei weitem besser wären, als sie in der Tat sind. Sicherlich wurzelt da die Verkleinerungssucht: man sieht eben seinen eigenen Buckel nicht. Sehr richtig hat Jakobus also, um die Wirkung zu beseitigen, die Lust am Lästern, die Ursache hier in seinen Tadel verflochten, dass nämlich die Heuchler sich selbst viel zu sehr durch die Finger sehen; die Neigung zum Verzeihen würde ihnen nicht fehlen, wenn sie die entsprechende Erkenntnis davon hätten, wie sie selbst der Vergebung anderer bedürfen. Aus der Nachsicht mit ihren Fehlern geht ein schmeichlerischer Selbstbetrug hervor, der sie zu solch stirnrunzelnden Richtern über andere macht.

V. 27. Ein reiner Gottesdienst usw. Jakobus übergeht hier Seiten, die von höchster Wichtigkeit für die Religion sind. Aber es soll hier nicht eine allgemeine Begriffsbestimmung der Religion gegeben, sondern nur daran erinnert werden, dass es ohne diese hier bezeichnete Tätigkeit Frömmigkeit nicht gibt. Wenn etwa ein dem Wein und Rausch ergebener Mensch mit seiner Mäßigkeit prahlt und ein anderer demgegenüber behauptet, es sei Mäßigkeit, sich nicht toll und voll zu saufen, so wird ja des letzteren Absicht nicht sein, damit die Grenze der Mäßigkeit allseitig abzustecken, sondern er hebt nur eine Seite hervor, die augenblicklich interessiert. So ist es auch hier. Diese Leute eitlen Gottesdienstes, von denen hier die Rede ist, sind in der Hauptsache müßige Großtuer; deshalb lehrt uns Jakobus die Frömmigkeit nach anderen Gesichtspunkten werten als nach dem Pomp der Zeremonien: es gibt eben ernsthafte Tätigkeiten, mit denen Verehrer Gottes sich beschäftigen müssen. „Besuchen“ in der Not heißt die Hand bieten zur Erleichterung der Bedrückten. Da es aber noch viel mehr Menschen gibt, denen zu helfen Gott gebietet, so sind Witwen und Waisen hier nur beispielsweise genannt. Ohne Zweifel will Jakobus mit diesem einen Stück uns die allseitige Übung der Liebe ans Herz legen, als wenn er sagen wollte: wer für fromm gelten will, der muss das in Selbstverleugnung, Barmherzigkeit gegen den Nächsten und Wohltätigkeit beweisen. Er sagt aber: „vor Gott“, - um darauf hinzuweisen, dass es den Menschen, die durch den äußeren Schein ihr Urteil bestimmen lassen, ja zwar anders erscheine, aber das müsse unsere Frage sein: Was gefällt Gott?

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