Calvin, Jean - Aus dem "Unterricht in der christlichen Religion" 1559

Calvin, Jean - Aus dem "Unterricht in der christlichen Religion" 1559

Wenn es offensichtlich durch Gottes Willen geschieht, dass den einen das Heil angeboten, den anderen der Zugang zu ihm verwehrt wird, so tauchen hier viele schwere Fragen auf, die nur der lösen kann, der fest und sicher weiß, was es um Erwählung und Vorherbestimmung ist. Das scheint manchen eine ganz verkehrte Lehre zu sein; denn nichts erscheint ihnen widersinniger, als dass aus der Gemeinschaft der Menschen die einen zum Heil, die anderen zum Untergang bestimmt sein sollen. Dass diese Leute aber irren und sich selbst den richtigen Weg verlegen, das wird aus dem Folgenden hervorgehen. Ja, gerade darin, worüber man zuerst erschrecken möchte, zeigt sich der Nutzen dieser Lehre und die süße Frucht, die sie bringt. Wir werden niemals so fest, wie wir wollen, davon überzeugt sein, dass unser Heil alleine in dem gnädigen Erbarmen Gottes seine Quelle hat, ehe uns nicht seine ewige Wahl bekannt geworden ist. Denn gerade das stellt die Gnade Gottes ins rechte Licht, dass er nicht alle ohne Unterschied zur Hoffnung auf das Heil annimmt, sondern den einen gibt, was er den anderen versagt. Wie ohne die Kenntnis dieses Grundsatzes Gott nicht die ganze ihm zukommende Ehre gegeben wird und der Mensch die rechte demütige Haltung Gott gegenüber nicht findet, liegt auf der Hand. Zu dieser so notwendigen Erkenntnis kommt man aber, wie Paulus bezeugt nur dann, wenn man weiß, dass Gott nach seinem freien Entschluß, ohne alle Rücksicht auf menschliche Werke erwählt …

Mit aller Deutlichkeit spricht es Paulus aus, dass nur da, wo des verlassenen Volkes Rettung auf Gottes Gnadenwahl zurückgeführt wird, recht erkannt wird, dass Gott rein nach seinem Wohlgefallen rettet, welche er will, und nicht einen Lohn austeilt, den er doch niemandem schuldet. Diejenigen aber, die die Türen verschließen, so dass niemand die Frucht dieser Lehre zu genießen wagt, die fügen ebenso den Menschen wie Gott Schaden zu. Denn nichts anderes außer dieser Lehre reicht aus, um uns so vor Gott zu demütigen, wie er es haben will, und uns im tiefsten Herzen fühlen zu lassen, wie unbedingt wir ihm verfallen sind. Auch ist nirgendwo anders feste Zuversicht zu finden. Das bezeugt auch Christus; denn um uns in so viel Not, Nachstellungen und tödlichen Kämpfen von aller Furcht zu befreien, und unüberwindlich zu machen, verspricht er Rettung allen, die er von seinem Vater zur Bewahrung erhalten hat. Daraus entnehmen wir, dass alle die in ständiger Angst schweben müssen, die nicht wissen, dass sie zu Gottes Volk gehören. So sorgen diejenigen sehr schlecht für sich selbst und alle Gläubigen, die, blind für den dreifachen Nutzen, den wir aufgezeigt haben, die Grundlage unseres Heils zerstören wollen …

Nach dem klaren Zeugnis der Schrift stellen wir also den Satz auf, dass Gott in einmaligem, ewigen und unwandelbarem Ratschluß beschlossen hat, welche er einst zum Heil annehmen und welche er dem Verderben weihen will. Dieser Ratschluß gründet sich, soweit er sich über die Erwählten erstreckt, auf sein gnädiges Erbarmen; die er aber der Verdammung preisgibt, denen verwehrt er nach seinem gerechten und unanfechtbaren, aber unbegreiflichen Gericht den Zugang zum Leben …

Die törichten Menschen fragen da zuerst, mit welchem Recht Gott seinen Geschöpfen zürne, wo er doch von ihnen vorher gar nicht beleidigt oder gereizt worden sei. Denn nach Gefallen einen dem Verderben weihen, dass sei eher als tyrannische Laune denn als ordentlicher Richterspruch anzusehen. Die Menschen dürften also Gott zur Rechenschaft ziehen, wenn er sie bloß nach seiner Willkür ohne Ansehen dessen, was sie verdient haben, zum ewigen Tode vorherbestimme. Wenn solche Gedanken etwa einmal frommen Menschen in den Sinn kommen wollen, so können sie sich zur Abwehr solcher Angriffe zur Genüge mit dem einen Gedanken waffnen: wir unfromm es sei, den göttlichen Willen nach seinen Gründen zu fragen, wo doch er der Grund alles Bestehenden ist. Wenn er nämlich einen Grund hätte, so müsste ihm etwas vorausgegangen und er daran gebunden sein, und sich das vorzustellen, ist Sünde. Denn Gottes Wille ist die höchste Form aller Gerechtigkeit; das heißt was er will, das ist eben dadurch, dass er es will, gerecht. Wenn mal also fragt, warum Gott so und so gehandelt hat, so heißt die Antwort, weil er will. Wenn man weiter fragt, warum er will, so heißt das nach etwas fragen, was größer und höher ist als Gottes Wille; so etwas gibt es nicht. Daher hüte sich der menschliche Leichtsinn, nach etwas zu suchen, was nicht ist, damit er nicht an dem, was ist, vorbeilaufe. Diese Grenze müssen alle achten, die mit Ehrfurcht über Gottes Geheimnisse nachdenken wollen. Gegen die Frechheit der Gottlosen, die sich nicht scheuen, Gott öffentlich zu schmähen, wird sich der Herr mit seiner Gerechtigkeit schon selbst verteidigen ohne unseren Rechtsbeistand, wird ihrem Gewissen alle Ausflüchte abschneiden, sie überführen und vor seinen Richterstuhl als Angeklagte stellen. Doch wollen wir nicht etwa die Fabel von Gottes absoluter Macht einführen; sie ist so unheilig, dass sie uns mit Recht verabscheuenswert erscheint. Wir denken Gott nicht als außerhalb des Gesetzes, sonders er ist sich selbst Gesetz. Denn nach Plato haben die Menschen das Gesetz nötig, weil sie an Leidenschaften krank sind. Gottes Wille aber ist nicht nur fehlerlos, sondern die höchste Norm aller Vollkommenheit und aller Gesetze Gesetz. Wir leugnen nun, dass er schuldig sei, Rechenschaft zu geben, und leugnen, dass wir fähig seien, über ihn zu Gericht zu sitzen …

So kann zwar Gott schweigend seinen Feinden den Mund stopfen. Damit wir sie aber nicht ungestraft seinen heiligen Namen lästern zu lassen brauchen, hat er uns in seinem Wort Waffen gegen sie in die Hand gegeben. Wenn uns daher einer mit solchen Worten angreift: warum denn Gott von Anfang an einige zum Tode vorherbestimmt hat, die doch, weil sie ja noch gar nicht existierten, das Todesgericht nicht hatten verdienen können, so wollen wir anstelle der Antwort die Gegenfrage stellen, was denn Gott dem Menschen zu tun schuldig sei, wenn er ihn nach seiner Natur beurteilen wollte? Befleckt mit Sünde, wie wir sind, muss Gott uns hassen, und das nicht in blinder Wut, sondern nach vollkommener Gerechtigkeit. Wenn aber alle nach ihrer natürlichen Beschaffenheit dem Todesgericht verfallen sind, wie wollen sich da diejenigen über eine Ungerechtigkeit ihnen gegenüber beklagen, die der Herr zum Tode vorherbestimmt? …

Sie sollen doch nicht Gott der Ungerechtigkeit bezichtigen, wenn sie durch sein ewiges Gericht für den Tod bestimmt sind; fühlen sie doch selbst ganz genau, wie ihre eigene Natur sie, mögen sie wollen oder nicht, von selbst zu demselben Ziel hintreibt. So wird klar, wie verkehrt hier jedes Bemühen ist, Widerspruch zu erheben, denn man will ja nur den wahren Grund für die Verdammnis nicht zugeben, den jeder als in ihm selbst liegend anerkennen muss, und die Schuld daran von sich auf Gott abwälzen. Und mag hundertmal diese Verdammung von Gott herrühren – sie werden doch die eigene Schuld daran nicht aus der Welt schaffen, die tief in ihr Gewissen eingegraben ist und ihnen daher doch immer wieder lebendig vor Augen stehen wird.

Quelle: Rückert, Hanns - Religionskundliche Quellenhefte Heft II

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