Calvin, Jean - Der erste Brief des Apostels Petrus - Kapitel 4
1 Weil nun Christus im Fleisch für uns gelitten hat, so wappnet euch auch mit demselbigen Gedanken, dass nämlich, wer am Fleisch leidet, von Sünden aufhöret, 2 dass er hinfort, was noch übriger Zeit im Fleisch ist, nicht der Menschen Lüsten, sondern dem Willen Gottes lebe. 3 Denn es ist genug, dass wir die vergangene Zeit des Lebens zugebracht haben nach heidnischem Willen, da wir wandelten in Unzucht, Lüsten, Trunkenheit, Fresserei, Sauferei und gräulichen Abgöttereien. 4 Das befremdet sie, dass ihr nicht mit ihnen laufet in dasselbige wüste, unordentliche Wesen, und lästern; 5 aber sie werden Rechenschaft geben dem, der bereit ist, zu richten die Lebendigen und die Toten.
V. 1. Weil nun Christus usw. Als uns zuvor Christus als Beispiel vorgestellt wurde, war nur von der Geduld unter dem Kreuz die Rede. Denn zuweilen wird die Abtötung durch Leiden als Kreuz bezeichnet, weil durch die Übung der Trübsal der alte Mensch aufgerieben und unser Fleisch gebändigt wird. Jetzt aber greift der Apostel weiter und handelt von der Erneuerung des ganzen Menschen. Diese zwiefache Gleichgestaltung mit dem Tode Christi legt die Schrift uns ans Herz: erstlich sollen wir uns in Schmach und Leiden sein Bild aufprägen lassen; zum andern sollen wir uns selbst absterben, den alten Menschen erdrücken und uns zu einem geistlichen Leben erneuern lassen. Immerhin kommt Christus nicht einfach als Vorbild in Betracht, wenn es sich um die Abtötung des Fleisches handelt: vielmehr werden wir durch seinen Geist wahrhaft in seinen Tod hineingesenkt, damit derselbe zur Kreuzigung unseres Fleisches in uns wirksam werde. Derselbe Gedanke wird im 6. Kapitel des Römerbriefs ausführlicher behandelt. Wenn Petrus sagt: wappnet euch, so will er eben daran erinnern, dass wir tatsächlich und wirkungskräftig mit unbesiegbaren Waffen ausgerüstet sind, wenn wir den Tod Christi in rechter Weise ergreifen.
Mit demselbigen Gedanken, dass nämlich usw. Andere übersetzen „denn“. Aber wir haben es schwerlich mit einer Begründung, vielmehr mit einer Erläuterung zu tun. Petrus erklärt, welches der Gedanke ist, mit welchem der Tod Christi uns wappnet; dass nämlich, wer am Fleisch leidet, von Sünden aufhöret. Das Reich der Sünde muss in uns abgeschafft sein, damit Gott in unserem Leben regiere. Die Rede bezieht sich also nicht bloß auf Christus, sondern auf alle Frommen insgesamt und hat völlig den gleichen Sinn wie der Satz des Paulus im Römerbrief (6, 7): „Wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt (oder losgelöst) von der Sünde.“ Beide Apostel wollen sagen, dass wir nichts mehr mit der Sünde zu schaffen haben; seitdem wir im Fleisch gestorben sind, hat sie kein Anrecht mehr, in uns zu blühen und ihre Macht in unserem Leben auszuüben. Allerdings könnte man es unpassend finden, dass Petrus uns in unserem Leiden am Fleisch als Christus gleichgestaltig darstellt. Denn sicherlich war doch keine Sünde in Christus, die hätte ausgeläutert werden müssen. Aber die Ähnlichkeit braucht sich nicht auf alles und jedes zu erstrecken. Es genügt, dass wir in einer ganz bestimmten Richtung dem Tode Christi gleich gestaltet sind. So verhält es sich ja auch mit jenem Pauluswort (Röm. 6, 5): „Wir sind eingepflanzt zur Ähnlichkeit seines Todes.“ Auch hier deckt sich nicht alles bis aufs letzte: der Tod Christi kommt nur als Urbild und Beispiel unserer Abtötung in Betracht. Weiter muss erinnert werden, dass das Wort „Fleisch“ zweimal, und zwar in verschiedenem Sinne, gebraucht wird. Dass Christus im Fleisch gelitten hat, will besagen, dass die menschliche Natur, die er von uns angenommen hatte, dem Tode unterworfen war: sofern Christus Mensch war, starb er in einer seiner Natur entsprechenden Weise. Wenn aber im zweiten Satzglied die Rede auf uns übergeht, bedeutet „Fleisch“ die Verderbtheit und Sündhaftigkeit unserer Natur. Dass wir am Fleisch leiden, beschreibt also die Verleugnung unserer selbst. Nun erkennen wir sowohl die Ähnlichkeit als die Verschiedenheit zwischen Christus und uns: wie er in dem von uns angenommenen Fleisch gelitten hat, so muss unser ganzes Fleisch gekreuzigt werden.
V. 2. Dass er hinfort usw. Dieser Satz beschreibt, in welcher Weise man von der Sünde abstehen muss: wir sollen auf die Lüste der Menschen verzichten und unser Leben dem Willen Gottes gleich zu gestalten bestrebt sein. So werden uns die zwei Stücke unserer Erneuerung vorgehalten, der Untergang des Fleisches und die Neubelebung im Geist. Von jener muss der Lauf eines rechten Lebens seinen Ausgang nehmen, auf diese muss er hinzielen. Weiter stellt Petrus hier fest, was die Regel eines rechten Lebens ausmacht: der Mensch soll sich an Gottes Willen halten. Sobald er von diesem abirrt, ist nichts Nichtiges und Wohlgeordnetes mehr in seinem Leben. Weiter erscheint der Gegensatz zwischen dem Willen Gottes und der Menschen Lüsten bemerkenswert. Wir können daraus abnehmen, wie groß unsere Verkehrtheit ist und wie schwer wir ringen müssen, um dem Herrn gehorsam zu werden. In dem Ausdruck „was noch übriger Zeit im Fleisch ist“ bedeutet Fleisch das gegenwärtige Leben, wie auch einmal im Ebräerbrief (5, 7).
V. 3. Denn ist genug usw. Petrus meint nicht, dass uns lediglich ein Überdruss an der Lust anwandeln soll, wie es denen zu gehen pflegt, die sich bis zur Sättigung damit erfüllt haben; vielmehr sollen die Leser durch die Erinnerung an ihr vergangenes Leben sich zu wahrer Buße treiben lassen. Sicherlich muss es für uns der schärfste Stachel sein, nunmehr den rechten Weg einzuschlagen, wenn wir bedenken, dass wir während eines großen Teils unseres Lebens den Irrweg gingen. Zudem erinnert uns Petrus, wie ungereimt es wäre, wenn wir als Leute, die von Christus erleuchtet wurden, unser Leben nicht zum Besseren wenden wollten. Die Zeiten der Unwissenheit und des Glaubens werden gegeneinander gestellt. Der Apostel will etwa sagen: es ist billig, dass ihr euch als neue und andere Menschen darstellt, seitdem Christus euch berufen hat. Statt von der Menschen Lüsten spricht er jetzt übrigens von heidnischem Willen. Damit wirft er den Juden vor, dass sie in jeglicher Art von Befleckung sich wie Heiden gehalten hätten, obgleich sie doch der Herr abgesondert hatte. In Zukunft aber sollen sie die Laster abschütteln, die sonst Anzeichen der Blindheit und Unkenntnis Gottes bei den Menschen sind. Gewichtig ist auch die Wendung: „was noch übriger Zeit im Fleisch ist.“ Sie deutet darauf hin, dass es bis ans Ende auszuharren gilt, wie auch Paulus sagt (Röm. 6, 9), dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt. Denn darum sind wir vom Herrn erkauft, damit wir ihm alle Tage unseres Lebens dienen.
Da wir wandelten in Unzucht usw. Das hier gegebene Verzeichnis ist nicht vollständig. Der Apostel rührt nur einige Dinge an, aus denen sich allgemein schließen lässt, in welcher Richtung die Begierden und Neigungen der Menschen gehen, die vom Geist Gottes nicht wiedergeboren sind. Dabei nennt er gröbere Laster, wie man zu tun pflegt, wenn man eben Beispiele vorbringt. Doch erhebt sich hier eine Frage: Petrus scheint vielen Leuten unrecht zu tun, wenn er allen Unzucht, lüsternes Treiben, Fressen und Saufen vorwirft, obwohl doch sicherlich damals nicht jedermann in diese Laster verstrickt war. Wissen wir doch, dass sogar unter den Heiden viele ein ehrenhaftes Leben führten, welches über die Schande erhaben war. Aber Petrus schreibt den Heiden solche Laster auch nicht in dem Sinne zu, als wollte er jedem einzelnen alle diese Dinge vorwerfen, sondern er will zeigen, wie wir von Natur zum Bösen geneigt sind, ja, wie wir uns einem verkehrten Wesen ergeben haben, so dass notwendig die hier aufgezählten Früchte aus der bösen Wurzel erwachsen müssen. Es gibt keinen Menschen, der nicht den Samen aller Laster in seinem Herzen trüge; aber nicht alle sprossen in jedem einzelnen Menschen auf und kommen ans Tageslicht. Indessen sind die Ansteckungskeime derartig über das ganze Menschengeschlecht zerstreut und verbreitet, dass man sehen muss, wie der ganze Körper von unzähligen Übeln angefüllt ist, und wie kein Gebiet von der allgemeinen Verderbnis unberührt und frei bleibt. Noch eine andere Frage erhebt sich angesichts des letzten Stückes. Petrus spricht zu den Juden. Wie kann er ihnen gräuliche Abgöttereien vorwerfen, da sie sich doch, wo immer sie sich auch aufhielten, peinlich vor dem Götzendienst hüteten? Aber wir wissen, dass trotz Israels Bekenntnis zu Gott kein Stück des Gottesdienstes unbefleckt geblieben war. Und wie groß konnte die Verwirrung bei den scharenweise in barbarischen Gegenden zerstreuten Juden sein, wenn Jerusalem selbst, von dessen Strahlen sie ihr Licht entlehnten, bis zur äußersten Stufe der Unfrömmigkeit gesunken war! Wissen wir doch, wie dort jeglicher Wahnsinn ungestraft im Schwange ging, so dass sogar das Hohepriestertum und das oberste Regiment der Gottesgemeinde in den Händen der Sadduzäer war.
V. 4. Das befremdet sie, dass ihr nicht mit ihnen laufet usw. Dieser Satz soll die Gläubigen wappnen, dass sie sich nicht durch verkehrte Urteile und Reden der Gottlosen irremachen und verführen lassen. Ist es doch eine nicht geringe Versuchung, wenn die Menschen, unter denen wir uns zu bewegen haben, uns eine Lebensart vorwerfen, die von der allgemeinen Weise aller Menschen sich ganz fernhält. Man sagt etwa: Für diese Leute müsste man eine neue Welt schaffen, da sie ja mit dem Menschengeschlecht überhaupt nichts zu tun haben wollen. So klagt man die Kinder Gottes an, als ob sie eine Scheidung von der ganzen Welt anstrebten. Darum beugt der Apostel vor und sagt den Gläubigen, dass sie sich durch solche Vorwürfe und Verleumdungen nicht erschüttern lassen sollen. Die Stütze aber, die er ihnen darreicht (V. 5), ist der Blick auf Gottes Gericht. Dies ist es ja, was uns Standhaftigkeit gegen alle Anläufe verleiht, dass wir geduldig jenem Tag entgegen harren, an welchem Christus alle strafen wird, die uns jetzt leichthin verdammen, an welchem es offenbar werden muss, dass ihm unsere Sache wohl gefällt. Ausdrücklich aber sagt der Apostel, dass Christus bereitsteht, zu richten die Lebendigen und die Toten. Wir sollen nicht glauben, irgend geschädigt zu werden, dadurch dass jene Leute am Leben bleiben, wenn wir sterben; denn sie werden darum der Hand Gottes nicht entfliehen.
6 Denn dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündigt, auf dass sie gerichtet werden nach dem Menschen am Fleisch, aber im Geist Gott leben. 7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. 8 So seid nun mäßig und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen aber habt untereinander eine brünstige Liebe; denn die Liebe deckt auch der Sünden Menge. 9 Seid gastfrei untereinander ohne Murmeln. 10 Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes. 11 So jemand redet, dass er´ s rede als Gottes Wort. So jemand ein Amt hat, dass er´ s tue als aus dem Vermögen, das Gott darreicht, auf dass in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christ, welchem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
V. 6. Denn dazu ist auch den Toten usw. Wir sehen jetzt, in welcher Richtung der Apostel seine frühere Aussage (3, 19) verwendet: der Tod hindert nicht, dass Christus uns nicht dennoch für alle Zeit als Rächer zur Seite stehe. So bringt es den Frommen einen herrlichen Trost, dass ihr Sterben keinen Verlust für ihr Heil bedeutet. Mag also auch Christus in diesem Leben nicht als Befreier erscheinen, so wird die von ihm beschaffte Erlösung doch nicht wertlos und vergeblich: ihre Wirkung erstreckt ja sich bis auf die Toten. Übrigens lässt es der griechische Ausdruck zweifelhaft, ob den Toten das Evangelium als Heilsmittel oder Christus als Erlöser gepredigt ward, was doch für den Sinn fast keinen Unterschied macht. Wenn nun die Gnade Christi einmal bis zu den Toten dringen konnte, so ist kein Zweifel, dass auch wir sie noch nach dem Tode schmecken werden. Wir ziehen hier also zu enge Grenzen, wenn wir sie auf das gegenwärtige Leben beschränken.
Auf dass sie gerichtet werden usw. Allerlei Auslegungen, die sich weit von der Meinung des Apostels entfernen dürften, übergehe ich. Nach meiner Ansicht soll einem Einwurf begegnet werden. Konnte man doch sagen, dass sich keine Frucht des Evangeliums für die Toten sehen lasse, weil es sie ja keineswegs ins Leben zurückführe. Zur Hälft gibt Petrus diesem Einwurf recht, jedoch so, dass er den Toten das von Christus erworbene Heil nicht abspricht. Es ist eine Einräumung, wenn er im ersten Satzglied sagt, dass die Menschen am Fleisch gerichtet, d. h. verurteilt werden. „Fleisch“ bedeutet dabei den äußeren Menschen. So ergibt sich der Sinn: obwohl die Toten, wie es der Lauf der Welt ist, an ihrem Fleisch Vernichtung leiden und nach dem äußeren Menschen als Verurteilte dastehen mussten, so hören sie doch nicht auf, bei Gott zu leben, und zwar im Geist; denn Christus macht sie mit seinem Geist lebendig. Nun fügen wir hinzu, was Paulus lehrt (Röm. 8, 10), dass der Geist Leben ist und die Reste des Todes, die uns noch anhaften, endlich verzehren muss. Alles in allem: mag nach ihrer menschlichen Stellung im Fleisch die Lage der Toten eine minderwertige sein, so genügt es doch, dass der Geist Christi sie lebendig macht, der sie ja einst zur Vollkommenheit des Lebens führen wird.
V. 7. Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. Obgleich die Gläubigen vernehmen, dass ihr Glück anderswo ist als in der Welt, so spiegeln sie sich doch ein langes Leben vor, und diese verkehrte Einbildung macht sie träge und sorglos, so dass sie ihren Eifer nicht völlig dem Reiche Gottes zuwenden. Darum möchte sie der Apostel aus der Schläfrigkeit des Fleisches aufwecken, indem er an das nahe Ende aller Dinge erinnert. Er gibt damit zu verstehen, dass man nicht träge an dieser Welt haften darf, die wir ja nach kurzer Zeit verlassen müssen. Er denkt dabei nicht an das persönliche Ende eines jeden Menschen, sondern an die gesamte Erneuerung der Welt und will sagen, dass in Bälde Christus kommen wird, um allen Dingen ein Ende zu machen. Es ist nicht zu verwundern, dass die Sorgen der Welt uns in Beschlag nehmen und wie im Schlaf erhalten, dass der Anblick der gegenwärtigen Dinge unsere Augen blendet, - denn fast alle Menschen versprechen sich eine Ewigkeit in dieser Welt, wenigstens denken sie fast niemals an das Ende. Würde aber die Posaune Christi in unsere Ohren schallen, so müsste sie alle unsere Gefühle aufs tiefste erschüttern und könnte uns nicht in solcher Erstarrung lassen. Übrigens könnte man einwenden, dass, seitdem Petrus dies schrieb, eine lange Reihe von Zeitaltern verflossen sei und man doch noch nichts vom Ende gesehen habe. Aber die Zeit dünkt uns nur darum so lang, weil wir ihre Länge mit den Maßstäben dieses vergänglichen Lebens messen. Könnten wir die ewige Dauer des zukünftigen Lebens anschauen, so würden viele Jahrhunderte uns wie ein Augenblick dünken, wie auch der zweite Petrusbrief (3, 8) lehrt. Übrigens sollen wir uns an den Grundsatz halten: seitdem Christus einmal erschienen ist, bleibt für die Gläubigen nichts anders übrig, als mit gespanntem Gemüt ständig seiner zweiten Ankunft entgegenzuharren. Dass wir (V. 8) mäßig und nüchtern sein sollen, dürfte sich mehr auf die Seele als auf den Leib beziehen. Stimmt doch diese Mahnung mit dem Wort Christi überein (Mt. 25, 13): „Wachet, denn ihr wisset weder Tag noch Stunde.“ Denn wie Schlemmerei und Nachgiebigkeit gegen den Schlaf den Leib beschweren und ihn zu seinen Pflichten untüchtig machen, so machen die eitlen Sorgen oder die Ergötzungen dieser Welt die Seele trunken und taumelig. Dass wir nüchtern sein sollen zum Gebet, deutet auf die allernotwendigste Übung, in welcher die Gläubigen sich vornehmlich bewegen müssen, weil alle ihre Stärke vom Herrn kommt. Der Apostel will etwa sagen: da ihr in euch selbst nur zu schwach seid, so bittet vom Herrn, dass er euch stärke. Dabei prägt er uns auch ein, dass man ernstlich und nicht obenhin beten muss.
Vor allen Dingen aber usw. In erster Linie wird uns die Liebe empfohlen, die das Band der Vollkommenheit ist. Und es wird gesagt, dass sie brünstig oder angespannt sein soll; denn jeder Mensch ist nur zu brünstig in der Liebe gegen sich selbst und liebt alle anderen nur kalt. Der Wert der Liebe wird uns nun an ihren Früchten gezeigt: die deckt auch der Sünden Menge. Nichts ist ja wünschenswerter als dies. Der Satz ist aus den Sprüchen Salomos entnommen (10, 12), wo es heißt: „Hass erregt Hader; aber Liebe deckt zu alle Übertretungen.“ Der Sinn ergibt sich deutlich aus dem Gegensatz der beiden Vershälften. Das erste Glied spricht aus, dass es seinen Grund im Hass hat, wenn die Menschen sich gegenseitig durchhecheln, schmähen und alles Hässliche und Tadelnswerte aufdecken. Das zweite Glied schreibt dann der Liebe die gegenteilige Wirkung zu: wenn Menschen sich lieb haben, verzeihen sie gütig und freundlich einander vieles; so begraben sie hin und her ihre Fehler, und jeder will des andern Ehre unangetastet wissen. Mit der Erinnerung daran bekräftigt Petrus seine Mahnung, indem er darauf hinweist, dass für uns selbst nichts nützlicher ist, als gegenseitige Liebe zu pflegen. Denn wer leidet nicht an vielen Fehlern? Darum bedarf jeder der Verzeihung, und keiner ist, der nicht für sich Schonung wünschen müsste. Dies unvergleichliche Gut verschafft uns nun die Liebe, wenn sie unter uns waltet, dass unzählige böse Dinge durch Vergessenheit zugedeckt werden. Wo man aber dem Hass die Zügel schießen lässt, müssen die Menschen einander beißen und fressen und sich dadurch verzehren, wie Paulus sagt (Gal. 5, 15). Bemerkenswert ist auch, dass nach Salomos Wort die Liebe nicht bloß wenige, sondern viele Sünden deckt, wie auch Christi Spruch uns heißt, den Brüdern siebenzig mal siebenmal zu vergeben (Mt. 18, 22). Je mehr Sünden also die Liebe heilt, desto deutlicher sieht man, wie nützlich sie zur Bewahrung des Menschengeschlechts ist. Dies ist der einfache Sinn der Worte. Daraus ergibt sich, wie lächerlich es ist, wenn die Papisten hier einen Beweis für ihre genugtuenden Leistungen finden wollen, als könnten Almosen und andere Liebeserweise vor Gott Sünden aufwiegen und austilgen.
V. 9. Seid gastfrei untereinander. An die allgemeine Mahnung zur Liebe schließt sich die Empfehlung einer besonderen Liebespflicht. Gastfreundschaft stand in damaliger Zeit in allgemeiner Übung und galt als ein besonders heiliges Stück menschlichen Betragens. So befiehlt der Apostel, dass man sie gegenseitig übe: niemand soll von den andern mehr verlangen, als er selbst zu leisten bereit ist. Der Apostel fügt hinzu: ohne Murmeln. Denn es geschieht gar selten, dass jemand dem Nächsten sich und das Seine zur Verfügung stellt, ohne es ihm böswillig aufzudrücken. Der Apostel will also, dass wir die Guttätigkeit weitherzig und frohen Sinnes üben.
V. 10. Dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe usw. Damit werden wir erinnert, was wir uns immer vorhalten müssen, wenn wir unsern Mitmenschen Gutes tun. Denn nichts ist geeigneter, das Murren zum Schweigen zu bringen, als der Gedanke daran, was uns vom Herrn anvertraut ward. Sollen wir die Gaben verwalten, die ein jeglicher empfangen hat, so liegt darin ein Gesetz, dass wir unsre Fähigkeiten eben dazu ausgeteilt erhielten, um uns in der Unterstützung der Brüder als Gottes Diener zu beweisen. So ist das zweite Glied eine Erläuterung des ersten: wir sollen uns als gute Haushalter beweisen. Und wie im ersten Gliede von der Gabe die Rede war, die jeder empfangen hat, so hier von der mancherlei Gnade Gottes, die uns Gott verschiedenartig ausgeteilt hat, damit ein jeder sein Teil zum gemeinen Besten verwende. Wenn wir also irgendein Vermögen mehr empfangen haben als andere, so sollen wir daran denken, dass wir Haushalter Gottes sind und dadurch verpflichtet, den Nebenmenschen freundlich mitzuteilen, wie ihre Not und ihr Bedarf es fordert. So werden wir geneigt und schnell zum Mitteilen sein. Und noch eine andere Überlegung ist wertvoll: wenn der Herr vielgestaltige Gnadengaben unter den Menschen ausgeteilt hat, soll niemand mit sich allein und seiner Begabung zufrieden sein, sondern ein jeder sich der Hilfe und Unterstützung von Seiten seines Bruders bedürftig fühlen. Dass die Menschen ohne gegenseitige Hilfe nicht leben können, ist ein Band, welches Gott geschaffen hat, um Gemeinschaft unter ihnen zu erhalten. So geschieht es, dass ein Mensch, der in vielen Stücken die Brüder um Hilfe angeht, umso lieber auch mit ihnen teilen wird, was er empfangen hat. Dass ein solches Gemeinschaftsband vorhanden ist, haben auch die Heiden bemerkt; aber der Apostel lehrt hier, dass Gott es absichtlich geschaffen habe, um die Menschen sich gegenseitig zu verpflichten.
V. 11. So jemand redet usw. Nachdem Petrus sich darüber geäußert hat, wie man Gottes Gaben in rechter und reiner Weise gebrauchen soll, hebt er nun beispielsweise zwei Stücke heraus, und zwar solche, die besonders herrlich und vor andern rühmlich sind. Das Lehramt in der Gemeinde ist eine hervorragende Gnadengabe Gottes. Darum befiehlt der Apostel ausdrücklich, dass, wer dazu berufen ist, sich treu beweise. Dabei ist aber nicht bloß von dem die Rede, was wir den Menschen, sondern auch davon, was wir Gott schuldig sind: wir dürfen ihm nicht seine Ehre rauben. Wer also redet, d. h. nach öffentlicher Ordnung ein regelrechtes Amt empfangen hat, rede sein Wort als Gottes Wort. Er soll in Ehrfurcht, heiliger Scheu vor dem Herrn und zuverlässigem Ernst den anvertrauten Dienst auszurichten trachten und dabei bedenken, dass er mit Gottes Geschäften zu tun hat, und dass es Gottes, nicht sein eigenes Wort ist, was er darreicht. Denn noch immer verfolgt der Apostel den Gedanken, dass, wenn wir unsern Brüdern etwas mitteilen, wir nach Gottes Auftrag ihnen darreichen, was er zu diesem Zwecke bei uns niedergelegt hat. Wenn die Leute, die sich als Lehrer der Kirche ausgeben, nur dies eine bedenken wollten, wie viel treuer und gewissenhafter müssten sie dann sein! Denn was für eine große Sache ist es doch, Gottes Worte zu handhaben und dabei Christus zu vertreten! Die gar zu große Gleichgültigkeit und Ungebundenheit kommt doch nur daher, dass die wenigsten an die hochheilige Majestät des göttlichen Wortes denken und darum sich gehen lassen, als trieben sie ein gemeines Geschäft. Wir aber schließen aus den Worten des Petrus, dass ein mit dem Lehramt betrauter Mensch nichts anderes zu tun hat, als die von Gott empfangene Lehre treulich den andern weiterzugeben. Denn niemand soll auftreten, als wer mit Gottes Wort gerüstet ist und aus Gottes Munde gewisse Offenbarungen vorbringen kann. So bleibt kein Raum für Menschengedichte. Denn der Apostel hat mit kurzem Wort eben die Lehre beschrieben, die in der Kirche überliefert werden soll. Dass man sie „als“ Gottes Wort vortragen soll, darf nicht etwas ermäßigend durch ein „gleichsam“ gedeutet werden, - als ob es genug wäre, das, was man vorträgt, als Gottes Wort zu betiteln. Denn eben dies war einst die Weise der falschen Propheten; und heute sehen wir, wie anmaßend der Papst mit seinem Anhang durch diesen Titel alle seine gottlosen Überlieferungen deckt. Petrus aber will die Hirten der Gemeinde nicht zur Heuchelei anleiten, sondern zu nüchterner Bescheidenheit, zu Gottesfurcht und angespanntem Eifer; darum stellt er sich vor die Tatsache, dass sie mit Gottes Wort zu tun haben.
So jemand ein Amt hat usw. Dieses zweite Beispiel ist umfassender und begreift auch das Lehramt unter sich. Da es aber zu weit geführt hätte, alle einzelnen Ämter aufzuzählen, spricht der Apostel lieber insgemein über sie alle und will etwa sagen: welches Amt in der Gemeinde du auch ausrichtest, du sollst wissen, dass du nichts leisten kannst, als was der Herr dir gegeben hat, und dass du nichts bist als ein Werkzeug Gottes. Hüte dich also, in Missbrauch der Gnade Gottes dich selbst zu erheben! Hüte dich, Gottes Kraft herabzusetzen, die sich in deinem Dienst zum Heil der Brüder auswirkt und offenbart! Darum soll man seinen Dienst tun aus dem Vermögen, das Gott darreicht, d. h. man soll nichts als sein Eigenes sich anmaßen und demütig sich Gott und seiner Gemeinde zur Verfügung stellen.
Auf dass in allen Dingen Gott gepriesen werde. Es ließe sich auch übersetzen: bei allen Menschen. In jedem Fall ist die Meinung, dass Gott uns nicht darum mit seinen Gaben schmückt, um sich selbst zu berauben oder sich zu einem nichtigen Götzen zu machen, indem er seine Ehre an uns abtritt. Vielmehr will er eben dadurch seine Herrlichkeit ringsum leuchten lassen. Darum ist es eine schändliche Befleckung der Gaben Gottes, wenn die Menschen irgendetwas anderes sich vorsetzen, als Gott zu verherrlichen. Dies geschieht aber durch Jesus Christus, weil alles Vermögen zum Dienst, welches wir besitzen, er selbst allein uns einflößt. Denn er ist das Haupt, von welchem aus der ganze Leib, durch die Glieder und Gelenke zusammengefügt, für den Herrn wächst, wie er einem jeden Glied seine Kraft einhaucht.
Welchem sei Ehre usw. Manche Ausleger beziehen dies auf Christus; aber der Zusammenhang fordert die Beziehung auf Gott. Denn diese Wendung bekräftigt die voran stehende Erinnerung, dass Gott nach dem ihm zustehenden Recht alle Ehre für sich in Anspruch nimmt, dass also Menschen ihm verbrecherisch entreißen, was sein ist, wenn sie seine Ehre in irgendeinem Ding oder Stück verdunkeln.
12 Ihr Lieben, lasset euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden (die euch widerfähret, dass ihr versucht werdet), als widerführe euch etwas Seltsames, 13 sondern freuet euch, dass ihr mit Christus leidet, auf dass ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget. 14 Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. Bei ihnen ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen. 15 Niemand nämlich unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter, oder der nach fremden Dingen schaut. 16 Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht; er ehre aber Gott in solchem Fall. 17 Denn es ist Zeit, dass anfange das Gericht an dem Hause Gottes.
V. 12. Ihr Lieben, lasset euch die Hitze usw. Die Erinnerung an die Trübsal wiederholt sich in diesem Brief immer wieder. Doch müssen wir auf einen Unterschied achten. Manche Seelen, welche die Gläubigen zur Geduld mahnen wollen, beziehen sich allgemein auf die gewöhnlichen Beschwerden des menschlichen Lebens. An unserer Stelle aber spricht der Apostel von dem Unrecht, welches die Gläubigen um des Namens Christi willen dulden müssen. Zuerst erinnert er daran, dass sie sich dadurch nicht befremden lassen sollen, als hätten sie es mit einem plötzlich und unerwartet auftretenden Ereignis zu tun. Er gibt damit zu verstehen, dass sie durch langes Zuvorbedenken sich darauf rüsten müssen, Kreuz zu tragen. Denn wer sich vorsagt, dass man unter Christus Kriegsdienst leisten muss, wird nicht betroffen sein, wenn etwas von Verfolgung einsetzt; er trägt es geduldig, weil er an den Gedanken gewöhnt ist. Wollen wir also geistesgegenwärtig dastehen, wenn es gilt, wider die anstürmende Flut der Verfolgung sich zu stemmen, so müssen wir in rechtzeitiger Gewöhnung uns das Kreuz beständig vergegenwärtigen. Mit zwei Gründen beweist nun der Apostel, dass das Kreuz für uns eine nützliche Übung ist: Gott versucht oder erprobt dadurch unsern Glauben; zum andern werden wir durch das Kreuz Genossen Christi. An erster Stelle sollen wir also bedenken, dass solche Prüfung, die unsern Glauben bewähren soll, uns ganz unentbehrlich ist, dass wir also willigen Gehorsam gegen Gott beweisen müssen, wenn er für unser Heil sorgt. Den kräftigsten Trost aber sollen wir aus unserer Gemeinschaft mit Christus schöpfen. Indem Petrus uns diese vor Augen stellt, wehrt er nicht bloß dem Befremden, sondern ruft uns sogar zu (V. 13): Freuet euch. Gewiss ist auch dies ein Anlass zur Freude, dass Gott zur Bewährung unseres Glaubens uns in Verfolgungen übt. Noch viel herrlicher aber ist die andere Freude, dass der Sohn Gottes uns in seinen Orden aufnimmt, um uns mit sich in die Gemeinschaft seliger Himmelsherrlichkeit zu führen. Gilt doch der Grundsatz, dass wir das Sterben Christi an unserem Leibe herumtragen, damit sein Leben an uns offenbar werde. Gewiss müssen auch die Verworfenen viele Leiden aushalten; aber weil sie von Christus geschieden sind, schmecken sie darin nichts als Gottes Zorn und Fluch. So werden Traurigkeit und Schrecken sie völlig verzehren. Darum ruht aller Trost der Gläubigen darauf, dass sie mit Christus Gemeinschaft haben, wobei das Ziel ist, dass sie einst auch der Herrlichkeit teilhaftig werden. Denn immer müssen wir an den Übergang vom Kreuz zur Auferstehung denken. Weil aber diese Welt einem Labyrinth gleicht, in welchem sich ihnen kein Ausgang aus dem Übel öffnet, so deutet Petrus auf die zukünftige Offenbarung der Herrlichkeit Christi. Er will etwa sagen, dass man dieselbe nicht verachten solle, weil sie jetzt verborgen ist; man müsse auf den Tag der Offenbarung warten. So stellt er uns eine doppelte Freude vor Augen, deren eine wir bereits in Hoffnung genießen, während den vollen Genuss der andern uns Christi Wiederkunft bringen wird. Die erstere ist mit Schmerz und Traurigkeit untermischt, die andere mit Frohlocken verbunden. Denn mitten in der Trübsal dürfen wir nicht von einer Freude träumen, die uns über jede Beschwerde erhöbe; aber die Tröstungen Gottes lindern die Empfindung des Übels derartig, dass wir doch zugleich Freude schmecken.
V. 14. Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet usw. Die Schmähungen, an welche der Apostel erinnert, bergen oft mehr Bitterkeit in sich als Verlust an Hab und Gut, ja als Foltern und Qualen des Körpers. Darum ist nichts geeigneter, einen edlen Geist zu brechen. Wir sehen viele, die Armut tapfer trugen, sich in Foltern mutig hielten, ja ohne Zittern dem Tod entgegen gingen, bei Schmähungen unterliegen. Diesem Übel will Petrus begegnen, indem er in Übereinstimmung mit Christi Wort (Mt. 5, 11) selig spricht, die um des Evangeliums willen Schmach tragen müssen. Das widerspricht freilich der gewöhnlichen menschlichen Empfindung. Aber der Apostel kann es begründen: denn der Geist Gottes, der auch ein Geist der Herrlichkeit ist, ruht auf euch. Wir sehen daraus, dass es dem Glück der Frommen keinen Eintrag tut, wenn sie etwas von Schmach um des Namens Christi willen dulden. Denn sie behalten ungeschmälert den Besitz der Herrlichkeit vor Gott, da ja in ihnen der Geist wohnt, an den immer die Herrlichkeit gebunden ist. Was also dem Fleisch als eine Torheit scheint, das bekräftigt der Geist Gottes in der gewissen Empfindung des Herzens als Wahrheit.
Bei ihnen ist er verlästert usw. Das ist eine Bestätigung des vorangehenden Satzes. Es muss – so will Petrus sagen – den Frommen genügen, wenn Gottes Geist ihnen bezeugt, dass Schmach, die sie um des Evangeliums willen tragen, selig und voller Herrlichkeit ist, mögen es auch die Verworfenen auf etwas ganz anderes abgesehen haben. Die Meinung ist etwa: Ihr könnt in voller Sicherheit den frechen Ansturm der Gottlosen verachten, weil das Zeugnis von der Herrlichkeit, welches Gottes Geist euch gibt, euch tief und fest eingeprägt bleibt. Dass es der Geist Gottes ist, gegen welchen die Schmähungen sich richten, kann gesagt werden, weil die Ungläubigen über das spotten, was er uns zu unserem Troste eingibt. Freilich wird damit die Zukunft voraus genommen: mag die Welt in ihrer Blindheit in der Schmach um Christi willen nichts als Schande sehen, so sollen doch die Frommen sich ihre Augen nicht durch diese falsche Meinung blenden lassen, sondern vielmehr auf Gott schauen. So wird nicht ganz abgestritten, was die Menschen gewöhnlich meinen; aber es wird die verborgene Erfahrung des Glaubens, welche Gott seinen Kindern in ihrem Gewissen geschenkt hat, ihrer leichtfertigen Ansicht entgegengesetzt. In dieser Weise rühmt sich Paulus (Gal. 6, 17), dass er die Malzeichen Christi an sich trage; er rühmt sich seiner Ketten, obgleich er recht gut weiß, wie die Welt darüber urteilt. So gibt er zu verstehen, dass Menschen, denen die Schmach des Kreuzes nicht als Herrlichkeit gilt, mit der blinden Welt irren.
V. 15. Niemand nämlich unter euch leide als Mörder usw. Auch dieser Satz begegnet einem Einwurf. Der Apostel hatte die Gläubigen zur Geduld ermahnt für den Fall, dass sie um der Sache Christi willen leiden müssten. Jetzt fügt er erläuternd hinzu, weshalb er nur von dieser Art Leiden sprach: nämlich weil sie sich von allen Übeltaten enthalten müssen. Darin liegt auch die Mahnung verborgen, dass sie nicht sündigen sollen, wobei ihre Züchtigung dann als eine gerechte erscheinen müsste. So ist das „nämlich“ hier keineswegs überflüssig; denn der Apostel will den Grund angeben, weshalb er die Gläubigen nur zur Gemeinschaft der Leiden Christi ermahnte, und will sie bei dieser Gelegenheit zugleich erinnern, dass sie gerecht und unschuldig leben sollen, damit sie sich nicht durch eigene Schuld verdiente Strafen zuziehen. Er will etwa sagen, dass es die Sache der Christen sei, jedermann Gutes zu tun, dabei aber von der Welt sich übel und unmenschlich behandeln zu lassen. Sollte jemand einwenden, dass man doch keinen so völlig unschuldigen Menschen finden könne, der nicht wegen vieler Sünden noch göttliche Strafe verdiente, so erwidere ich, dass Petrus hier von Verbrechen redet, die uns völlig fern liegen müssen, wie Mord und Raub. Weiter erwidere ich, dass der Apostel den Christen vorschreibt, wie sie sich halten müssen. Es versteht sich also von selbst, dass er einen Unterschied zwischen ihnen und den Kindern dieser Welt macht, die von Gottes Geist verlassen sind und sich in jede Art von Verbrechen stürzen. Kinder Gottes sollen nicht in die gleiche Lage sich begeben, dass sie durch ein ungerechtes Leben die nach den Gesetzen gerechten Strafen auf sich herabziehen. Weiter haben wir schon anderwärts gesagt, dass freilich in den Auserwählten noch viele Sünden sind, die Gott mit Recht strafen könnte, dass er aber in väterlicher Nachsicht seine Kinder schont und nicht die verdienten Strafen verhängt; zuweilen will er sogar sie ehren und mit den Malzeichen seines Christus schmücken, indem er sie wegen des Zeugnisses des Evangeliums Schmach leiden lässt. Ein Mensch, der nach fremden Dingen schaut, dürfte ein solcher sein, der nach dem Gut des andern begierig ist. Denn wer auf Raub und Betrug ausgeht, blickt mit schielenden Augen auf fremdes Gut; wer dagegen das Geld verachtet, kann Haufen Goldes liegen sehen, ohne das Auge zu wenden.
V. 16. Leidet er aber als ein Christ usw. Nachdem der Apostel die Christen vor Verletzung des Nächsten und vor Unrecht gewarnt, damit sie sich nicht mit den Ungläubigen um ihrer Missetaten willen der Welt verhasst machen, ruft er sie jetzt zum Dank gegen Gott auf, wenn sie um des Namens Christi willen Verfolgung leiden müssen. Sicherlich ist es eine mehr als gewöhnliche Wohltat Gottes, wenn er uns von den gemeinen Sündenstrafen löst und enthebt, dagegen zu ehrenvollem Kriegsdienst beruft, so dass wir für die Bezeugung seines Evangeliums Verbannung, Gefängnis, Schmach, ja selbst den Tod leiden müssen. Es ist also Undank gegen Gott, wenn man in Verfolgungen klagt und murrt, als würde man unwürdig behandelt. Sollte man es sich doch vielmehr zum Gewinn rechnen und Gottes Gnade anerkennen. Dass man „als ein Christ“ leiden soll, deutet übrigens weniger auf den Namen als auf die Sache.
Er ehre aber Gott in solchem Fall. Da alle Trübsal in der Sünde ihren Ursprung hat, so müssen die Frommen folgende Erwägung anstellen: Ich war wert, dass der Herr mir diese und größere Strafen für meine Sünden auferlegt hätte; nun aber will er, dass ich um der Gerechtigkeit willen leide, als wäre ich unschuldig. So erkennen die Heiligen freilich ihre Schuld an; weil sie aber in Verfolgungen auf den ganz anderen Zweck sehen, den der Herr ihnen vor Augen stellt, so spüren sie, wie ihre Schuld vor Gott getilgt und beseitigt ist. In diesem Stück oder „in solchem Fall“ haben sie Grund, Gott zu preisen.
V. 17. Denn es ist Zeit usw. Der Trost, der in der Güte der Sache liegt, wenn wir leiden und für den Namen Christi Schläge empfangen, wird jetzt noch erweitert. Der Apostel sagt, dass es für die ganze Gemeinde Gottes eine Notwendigkeit ist, nicht bloß den allen Menschen gemeinsamen Leiden zu unterliegen, sondern auch ganz besonders und vornehmlich durch Gottes Hand gezüchtigt zu werden; darum muss man Verfolgungen für Christus umso gleichmütiger tragen. Denn wollen wir nicht aus der Zahl der Gläubigen gestrichen sein, so ziemt es sich, dass wir unsern Rücken unter die Ruten Gottes beugen. Und es ist eine süße Würze, wenn der Herr nicht unterschiedslos wie an andern Leuten seine Gerichte an uns übt, sondern uns die Vertretung seines Sohnes anvertraut, so dass wir lediglich für seine Sache und seinen Namen leiden müssen. Übrigens hat Petrus seinen Satz aus der geläufigen und vielfach wiederholten Lehre der Schrift entnommen: dies dünkt mich wahrscheinlicher, als dass er, wie andere meinen, eine bestimmte Stelle (etwa Hos. 9, 6 oder Jer. 25, 29) hätte zitieren wollen. Denn es war vor alten Zeiten Gottes Weise, für welche alle Propheten zeugen, dass er die ersten Beispiele von Züchtigungen in seinem Volke gab, wie ein Hausvater nicht Fremde, sondern die Seinen straft. Obgleich Gott aller Welt Richter ist, will er seine Vorsehung doch insbesondere an der Regierung seiner Gemeinde kenntlich machen. Wenn er verkündet, dass er als Richter der ganzen Welt sich erheben will, so fügt er hinzu, dass dies geschehen soll, nachdem er sein Werk vollendet hat auf dem Berge Zion. Zwar streckt er unterschiedslos seine Hand wider die Seinen und die Fremden aus; denn wir sehen, wie beide gleicher Weise dem Unglück unterliegen, - stellt man aber einen Vergleich an, so scheint er gleichsam die Verworfenen in demselben Maße zu schonen, wie er sich gegen die Auserwählten streng hält. Daraus entspringen jene Klagen der Frommen, dass die Verworfenen ihr Leben in ständigen Vergnügungen hinbringen dürfen, dass sie an Wein und Lautenspiel sich erfreuen und endlich in einem Augenblick ohne Schmerz ins Grab hinabsteigen, - dass Fett ihre Augen deckt, dass sie frei von Beschwerden, sicher und sanft, unter Verachtung der andern, ein glückliches Leben genießen, so dass sie sich erkühnen, ihr Angesicht zum Himmel zu erheben. Wir müssen aber endlich bedenken, dass Gott seine Gerichte in dieser Weltzeit mäßigt, um die Verworfenen zu mästen auf den Schlachttag. So lässt er viele in ihren Verbrechen gehen, als wolle er sie begünstigen. Seine Kinder dagegen, für die er sorgt, ruft er mit Züchtigungen auf den rechten Weg zurück, sobald sie fallen. Unter diesem Gesichtspunkt sagt Petrus, dass das Gericht anfange beim Hause Gottes. Denn unter dem Namen des Gerichts fasst er alle Strafen zusammen, welche der Herr den Menschen für ihre Sünden auferlegt, sowie überhaupt alles, was auf die Besserung der Welt abzielt. Warum aber sagt er, dass jetzt die Zeit dafür sei? Wie mich dünkt, will er damit zu verstehen geben, dass, was die Propheten von ihrer Zeit behaupten, auf Christi Reich vornehmlich zutreffe, dass nämlich der Anfang bessernder Züchtigung bei der Gemeinde Gottes gemacht werden müsse. Darum sagt Paulus (1. Kor. 15, 19), dass die Christen die elendesten unter allen Menschen sein würden, wenn der Glaube an die Auferstehung nichts gelten sollte. Mit Recht: denn während andere ohne Scheu sich gehen lassen, seufzen die Gläubigen immerfort; während Gott die Sünden der andern nicht zu sehen scheint und sie ruhig in ihrem Schlafe lässt, übt er die Seinen unter der Zucht des Kreuzes viel strenger.
So aber zuerst an uns, was will´ s für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelium Gottes nicht glauben? 18 Und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen? 19 Darum, welche da leiden nach Gottes Willen, die sollen ihm ihre Seelen befehlen, als dem treuen Schöpfer, in guten Werken.
Wenn die Gläubigen sehen, wie gut es die Bösen haben, kann es nicht ausbleiben, dass Eifersucht sie packt. Das ist eine sehr gefährliche Versuchung; denn jedermann liegt ein glückliches Leben in dieser Zeit am Herzen. Darum dringt der Geist Gottes an vielen Stellen, insbesondere im 37. Psalm, darauf, dass die Gläubigen nicht die Gottlosen wegen ihres Glücks beneiden sollen. Eben diesen Gedanken verhandelt jetzt Petrus: Kinder Gottes sollen ihre Trübsale mit gezügeltem Geist tragen, wenn sie ihr Geschick mit dem anderer vergleichen. Der Apostel setzt dabei als zugestanden voraus, dass Gott der Richter der Welt ist, dass also niemand ungestraft seiner Hand entfliehen werde. Er zieht daraus den Schluss, dass eine schreckliche Rache derer wartet, deren Lage jetzt eine soviel bessere zu sein scheint. Alles zielt, wie ich schon sagte, darauf, dass die Kinder Gottes sich nicht durch die Bitterkeit gegenwärtiger Leiden stoßen und mutlos machen lassen sollen; vielmehr sollen sie die Trübsale, die zu einem heilsamen Ende führen werden, für eine kurze Zeit geduldig tragen. Die Gottlosen erkaufen ein flüchtiges und hinfälliges Glück mit ewigem Verderben. So schreitet die Schlussfolge vom Kleineren zum Größeren fort: wenn Gott seiner Kinder nicht schont, die er liebt und die ihm gehorchen, wie viel schrecklicher wird seine Strenge gegen Feinde und Aufrührer sein! Nichts ist also besser, als dass man dem Evangelium gehorcht, damit Gott uns gnädig sei und mit väterlicher Hand zu unserem Heil züchtige.
V. 18. Und so der Gerechte usw. Man nimmt an, dass dieser Satz aus Spr. 11, 31 stamme, wo in der griechischen Übersetzung in der hier gebotenen Form wiedergegeben wird, was im hebräischen Text lautet: „Wenn der Gerechte auf Erden geschlagen wird, wie viel mehr der Gottlose und Sünder!“ Mag nun aber Petrus diesen Spruch anführen, oder, was ich für wahrscheinlicher halte, ein geläufiges Sprichwort beibringen wollen, - der Sinn ist in jedem Falle, dass ein schreckliches Gericht Gottes über die Gottlosen ergehen wird, wenn schon die Auserwählten einen so dornigen und schwierigen Weg zum Heil haben. Dies wird aber darum gesagt, damit wir nicht in sicherem Behagen dahinleben, sondern mit strengem Ernst unseren Lauf vollführen, weiter, damit wir nicht einen bequemen und weichen Weg begehren, dessen Ende ein schrecklicher Sturz sein wird. Übrigens muss man die Aussage, dass der Gerechte kaum gerettet wird, auf die Schwierigkeiten des gegenwärtigen Lebens beziehen. Denn unser Lauf in dieser Welt ist wie eine gefährliche Schifffahrt, die zwischen vielen Klippen hindurchführt und von vielen Stürmen und Unwettern bedroht wird. Wer zum Hafen gelangt, muss zuvor einem tausendfachen Tod entfliehen. Indessen ist es gewiss, dass Gottes Hand uns regiert und dass kein Schiffbruch uns droht, solange wir uns seiner Leitung anvertrauen. Es war also eine törichte Auslegung, wenn man daran dachte, dass hier von der nur mit Mühen und Schwierigkeiten zu erreichenden Rettung in Gottes zukünftigem Gericht die Rede sei. Denn Petrus spricht nicht in der Form der Zukunft, sondern der Gegenwart; er prägt auch nicht Gottes Strenge ein, sondern weist darauf hin, wie viele und schwierige Gefahren ein Christenmensch überwinden muss, bis er zum Ziel gelangt. Ein „Sünder“ ist hier soviel wie ein Verbrecher, wie ja auch als „Gerechte“ nicht solche bezeichnet werden, deren Gerechtigkeit ganz vollkommen ist, sondern die sich um ein rechtschaffenes Leben bemühen.
V. 19. Darum, welche da leiden usw. Der Apostel zieht den Schluss, dass man Verfolgungen mit Gleichmut tragen müsse, weil in ihnen die Frommen doch noch viel erfreulicher dastehen als die Ungläubigen, wenn sie alles erwünschte Glück genießen. Er ruft uns aber ins Gedächtnis zurück, dass wir nicht anders leiden als nach Gottes Willen, was viel zu unserem Trost beiträgt. Dass wir dem Herrn unsere Seelen befehlen sollen, will besagen, dass wir uns und unser Leben seiner treuen Obhut anvertrauen dürfen. Dabei heißt Gott der treue Schöpfer. Noch besser ließe sich vielleicht übersetzen: der „treue Besitzer“, der, was er zum Eigentum erwarb, treulich hütet und schützt. Der Apostel fügt hinzu, dass wir uns dem Herrn anvertrauen sollen in guten Werken: die Gläubigen dürfen also ihnen angetanes Unrecht nicht heimzahlen, sondern haben mit ihren gottlosen Beleidigern vielmehr durch Gutes tun zu ringen.