Calvin, Jean - Der erste Brief des Apostels Petrus - Kapitel 2

Calvin, Jean - Der erste Brief des Apostels Petrus - Kapitel 2

1 So leget nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alles Afterreden; 2 und seid begierig nach der vernünftigen lautern Milch als die jetzt geborenen Kindlein, auf dass ihr durch dieselbige zunehmet, 3 so ihr anders geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist, 4 zu welchem ihr gekommen seid als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber bei Gott ist er auserwählet und köstlich. 5 Und auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause und zum heiligen Priestertum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum.

An die Erinnerung, dass die Gläubigen durch Gottes Wort neugeboren wurden, schließt sich die Mahnung, dass sie ein Leben führen sollen, welches dieser Geburt entspricht. Gilt doch das Wort des Paulus (Gal. 5, 25): „So wir im Geiste leben, so lasset uns auch im Geiste wandeln.“ Es genügt nicht, dass wir einmal vom Herrn erneuert wurden: wir müssen auch leben, wie es neuen Kreaturen geziemt. Dies ist der Hauptgedanke. Was aber die Ausdrucksweise angeht, so setzt der Apostel seine bildliche Rede fort. Weil wir neugeboren sind, mutet er uns ein kindliches Leben zu. Er will damit sagen, dass man den alten Menschen mit seinen Werken ausziehen muss. Seine Ausführungen decken sich mit Christi Wort (Mt. 18, 3): „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Es wird diese kindliche Art dem Wesen des alt gewordenen Fleisches entgegengestellt, welches der Verderbnis entgegengeht. Unter der „Milch“ werden dann alle Bestrebungen des geistlichen Lebens verstanden. Denn auch in diesem Stück besteht ein Gegensatz zwischen den Lastern, welche der Apostel aufzählt, und der vernünftigen Milch. Er will etwa sagen: Bosheit und Heuchelei gehören solchen Leuten zu, die sich an die Verderbtheit der Welt gewöhnt und viele Laster eingesogen haben; dem kindlichen Stande dagegen gebührt eine klare, von aller List freie Einfalt. Wenn Menschen lang leben, gewöhnen sie sich an Neid, lernen sich gegenseitig befehden und werden in der Kunst unterwiesen, Schaden zu stiften; zuletzt werden sie in allen Lastern alt und geübt. Das kindliche Alter dagegen fasst noch nicht, was es heißt, Neid hegen, auf Schaden ausgehen usw. Der Apostel vergleicht also die Laster, in welchen das alt gewordene Fleisch geübt ist, mit starken Speisen. Dagegen wird als Milch eine Lebensart bezeichnet, die dem unschuldigen Stande der Natur und der einfältigen Kindheit entspricht.

V. 1. So leget nun ab alle Bosheit usw. Es werden nicht alle Dinge vollständig aufgezählt, die wir ablegen müssen. Wenn die Apostel vom alten Menschen reden, geben sie vielmehr beispielsweise nur gewisse Laster an, die für seine ganze Art charakteristisch sind. So sagt Paulus (Gal. 5, 19): „Offenbar sind die Werke des Fleisches“ – und führt sie doch keineswegs alle an, sondern lässt uns die ungeheure Menge, die aus unserm Fleisch heraus quillt, wie in einem Spiegel schauen. So will auch hier Petrus etwa sagen: Legt die Früchte des alten Lebens ab, als da sind Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid und dergleichen Dinge, und lenkt euren Eifer in die entgegen gesetzte Richtung: strebt nach Gütigkeit, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit! Kurz, er zielt darauf, dass aus dem neuen Lebensstande auch eine neue Lebenshaltung erwachsen soll.

V. 2. Seid begierig nach der vernünftigen, lautern Milch. Gewöhnlich deutet man: Milch der Vernunft, d. h. der Seele. Dann würde der Apostel darauf aufmerksam machen, dass er nicht von körperlicher Milch rede, sondern sich bildlich ausdrücke. Ich glaube indes, dass der Ausdruck zusammenstimmt mit jenem Wort des Paulus (1. Kor. 14, 20): „Werdet nicht Kinder an dem Verständnis, sondern an der Bosheit.“ Damit niemand meine, der Apostel wolle einen kindlichen Stand empfehlen, dem es an Einsicht gebricht und der sich mit lauter Torheiten beschäftigt, schiebt er einen Riegel vor: wenn ich davon spreche, dass ihr nach einer lautern, unverfälschten Milch begierig sein sollt, so meine ich doch eine solche, die mit vernünftiger Einsicht gewürzt ist. Jetzt verstehen wir, warum diese beiden Eigenschaftswörter zusammengestellt werden: „vernünftig“ und „lauter“. Scheinen sich doch Einfalt und Klugheit auszuschließen. Sie sollen aber derart gemischt werden, dass die Einfalt nicht unklug wird, noch an die Stelle der Klugheit boshafte Verschlagenheit sich einschleicht. Es soll eine rechte Mischung statthaben nach dem Wort Christi (Mt. 10, 16): „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ So löst sich auch ein Einwand, der sonst gemacht werden könnte. Paulus wirft den Korinthern vor, dass sie jungen Kindern gleichen, die feste Speise nicht vertragen können und die man darum mit Milch nähren muss (1. Kor. 3, 1). Ungefähr in dem gleichen Sinne begegnet das Bild im Ebräerbrief (5, 12). Bei derartigen Aussagen aber schweben Leute vor, die wie Kinder in der Erkenntnis der Frömmigkeit nicht vorwärts gekommen sind, immer bei den ersten Anfangsgründen stehen bleiben und niemals zu einer tieferen Erkenntnis Gottes durchdringen. „Milch“ heißt dann eine rohere und kindliche Art der Unterweisung, da eben niemals ein Fortschritt über die ersten Elemente hinaus gemacht wird. Mit Recht betrachten sowohl Paulus als der Verfasser der Ebräerbriefes dies als einen tadelnswerten Zustand. Hier aber bedeutet Milch nicht einen solchen Elementarunterricht, bei dem man immer lernt, ohne jemals zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen, sondern eine Lebensführung, der man die Art der neuen Geburt abspürt, indem wir uns der Erziehung des Herrn überlassen. Ebenso bezeichnet der Stand der Kindlein nicht einen Gegensatz zum Stand des vollkommenen und männlichen Alters Christi, wie Paulus sich einmal ausdrückt (Eph. 4, 13), sondern zu dem alten Wesen des Fleisches und dem früheren Lebenswandel. Wie dieser Kindesstand des neuen Lebens niemals ein Ende nimmt, so legt Petrus uns auch ans Herz, dass wir uns immer mit Milch nähren sollen. Dabei sollen wir zu immer größerer Reife heranwachsen.

V. 3. So ihr anders geschmeckt habt usw. Das ist eine Anspielung an das Wort des Psalms (34, 9): „Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist.“ Und der Apostel gibt zu verstehen, dass wir diesen Geschmack in Christus gewinnen. Denn sicherlich wird unsere Seele nur bei ihm Ruhe finden. Es wird nun die Erfahrung der Güte Gottes zur Unterlage für die Ermahnung. Denn seine Freundlichkeit, die wir in Christus erleben dürfen, muss uns locken. Auch die Fortsetzung: zu welchem ihr gekommen seid usw. – bezieht sich nicht einfach auf Gott, sondern beschreibt ihn, wie er in Christi Person sich offenbart hat. Haben wir aber eine ernstliche Erfahrung von Gottes Gnade gemacht, so kann es nicht anders geschehen, als dass er uns ganz an sich zieht und mit seiner Liebe erwärmt. Sagt doch dies schon Plato von seiner Idee des Guten und Schönen, die er doch nur wie einen Schatten aus der Ferne schaute. Wie viel mehr trifft es auf Gott zu! Es ist also bemerkenswert, dass Petrus das Kommen zu Gott mit dem Schmecken seiner Güte verbindet. Denn so lange der menschliche Verstand sich einen harten und strengen Gott vorstellt, muss er notwendig vor ihm schaudern und fliehen; sobald dagegen Gott selbst den Gläubigen seine väterliche Liebe aufschließt, bleibt nichts übrig, als dass sie alles andre liegen lassen, ja sogar sich selbst vergessen und ihm entgegeneilen. Alles in allem: die rechten Fortschritte im Evangelium hat nur ein Mensch gemacht, der mit seinem Herzen zu Gott naht. Zugleich aber zeigt der Apostel, zu welchem Zweck und in welcher Weise wir zu Christus nahen müssen; wir sollen uns auf ihn gründen. Da er zum Eckstein bestellt ist, muss er als solcher seine Kraft an uns beweisen, damit, was der Vater ihm aufgetragen hat, nicht vergeblich und unnütz werde. Der Apostel begegnet nun einem Anstoß, indem er von diesem Stein zugesteht, dass er von den Menschen verworfen ward. Denn weil ein guter Teil der Welt Christus verschmäht, viele sich geradezu vor ihm entsetzen, so könnte dies auch uns zum Anlass werden, ihn zu verachten. Sehen wir doch, dass manche unerfahrene Leute dem Evangelium den Rücken kehren, weil es nicht überall Beifall findet und seine Bekenner nicht beliebt macht. Petrus aber erklärt, dass wir Christus doch nicht geringer schätzen dürfen, wenn auch die ganze Welt ihn verachten würde. Vor Gott behält er trotz allem seinen Wert und Preis.

V. 5. Als die lebendigen Steine bauet euch usw. Nach der griechischen Form wäre auch die Übersetzung möglich: „erbauet ihr euch.“ Aber auch in diesem Falle wäre es ohne Zweifel die Absicht des Petrus, die Gläubigen zu ermahnen: sie sollen sich dem Herrn zum geistlichen Tempel weihen. Aus dem Zweck der Berufung lässt sich ja trefflich folgern, was demgemäß unsere Pflicht ist. Bemerkenswert ist weiter, dass der Apostel die gesamte Zahl der Gläubigen als ein einziges Haus betrachtet. Denn wenn auch jeder einzelne von uns ein Tempel Gottes ist und heißt, so müssen wir alle doch zur Einheit zusammengefasst und durch gegenseitige Liebe verbunden werden, damit sich aus allen ein einziger Tempel gestalte. Das geschieht, wenn ein jeder mit seinem Maß sich zufrieden gibt und sich in den Schranken seiner Pflicht hält, wenn aber alle ihre Fähigkeiten zum gemeinen Besten anwenden. Wie nun Christus ein lebendiger Stein ist, so heißen auch wir lebendige Steine und ein „geistliches“ Haus. Darin liegt ein stiller Vergleich mit dem alttestamentlichen Tempel, der zum besonderen Preis der Gnade dient. Eben darauf zielt die Fortsetzung, dass wir „geistliche Opfer“ darzubringen haben. Denn um soviel besser die Wirklichkeit ist als das Bild, umso herrlicher ist alles in Christi Reich. Wir besitzen jenes himmlische Vorbild, welchem das alte Heiligtum und alles, was Mose im Gesetz verordnet hatte, dienen musste (Ebr. 8, 5).

Zum heiligen Priestertum. Wie hoch hat Gott uns doch gewürdigt, dass er uns nicht bloß zu seinem Tempel weiht, in dem er wohnt und verehrt wird, sondern dass er uns zugleich zu seinen Priestern haben will! Diese doppelte Ehre preist Petrus, um unsern Eifer zur Verehrung Gottes zu wecken. Unter den geistlichen Opfern steht an erster Stelle die allgemeine Darbringung unser selbst, von welcher Paulus Röm. 12, 1 schreibt. Denn wir können dem Herrn nichts darbringen, als bis wir uns selbst ihm zum Opfer gegeben haben, was in der Selbstverleugnung geschieht. Daran erst schließen sich Gebete und Danksagungen und andere Übungen der Frömmigkeit.

Geistliche Opfer, die Gott angenehm sind. Dies muss unsere Freudigkeit noch steigern, dass wir wissen, wie wohlgefällig dem Herrn der Dienst ist, den wir ihm leisten; umgekehrt müsste ein Zweifel in dieser Hinsicht notwendig Lässigkeit gebären. Wir haben hier also einen dritten Antrieb dieser Ermahnung: kein banges Fragen darf uns träge machen, weil der Apostel bezeugt, dass Gott unsere Leistungen annimmt. Gewiss werden auch die Götzendiener durch eine große Inbrunst zu ihren selbst gemachten Kultusformen getrieben: Satan macht ihre Sinne trunken, damit sie nicht zur Besinnung über ihr Treiben kommen sollen. Sobald aber ihr Gewissen in Schwierigkeiten gerät, beginnen sie zu schwanken. Denn unmöglich kann sich ein Mensch ernstlich und von Herzen dem Herrn ergeben, wenn er nicht weiß, dass er sich nicht umsonst müht. Aber der Apostel fügt hinzu: durch Jesus Christus. Denn unsere Opfer werden niemals so rein erfunden, dass sie an sich selbst dem Herrn erfreulich sein könnten: niemals ist unsere Selbstverleugnung lauter und vollkommen, niemals unser Gebetseifer so ernst, wie er sein sollte; niemals sind wir so völlig und brennend darauf bedacht, Gutes zu tun, dass nicht unsere Werke mangelhaft und mit vielen Fehlern behaftet blieben. Christus aber schafft ihnen trotz allem Anerkennung. Petrus begegnet also dem Misstrauen, welches uns bei der Frage beschleichen muss, ob unsere Leistungen angenommen werden: er erklärt sie für angenehm, nicht wegen des Verdienstes eigener Trefflichkeit, sondern um Christi willen. Es muss dies unsern Eifer noch mehr entflammen, wenn wir hören, dass Gott so freundlich mit uns handelt und in Christus unsern Werken einen Wert beimisst, den sie in sich selbst nicht haben. Übrigens ließen sich die Worte auch so verbinden, dass wir unsere geistlichen Opfer durch Jesus Christus opfern. Ähnlich lesen wir ja im Ebräerbrief (13, 15), dass wir durch ihn dem Herrn das Lobopfer bringen sollen. Der Sinn bleibt doch derselbe: denn wir bringen unser Opfer durch Christus dar, damit es dem Herrn wohlgefällig sei.

6 Darum stehet in der Schrift: „Siehe da, ich lege einen auserwählten, köstlichen Eckstein in Zion; und wer an ihn glaubet, der soll nicht zu Schanden werden.“ 7 Euch nun, die ihr glaubet, ist er köstlich; den Ungläubigen aber ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben und zum Eckstein geworden ist, 8 ein Stein des Anstoßens und ein Fels des Ärgernisses; die sich stoßen an dem Wort und glauben nicht dran, dazu sie auch gesetzt sind.

V. 6. Darum stehet in der Schrift usw. Die vorige Aussage bedurfte einer Bestätigung. Sehen wir doch, aus wie leichtfertigen und nichtigen Gründen viele sich von Christus abschrecken lassen, manche ganz abfallen. Der hindernde Anstoß liegt vornehmlich darin, dass nicht bloß die Masse der Menschen Christus verschmäht und verachtet, sondern insbesondere diejenigen, die eine Ehrenstellung einnehmen und über andere hervorzuragen scheinen. Dass nur zu viele ihre Schätzung Christi nach dem verkehrten Urteil der Welt einrichten, ist eine von jeher geläufige, heute namentlich überhand nehmende Verirrung. Bei der Undankbarkeit und Unfrömmigkeit der Menschen wird aber Christus allenthalben verachtet. Wenn nun immer einer auf den andern sieht, geben nur wenige ihm die rechte Ehre. Darum erinnert Petrus an das, was über Christus vorausgesagt ward, damit es uns nicht vom rechten Glauben abtreibe, wenn man ihn verachtet und verwirft. Die angeführte Stelle ist aus Jesaja (28, 18) genommen. Dort schließt der Prophet an eine Strafrede wider die verzweifelte Bosheit des Volkes endlich die Erklärung: Eure Untreue wird es doch nicht hindern können, dass Gott seine Gemeinde wieder aufrichte, die jetzt durch eure Schuld gänzlich in Trümmern liegt. Der Prophet beschreibt auch die Weise des Wiederaufbaus: Ich will in Zion einen Stein legen. Daraus schließen wir, dass der Bau der Gemeinde ohne Christus nicht bestehen kann; denn allein auf ihn lässt er sich gründen, wie Paulus bezeugt (1. Kor. 3, 11). Das ist nicht zu verwundern: denn in ihm ist unser ganzes Heil begriffen. Wer also nur im Geringsten von Christus abweicht, wird statt einer Stütze einen Abgrund finden. Darum nennt ihn der Prophet nicht nur einen Eckstein, auf dem die Hauptlast des Gebäudes ruht, sondern auch den bewährten Stein, buchstäblich den „Stein der Bewährung“, nach welchem die Linien des Baues sich richten müssen, endlich ein Fundament, das wohl gegründet ist und den ganzen Bau zusammenhält. Der Eckstein hat also die Eigenschaft, dem ganzen Gebäude die Richtung zu geben, so dass er zur einzigen Grundlage dient. Petrus entnimmt nun aus den Worten des Propheten nur, was für seinen gegenwärtigen Zweck besonders passt: der Stein ist auserwählt, voller Ehre und Köstlichkeit, und endlich müssen wir uns auf ihn gründen. Der Hinweis auf seine Ehre will dies erreichen, dass Christus, wie verächtlich er auch der Welt erscheint, von uns nicht gering geschätzt werde, da er bei Gott im höchsten Ansehen steht. Dass er aber der Eckstein heißt, will einprägen, dass Leute, die sich nicht auf Christus stützen, für ihr Heil übel sorgen. Denn nur auf dem Eckstein ruht die Last des Gebäudes. Bemerkenswert erscheint auch, dass der Prophet Gott den Herrn redend einführt. Denn er allein ist es, der seine Gemeinde aufrichtet und baut, wie es auch im Psalm (48, 9) heißt, dass seine Hand Zion gegründet hat. Er bedient sich zu diesem Bau freilich der Menschen Hilfe und Dienst; doch kann er mit gutem Grund sagen, dass es sich dabei um sein eigenes Werk handelt. Christus ist also für uns das Fundament des Heils, weil er uns zu diesem Zweck vom Vater verordnet ward. Dass der Eckstein in Zion liegen soll, wird gesagt, weil dort der Bau des geistlichen Tempels anheben soll. Wenn unser Glaube sich zuverlässig auf Christus gründen will, muss er sich zum Gesetz und den Propheten begeben. Wenn auch dieser Stein den ganzen Erdkreis bis zu den letzten Winkeln erfüllt, so musste er doch zuerst in Zion gelegt werden, wo damals der Sitz der Gottesgemeinde war. Er ward aber gelegt, als der Vater ihn kundtat, um seine Gemeinde wiederherzustellen. So wollen wir endlich auch dies festhalten, dass nur diejenigen auf Christus sich stützen, welche die Einheit der Gemeinde pflegen; denn der stützende Stein liegt allein in Zion. Weil aber aus Zion die Gemeinde hervor wuchs, die jetzt nach allen Richtungen sich ausgebreitet hat, so hat von dort auch unser Glaube seinen Anfang genommen, wie Jesaja (2, 3) spricht: „Von Zion wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.“ Damit stimmt auch das Wort des Psalms (110, 2) zusammen: „Der Herr wird das Zepter deines Reiches senden aus Zion.“

Und wer an ihn glaubet usw. Der Prophet sagt nicht ausdrücklich: „an ihn“, - sondern allgemein: „Wer glaubt, soll nicht fliehen.“ Weil aber Gott uns dort ohne Zweifel Christus als Zielpunkt des Glaubens vorstellt, muss der Glaube, von dem der Prophet spricht, auf ihn allein schauen. Sicherlich kann niemand recht glauben, als wer sich vornimmt, von ganzem Herzen bei Christus zu verharren. Jedenfalls ist der Sinn des Prophetenwortes, dass der Gläubige nicht wanken noch schwanken kann, weil er eine feste und sichere Stütze hat. Und dies ist eine herrliche Lehre, dass wir über die Gefahr eines Falls erhaben sind, weil wir uns auf Christus stützen. Übrigens schreibt der Apostel etwas abweichend, dass nicht zu Schanden werden soll, wer an Christus glaubt. Er folgt der griechischen Übersetzung, womit er doch den richtigen Sinn nicht verändert.

V. 7. Euch nun, die ihr glaubet, ist er köstlich. Zuerst bezeichnet Gott den Herrn Christus als einen auserwählten und köstlichen Stein; nun schließt der Apostel daraus, dass er ein solcher auch für uns sein wird. Denn sicherlich wird hier Christus beschrieben, wie wir in durch die Erfahrung des Glaubens ergreifen, und wie er sich uns durch wahrhaftige Beweise dartut. Darum wollen wir uns diese Folgerung fleißig einprägen: Christus ist vor Gott ein auserwählter Stein, also ist er es auch für die Gläubigen. Denn allein der Glaube enthüllt uns den Wert und die herrliche Bedeutung Christi. Weil aber der Apostel dem Anstoß begegnen will, der uns aus dem Vorhandensein einer so großen Schar von Gottlosen erwächst, fügt er alsbald einen weiteren Satz betreffs der Ungläubigen hinzu: wenn sie Christus verschmähen, können sie ihm doch nicht die Ehre nehmen, welche der Vater ihm verliehen hat. Dafür wird ein Vers aus dem 118. Psalm beigebracht (V. 22): der Stein, den die Bauleute verworfen haben, soll dennoch als Eckstein aufgerichtet werden. Daraus folgt, dass Christus wider den Willen seiner Feinde seinen Ehrenplatz behauptet, welchen der Vater ihm angewiesen hat. Zwei Gedanken sind hier bemerkenswert. Erstlich: Christus musste von denen verworfen werden, welche das Regiment in der Gemeinde Gottes führten. Zum andern: ihre Anstrengungen werden vergeblich sein; denn es muss erfüllt werden, was Gott beschlossen hat, dass Christus als Eckstein das Gebäude tragen soll. Dass aber die Psalmstelle in ihrem wahren und eigentlichen Sinn von Christus verstanden werden muss, bezeugt nicht nur der heilige Geist, sondern auch Christus selbst, der sie so auslegt (Mt. 21, 42). Ohne Zweifel war dieses Verständnis von den Vätern her überliefert. War David zu seiner Zeit der verworfene Stein, so dürfen wir doch als zugestanden annehmen, dass er nur schattenhaft darstellte, was in Christus erfüllt ward. Es konnte die ungefestigten Gläubigen ins Schwanken bringen, dass alle Priester, Älteste und Lehrer, welche allein die Gottesgemeinde darzustellen schienen, Christi Feinde waren. Diesen Anstoß will Petrus beseitigen, indem er darauf hinweist, dass David längst zuvor bezeugt hat, was die Gläubigen jetzt vor Augen sehen. Damit wendet er sich zunächst an die Juden; aber auch heute ist seine Erinnerung nicht minder nützlich. Denn Christi grimmigste Feinde maßen sich die oberste Stellung in der Kirche an und verfolgen mit satanischer Wut sein Evangelium. Der Papst nennt sich seinen Stellvertreter: und doch sehen wir, wie heftig er ihm widerstrebt. Solches Schauspiel kann schlichte und unerfahrene Leute verwirren, weil sie nicht bedenken, dass nur geschieht, was David vorausgesagt hat. Es ist nun ein geläufiges Bild, das bürgerliche oder geistliche Regiment als ein Gebäude darzustellen. Im weiteren Verfolg desselben bezeichnet David diejenigen als Bauleute, welchen das Amt und die Macht der Regierung anvertraut sind, - nicht als ob sie richtig bauten, sondern weil sie den Namen haben und mit rechtmäßiger Gewalt begabt sind. Daraus folgt, dass die Amtsträger keineswegs immer treue und wahre Diener Gottes sind. Es ist also vollkommen lächerlich, wenn der Papst und die Seinen sich die oberste und unzweifelhafte Autorität anmaßen, weil sie die rechtmäßigen Vorsteher der Kirche seien. Ihr Beruf zur Regierung der Gottesgemeinde ist nicht im höherem Grade rechtmäßig, als der Beruf eines Heliogabal (ausschweifender und unwürdiger römischer Kaiser, 218 bis 222 n. Chr.) zur Regierung des Reichs. Aber geben wir ihnen einmal zu, was sie unverschämter Weise beanspruchen, dass sie rechtmäßig berufen seien, so sehen wir doch, was David von den rechtmäßigen Vorstehern der Kirche weissagt: Christus wird von ihnen verworfen. Sie bauen also eher einen Schweinestall als einen Tempel Gottes. Es folgt aber auch das andere Stück: alle Großen mit ihrer stolzen Macht und Würde werden Christus nicht von seinem Platze stoßen.

V. 8. Ein Stein des Anstoßens usw. An den Trost, dass die Gläubigen an Christus, welchem doch die Mehrzahl, und namentlich die Großen, keinen Platz im Gebäude zuerkennen, einen festen und beständigen Grund haben sollen, schließt sich nun die Ankündigung der Strafe, die aller Ungläubigen wartet: deren Beispiel soll auch die Gläubigen schrecken. Zu diesem Zweck wird ein Zeugnis des Jesaja (8, 14) beigebracht. Der Prophet droht daselbst, der Herr solle für die Juden ein Stein des Anstoßens und ein Fels des Ärgernisses werden. Dass dies recht eigentlich auf Christus zutrifft, ergibt sich aus dem Zusammenhang, und auch Paulus deutet es auf ihn (Röm. 9, 32 f.). Denn in seiner Person hat der Herr der Heerscharen sich vollkommen geoffenbart. Es wird hier also allen Gottlosen als schreckliche Rache angedroht, dass Christus ihnen zum Ärgernis und Anstoß werden müsse, weil sie auf ihn sich zu gründen sich weigern. Denn Christus ist zwar stark genug, alle zu tragen, die im Glauben auf ihn sich stützen, aber auch hart genug, alle zu zerschlagen und zu zerbrechen, die ihm widerstehen. Einen Mittelweg gibt es nicht; man muss sich auf ihn erbauen, oder wird an ihm zerschellen.

Die sich stoßen an dem Wort. Dies beschreibt die Weise, wie Christus zum Anstoß wird: er wird es, wenn Menschen sich hartnäckig dem Worte Gottes widersetzen. Dies taten die Juden: obwohl sie vorgaben, den Messias empfangen zu wollen, stießen sie ihn wütend von sich, als er ihnen von Gott dargeboten ward. In derselben Lage sind heute die Papisten: sie beten nur Christi Namen an, mögen aber die Lehre des Evangeliums nicht hören. Petrus gibt also zu verstehen, dass alle, die Christus nicht annehmen, wie er mit seinem Evangelium bekleidet ist, wider sein Wort streiten; zum andern, dass Christus nur solchen Leuten zum Verderben wird, die in blindem Ansturm der Bosheit und Verstockung wider Gottes Wort anlaufen. Dies einzuprägen ist besonders nützlich, damit man nicht die Schuld unserer Sünde Christus anrechne. Er ist uns zum Grundstein gegeben; dass er zum Fels des Ärgernisses wird, ist nur eine Begleiterscheinung. Alles in allem: es ist sein eigentliches Amt, uns in den geistlichen Tempel Gottes einzufügen; dass Menschen an ihm sich stoßen, ist ihre eigene Schuld, weil der Unglaube sie mit Gott in Streit bringt. Um diesen Kampf wider Gottes Wort zu beschreiben, sagt Petrus ausdrücklich: und glauben nicht dran.

Dazu sie auch gesetzt sind. Dieser Satz, der sich ohne Zweifel auf die Juden bezieht, kann doppelt verstanden werden. Vielfach findet man den Sinn, dass die Juden für den Glauben bestimmt waren, weil ihnen die Verheißung des Heils zugedacht war. Mindestens ebenso gut passt aber die andere Deutung, dass sie zum Unglauben bestimmt waren, wie es von Pharao heißt (Röm. 9, 17), dass er dazu gesetzt ward, dem Herrn zu widerstehen, und wie alle Verworfenen für ihr endliches Ziel bestimmt sind. Ich bevorzuge diese Deutung wegen des dazwischen geschobenen Wörtleins „auch“.

9 Ihr aber seid das auserwählete Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; 10 die ihr weiland nicht ein Volk waret, nun aber Gottes Volk seid, und weiland nicht in Gnaden waret, nun aber in Gnaden seid.

V. 9. Ihr aber seid das auserwählete Geschlecht. Noch einmal scheidet der Apostel seine Leser von den Ungläubigen, damit sie sich nicht, wie es meist zu geschehen pflegt, durch deren Beispiel verführen lassen und vom rechten Glauben abfallen. Es wäre widersinnig, wollten die Leute, die Gott von der Welt ausgesondert hat, sich in die Gemeinschaft der Gottlosen verstricken lassen. Darum erinnert Petrus die Gläubigen, zu welch hoher Ehre sie erhoben und für welches Ziel sie berufen wurden. Mit den gleichen Ehrentiteln, die er ihnen zuspricht, hatte Mose das Volk des alten Bundes geschmückt. Der Apostel will damit lehren, dass sie die hohe Würdestellung, aus der sie heraus gefallen waren, erst durch Christi Wohltat wiedererlangen. Der Satz besagt also etwa: Mose hat einst eure Väter ein heiliges Volk, ein priesterliches Königreich und Gottes Eigentum genannt; jetzt werden euch diese Titel mit viel größerem Recht zuteil, weil ja die völlige Darbietung der göttlichen Güter erst in Christus erfolgte: so müsst ihr darauf achten, dass nicht etwa euer Unglaube euch jener Ehrentitel beraube. Da aber der größte Teil des jüdischen Volkes ungläubig war, stellt der Apostel die gläubigen Juden stillschweigend allen anderen gegenüber, obgleich diese doch an Zahl überwogen. Er gibt damit zu verstehen, dass allein, die an Christus glauben, die echten Kinder Abrahams sind und im Besitz aller der Güter bleiben, welche Gott einst durch eine einzigartige Bevorzugung jenem ganzen Geschlecht verliehen hatte Als ein „auserwähltes Geschlecht“ werden sie bezeichnet, weil Gott sie unter Übergehung der andern als einen besonders köstlichen Besitz zu seinen Kindern angenommen hatte. Weiter sind sie das Volk des Eigentums, welches gleichsam Gottes Besitz und Erbe ist. Denn ich verstehe den Ausdruck einfach dahin, dass der Herr uns berufen hat, um uns in Wahrheit als seine Leute zu besitzen, die er sich zugesprochen hat. Dieses Verständnis findet seine Bestätigung durch Moses Worte (2. Mos. 19, 5): „Werdet ihr meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern.“ Wenn der Apostel die Gläubigen als das königliche Priestertum bezeichnet, so stellt er in seiner Weise Moses Worte um, der von einem priesterlichen Königreich sprach. Petrus will sagen: Mose nannte eure Väter ein heiliges Königreich, weil das ganze Volk gleichsam mit königlicher Freiheit begabt war und aus seinem Gesamtkörper die Priester gewählt wurden. Des Weiteren erschien die beiderseitige Würde miteinander vermischt. Jetzt seid ihr königliche Priester, und zwar in herrlich gesteigerter Weise: denn jeder einzelne von euch ist in Christus geweiht, so dass er ein Genosse des Königreichs und ein Teilhaber am Priestertum ist. So besteht eine Ähnlichkeit zwischen den Vätern und euch, und doch seid ihr viel höher erhoben. Nachdem übrigens von Christus der Zaun niedergerissen wurde, schmückt der Herr uns alle, aus welchem Volk wir auch stammen mögen, mit allen diesen Titeln, indem er uns seinem Volk zuzählt. Weiter muss man bei allen diesen Gnadengaben auf den Unterschied zwischen uns und dem übrigen Menschengeschlecht achten. Dadurch rückt die unvergleichliche Güte Gottes gegen uns in ein noch helleres Licht: der Herr macht uns heilig, obwohl wir von Natur befleckt sind. Er erwählt uns, obwohl er in uns nur Hässliches und Verwerfliches findet. Aus einem schmutzigen Nichts macht er uns zu seinem Eigentumsvolk. Profanen Menschen schenkt er die Ehre des Priestertums. Knechte des Satans, der Sünde und des Todes führt er zu königlicher Freiheit empor.

Dass ihr verkündigen sollt usw. Mit Ernst prägt der Apostel den Zweck der Berufung ein und spornt seine Leser an, dem Herrn die Ehre zu geben. Der Hauptgedanke ist der: Gott hat uns unzähliger Wohltaten gewürdigt und geleitet uns damit fortwährend, damit durch uns sein Ruhm verherrlicht werde. Denn unter Gottes Tugenden ist seine Weisheit und Güte, Macht und Gerechtigkeit zu verstehen, sowie all solches Tun, worin seine Herrlichkeit widerstrahlt. Übrigens soll von diesen Tugenden nicht bloß unsere Zunge sprechen, sondern unser ganzes Leben. Diese Wahrheit sollen wir täglich bedenken, jeden Augenblick sollen wir sie uns ins Gedächtnis zurückrufen: alle Wohltaten, die Gott uns angedeihen lässt, zielen darauf, dass durch uns sein Ruhm verkündigt werde. Bemerkenswert ist auch, was der Apostel hinzufügt, dass Gott uns berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. Diese Worte erheben die Größe seiner Gnade noch höher. Es wäre eine verhältnismäßig geringe Wohltat, käme der Herr uns auf einem Wege entgegen, da wir das Licht suchten. Viel erhabener ist es, dass er uns aus dem Labyrinth der Blindheit und dem Abgrund der Finsternis herausreißt. Wir ersehen daraus, in welcher Lage wir uns befinden, bevor Gott uns in sein Reich hinüber führt. Darauf deutet auch das Wort des Jesaja (60, 2): „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker. Aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit wird über dir erscheinen.“ Sicherlich können wir nur in tiefste Finsternis versinken, wenn wir uns von Gott entfernen, der unser Licht ist. Ausführlicheres darüber steht im zweiten Kapitel des Epheserbriefs.

V. 10. Die ihr weiland nicht ein Volk waret. Der Apostel bringt zur Bestätigung ein Wort aus Hosea (2, 25) bei und passt dasselbe trefflich seiner Ansicht an. Der Prophet hat in Gottes Namen den Juden die Verstoßung angekündigt und macht ihnen nun Hoffnung auf künftige Wiederversöhnung. Petrus weist nun darauf hin, dass dies zu seiner Zeit erfüllt ward. Denn die Juden waren hierhin und dorthin verstreut, wie die Glieder eines zerrissenen Körpers, ja sie schienen von Gottes Volk abgeschnitten: es fand sich bei ihnen keine Gottesverehrung mehr, und sie waren in heidnische Verderbnis verwickelt. Man konnte also nichts anderes sagen, als dass der Herr sie verstoßen hatte. Wenn er sie aber in Christus wieder sammelt, werden sie in Wahrheit aus einem Nicht-Volk zum Volk Gottes. Paulus deutet (Röm. 9, 26) diese Weissagung auch auf die Heiden, und nicht mit Unrecht. Denn nachdem der Bund mit Gott gebrochen war, welcher den einzigen Vorzug der Juden bildet, sind sie den Heiden gleich geworden. So bezieht sich die Zusage Gottes, aus einem Nicht-Volk sich sein Volk zu bilden, gleicher weise auf beide Teile.

Und weiland nicht in Gnaden waret. Mit diesem Zusatz will der Prophet deutlicher ausdrücken, dass der Bund, durch welchen Gott uns zu seinem Volk annahm, aus freier Gnade floss. Kein anderer Grund bestimmte ihn, uns als sein Eigentum anzusehen, als weil er sich unser erbarmt und uns unverdientermaßen zu seinen Kindern annimmt.

11 Liebe Brüder, ich ermahne euch als die Fremdlinge und Pilgrime: enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten, 12 und führet einen guten Wandel unter den Heiden, auf dass die, so von euch afterreden als von Übeltätern, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimsuchung.

V. 11. Als die Fremdlinge usw. Diese Ermahnung enthält zwei Stücke: erstlich soll unsre Seele von sündhaften und bösen Begierden rein und frei sein; zum andern sollen wir ehrbar unter den Menschen wandeln, damit wir durch das Beispiel eines guten Lebens nicht nur die Frommen stärken, sondern auch die Ungläubigen für Gott gewinnen. Um nun seine Leser von fleischlichen Begierden zurückzuhalten, benützt es der Apostel als Beweis, dass sie Fremdlinge und Pilgrime sind. So nennt er sie, nicht weil sie fern von ihrem Vaterland in verschiedene Gegenden verstreut waren, sondern weil Gottes Kinder, wo sie auch auf Erden weilen mögen, bloße Beisassen in der Welt sind. Im ersteren Sinne war der Ausdruck, wie aus dem dortigen Zusammenhange hervorgeht, im Eingang des Briefes gebraucht; was der Apostel aber an unserer Stelle sagt, gilt allen Christen insgemein. Denn nur darum halten uns fleischliche Begierden gefangen, weil unser Sinn in dieser Welt sich heimisch macht und wir nicht daran denken, dass der Himmel unser Vaterland ist. Menschen aber, die wie Pilger durch dieses Leben gehen, werden sich niemals dem Fleisch zu Dienst stellen. Übrigens sind unter den fleischlichen Lüsten nicht bloß die gröbsten Begierden zu verstehen, die wir mit den Tieren teilen, sondern alle Neigungen unserer Seele, zu welchen die Natur uns treibt und leitet. Denn es lässt sich nicht bestreiten, dass die Gesinnung des Fleisches, d. h. der unerneuerten Natur, Feindschaft gegen Gott ist (Röm. 8, 7).

Welche wider die Seele streiten. Dies ist ein zweiter Beweisgrund: wer den Begierden des Fleisches nachgibt, tut es nur zu seinem Verderben. Denn der Ausdruck beschreibt hier nicht jenen Kampf der Seele in sich selbst, von welchem Paulus im siebenten Kapitel des Römerbriefes spricht (vgl. auch Gal. 5, 17 ff.), sondern er will besagen, dass die fleischlichen Lüste der Seele, die ihnen zustimmt, das Verderben bereiten müssen. Der Apostel straft unsere Sorglosigkeit in diesem Stück: während wir ängstlich darauf bedacht sind, uns gegen Feinde zu schützen, von denen wir Gefahr für den Leib fürchten, lassen wir unbedenklich die gefährlichsten Seelenfeinde herankommen, so dass sie uns töten können; ja, wir strecken ihnen gleichsam den Hals hin.

V. 12. Und führet einen guten Wandel. Das ist das zweite Stück der Ermahnung: Christen sollen sich ehrbar vor den Menschen halten. An erster Stelle steht freilich, dass die Seele vor Gott rein sei: dann aber müssen wir auch auf die Menschen Rücksicht nehmen, dass wir ihnen nicht Anstoß bereiten. Insbesondere spricht der Apostel von den Heiden, welche afterreden. Waren doch die Juden allenthalben nicht bloß ein Gegenstand des Hasses, sondern geradezu des Abscheus. So mussten sie umso mehr darnach streben, durch ein heiliges Leben und wohlgeordnete Sitten den Hass und die Schande auszutilgen, die auf ihrem Namen lagen. Denn es gilt die Mahnung des Paulus, dass man nicht denen Ursache geben soll, die Ursache suchen (2. Kor. 11, 12). Die Schmähungen und Stichelreden gottloser Leute sollen uns also ein Antrieb zu rechtschaffenem Leben werden. Denn es ist nicht Zeit, in ruhigem Schlaf zu träumen, während jene wachsam auf jeden Fehltritt achten, den wir etwa begehen.

Und Gott preisen usw. Es wird uns eingeprägt, dass wir nicht um unsertwillen darauf sehen sollen, dass die Menschen Gutes von uns denken und reden; vielmehr gilt es, wie auch Christus lehrt (Mt. 5, 16), Gottes Ehre zu suchen. Petrus zeigt auch, wie dies geschehen kann: die Ungläubigen sollen durch unsere guten Werke bestimmt werden, sich ebenfalls dem Herrn zu unterwerfen; so werden sie durch diesen Grund ihrer Bekehrung dem Herrn die Ehre geben. Darauf deutet der Ausdruck: am Tage der Heimsuchung. Manche beziehen denselben freilich auf Christi letzte Ankunft. Ich aber deute ihn dahin, dass Gott das heilige und ehrbare Leben der Seinen wie eine Anleitung gebraucht, Irrende auf den rechten Weg zu führen. Denn dies ist der Anfang unserer Bekehrung, dass Gott sich herablässt, mit väterlichem Auge auf uns zu blicken; wendet er aber sein Angesicht von uns ab, so müssen wir vergehen. Darum heißt der Tag, an dem er uns zu sich zurückruft, mit Recht der Tag der Heimsuchung oder der gnädigen Zuwendung.

13 Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem, der Gewalt hat, 14 oder den Beamten, als die von ihm gesandt sind zur Rache über die Übeltäter und zu Lobe den Frommen. 15 Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit Wohltun verstopfet die Unwissenheit der törichten Menschen, 16 als die Freien, und nicht als hättet ihr die Freiheit zum Deckel der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes.

V. 13. Seid untertan aller menschlichen Ordnung. Jetzt wendet sich der Apostel zu besonderen Mahnungen. Und weil der Gehorsam gegen die Obrigkeit auch ein Stück eines rechtschaffenen Wandels ist, zieht er den Schluss: Seid also untertan usw. Hätten die Leser sich wider das Joch der Oberherrschaft aufgelehnt, so würden sie den Heiden einen ganz besonderen Anlass zum Afterreden gegeben haben. Machten sich doch die Juden eben dadurch verhasst und anrüchig, dass man sie wegen ihrer Widerspenstigkeit für unbezähmbar halten musste. Da aus den Unruhen, die sie in den Provinzen erregten, vielerlei Widrigkeiten hervorgingen, so fürchtete sich jedes friedliche und stille Gemüt vor ihnen wie vor der Pest. So fühlt sich eben dadurch Petrus veranlasst, über die Untertänigkeit so ernste Vorschriften zu geben. Außerdem hielten viele das Evangelium für eine Freiheitspredigt, auf Grund deren ein jeder sich der Dienstbarkeit entziehen könne. Es erschien als eine Unwürdigkeit, dass Gottes Kinder Knechte sein und dass die Erben der Welt nicht einmal freie Verfügung über ihren Leib haben sollten. Als weitere Versuchung kam hinzu, dass alle Obrigkeiten Christus feindlich waren und ihre Obergewalt missbrauchten. So leuchtete in ihnen nichts von dem Abbilde Gottes, welches vornehmlich Ehrfurcht erweckt. Jetzt verstehen wir die Absicht des Petrus: seine Mahnung an die Juden, die staatliche Ordnung zu pflegen, war durch zwingende Gründe veranlasst. Das Wort, welches wir durch „Ordnung“ wiedergeben, bedeutet buchstäblich Schöpfung oder Auferbauung. Petrus will daran erinnern, dass Gott als Schöpfer der Welt das Menschengeschlecht nicht der Unordnung und tierischen Lebensweise überlassen habe: vielmehr sei wie in einem wohlgeordneten Gebäude jedem einzelnen Glied sein Platz angewiesen. „Menschlich“ heißt diese Ordnung nicht etwa, weil sie von Menschen erfunden wäre, sondern weil eine solche wohl eingeteilte und geregelte Lebensweise dem Menschengeschlecht eigentümlich ist.

Es sei dem Könige usw. Gemeint ist der römische Kaiser, unter dessen Oberherrschaft die im Eingang des Briefes genannten Gegenden standen. Freilich war der Königsname bei den Römern äußerst verhasst, aber bei den Griechen neben der Bezeichnung als Selbstherrscher durchaus in Gebrauch. Was als Grund notwendiger Unterwerfung beigefügt wird, dass der Kaiser Gewalt hat, soll ihn nicht etwa mit anderen Obrigkeiten in Vergleich stellen. Gewiss war er der Oberherr; aber die Gewalt, welche Petrus ihm zuschreibt, eignet allen, die öffentliche Macht ausüben. Darum dehnt Paulus im 13. Kapitel des Römerbriefs die Aussage auf alle Obrigkeiten aus. Die Meinung ist aber, dass man allen regierenden Personen Gehorsam schuldet, weil sie nicht durch Zufall, sondern durch Gottes Vorsehung zu ihrer Ehrenstellung erhoben wurden. Die meisten pflegen nämlich gar zu peinlich darnach zu forschen, durch welchen Rechtsgrund ein jeglicher seine Herrscherstellung erlangt habe. Wir sollten aber allein damit uns zufrieden geben, dass die Herrscher eben herrschen. Darum beugt Paulus allen überflüssigen Einwürfen vor, indem er verkündet: „Es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott.“ Unter diesem Gesichtspunkt weist die Schrift auch sonst immer wieder darauf hin, dass Gott es ist, der die Könige mit dem Schwert gürtet, der sie zur Höhe emporhebt, der Königreiche gibt, welchem er will. Diesen Hinweis beizufügen, war besonders nötig, weil Petrus vom römischen Kaiser sprach. Denn ohne Zweifel waren es böse Künste und nicht rechtmäßige Gründe, durch welche die Römer nach Asien vorgedrungen waren und sich jene Gegenden unterworfen hatten. Zudem hatten die Kaiser, die damals regierten, die Oberherrschaft durch tyrannische Gewaltsamkeit an sich gerissen. Darum sagt Petrus, dass man dies alles nicht in Erörterung ziehen soll: Untertanen sollen ihren Herrschern ohne Widerspruch gehorchen, da jene nur darum über ihnen stehen, weil Gottes Hand sie erhoben hat.

V. 14. Oder den Beamten. Darunter sind alle Vertreter der Obrigkeit zu verstehen: gibt es doch keine Art der Herrschaft, der man sich nicht unterwerfen müsste. Der Grund ist, dass die Beamten als Gottes Diener dastehen. Denn dass sie von ihm gesandt sind, darf man durchaus nicht auf den König beziehen. Vielmehr wird als gemeinsamer Grund zur Empfehlung der Autorität aller Obrigkeiten eingeprägt, dass sie durch Gottes Befehl herrschen und von ihm gesandt werden. Daraus folgt, wie auch Paulus lehrt, dass man dem Herrn widerstrebt, wenn man der von ihm geordneten Gewalt sich nicht gehorsam unterwirft.

Zur Rache über die Übeltäter usw. Ein zweiter Grund, weshalb man die staatliche Ordnung ehrfürchtig anerkennen und pflegen muss: sie wurde von Gott zum gemeinen Besten des Menschengeschlechtes aufgerichtet. Wem der öffentliche Nutzen nicht am Herzen liegt, gleicht einem wilden Tier. Alles in allem will Petrus sagen: weil Gott die Welt durch den Dienst der Obrigkeiten erhält, ist der ein Feind des menschlichen Geschlechts, der ihrem Regiment Abbruch tut. Zum Beweise dienen ihm die beiden Stücke, die auch nach Plato den Staat aufrechterhalten: die Ehrung der Guten und die Bestrafung der Bösen. Denn im Altertum waren nicht bloß Strafen für Übeltäter, sondern auch Belohungen für gute Bürger verordnet. Gewiss kommt es oft vor, dass die Ehren nicht recht verteilt werden und wohlverdienten Leuten nicht entsprechender Lohn gegeben wird. Aber schon die Ehre soll man nicht unterschätzen, dass die Guten wenigsten unter dem Schutz und der Obhut der Obrigkeiten leben dürfen, dass sie nicht der Vergewaltigung und Beleidigung durch frevelhafte Leute preisgegeben sind, dass sie unter Gesetz und Gericht viel ruhiger leben und ihren Wert behaupten können, als wenn ein jeglicher, durch keine Bande gezügelt, nach seiner Willkür leben dürfte. Alles in allem: es ist ein einzigartiger Segen Gottes, dass frevelhafte Leute nicht tun dürfen, was ihnen beliebt. Allerdings ließe sich einwenden, dass Könige und andere Obrigkeiten oft ihre Gewalt missbrauchen und mehr in tyrannischer Grausamkeit daherstürmen, als dass sie eine gesetzmäßige Herrschaft übten. So ungefähr stand doch die Sache, als unser Brief geschrieben wurde. Ich antworte: der Missbrauch, welchen die Tyrannen und ähnliche Leute treiben, kann doch nicht hindern, dass Gottes Ordnung immer feststeht; so wird auch die bleibende Einrichtung der Ehe nicht umgestoßen, wenn ein Ehemann oder eine Ehefrau sich unziemlich betragen. Mögen die Menschen noch so weit abirren, so wird doch der feste, von Gott gesetzte Zielpunkt nicht von der Stelle gerückt. Wiederum könnte jemand einwenden, dass man Fürsten nicht zu gehorchen braucht, die Gottes heilige Ordnung, soviel an ihnen ist, auf den Kopf stellen, ja sich wie reißende Tiere gebärden, da doch die Obrigkeiten Gottes Bild an sich tragen sollten. Ich antworte: die von Gott gesetzte Ordnung muss uns so viel bedeuten, dass wir auch einer tyrannischen Herrschaft, welche die Gewalt in Händen hat, ihre Ehre belassen. Einleuchtender ist vielleicht noch die andere Erwägung, dass eine derartig grausame und zügellose Tyrannei, in der nicht wenigstens ein Schimmer von Recht und Ordnung noch leuchtete, weder jemals existiert hat noch sich überhaupt denken lässt. Gott lässt seine Ordnung niemals durch menschliche Lasterhaftigkeit völlig ersticken; es bleiben immer wenigstens gewisse Grundlinien. Zudem ist ein noch so verunstaltetes und verderbtes Regiment immer noch besser und nützlicher als Anarchie.

V. 15. Denn das ist der Wille Gottes usw. Der Apostel kehrt zu der früheren Belehrung zurück, dass man den Ungläubigen nicht Anlass zum Schmähen geben solle. Doch sagt er jetzt weniger als zuvor. Er spricht nur aus, dass den Unwissenden der Mund verstopft werden soll. Alles in allem soll man derartig leben, dass die Ungläubigen, die wider uns afterreden wollen, sich zum Schweigen gezwungen sehen. Die Ausdrucksweise: verstopfet die Unwissenheit ist ungewöhnlich und darum etwas hart, aber doch keineswegs unverständlich. Wenn die Ungläubigen als törichte Menschen bezeichnet werden, so wird damit der Grund ihrer Schmähungen aufgedeckt: sie wissen nichts von Gott. Wenn übrigens diesen Ungläubigen Verstand und Einsicht abgesprochen wird, so ergibt sich der Schluss, dass rechte Weisheit nur auf der Erkenntnis Gottes ruhen kann. Mögen also die Ungläubigen sich in ihrem Scharfsinn noch so sehr gefallen und auch anderen als klug erscheinen, Gottes Geist spricht ihnen doch das Urteil, dass sie töricht sind. Darum sollen wir lernen, nur in Gott weise zu sein: denn, abgesehen von ihm, gibt es keine Gewissheit. Der Apostel zeigt uns auch, auf welche Weise man die Schmähsucht der Ungläubigen in Schranken halten muss: mit Wohltun. Dieses Wort umfasst alle Pflichten der Menschlichkeit, die wir gegen unsere Nächsten erfüllen müssen. Dazu gehört auch der Gehorsam gegen die Obrigkeit, ohne welchen menschliche Gemeinschaft nicht gepflegt werden kann. Allerdings könnte man einwenden, dass die Gläubigen mit dem größten Eifer zum Wohltun die Schmähungen der Ungläubigen doch nicht abwenden werden. Aber der Apostel will gewiss auch nicht sagen, dass sie über Verleumdungen und üble Nachreden erhaben sein werden, sondern dass die Ungläubigen den von ihnen so sehr gesuchten Stoff zum Afterreden nicht vorfinden sollen. Weiter möge niemand sagen, die Ungläubigen seien es ja nicht wert, dass Kinder Gottes nach ihrem Wink ihr Leben einrichten müssten. Darum erinnert Petrus ausdrücklich: das ist der Wille Gottes, dass ihnen der Mund gestopft werde.

V. 16. Als die Freien usw. Dieser Satz kommt gewissen Missverständnissen zuvor, welchen die Freiheit der Kinder Gottes zu unterliegen pflegt. Wie die Menschen von Natur nur zu scharfsichtig sind, ihren Vorteil zu erspähen, so glaubten viele, als die Predigt des Evangeliums aufkam, sie seien frei, um lediglich sich selbst zu leben. Diesen Wahn zerstört Petrus, indem er kurz darauf hinweist, welch gewaltiger Abstand zwischen der Freiheit der Christen und zügelloser Willkür besteht. Diese Freiheit ist nicht ein Deckel der Bosheit, ward also nicht gegeben, damit wir den Nächsten verletzen oder ihm irgendeinen Schaden zufügen. Wahre Freiheit ist diejenige, die niemand schädlich oder nachteilig ist. Um dies zu bekräftigen, erklärt der Apostel diejenigen für frei, die sich als Knechte Gottes beweisen. Daraus ergibt sich als Ziel unserer Freiheit, dass wir williger und geschickter zum Gehorsam gegen Gott werden sollen. Ist sie doch nichts anderes als Befreiung von der Sünde: der Sünde aber wird die Herrschaft genommen, damit sich die Menschen in den Dienst der Gerechtigkeit stellen. Alles in allem: der Dienst ist frei und die Freiheit dienstbar. Weil wir Knechte Gottes sein müssen, um des Guts der Freiheit zu genießen, bedarf es der Mäßigung in ihrem Gebrauch. Auf diese Weise sind die Gewissen frei: das hindert aber nicht, dass wir dem Herrn dienen, der uns auch den Menschen unterwirft.

17 Tut Ehre jedermann. Habt die Brüder lieb. Fürchtet Gott. Ehret den König.

Dieser Vers fasst die vorigen kurz zusammen. Er weist darauf hin, dass man weder Gott fürchten noch den Menschen ihr Recht geben kann, wenn nicht die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten wird und die Obrigkeiten das Regiment in der Hand behalten. Dass man jedermann Ehre beweisen soll, verstehe ich dahin, dass man niemand in dieser Hinsicht vernachlässigen soll. Denn wir haben es mit einer allgemeinen Vorschrift zu tun, welche der Erhaltung und Pflege menschlicher Gemeinschaft dient. „Ehre“ ist für die Ebräer ein sehr weiter Begriff; und wir wissen, dass die Apostel, obwohl sie griechisch schrieben, sich der Ausdrucksweise dieser Sprache bedienten. Darum scheint mir der Ausdruck nichts anderes zu besagen, als dass man auf jedermann die schuldige Rücksicht nehmen soll. Denn soviel an uns ist, müssen wir Friede und Freundschaft mit allen Menschen pflegen: der Eintracht steht aber nichts mehr entgegen als Verachtung. Die angeschlossene Mahnung: Habt die Brüder lieb, ist eine besondere Anwendung des ersten Satzes. Denn sie bezieht sich auf die einzigartige Liebe, mit der wir die Genossen des Glaubens umfassen sollen, weil uns ja ein besonders enges Band mit ihnen verknüpft. Petrus will also nicht, dass man diese Stufen überspringe; aber erinnert doch, dass der Vorzug, der den Brüdern gebührt, unsere Liebe nicht hindern soll, sich auf das ganze Menschengeschlecht auszudehnen.

Fürchtet Gott. Ich sagte schon, dass Petrus alle diese Sprüche seiner gegenwärtigen Absicht dienstbar macht. Seine Meinung ist, dass die Ehre, die man den Königen beweist, aus der Furcht Gottes und der Liebe zu den Menschen entspringt und darum mit diesen Tugenden sich verbindet. Es ist, als hätte er gesagt: Wer nur immer Gott fürchtet, seine Brüder liebt und das ganze Menschengeschlecht mit schuldigem Wohlwollen umfasst, wird auch den Königen ihre Ehre geben. Dabei nennt der Apostel ausdrücklich „den König“, d. h. den römischen Kaiser, weil diese Regierungsform vor andern verhasst war und alle übrigen unter sich befasste.

18 Ihr Knechte, seid untertan mit aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen. 19 Denn das ist Gnade, so jemand um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und leidet das Unrecht. 20 Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missetat willen Streiche leidet? Aber wenn ihr um Wohltat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott.

V. 18. Ihr Knechte, seid untertan usw. Auch diese besondere Mahnung hängt, wie alle folgenden, mit dem vorangestellten Hauptsatz zusammen. Denn das die Knechte ihre Herren, die Weiber ihren Männern gehorchen sollen, dient alles zur Erhaltung menschlicher Ordnung. Die Knechte sollen untertan sein mit aller Furcht. Damit wird eine reine und freiwillige Stimmung der Ehrfurcht gefordert, in welcher sie innerlich anerkennen, was sie zu tun schuldig sind. Diese Furcht steht also im Gegensatz einerseits zur Heuchelei, anderseits zu gewaltsamem Zwang. Denn der „Dienst vor Augen“, wie Paulus (Kol. 3, 22) sich ausdrückt, ist das Widerspiel der Ehrfurcht. Und wenn auf der anderen Seite die Knechte wider ihre erzwungene Leistung murren, bereit, das Joch abzuschütteln, wenn sie nur dürften, so kann auch nicht von Ehrfurcht die Rede sein. Alles in allem: die rechte Furcht wird aus der Erkenntnis der Pflicht geboren. Eine Einschränkung, die hier allerdings nicht ausdrücklich steht, muss man aus anderen Stellen ergänzen. Die Unterwerfung nämlich, welche wir Menschen schulden, reicht niemals so weit, dass sie Gottes Oberherrschaft schmälern dürfte. Darum sollen die Knechte den Herren unterworfen sein, aber in Gott, oder wie man zu sagen pflegt, bis zur Grenze des Altars. Übrigens umfasst der griechische Ausdruck an dieser Stelle nicht nur die Sklaven, sondern auch die freie Dienerschaft.

Nicht allein den gütigen usw. Nur so weit müssen Sklaven den Herren gehorchen, dass sie nichts gegen das Gewissen tun. Werden sie aber unrecht behandelt, was ihre eigene Person angeht, so dürfen sie den Gehorsam nicht verweigern. Mögen die Herrn sein, wie sie wollen, - die Knechte haben keine Entschuldigung, wenn sie ihnen nicht treuen Gehorsam leisten. Denn wenn ein Vorgesetzter seine Macht missbraucht, wird er zwar einst vor Gott Rechenschaft geben müssen, verliert aber in der Gegenwart sein Recht nicht. Die Sklaven unterliegen nun einmal der Ordnung, dass sie auch unwürdigen Herren dienen müssen. Die wunderlichen oder „verdrehten“ Herren stehen im Gegensatz zu den gütigen und freundlichen. Gemeint sind grausame und unerträgliche Menschen, die nicht Freundlichkeit noch Milde beweisen.

V. 19. Denn das ist Gnade, man könnte auch sagen: ein Lob. Der Apostel will sagen, dass wir uns vor Gott keine Gnade noch Lob erwerben, wenn wir eine Strafe aushalten, die wir mit unseren Sünden verdient haben. Vielmehr sind nur solche Leute lobenswert und tun ein Gott wohlgefälliges Werk, die geduldig Unrecht ertragen. Es war in jener Zeit sehr nötig, auszusprechen, dass ein Mensch vor Gott in Gnaden steht, wenn er in Rücksicht auf Gott um seines guten Gewissens willen in seiner Pflicht verharrt, selbst wenn die Menschen ihn ungerecht und unwürdig behandeln. Denn die Lage der Sklaven war eine überaus harte: man ging beleidigend mit ihnen um, wie mit einem Stück Vieh. Solch unwürdige Behandlung konnte sie zur Verzweiflung treiben; es blieb ihnen nur das eine übrig, auf Gott zu schauen. Dies nämlich bedeutet der Ausdruck: um des Gewissens willen zu Gott, dass jemand nicht in Rücksicht auf Menschen sondern auf Gott seine Pflicht tut. Denn wenn ein Weib nachgiebig und ihrem Mann gehorsam ist, um sich ihm zu empfehlen, hat sie ihren Lohn in der Welt, wie Christus dies von den ehrgeizigen Leuten sagt, die auf Menschengunst schauen (Mt. 6, 16). Das gleiche gilt von jeder anderen Lage. Wenn ein Sohn dem Vater gehorcht, um ihn wohlwollend und günstig zu stimmen, wird er seinen Lohn vom Vater haben, nicht von Gott. Der Hauptgedanke ist also, dass dem Herrn unsere Dienstleistungen angenehm sind, wenn uns dabei der Zweck vorschwebt, ihm zu dienen, und wir uns nicht lediglich durch Rücksicht auf Menschen treiben lassen. Wer aber bedenkt, dass er es mit Gott zu tun hat, muss notwendig dahin streben, das Böse mit Gutem zu überwinden. Denn nicht bloß dies fordert Gott von uns, dass wir uns gegen einen jeglichen wiederum so halten, wie er sich uns gegenüber stellte: wir sollen auch denen Gutes tun, die es nicht wert sind und die uns verfolgen. Schwierig bleibt aber noch immer die Aussage, dass derjenige kein Lob gewinnen soll, der eine gerechte Strafe geduldig trägt. Denn wenn auch der Herr unsere Sünden straft, ist ihm doch ohne Zweifel die Geduld, mit der wir uns unter seine Strafe ruhigen Gemüts beugen, ein wohlriechendes Opfer. Aber Petrus redet hier nur vergleichsweise: es bedeutet ein geringeres und schwaches Lob, wenn jemand eine gerechte Strafe gleichmütig annimmt, als wenn ein Unschuldiger, lediglich weil er Gott fürchtet, sich nicht weigert, Beleidigungen der Menschen zu tragen.

21 Denn dazu seid ihr berufen; sintemal auch Christus gelitten hat für uns, und uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; 22 welcher keine Sünde getan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden; 23 welcher nicht wieder schalt, da er gescholten ward, nicht dräute, da er litt, er stellte es aber dem heim, der da recht richtet.

V. 21. Denn dazu seid ihr berufen usw. War auch von Knechten die Rede, so dürfen doch die folgenden Sätze nicht auf sie beschränkt werden. Denn der Apostel erinnert die Frommen insgemein, in welcher Lage sie sich als Christen befinden: als der Herr sie berief, legte er ihnen das Gesetz auf, Beleidigungen geduldig zu tragen. Damit uns dies aber nicht zu beschwerlich falle, werden wir durch Christi Beispiel getröstet. Scheint doch nichts unwürdiger und unerträglicher, als ohne Schuld zu leiden. Richten wir aber die Augen auf den Sohn Gottes, so mildert sich diese Herbigkeit. Denn wer sollte die Gefolgschaft verweigern, wenn Er vorangeht? Einer Erläuterung bedarf die Aussage, dass er uns ein Vorbild gelassen hat. Denn wenn von der Nachfolge Christi die Rede ist, muss man unterscheiden, was es eigentlich ist, das uns an ihm als Vorbild aufgestellt wird. Christus ist trockenen Fußes über das Meer gewandelt, hat Aussätzige geheilt, Tote erweckt, Blinden das Gesicht wiedergegeben: wollten wir das gleiche versuchen, so wäre dies eine verkehrte Nachahmung. Denn als er die Zeichen seiner Macht sehen ließ, wollte er uns kein Vorbild zur Nachfolge geben. Ein solches Missverständnis war es auch, wenn man Christi vierzigtägiges Fasten leichthin als Vorbild aufstellte. Aber das hatte doch einen ganz anderen Zweck. Darum gilt es, Urteil anzuwenden, worauf auch Augustin einmal hinweist, wenn er das Wort Christi auslegt (Mt. 11, 29): „Lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Dieser Schluss lässt sich auch aus den Worten des Petrus ziehen; weil es der Unterscheidung bedarf, erinnert er ausdrücklich, dass es Christi Geduld ist, die als nachzuahmendes Vorbild für uns hingestellt wird. Diesen Gedanken unterstreicht auch Paulus (Röm. 8, 29): alle Kinder Gottes sind dazu verordnet, dem Ebenbilde Christi gleich zu werden, auf dass derselbige der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Wollen wir also mit ihm leben, so müssen wir zuerst mit ihm sterben.

V. 22. Welcher keine Sünde getan hat. Dies steht in genauem Zusammenhange mit dem vorliegenden Gegenstande. Denn wollte jemand sich mit seiner Unschuld brüsten, - so hat doch ganz gewiss Christus nicht für Missetaten Strafe erduldet. Dabei weist der Apostel zugleich darauf hin, ein wie weiter Abstand uns von Christus trennt, indem er sagt: ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden. Denn wer in keinem Worte fehlt, ist ein vollkommener Mann, wie Jakobus (3, 2) sagt. Christi Unschuld wird uns dadurch als eine derartig vollkommene beschrieben, dass niemand von uns wagen darf, sie sich anzumaßen. So wird vollends klar, dass er vor allen andern unschuldig gelitten hat. Darum darf niemand von uns sich weigern, nach seinem Vorbild zu leiden, da niemand ein so gutes Gewissen hat, dass er sich nicht irgendeinen Sündenschaden vorwerfen müsste.

V. 23. Welcher nicht wieder schalt usw. Hier gibt Petrus an, was wir an Christus nachahmen sollen: wir sollen Beleidigungen sanftmütig tragen und nicht darauf sinnen, sie zu rächen. Denn unsere Geistesart bringt es mit sich, dass bei erlittenem Unrecht die Seele sofort in Rachbegier aufbraust: Christus dagegen hat sich aller Vergeltung entschlagen. Wir müssen also unser Herz zügeln, damit es nicht begehre, Böses mit Bösem zu vergelten.

Er stellte es (d. h. seine Sache) aber dem heim usw. Dies fügt Petrus zum Trost der Frommen hinzu: wenn sie geduldig Schmähungen und Vergewaltigungen seitens gottloser Leute ertragen, sollen sie wissen, dass Gott rächend auf ihrer Seite steht. Es wäre doch gar zu hart, der Laune gottloser Leute preisgegeben zu sein, ohne dass Gott sich um unser Elend kümmerte. Darum schmückt Petrus den Herrn mit dem rühmenden Beiwort: der da richtet. Er will damit sagen: Uns kommt es zu, mit Gleichmut das Übel zu dulden; inzwischen wird Gott sein Amt nicht vernachlässigen, dass er sich nicht als gerechten Richter zeigte. Wie übermütig auch die Gottlosen sich eine Zeitlang gebärden, so wird es ihnen doch nicht ungestraft hingehen, dass sie jetzt die Kinder Gottes belästigen. Die Frommen brauchen sich nicht zu fürchten, als wären sie alles Schutzes bar. Denn weil es Gottes Beruf ist, sie zu schützen und ihre Sache zu führen, dürfen sie ihre Seele ganz ruhig halten. Diese Lehre bietet auf der einen Seite einen nicht geringen Trost, auf der andern ist sie ganz besonders geeignet, das stürmische Fleisch zu besänftigen und zu zähmen. Denn in Gottes Schutz und Hut kann nur ausruhen, wer sanftmütigen Geistes auf sein Gericht harrt. Wer selbst zur Rache aufspringt, drängt sich an Gottes Stelle und lässt den Herrn nicht seines Amtes warten. Darauf bezieht sich jenes Wort des Paulus (Röm. 12, 19): „Gebet Raum dem Zorn“, nämlich Gottes. Er gibt zu verstehen, dass wir dem Herrn den Weg zu seinem Richten gleichsam vertreten, wenn wir ihm zuvorkommen. Darum bekräftigt Paulus seinen Satz mit Moses Zeugnis (5. Mos. 32, 35): „Die Rache ist mein, spricht der Herr.“ So will denn Petrus einprägen, dass Christi Beispiel uns mäßigt, Beleidigungen zu tragen, wenn wir Gott dem Herrn seine Ehre lassen. Denn wenn wir ihn als gerechten Richter bekennen, dürfen wir ihm unser Recht und unsere Sache anvertrauen. Doch fragt sich, in welcher Weise Christus seine Sache dem Vater anheim stellte. Hat er etwa Rache von ihm erbeten? Uns hat er dies doch verboten. Denn er heißt uns (Mt. 5, 44 ff.) denen wohl tun, die uns beleidigen, und für die bitten, die uns schmähen. Es wird ja auch aus der evangelischen Geschichte hinreichend klar, dass Christus zu Gottes Gericht seine Zuflucht nahm und doch auf seine Feinde nicht Rache herabbetete. Vielmehr stellte er sich als Fürbitter hin, indem er sprach: „Vater, vergib ihnen.“ Und sicherlich fehlt viel, dass die Stimmungen unseres Fleisches mit dem Gericht Gottes zusammenstimmen. Will also jemand seine Sache dem heimstellen, der da recht richtet, so muss er unbedingt zuvor sich einen Zügel anlegen, damit er nicht von Gottes gerechtem Gericht etwas Fremdartiges fordert. Denn wer sich den Zügel schießen lässt und um Rache betet, überlässt dem Herrn nicht das Amt des Richters, sondern will ihn gleichsam zu seinem Henker machen. Wessen Wünsche aber darauf ruhig gestimmt sind, dass er seine Feinde in Freunde verwandelt und auf den rechten Weg geführt sehen möchte, der wird seine Sache in Wahrheit dem Herrn anheim stellen, indem er betet: Herr, du kennst mein Herz und weißt, dass ich gerettet sehen möchte, die mein Verderben wollen. Wenn sie sich bekehren, will ich sie beglückwünschen. Wenn sie verstockt in ihrer Bosheit verharren, weiß ich doch, dass du für mein Heil auf der Wacht stehst, und überlasse dir getrost meine Sache! In solchen Grenzen der Bescheidenheit hielt sich Christus; darum sind auch wir an diese Regel gebunden.

24 Welcher unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, auf dass wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben; durch welches Wunden ihr seid heil geworden. 25 Denn ihr waret wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehret zu dem Hirten und Bischofe eurer Seelen.

Es wäre gar zu flach, wenn der Apostel den Tod Christi uns nur als sittliches Vorbild ans Herz gelegt hätte; darum rühmt er eine weit herrlichere Frucht desselben. Dreierlei will in diesem Zusammenhang erwogen sein. Erstlich hat Christus uns durch seinen Tod ein Beispiel der Geduld gegeben. Zum andern hat er uns vom Tode erlöst und wieder ins Leben gebracht; darum sind wir ihm derartig verpflichtet, dass wir seinem Beispiel willig folgen müssen. Drittens beschreibt der Apostel den Zweck des Todes Christi noch viel umfassender: wir sollen, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Dies alles aber dient dazu, die vorangehende Mahnung zu bekräftigen.

V. 24. Welcher unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat usw. Das ist ein für die Kraft des Todes Christi besonders geeigneter Ausdruck. Wie nämlich unter dem Gesetz ein Sünder, der Lossprechung von seiner Schuld begehrte, ein Opfertier an seine Stelle setzte, so hat Christus den Fluch, den unsre Sünden verdienten, auf sich genommen, um sie vor Gott zu sühnen. Ausdrücklich heißt es, dass er sie auf das Holz getragen hat; denn solche Sühne konnte nur am Kreuz vollbracht werden. Petrus hat also aufs deutlichste ausgesprochen, dass Christi Tod ein Opfer zur Sühnung unserer Sünden war: indem er sich ans Kreuz heften und als Opfer für uns darbringen ließ, nahm er unsre Schuld und Strafe auf sich. Jesaja (53, 5), aus welchem Petrus den Hauptinhalt seiner Lehre entnahm, bedient sich mehrerer Ausdrücke: er ward durch Gottes Hand um unserer Sünden willen zerschlagen, um unserer Missetat willen verwundet, um unsertwillen gebeugt und aufgerieben. Die Züchtigung zu unserem Frieden ward ihm auferlegt. Petrus will mit seinem Wort das gleiche sagen: wir wurden in der Weise mit Gott versöhnt, dass Christus sich von seinem Richterstuhl als Bürgen und Angeklagten für uns darstellte, um die Strafe zu dulden, der wir verfallen waren. Diese Wohltat verdunkeln die Sophisten in ihren Schulen, soviel sie können. Sie schwätzen, dass Christi Todesopfer uns nach der Taufe nur von der Schuld befreie, dass aber die Strafe durch unsre genugtuenden Leistungen weggenommen werde. Wenn aber Petrus sagt, dass Christus unsre Sünden getragen habe, meint er nicht nur, dass ihm die Schuld angerechnet ward, sondern dass er sich auch der Strafe unterzog, um dadurch in Wahrheit zum Sühnopfer zu werden, nach jenem Wort des Propheten: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten.“ Übrigens lässt sich auch das folgende Satzglied: durch welches Wunden ihr seid heil geworden – in den gegenwärtigen Zusammenhang wohl einfügen: wir sollen die Last fremder Sünden auf unsre Schultern nehmen, nicht um sie zu sühnen, wohl aber um sie als eine uns auferlegte Bürde zu tragen.

Der Sünde abgestorben usw. Dass Christi Sterben uns zum Vorbild der Geduld dienen soll, hat der Apostel zuvor schon angemerkt: hier aber redet er, wie gesagt, umfassender davon, dass wir ein heiliges und gerechtes Leben führen sollen. Von beiden Stücken redet die Schrift mehrfach: der Herr übt uns durch Mühsale und Widrigkeiten, damit wir dem Tode Christi gleich gestaltet werden. Zum andern ist davon die Rede, dass unser alter Mensch in Christi Sterben gekreuzigt ward, damit wir in einem neuen Leben wandeln sollen. Der Unterschied zwischen diesem letzten Zweck und der vorigen Mahnung zur Geduld ist nun nicht bloß der, dass die gegenwärtige Aussage umfassender wäre. Vielmehr wird Christi Geduld uns einfach als Beispiel vorgestellt. Wenn es aber heißt, Christus habe gelitten, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben möchten, so deutet dies auf die Kraft des Todes Christi, unser Fleisch zu töten, wovon Paulus im 6. Kapitel des Briefs an die Römer ausführlicher handelt. Denn nicht nur dieses Gut hat er uns erworben, dass Gott uns geschenkweise gerecht spricht, indem er uns die Sünden nicht anrechnet, sondern auch, dass wir der Welt und dem Fleisch absterben und zu einem neuen Leben auferstehen. Gewiss wird dieses Absterben nicht an einem einzigen Tag vollendet. Aber wo Christi Tod seine Kraft beweist zur Sühne der Sünden, da wirkt er zugleich auch für die Abtötung des Fleisches.

V. 25. Denn ihr waret wie die irrenden Schafe. Auch diesen Satz entlehnt Petrus aus Jesaja (53, 6), nur dass der Prophet die Aussage allgemeiner gestaltet: „Wir gingen all in die Irre wie Schafe.“ Übrigens liegt der Hauptnachdruck nicht darauf, dass wir mit Schafen oder unvernünftigen Tieren verglichen werden, sondern dass wir in der Irre gingen, wie der Prophet hinzufügt: „ein jeglicher sah auf seinen Weg.“ Es soll gesagt werden, dass wir alle den Weg des Heils verlassen haben und dem Verderben entgegen gehen, wenn Christus uns nicht aus der Zerstreuung sammelt. Das ergibt sich vollends deutlich aus der gegensätzlichen Aussage: aber ihr seid nun bekehret. Denn wer sich von Christus nicht regieren lässt, muss in der Irre gehen, wie ein vom Weg abgeirrtes Tier. Damit ergeht ein Verwerfungsurteil über die gesamte Weisheit der Welt, welche sich der Leitung Christi nicht unterwirft. Ausgezeichnet sind die beiden Titel Christi: der Apostel bezeichnet ihn als den Hirten und Bischof der Seelen. Wer sich in seinem Schafstall und seiner Obhut hält, braucht nicht zu fürchten, dass Christus nicht treulich für sein Heil wacht. Ist es nun auch Christi Aufgabe, uns an Leib und Seele unversehrt zu erhalten, so spricht der Apostel doch ausdrücklich von den Seelen, weil dieser himmlische Hirte uns durch seinen geistlichen Schutz zum ewigen Leben bewahrt.

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