Calvin, Jean - An Viret in Lausanne (93).

Nr. 93 (C. R. – 431)

Calvin, Jean - An Viret in Lausanne (93).

In einem frühern Brief hatte Calvin Viret zur Hochzeit eines gewissen Claude Frane eingeladen. Bernardino Occhino, General der Kapuziner, predigte um Ostern 1542 in Venedig und Mailand evangelisch, wurde nach Rom zitiert und entfloh vor der Inquisition nach Genf.

Von der Pflege der Pestkranken und allerlei Konvertiten.

Über die rechte Verwendung des Kirchenguts.

Dein Brief, in dem du bittest, ich möchte etwas über das Kirchengut schreiben, wurde mir am Montag gebracht, als ich noch mit allerlei von der Hochzeit her unerledigt Gebliebenem beschäftigt war. Doch hätte mich das vom Schreiben nicht abgehalten, aber seither hatte ich wirklich keinen Augenblick frei. Die Pest beginnt auch hier heftiger aufzutreten, und wenige von den Erkrankten kommen davon. Wir werden einen von unserem Kollegium zum Beistand der Kranken bestimmen müssen. Da Pierre [Blanchet] sich dazu anbot, überließen wir alle es ihm gerne. Wenn ihm etwas widerfährt, fürchte ich, nach ihm mich in diese Gefahr begeben zu müssen. Denn, wie du sagst, wir sind eines jeden Schuldner und dürfen denen nicht fehlen, die vor andern unsern Dienst begehren. Und doch rate ich nicht dazu, dass wir die ganze Gemeinde verlassen, um einem Teil beizustehen. Aber solange wir in unserm Amte sind, so sehe ich nicht, was wir zur Entschuldigung vorbringen könnten, wenn wir aus Furcht vor der Ansteckungsgefahr die im Stiche ließen, die unsere Hilfe am nötigsten haben. - - - Unsern Bernardino geht man mit wunderlichen Ränken an, um ihn von uns wegzulocken; er beharrt aber standhaft, und er hat auch schon größten Teils dem Antichrist alle Aussicht abgeschnitten, damit er nicht denke, ihn später je wieder zu verlocken. Denn er hat einen Band Predigten verfasst, in dessen Schluss er offen bekennt, er gehöre ganz und ohne Ausnahme zu uns. Viele Italiener besuchen ihn; wir haben auch schon zwei andere Prediger. Alle, die ihn kennen, glauben, in diesem einen Mann habe das Reich Christi keine geringe Erwerbung gemacht. Ich durfte indessen, wie du weißt, doch nicht schlafen. Je eingehender ich den Mann kennen lerne, desto höher schätze ich ihn; er seinerseits sagt, er sei durch mich sehr unterstützt und gestärkt worden, dass er nicht unterlegen sei. Der Rat hat ihm bereits die Erlaubnis gegeben, zu predigen, so oft es ihm gut scheint. Wir haben auch Giulio Camillo hier, dessen langes Zögern uns aber etwas verdächtig ist. Wenn er auch mit Worten freigebig das Evangelium rühmt, so fürchten wir ihn doch mit Recht, da er irgendeinen heimlichen Plan hat, der uns missfällt, auch wenn wir ihn nicht kennen. Es ist gut, dass sich Bernardino vor ihm wie vor einem Feinde hütet.

Aber ich will auf dein Verlangen wegen der Kirchengüter zurückkommen, denn du hast mich in deinem letzten Brief schon zum zweiten Mal daran erinnert. Ich muss dich aber bitten, mir zu verzeihen. Denn du weißt, dass die Behandlung dieser Frage Zeit, Muße, ruhige Überlegung und nicht geringen Fleiß verlangt. Als wir in Regensburg waren, half ich Butzer bei der Sammlung dessen, was er mit den Reichstagsakten herausgab. Da aber die Frage des Kirchenguts dort nur beiläufig berührt ist, so würde Euch, was dort geschrieben ist, zur gegenwärtigen Verhandlung nicht genügen. Ein klein wenig kann man doch daraus entnehmen. Mir scheint, man muss die Sache teilen nach zwei Seiten hin. Erstens, dass Ihr sagt, die Entfremdung des Kirchenguts von seinem ursprünglichen Zweck werde Anlass zu schweren Ärgernissen geben. Zweitens, dass Ihr nachweist, dass sie auch nicht erlaubt ist. Die Ärgernisse liegen vor Aller Augen. Dass die Papisten allenthalben das Evangelium deswegen verlästern, das haben sie freilich schon begonnen zu einer Zeit, da sie dazu noch keinen so schönen Anhaltspunkt hatten. Früher haben sie also Verleumdungen gebraucht, jetzt aber werden sie gerechten Grund zur Anklage haben, wenn sie vom Raub der Kirchengüter reden. Zweitens, dass das Volk in der ganzen Herrschaft, weil es sich nicht getraut, laut davon zu reden, in allen Winkeln drüber schimpft. Die Pfarrer aber haben dagegen nichts zu sagen. Denn da sie gegen des Papstes und der ganzen und der ganzen papistischen Klerisei Kirchenraub geschrieen haben, wie sollen sie eine solche Versteigerung dulden, die die Kirche ganz beraubt und bloß lässt, da sie doch schon den Missbrauch der Einkünfte nicht dulden wollten. Drittens, dass dadurch andern Obrigkeiten ein ganz böses Beispiel gegeben wird. Denn die sind nur allzu gierig, als dass sie nicht anderswoher Anlass nähmen zum Säkularisieren. Wenn fortan darin Unrecht getan wird, so kann man ja die halbe Schuld auf die schieben, die darin vorangegangen sind.

Viertens, dass die Behörden nicht wissen und nicht bestimmen können, wie ihre Nachkommen sein werden. Es könne geschehen, dass, wenn man der Kirche nichts übrig lasse, sie dann einmal hilflos und einsam gelassen werde. Was nun den zweiten Punkt [dass die Säkularisierung unerlaubt sei] angeht, so halte das Argument fest, um das sich alles dreht: Es gehöre nicht der Obrigkeit, was einmal Christo und der Kirche gestiftet worden sei. Dabei wird zu erwähnen sein das Gesetz und die alte Weise, diese Güter zu verwenden. Man wird also dabei bleiben müssen, der Kirche als solcher sei gestiftet, was gottlose Schlemmer [vor der Reformation] in Besitz hatten; es stehe aber fest genug, was der rechtmäßige Gebrauch der Kirchengüter sei. Den müsse man nun einhalten; eine Verwendung der Güter außer diesem Gebrauch aber sei nicht möglich, ohne dem Fluch und der Verdammnis zu verfallen, da sie eben doch Heiliges entweihe. Indessen wird man suchen müssen, allen Verdacht zu tilgen, der sie glauben machen könnte, Ihr persönlich strebet nach irgendetwas vom Kirchengut. Aber das wird man klarlegen müssen, dass das die beste Reformationsregel ist, die der König Josias aufgestellt hat, dass die Obrigkeit die Aufsicht hat, die Kirchendiener aber die Verwaltung. Ihr werdet aber auch bezeugen können, Ihr seiet zufrieden damit, wenn die Obrigkeit das volle Recht der Verwaltung hat, wenn sie nur die jährlichen Einkünfte treu anwendet und nicht vom Kapital verloren gehen lässt.

Du siehst, wie verwirrt und eilig ich diese paar Argumente durchnehme. Aber ich brauche mich nicht zu entschuldigen, besonders vor dir nicht; da du wohl weißt, dass ich nicht etwa sorglos und frech in einer so wichtigen Sache herausschwatze, was mir gerade in den Mund kommt, sondern dass ich der Not gehorchend überstürzen muss, was ich gern besser ausarbeitete, wenn ich dazu Zeit hätte. Lebwohl, bester, liebster Bruder. Für den Verwandten Cordiers wollen wir uns umsehen. Die Brüder lassen dich grüßen, ebenso meine Frau und mein ganzes Haus. Nochmals lebwohl. Der Herr behüte dich und die andern guten Leute. Ich freue mich sehr, dass du nun in dieses Haus umgezogen bist. Wäre es nicht geschehen, ich hätte dich mit Schimpfreden aus deinem frühern verjagt. Lebwohl. Der Herr lenke dich mit dem Rat seines Geistes und schütze dich mit Kraft aus der Höhe.

[Genf, Ende Okt. 1542.]
Dein
Johannes Calvin.

Ich weiß kaum, was ich schreibe, so schwach sind meine Augen.

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