Nr. 92 (C. R. – 421)
Calvin, Jean - An Viret in Lausanne (92).
Die Berner Dekane hatten ohne Zögern den Formeln des Rats über das Abendmahl ihre Zustimmung gegeben.
Wider die Staatskirchlichkeit der Berner Theologen. Von Castellios Bibelübersetzung.
Drei Tage, nachdem ich dir geschrieben, kam Jacques, der Dekan von Gex zu mir und erzählte mir kurz, was in Bern geschehen war. Um dir geradeheraus meine Meinung zu sagen, es missfällt mir alles sehr. Von dem Ratsschluss selbst nachher. Aber wer zwang denn die Dekane, diese Antwort zu geben und so für alle ihre Kollegen einen bösen Präzedenzfall zu schaffen? Wäre doch Zebedee nicht dabei gewesen oder hätte der Sache eine andere Herzens- oder Verstandesmeinung entgegengebracht! Ich sage so, weil Jacques mir erzählt hat, es sei durch Zebedees Schuld geschehen, dass die Dekane so auf die Sache hereinfielen. Ich sehe wohl, was es ist. Wer sich kein Gewissen daraus macht, in einer gefährlichen Lage aus Angst bei allen Heiligen zu schwören, der zögert dann auch nicht, um einiger Menschen willen zuzugeben, was man will, weil er das Widersprechen zu gefährlich findet, wie es tatsächlich ist. Die Dekane mögen zu ihrer Verteidigung sagen, was sie wollen, vor mir können sie ihren Leichtsinn nie verantworten. Was die Hauptsache angeht, so lässt mich mein Gewissen dir nicht ganz beistimmen. Du meinst, der Ratsbeschluss sei ja ganz erträglich und Ihr könnet ihn ohne Gefahr annehmen. Wir wollen einmal seinen Inhalt erwägen. Zuerst wird die Formel von Kuntz bestätigt. Aber ich bitte dich, welche Formel ist das? Du tadelst Butzers Dunkelheit und mit Recht. Aber nichts bei Butzer ist so verworren, dunkel, zweideutig und, um das Wort zu brauchen, wissentlich verdreht. Als Ausnahme wird dann zugegeben, dass sowohl diese neue Formel, als auch der alte Katechismus erlaubt sein soll, wenn sie gemäß der Berner Disputation ausgelegt werden. Worauf weist man uns zurück? Es wird von Euch also gefordert, dass Ihr gelobt, nie abzuweichen von einer Formulierung, die Ihr gar nicht kennt. Was eigentlich meinst du, dass auf jener Disputation verhandelt worden sei als das, dass Christus nicht im Abendmahlsbrot eingeschlossen sei. Das aber nimmt nun der Rat an, als ob es nichts anderes bedeutet hat, ich wage nicht zu glauben, das Geheimnis des Abendmahls sei auf dieser Disputation gut und richtig erklärt worden. Aber – sagst du – die Basler Konfession wird ja damit verbunden. Ich leugne nicht, dass darin viel liegt, aber mir genügt es nicht. Besonders da schließlich doch wieder alles gemessen wird an der Berner Disputation und an der im Gebrauch stehenden Abendmahlsliturgie. Außerdem, um noch etwas zu sagen, was allein schon schlimm genug wäre, kann man mich nicht glauben machen, die zweihundert Ratsherrn, die dieses Dogma beschlossen haben, hätten überhaupt eine rechte Meinung von der Sache. Aber wer ein Gesetz verkündet, wird es auch auslegen dürfen. So wird als des Meineids schuldig verurteilt werden, wer anders lehrt, als die Richter selbst es verstehen. Und nicht darin allein ruht Gefahr; denn sie verbieten auch, von irgendeinem neuem Abendmahlsritus oder neuen Zeremonien weiterhin zu reden. Wer weiß aber, ob sie darunter nicht auch den Bann, den öftern Genuss des Abendmahls und vieles andere verstehen, was wir wünschen und wieder einrichten möchten. Da wird man schweigen müssen. Da Ihr so mit Wissen und Willen Euch die Schlinge um den Hals gelegt habt, so müsst Ihr bedenken, dass das nicht das Ende des Unglücks, sondern der Anfang sein wird. Denn der Herr wird Eure Schwachheit mit einer schärferen Geißel züchtigen, da Ihr Euch nicht wehren wollt, wenn so offenkundig das Fundament einer gefährlichen Tyrannei gelegt wird. Aber, sagst du, was sollte die Obrigkeit anders tun? Das sage ich noch gar nicht, wie die Obrigkeit gefehlt hat bei diesem Vorgehen. Ich zeige nur, dass es nicht ungefährlich ist, Euch ohne große Vorsicht zu verpflichten. Über die Art und Weise des Vorgehens will ich zugeben, was du sagst, nämlich der größere Teil der Schuld falle auf die [Berner Stadt-] Pfarrer. Aber doch bin ich entsetzt, wenn ich diesen Ratsbeschluss lese; ein so ungebändigter Übermut zeigt sich darin. Sie nennen ihre Meinung einen endgültigen Beschluss, dem man nicht widersprechen dürfe. Sie verkünden ihn nicht so, dass die Pfarrer die Freiheit hätten, darauf zu antworten, sondern dass sie befolgen, halten und beobachten müssen, was den gnädigen Herren wohl gefällt. Ich gebe es auch zu, was du nachher erwähnst, damit werde nun Kuntz gerecht gestraft für seinen Ehrgeiz und bösen Willen; nun werde er zu so schmählicher Knechtschaft gezwungen, weil er nicht leiden wollte, dass seine Kollegen neben ihm frei wären. Aber wir wären zugleich getroffen; ja auf die ganze Kirche wirkt diese Strafe zurück. Denn da dieses Beispiel nun einmal gegeben ist, wird unsere Lehre nicht nur der Macht, sondern sogar dem bloßen Wink von ein paar Männern, und dazu noch theologisch ungebildeten, untertan sein müssen; man wird reden oder schweigen müssen, je nachdem sie mit dem Finger winken. Und doch hielt ich es nicht für gut, dass sich die Brüder darüber in einen Kampf mit dem Rate einließen. Es schien mir, sie hätten einen anständigen Vorwand zum Ausweichen gehabt, wenn sie mit einer höflichen, bescheidenen Entschuldigung ihr Bekenntnis vorgelegt hätten. Du sagst: es wurde ja gar kein Bekenntnis von ihnen verlangt. Eben deshalb meine ich, hätten sie eins geben müssen. Über Zwinglis Schriften kannst du meinetwegen denken, wie du willst. Denn ich habe auch nicht alles gelesen. Vielleicht hat er gegen Ende seines Lebens zurückgenommen und verbessert, was ihm anfangs allzukühn herausgekommen war. Aber darauf besinne ich mich wohl, wie profan seine Sakramentslehre in den früheren Schriften war. Wenn ich [im vorigen Briefe] sagte, es sei niemand unter den Unsern, der ein volles Verständnis für das Mysterium des Abendmahls habe, so musst du das von der Laienwelt der Stadt Genf verstehen. Dass ich das allein gemeint habe, kannst du aus meinem Brief selbst sehen, wenn du ihn nochmals durchliesest. Ich bereue auch nicht, es gesagt zu haben. Denn wie du, wenn du die Keckheit und das Selbstvertrauen dieser Leute geißeln wolltest, etwa im Scherz sagtest, es seinen Alle Lehrer, so wage ichs mit Ernst zu behaupten, dass keiner von ihnen in dieser Frage ein guter Schüler ist. Lüge ich oder irre ich mich, so nenne mir einen einzigen, der richtig vom Abendmahle sprechen könnte. Aber es ist schon zu viel. Ich weiß ja, wir denken darin gar nicht oder doch ganz wenig anders. Du wolltest nur das Übel, das du selbst erkennest, etwas geringer erscheinen lassen, um mich zu trösten, dass es mich nicht übermäßig betrübe. Farels und seines Bruders Briefe wurden mir schon vor vier Tagen gebracht. Ich dachte, du hättest sie schon, da [Pfarrer] Pierre von Cossonay sie mitgenommen hat. Nun höre etwas Lustiges von unserem Sebastian [Castellio], was dir Galle und Zwerchfell in Bewegung bringen wird. Vorgestern kam er zu mir und fragte mich, ob ich denn nicht einverstanden sei, wenn er seine Übersetzung des neuen Testaments herausgebe. Ich antwortete, sie hätte manche Korrektur nötig. Er wollte wissen, weshalb. Ich bewies es ihm an den paar Kapiteln, die er mir als Muster schon früher gegeben hatte. Er versicherte, er sei im Übrigen sorgfältiger gewesen. Dann fragte er noch einmal, was ich beschlösse. Ich erwiderte, ich wolle ihn nicht hindern, sie drucken zu lassen; aber ich müsse auch [dem Drucker] Jean Girard das Versprechen halten, das ich ihm gegeben, nämlich die Übersetzung durchzusehen und, was nötig sei, zu korrigieren. Diesen Vorschlag lehnte er ab, erbot sich aber, er wolle kommen und sie mir vorlesen, wenn ich ihm eine feste Stunde dazu ansetze. Ich sagte, das könne ich nicht tun, wenn er mir hundert Kronen dafür böte, mich auf bestimmte Stunden zu verpflichten, um dann etwa einmal zwei Stunden mit ihm über ein einziges Wörtlein zu zanken. So ging er denn weg, betrübt, wie es schien. Damit du aber weißt, welch treuer Übersetzer er ist und wie er, da er viel ändern will, das meiste verdirbt, so will ich nur eine Stelle anführen. Wo es heißt: „L´esprit de Dieu, qui habite en nous“, ändert er „qui hante en nous“, obwohl hanter im Französischen nicht wohnen, sondern bloß häufig verkehren heißt. Ein so schulbubenhafter Schnitzer könnte dem ganzen Buch einen Makel aufbrennen. Ich schlucke solche Dummheiten aber schweigend hinunter. Lebwohl, lieber Bruder; der Herr behüte und leite dich. Grüße alle Brüder, aber teile ihnen nicht das alles mit.
Genf, 11. Sept. 1542.
Dein
Joh. Calvin.