Nr. 660 (C. R. – 3379)
Calvin, Jean - An die Gemeinde zu Aix en Provence.
Keine Gegenwehr in der Verfolgung.
Sehr liebe Herren und Brüder, seid überzeugt, als wir von den Foltern und Gewalttaten hörten, die man an vielen von Euch verübt hat, waren wir von dem Mitleid gerührt, das unsere brüderliche Verbindung von uns forderte. Wir sagen das, damit Ihr nicht meint, weit von der Gefahr und in guter Ruhe seien wir wohl kühn, Euch zur Geduld zu mahnen, da Eure böse Lage uns nicht rühre. Obwohl wir aber unsere Trauer mit allen teilen, müssen wir sie doch mäßigen und im Zaum halten und einander solchen Rat erteilen, dass dem, der alle Macht über uns hat, einfach gehorcht wird. Wir kennen die schöne, einleuchtende Ausrede wohl, sich gegen einen Volksaufruhr zu verteidigen, sei erlaubt, da das ja kein Widerstand gegen die Staatsgewalt sei, ja, sogar die Gesetze gäben jedem, groß oder klein, gegen solche Banden das Recht der Notwehr. Aber welche Gründe und Vorwände man auch anführt, - all unsere Weisheit soll darin bestehen, die Lehre unseres höchsten Meisters zu befolgen, nämlich unsere Seele in Geduld zu erhalten [Luk. 21, 19]. Es ist auch tatsächlich der beste und sicherste Schutz, wenn wir uns unter seinem Schatten bergen in solchen Stürmen. Wenn wir nun aber dem Bösen mit Waffengewalt widerstehen, so hindern wir Gott, uns zu helfen. So mahnt uns St. Paulus zur Mäßigung unserer Leidenschaft: Gebet Raum dem Zorne Gottes [Röm. 12, 19], gestützt auf seine Verheißung, er wolle sein Volk erhalten und schützen, wenn die Wut der Feinde verraucht ist. Wenn Euch überrascht hat, was geschehen ist, so wartet nun darauf, bis Gott Euch wirklich die längst bekannte Tatsache sehen lässt, nämlich, dass das Blut der Gläubigen nicht nur um Rache schreit, sondern auch eine gute, fruchtbringende Aussaat ist zur Mehrung der Kirche. Die heilige Schrift warnt uns nicht umsonst immer wieder vor Eilfertigkeit, denn es fällt uns schwer, Gott die Ehre zu lassen, dass er nach seiner Weise handle und nicht nach unserm Gutdünken. Denn obwohl man uns oft genug gezeigt hat, dass er durch Wunder seine Kirche bauen will, so wollen wir ihn doch nicht Stein und Mörtel brauchen lassen, ohne mit den Zähnen zu knirschen, wenns nicht nach unserm Willen geht. In dieser Zeit müssen wir einerseits arbeiten und andrerseits dulden. Mit arbeiten meinen wir, uns mannhaft halten und alle Hindernisse überwinden. Denn hundertmal lieber sterben als nachgeben! Aber das hindert nicht, dass wir auch dulden und, geführt von einem milden Geist, die Angriffe unserer Feinde brechen, ohne uns zu rühren. Befolgt Ihr diesen Rat, so setzen wir gute Zuversicht auf Gott, dass er in Bälde seine Hand zu Eurem Schutze wird erscheinen lassen. Darum, sehr liebe Brüder und Herren, wollen wir ihn bitten, Euch zu führen durch den Geist der Klugheit und der Kraft, Euch fortschreiten zu lassen in allem Guten, damit sein Name immer mehr verherrlicht werde an Euch.
Den 1. Mai 1561.