Nr. 590 (C. R. – 3009)
Calvin, Jean - An die gefangenen Evangelischen in Paris.
Im Gefängnis Conciergerie lagen noch drei Evangelische gefangen, deren einer, Meric Favre, seit dem Überfall in der Rue St. Jacques im September 1557 (vgl. 536). Macard (de Racam) war damals wieder in Genf als Pfarrer.
Vom Leiden und Kämpfen der Märtyrer.
Die Liebe Gottes unseres Vaters und die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei allezeit mit Euch durch die Gemeinschaft des heiligen Geistes. Sehr liebe Brüder, wenn ich Euch bisher nicht geschrieben habe, so geschah es nicht, weil mir der gute Wille gefehlt hätte, etwas für Euch zu tun, Euch durch einen Brief eine Freude zu machen und Euch mehr und mehr in der heiligen Festigkeit zu bestärken, die uns der Herr verliehen hat, sondern nur, weil ich mich darauf verließ, dass die Brüder, die bei Euch sind, ihre Pflicht täten, so dass ich dachte, ein Brief von mir sei gar nicht nötig, noch werde er von Euch gewünscht. Jetzt aber, da ich sehe, dass ich Euch damit nützen kann, hielt ich es für gar zu unfreundlich, wollte ich Euerm Verlangen nicht nachkommen. Freilich muss ich mich entschuldigen, wenn ich ihm nicht ganz Genüge leiste, ja nicht einmal so, wie ich möchte. Denn ein Wechselfieber, das mich schon seit vier Monaten plagt und mich auch jetzt noch nicht losgelassen hat, macht, dass ich nicht den dritten Teil von all den Geschäften erledigen kann, die ich bewältigen müsste, wenn ich wohl wäre. Wenn ich aber das kleine Übel, unter dem ich leide und das ja fast nichts ist, mit den Trübsalen vergleiche, die Euch drücken, und daran denke, wie man mir hilft, Ihr aber im Gegenteil grausam verfolgt und misshandelt werdet, so habe ich nicht nur Anlass, Geduld zu lernen und Trost zu finden, sondern auch bewegt zu werden von viel größerem Mitleid mit Euch und zu seufzen im Gedanken an die Anfechtungen, mit denen man Euch angreift, auch den lieben Gott zu bitten, dass er Eure Traurigkeit lindere und Euch stärke gegen alle Angriffe. Findet Ihr sie hart und schwer auszuhalten, so wundert Euch nicht, sondern wisst, dass die Stärke unseres Glaubens nicht ist, unverletzlich zu sein, sondern vielmehr zu kämpfen gegen unsere eigenen Leidenschaften, ja dass uns Gott gerade die Hilfe seines Geistes will spüren lassen in unserer Schwachheit, wie er St. Paulo antwortete [2. Kor. 12, 9]. Besonders da es nicht anders sein kann, als dass die lange Gefangenschaft mit ihren Demütigungen Euch bekümmert, so zweifelt nicht daran, dass Gott Eurer Schwachheit aufhilft, wenn Ihr recht Widerstand leistet. Indessen rufet ihn an, wie es Eure Notlage erfordert, dass er Euch Beharrlichkeit verleihe, bis Ihr den vollen Sieg erringt, und Euch auch fernerhin ausrüste mit den Waffen, die, wie Ihr wisst, genügen, dem Satan und seinen Helfershelfern zu trotzen. Ihr wisst, für welche Sache ihr kämpft, nämlich dass Gott verherrlicht, die Wahrheit seines Evangeliums bestätigt, das Reich unseres Herrn Jesu gepriesen werde nach Verdienst. Das muss Euch doch noch mehr antreiben als die, die im Dienste irdischer Fürsten täglich ihr Leben aufs Spiel setzen, von ihrem törichten Ehrgeiz oder der Hoffnung auf Geld und Gunst sich treiben lassen. Wenn wir diese armen Leute sich blindlings in Abenteuer stürzen sehen, haben wir allen Grund, an ihnen ein Beispiel zu nehmen und den Mut nicht zu verlieren, wenn sichs drum handelt, dahin zu marschieren, wohin uns unser himmlischer König ruft; umso mehr, als er uns ja nie zu tun gibt, es sei denn zu unserm Heil, und als unsere Notlage sich nicht verschlimmert durch den Tod, wenn es ihm gefällt, uns so weit zu führen, sondern sich zum Guten und zu unserm Nutzen wendet. Eigentlich hat er es ja gar nicht nötig, dass wir seine Zeugen oder Sachwalter zur Verteidigung seiner Sache werden; aber umso höher ist die Ehre, die er uns antut, wenn er uns zu einer so köstlichen, herrlichen Aufgabe braucht. Übrigens seid versichert, auch wenn Ihr in den Händen Eurer Feinde seid, so seid Ihr deshalb doch noch im Schutze dessen, der auch den Tod in Händen hat, wie es im Psalm heißt [Ps. 10, 14; 95, 4], und also unzählige Mittel hat, uns zu befreien, wenn er will. Doch sei dem, wie ihm wolle, so macht Euch bereit, ihm Eure Seelen zum Opfer zu bringen, wenn es ihm so gefällt, und lasst Euch nicht entmutigen durch das Gespött und Drohen der Ungerechten, denn sie mögen unsere Einfalt verachten, uns muss es wohl genügen, wenn sie Gott angenehm ist. Stellt Euch auch Jesum Christum als Beispiel vor Augen, der von den Verächtern Gottes auch mit schnöden Späßen verhöhnt worden ist, und tut, wie der 119. Psalm lehrt: Herr, lass mir deine Gnade widerfahren, deine Hilfe nach deinem Wort, dass ich antworten möge meinem Lästerer [119, 41, 42] und wiederum: Die Stolzen haben ihren Spott an mir, dennoch weiche ich nicht von deinem Gesetz [119, 51]. Und wiederum: Die Gottlosen legen mir Stricke, ich aber irre nicht von deinem Befehl [119, 110]. Wiederum: die Fürsten verfolgen mich ohne Ursache und mein Herz fürchtet sich vor deinen Worten [119, 161]. Wiederum: Es sitzen auch die Fürsten und reden wider mich; aber dein Knecht redet von deinen Rechten. [119, 23]. Lernet von Jesajas, Gott zum Bürgen zu nehmen, damit Ihr nicht erschreckt vor dem Stolz und der Anmaßung derer, die so schäumen wider den Himmel. Immerhin unterlasst es auch nicht, Bescheidenheit und Milde anzuwenden, um zu sehen, ob Ihr sie gewinnen könnt, nicht um ihre Herzen milde zu machen gegen Euch, sondern um auch sie zum Gehorsam gegen Gott zu bringen. Nur weichet ja nicht von dem guten Wege, den Ihr betreten habt und gewandelt seid bis zu dieser Stunde, sondern hebet Eure Augen gen Himmel und strebet nach der Palme, die Euch dort bereitet ist, und wir wollen Gott bitten, dass er Euch Gnade erweise, sich als Euren Beschützer zeige, es Euch spüren lasse und Eurer Trübsal solchen Ausgang gebe, dass wir Grund haben, seinen heiligen Namen zu preisen. Meine Brüder sind in diesem wir des letzten Satzes mit inbegriffen, obwohl ich hoffe, Herr de Racam wird Euch besonders schreiben.
15. Februar 1559.
Euer treuer Bruder
Charles d´ Espeville.