Nr. 53 (C. R. – 233)
Calvin, Jean - An Caroli, wohl im Gebiet von Neuchatel.
Caroli (vgl. 13, 39) hatte nach einem Aufenthalt in Metz sich wieder ins Gebiet von Neuchatel gewandt, und da er dort keine seinen Ansprüchen entsprechende Stellung fand, sich bei Calvin in einem Brief beschwert.
Mahnung zu Friedfertigkeit und Demut.
Gnade sei mit dir und Friede vom Herrn, der dir und uns gesunden Sinn verleihe. Ich hätte es lieber gesehen, wenn du dich hierher gewandt hättest, um mündlich mit uns über unsere Aussöhnung zu verhandeln, als dass du dies mit einem Brief versuchst, besonders wenn er ist, wie der deine. Du bemühst dich heftig, den Schein von dir abzuwälzen, als hättest du ohne gerechte Ursache Wirren in der Kirche erregt. Als ob überhaupt irgendeine ehrenhafte Ursache zur Verwirrung der Kirche dargetan werden könnte! Nehmen wir an, die Brüder hätten dir nicht geziemend Rechnung getragen; gab dir das etwa das Recht, gleich solchen Lärm zu erregen? Willst du behaupten, der Geist Gottes habe dich dazu angetrieben, Allen den Krieg zu erklären? Ich sage das nicht, um dich [von Neuem] zu schelten; hättest du mich doch ganz schweigen lassen! Da du aber Alle, die sich deiner Meinung nach nicht richtig gegen dich benommen haben, mit dem Satan in Verbindung bringst, so hältst du uns doch für zu dumm, wenn du meinst, wir könnten das mit Stillschweigen übergehen. Du sagst, du seiest vor Entrüstung ganz außer dir und müssest Farel und mich schelten, weil wir´s durch unsere Briefe zu Stand gebracht hätten, dass dir die Brüder von Neuchatel keine Stelle gönnen wollten. Erstlich ist das entweder von dir erfunden oder dir falsch berichtet, denn es ist mir nie in den Sinn gekommen, derartiges an die Neuchateller zu schreiben. In dem Brief Farels aber war, soviel ich höre (denn ich weiß nur vom Hören davon), Michel bei weitem schärfer behandelt als du. Da ich dich also weder mit Worten noch mit Taten beleidigt hatte, ja nie auch nur den kleinsten Verstoß gegen dich begangen habe, war es dann anständig, mich so grausam herunter zu reißen? Ja, wenn ich sogar in irgendetwas deinem persönlichen Vorteil im Wege gestanden hätte, welche unwürdige Art war es für einen Christenmenschen, von Rachgier entflammt ein so Skandal erregendes Vorgehen zu wählen? Da ich dir vorher stets unbedenklich als Bruder galt, wie konnte es geschehen, dass ich in einem Augenblick ein Ketzer wurde, vor dessen Gemeinschaft schon du Abscheu hattest. Heißt das nicht den hochheiligen Namen Gottes missbrauchen? Du sagst, es sei dir nichts anderes übrig geblieben, als uns jetzt als unversöhnlich hinzustellen (das ist dein eigener Ausdruck gewesen); aber überleg doch, bitte, ein wenig, wie lächerlich du dich machst, so mitten im Frieden dieses Kampfsignal zu geben. Aber zugegeben, wir hätten dir dazu irgendeinen Anlass geboten, was soll das Wort bedeuten, das du gebraucht hast? Unversöhnlich heißt man doch einen, den man mit allen Mitteln zu besänftigen gesucht hat, und nicht zur geringsten Billigkeit bringen konnte. Wann hast du je bei uns so strenge und dauernde Härte erfahren? Über mich kannst du dich nicht beklagen; ich aber hätte das größte Recht, dir solches vorzuwerfen, um nicht schärfer zu reden. Aber ich dachte nie an Rache, geschweige dass es irgendetwas Böses gegen dich angestiftet hätte. Auch von Farel möchte ich wissen, was er dir Unrecht getan? Er hat geschrieben, Leute, die ihnen anvertraute Gemeinden [eigenmächtig] verlassen hätten, sollten nicht wieder zum Amte zugelassen werden; musste er das nicht? Denn wenn Einer die Gemeinde verlässt, die er einmal angenommen hat zu treuer Pflege, so ist das keine geringere Treulosigkeit, als wenn ein Vater seine Kinder aussetzt. Aber, sagst du, er zählte dich unter diese Leute, da du diese Schuld doch nicht auf dem Gewissen hast. Lies seinen Brief, so wirst du etwas anderes erfahren. Denn er verlangte nichts anderes von den Brüdern, als dass sie genau prüfen sollten, ob eine Untersuchung deiner Angelegenheit dich von Verdacht reinige. Musstest du nicht ganz dasselbe wünschen? Du bist nach Metz gekommen [von hier]: Welcher Übermut war es, dich bei Gegnern Christi zu rühmen, du seist gekommen, wohl ausgerüstet, uns der Ketzerei zu überführen? Und dabei hältst du an dem Ruhm fest, dass du nichts gegen das Evangelium im Sinne habest! Wie willst du uns das beweisen? Wenn einer sozusagen von Berufswegen mit einem Knecht Christi Krieg führt, ihn auf alle mögliche Weise hindert an der Förderung des Reiches Christi, so ists doch wunderlich, von einem solchen Menschen zu sagen, er stehe auf Seiten des Evangeliums. Lieber Bruder, schau wieder und immer wieder, wohin du gerätst! Wir haben einen Dienst am Wort, der mit Christo eng verknüpft ist; zweifelst du daran, so haben wir ein zur Genüge sicheres, treues Zeugnis unseres Gewissens. Schmeichle dir, wie du willst; schließlich musst du es doch spüren, dass du mit deinen Angriffen auf uns wider den Stachel löckst! Dazu, was kannst du uns schaden? Du nennst uns Ketzer! Wo? Doch immer unter Solchen, die auch dich für einen Ketzer halten werden, wenn sie jetzt auch deine Schmähsucht missbrauchen. Ich fürchte durchaus nicht, dass du bei frommen und gelehrten Leuten etwas erreichst, wenn du mich herabsetzest. – Das alles zielt dahin und ich möchte es von dir so verstanden wissen, dass du dich vor Gott prüfst, welchen Weg du betreten hast, und nicht Andere, Unschuldige verurteilst, um dich zu verteidigen, wozu dir nicht nur jeder Rechtsgrund, sondern auch jede Ausrede fehlt. Wenn ich das bei dir erreiche, habe ich genug. Aber ich möchte nicht, dass du deswegen Mut und Hoffnung verlörest. Denn wenn du uns aufrichtige und sichere Anzeichen eines geraden Sinnes gibst, so sind wir auch jetzt noch bereit, bald wieder in besten Treuen uns mit dir zu versöhnen, alles zu vergessen, zu verzeihen und fortan aus unserm Gedächtnis zu tilgen. Könntest du mir doch ins Herz sehen! Denn nichts wünsche ich sehnlicher, als dich zuerst mit Gott zu versöhnen, damit auch die Verbindung unter uns fest werde. Aber glaub mir, nie kannst du dem Herrn mit Nutzen dienen, wenn du nicht deinen Hochmut ablegst und die Schärfe deiner Zunge. Also wenn du im Sinn hast, dich wieder mit uns auszusöhnen, so sind wir bereit, dich aufzunehmen, und werden keine Pflicht gegen dich versäumen, sobald uns Gelegenheit geboten wird. Aber zu dem Friedensschluss, den du verlangst, wie könnten wir uns dazu herablassen? nämlich dass wir dir jetzt schon eine Gemeinde versprechen. Erstens liegen die Gemeinden nicht in unsrer Hand, wie du wohl weißt. Dann, mit welchem Gewissen sollten wir dir das versprechen, bevor über unsere Übereinstimmung in der Lehre alles klar ist? Du machst kein Hehl daraus, dass du jetzt noch von uns abweichst, und willst doch, dass wir dir eine Lehrstelle zuweisen. Erwäge selbst, ob sich das wohl ziemen würde. Du würdest uns mit Recht als Dummköpfe beurteilen, wenn wir dir gehorchten. – Um zum Ende zu kommen, so bitte ich dich, dass du einmal die ganze Sache ordentlich und ruhig bei dir betrachtest und auch diesen Brief abwägst, aber mit keiner andern Wage als einem Urteil, frei von allem Zorn. Dann wirst du gewiss erkennen, dass nichts besser ist, als umzukehren auf dem Weg, den du so schlecht begonnen hast. Willst du es mit uns versuchen, so verspreche ich dir, dass ich keine Freundespflicht versäumen will. Dasselbe verspricht Farel allen Ernstes für seine Person. Aber denk auch daran, etwas von der Liebe, die du so streng von Andern forderst, selbst Andern zu erweisen. Scheine ich dir etwa zu grob, so denk, was für eine Antwort dein Brief verdient; obgleich ich daran keineswegs gedacht habe, sondern nur, dir zu nützen. Und das glaubte ich nicht anders zu können, als wenn ich dich zur Erkenntnis deiner Sünde brächte. Leb wohl, liebster Bruder im Herrn, wenn du nur dich lieben und für einen Bruder halten lässest. Der Herr Christus leite dich mit dem Geist des Rats und der Klugheit, dass du aus den gefährlichen Klippen, in die du geraten bist, und aus dem Sturmwind der Prahlerei rasch in den Hafen kommest. Farel lässt dich grüßen und wünscht, dass du dich ernstlich zum Herrn bekehrest und so bereit seist, mit uns in Freundschaft und brüderliche Gemeinschaft zu treten, wie er selbst bereit ist, dich aufzunehmen.
Straßburg, 10. August 1540.
Von Herzen dein Freund
J. Calvin.