Nr. 318 (C. R. – 1482)
Calvin, Jean - An Bullinger in Zürich (318).
Vgl. 306. Butzer war am 28. Februar 1551 in England gestorben.
Gerüchte über die Abschaffung des Sonntags in Genf. Butzers Tod.
Dass du dem leichtfertigen Geschwätz, wir hätten in Genf den Sonntag abgeschafft, keinen Glauben schenktest, war klug von dir. So ungeheuerliche Schwindeleien berauben sich ja schon durch ihre Absurdität der Glaubwürdigkeit. Dass du aber auch im Vertrauen auf unsere Mäßigung die Verleumdung, die uns aufgebrannt wurde, ernstlich zurückwiesest, damit hast du uns einen Freundes- und Bruderdienst geleistet. Denn ich müsste ja mehr als verrückt sein, wenn ich durch eine so alberne und leichtfertige Neuerung die Guten in Verwirrung brächte, den Bösen Waffen böte, mich selbst dem allgemeinen Spott aussetzte. Doch, was rede ich von mir? Ich glaube, es ist kein Mensch aus der ganzen Menge hier so unvernünftig, dass er je von so etwas geträumt hätte. Ich habe aber schon längst durch Erfahrung gelernt, derartiges Geschwätz zu verachten oder doch gleichmütig hinzunehmen. Es war ja bisher sozusagen mein eigentliches Schicksal, Tag für Tag mit so stinkender Verleumdung belastet zu werden. Vielleicht gab der eine Umstand Anlass zu dem Geschwätz, dass der Weihnachtsfesttag auf den darauf folgenden Sonntag verlegt wurde. Ob mit Recht oder Unrecht, darüber habe ich jetzt nicht zu entscheiden, und meinetwegen darfst du es freimütig verurteilen. Denn da es ohne meine Anregung, ja ohne mein Wissen beschlossen wurde, so darf es mir auch nicht angerechnet werden. Du wirst dich wundern, dass unsere Obrigkeit, ohne die Pfarrer zu Rat zu ziehen, so plötzlich die angenommene Kirchenordnung geändert hat. Doch ist auch das mehr aus Unachtsamkeit, als aus Eigensinn geschehen. Schon bevor ich das erste Mal nach Genf kam, waren alle Feiertage, mit Ausnahme des Sonntags, abgeschafft worden. Es hatte Farel und Viret nützlich geschienen, und ich fügte mich gern dem angenommenen Brauch. Ebenso wurde es damals auch im Waadtland, der neuen bernischen Vogtei, gehalten. Dagegen erhob sich Kuntz und kämpfte für die Feiertage nicht weniger heftig, als einst der Bischof Viktor von Rom für sein Osterdatum. Als wir dann verbannt wurden, führte man die vier Feiertage neben andern rituellen Änderungen ein. Bei meiner Rückkehr hätte ich in einem Augenblick unter dem Beifall der Mehrheit umstürzen können, was in meiner Abwesenheit beschlossen worden war, aber ich fügte mich ganz gelassen darein; nur darüber konnte ich nicht schweigen, dass es verkehrt sei, den Tag der Beschneidung Christi zu feiern und den Todestag nicht; das sei von ungelehrten Leuten ohne rechtes Verständnis und Sinn so gemacht worden. Weil das Volk auch den Tag der Empfängnis Christi unter dem Namen eines Marienfestes feierte, zog ich jedes Jahr gegen diesen Aberglauben scharf los. Denn die Franzosen nennen in ihrer Sprache diesen Tag das Fest unsrer lieben Frau im März, und der Tag wird gemeiniglich für besonders heilig gehalten. Doch mäßigte ich mich so weit, dass ich sogar die im Zaum hielt, die schrieen, diese Feiertage seien überhaupt abzuschaffen. Denn die Genfer, die von Anfang an dem Evangelium die Ehre gegeben hatten, trugen die nachträglich eingeführte Neuerung [der vier Feiertage] so ungern, dass sie zuweilen selbst mir den Vorwurf der Lauheit nicht ersparten. Einmal kams auch bis zu Gewaltätigkeiten, da auf beiden Seiten eine unbändige Kampflust herrschte. Ein vermittelnder Weg dünkte uns richtig; morgens sollte bei geschlossenen Werkstätten gefeiert werden, nach dem Mittagessen aber jedermann an seine gewöhnliche Arbeit gehen. So wurde vor neun Jahren beschlossen. Aber auch so wurde der Streit nicht gestillt. Denn das verschiedene Verhalten, dass die einen die Geschäfte geschlossen hielten, die andern sie öffneten, verriet immer noch die hässliche Uneinigkeit. Da so kein Ende noch Abhilfe zu finden war, ging ich im verflossenen Jahr aufs Rathaus und ersuchte den Rat, er möge nach seinem klugen Ermessen eine Weise erdenken, das Volk in besserer Eintracht zu erhalten. Von der Abschaffung der Feiertage sprach ich eigentlich gar nicht; vielmehr billigte ichs sogar, dass man sich bisher aus Friedensliebe der Berner Sitte angepasst habe. Als ich dann hörte, die Festtage seien durch Volksbeschluss abgeschafft, überraschte mich dieser unerwartete Entscheid so, dass ich ganz starr war vor Staunen. Hätte man mich um meine Meinung gefragt, so kann ich gewiss nicht anders sagen, als dass ich kaum gewagt hätte, das zu beschließen.
Du siehst aus dem ganzen Zusammenhang der Geschichte, dass nichts Neues eingeführt, sondern ein früherer Brauch der Genfer Kirche wiederhergestellt worden ist, der einst nach bösem Beispiel tumultuös abgeschafft worden war; ja dass das sogar wider meine Meinung geschehen ist. Genf war auch nicht die einzige Kirche, die keinen Feiertag außer dem wöchentlichen festgehalten hat; denn auch zu Straßburg war es einst so geordnet worden. Ich durfte bei meiner Ankunft hier die wohl eingerichtete Ordnung nicht in Unordnung bringen. Auch jetzt scheint mir die nachträglich wiederhergestellte Ordnung kein Grund zu sein zu solchem Ärgernis. Läge aber eine Schuld vor, so wäre es unbillig, mich zu beschuldigen für das, was andere getan haben.
Der Bote aus England ist noch nicht zurück. Doch erfuhr ich unterdessen zu meinem großen Schmerz den Tod Butzers. Wie wünschte ich, dass wir nicht bald spüren müssten, welcher Verlust das für die Kirche Gottes ist! Ich schätzte schon zu seinen Lebzeiten seine hervorragende und herrliche Begabung hoch genug; wie nützlich er uns auch jetzt noch sein könnte, erkenne ich nun noch deutlicher aus dem Gefühl des Verwaistseins. Umso mehr treibts mich, den Herrn zu bitten, er möge Euch alle sich noch lang erhalten und Euer Wirken brauchen. Lebwohl, hochberühmter Mann und verehrter Bruder. Grüße alle Amtsbrüder angelegentlich. Meine Kollegen lassen Euch vielmals grüßen.
23. April 1551.
Dein
Johannes Calvin.