Nr. 29 (C. R. – 147)
Calvin, Jean - An du Tillet in Paris.
Du Tillet hatte Calvin ermahnt, die Genfer Ereignisse als eine Strafe dafür anzusehen, dass er einer menschlichen und nicht göttlichen Berufung gefolgt sei und ihn aufgefordert, wieder nach Frankreich und in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Er bot ihm auch wieder finanzielle Unterstützung an. Am Schluss des Briefes wird von Calvin der Tod Courauts erwähnt.
Rechtfertigung seines Verhaltens. Ablehnung von finanzieller Unterstützung.
Monsieur, die Mahnungen und Vorwürfe, die Ihr Brief enthält, hat mich unser Herr schon längst in mir selbst fühlen lassen, so dass ich sie nur gut aufnehmen kann, wenn ich nicht meinem Gewissen widersprechen wollte. Ich verstehe darunter das, dass Sie mich ermahnen, wie es unser Herr auch schon besorgt hat an mir, Grund und Gelegenheit zu benützen zur Erkenntnis meiner Fehler. Ich habe mich auch nicht einmal damit begnügt, sie still bei mir zu bedenken, sondern, wie meine Pflicht war, stand ich nicht an, sie auch denen zu bekennen, die mich lieber entschuldigt hätten, als gedacht, es sei etwas an mir zu tadeln. Freilich, im Blick auf unsere Gegner habe ich stets meine Unschuld behauptet, wie ich sie vor Gott bezeugen konnte. Ebenso gab ich stets denen nicht Recht, die unüberlegt urteilten. Denn die Mehrzahl erlaubt sich, die Art der Krankheit bestimmen zu wollen, ohne ihre Ursachen zu kennen. Aber doch habe ich es nie unterlassen, öffentlich und privatim zu sagen, wie müssten dieses Unglück annehmen als eine deutliche Züchtigung für unsere Unerfahrenheit und andre Fehler, die dies nötig machten. Meine besondern Fehler, glaube ich, soviel ich ihrer bemerke, sind doch die größten und die meisten nicht. Trotzdem bitte ich den Herrn, dass er mir sie Tag für Tag deutlicher zeigen wolle. Die, die Sie an mir tadeln, kann ich aber nicht anerkennen. Gilt es über meine Berufung zu reden, so glaube ich, haben Sie nicht soviel gute Gründe, sie anzufechten, als mir der Herr sichere gegeben hat, darin fest zu werden. Mag meine Berufung Ihnen zweifelhaft scheinen, mir genügt, dass ich ihrer sicher bin, ja noch mehr, dass ich sie beweisen kann vor Allen, die ihr Urteil der Wahrheit unterordnen wollen. Nicht ohne Grund erinnern Sie mich daran, wie unrecht es ist, sich zu sehr auf seinen eigenen Kopf zu verlassen. Ich kenne nämlich meine Kraft gar wohl, dass ich auch nicht das Kleinste von mir rühmen kann, ohne dass es schon zu viel wäre. Ich möchte aber, Sie wüssten, dass die Selbstanklagen, die Sie von mir hörten, keine Heuchelei waren. Damit habe ich genugsam bewiesen, wie viel es brauchte, um mich fähig zu machen, die Last, die auf mir lag, zu tragen.
Sie halten sich lange dabei auf, wie gefährlich es sei, wenn es uns so schwer falle, um des Vorwurfs des Wankelmuts willen ein überstürztes Urteil zurückzunehmen. Ich verstehe nun meinerseits wohl, dass die Befürchtung Grund hat, ein so toller Ehrgeiz sei meinen Augen eine Binde, die mich hindere, klar zu sehen; andrerseits hoffe ich aber auch, der Herr werde mich nie in einen solchen Stolz fallen lassen, es sei denn, dass er mir alle Ehre rauben wollte, wenn ich mich einmal willkürlich gegen seine Wahrheit auflehnte. Ich habe in der Art mit Jemand, den Sie kennen, geredet; ich kann jetzt noch nichts anderes sehen, als was ich damals erklärt habe. Sollte etwa der damals anwesende Zeuge Ihnen einen verkehrten Bericht gebracht haben, wie es ja seine Gewohnheit ist, zu verdrehen und zu verwirren?
Was das angeht, dass ich meinen Nächsten verdamme [wie Sie schreiben], muss ich ein Wort mit Ihnen reden, das Ihnen vielleicht nicht gefällt. Ich möchte, Sie wendeten da ein Teil Ihrer Ermahnungen auf sich selbst an. Denn in Ihrem ganzen Brief nennen Sie die Finsternis Licht und verdammen alle, die gerader wandeln, als alle Ihrigen in diesem Punkt. Ich will mich nicht auf einen Disput einlassen, da das auch Ihre Absicht nicht ist; aber das möchte ich wissen, ob es recht ist, dass Jemand von seiner Studierstube aus Verdammungsurteile ergehen lässt gegen Alle, die täglich vor aller Welt zu ihrer Lehre stehen, und es dann noch für Anmaßung hält, wenn diese ihrerseits sich erlauben, die offenbaren Feinde Gottes und seiner Ehre zu verurteilen. Ich will annehmen, dass Sie in dieser Sache in der besten Absicht urteilen, aber ich muss es einem andern Geist zuschreiben als dem Gottes. Was meine Rückkehr angeht, so muss ich bekennen, dass ichs schon sonderbar finde, dass Sie davon anfangen zu reden. Einen Weg soll ich suchen, dahin zurückzukehren, wo ich wie in der Hölle wäre? Die Erde ist des Herrn, werden Sie sagen. Gewiss, aber ich bitte Sie, mir zu erlauben, dem Gebot meines Gewissens zu folgen, das sicherer ist als das Ihre, ich weiß es. Darüber, dass ich wieder ein neues Amt angenommen, muss ich sagen: mein Wunsch wäre es gewesen, davon frei zu bleiben. Hätte ich nur mit Leuten zu tun gehabt, die Sie als zu kühn und unüberlegt in der Anstellung von andern Leuten ansehen dürften, so hätte ich mich keineswegs beeilt, [mich von ihnen anstellen zu lassen]. Aber da die Allerruhigsten mir drohten, der Herr werde mich finden, wie er den Jonas gefunden, und als sie soweit gingen, zu sagen: Nimm an, durch deine Schuld allein sei eine Kirche zugrunde gegangen; wie könntest du eher dafür Buße tun, als dass du dich ganz in den Dienst des Herrn stellst? Wie willst du es bei deiner Begabung vor deinem Gewissen verantworten, ein Pfarramt abzulehnen? usw., da wusste ich nichts anderes zu tun, als ihnen die Gründe darzulegen, die mich abhielten, meine Pläne nach ihrem Sinn zu richten. Als auch das nichts nützte, dachte ich, ich müsse in so unklarer Lage dem folgen, was mir wirklich von wahren Knechten Gottes gezeigt wurde. Ich versichere Sie, dass die Sorge um leibliches Auskommen mich nicht dazu bewogen hat. Denn ich war zum Versuch entschlossen, meinen Lebensunterhalt als Privatmann zu verdienen, was ich mir gar nicht unmöglich dachte. Aber ich kam zu dem Schluss, dass Gottes Wille mich anders führe. Habe ich gefehlt, so tadeln Sie mich, bitte, aber durch einfache und kurze Verdammung, der ich doch nicht Recht geben könnte gegen die Meinung und den Rat von Leuten, die ich nicht gering schätzen kann, so wenig Sie es dürfen.
Sie machen mir ein Angebot, für das ich Ihnen nicht genug danken kann. Und ich bin nicht so unhöflich, dass ich nicht die große Freundlichkeit empfinde und selbst, wenn ich sie nicht annehme, der Verpflichtung, die ich Ihnen dafür schulde, nie nachkommen kann. Aber ich will so wenig wie möglich zur Last fallen, vor allem Ihnen, der Sie schon früher mehr als genug Last von mir gehabt haben. Gegenwärtig kostet mich meine Nahrung nichts. Für die anderen Bedürfnisse, außer denen des Mundes, genügt der Erlös aus dem Verkauf meiner Bücher. Ich hoffe, der Herr wird mir, wenns nötig ist, wieder einmal andere Bücher geben. Hätten Sie Ihre Worte so an mich gerichtet, dass es nur ein Tadel für meine Person gewesen wäre, ich hätte es leicht ertragen. Aber da sie auch die Wahrheit Gottes und seinen Knechten nicht zustimmen wollen, musste ich Ihnen in kurzen Worten entgegnen, damit Sie nicht meinen, ich wolle Ihnen Recht geben. Ich denke, Sie haben unser Unglück für groß genug gehalten, mich ins tiefste Dunkel zu stürzen, ja mich meine ganze Vergangenheit verleugnen zu lassen. Wahr ists, ich war sehr unglücklich, aber doch nicht so, dass ich hätte sagen müssen: Ich weiß nicht mehr, wo des Herrn Wege sind. Deshalb sind auch diese Versuchungen vergeblich gewesen an mir. Einer von den Genossen [unsrer Verbannung] steht nun vor Gott, um Rechenschaft abzulegen über die Sache, die er mit uns gemein hatte. Wenn wir einmal dorthin kommen, wird man erkennen, auf welcher Seite die Schuld des Übermuts und des Abfalls ist. Dorthin appelliere ich von dem Urteil der Klugen Leute, die glauben, ein Wort von ihnen genüge, uns zu verdammen. Dort werden die Engel Gottes Zeugnis ablegen, wer die wirklichen Ketzer sind.
Mich untertänig Ihrer Güte empfehlend, bitte ich den Herrn, er wolle Sie erhalten und bewahren in seinem heiligen Schutz und Sie so führen, dass Sie nicht von seinem Wege weichen.
Straßburg, 20. Oktober.
Ihr ergebener Diener und treuer Freund
Charles d´Espeville.