Nr. 212 (C. R. – 946)
Calvin, Jean - An Bullinger in Zürich (212).
Weggelassen ist eine Empfehlung des jungen Michel Roset, der zu seiner Ausbildung nach Zürich kam. Konstanz hielt sich gegen den Kaiser bis August 1548. In Italien hatte sich ein Bündnis zwischen Venedig, Papst und Frankreich gebildet, dessen Feldherr Pietro Lodovico Farnese der Sohn des Papstes war. Calvins Furcht vor Kriegsplänen Karls V. gegen die Schweiz war grundlos.
Über das beängstigende Vorrücken des Kaisers.
Nun ist schon der sechste Monat vorbei, seit ich dir dein Buch zurückschickte mit meinen Bemerkungen, wie du sie von mir gewünscht hast. Dass seither keine Antwort von dir kam, wundert mich. Als ich damals in Zürich war, mahntest du mich, wir wollten einen lebhafteren Briefwechsel unterhalten. Mehrmals habe ich seitdem gehört, dass Zürcher hier durchgereist seien. Ich hatte niemand, der zu Euch reiste, um dich zu erinnern. Wenn sich dir wieder einmal Schreibgelegenheit bietet, so möchte ich dich sehr gebeten haben, sie nicht unbenützt zu lassen.
Vom Unglück Deutschlands muss ich mehr hören, als ich möchte, und doch wird nie etwas gemeldet, wie Konstanz sich hält, das mir sehr am Herzen liegt. In Straßburg war große Angst, als man glaubte, der Kaiser wolle dort die Winterquartiere beziehen. Sie sagen zwar, sie würden ihm auch heute die Tore nicht öffnen, wenn sie von anderswoher Verstärkung erhielten. Was die eidgenössischen Stände im Sinn haben, weiß ich nicht. Das Gerücht, dass auch ihnen der Krieg erklärt werden soll, ist wieder ein wenig verstummt der Unruhen in Italien wegen. Aber wie, wenn sie dort aus Angst vor dem Kaiser nichts zu tun wagen? Schon hat er Piacenza und Parma besetzt, wobei Pietro Lodovico, wie gesagt wird, gefallen, sicher aber geschlagen worden ist. Es ist möglich, dass der Kaiser bei solchem Erfolg Italien noch in diesem Jahr zur Ruhe bringt. Hat er Straßburg einmal betreten, so hat er, wie du siehst, einen festen Punkt besetzt, um Euch von da aus anzugreifen. Nun, lieber Bullinger, wäre es Zeit, für Euch zu sorgen. Denn wenn Ihr still bleibt, streckt Ihr damit nicht geradezu den Hals [dem Henker] hin? Freilich mahne ich dich wohl darin unnötiger Weise. Denn ich weiß, dass Eure Zürcher schon so beherzt sein werden, Abhilfe schaffen zu wollen. Unsere Nachbarn [in Bern] sind ganz unvernünftig; denn sie lassen nicht einmal einen Plan zu, wie man das wilde Tier bändigen könnte. Doch wenn sie selbst ihren Untergang wollen, so leite der Herr seine Erwählten mit klugem Geist, dass sie zu rechter Zeit der Gefahr entgegentreten. Viele Gründe schrecken Euch ja mit Recht von einem französischen Bündnis ab. Aber wie es gar nicht gut wäre, wenn Ihr Euch mit Frankreich zu tief einließet, so sehe ich nicht ein, weshalb Ihr jede Verbindung mit ihm meidet. - - -
Lebwohl, hochberühmter Mann und im Herrn hochverehrter Freund, samt deinen Kollegen und Brüdern, die du von mir und meinen Brüdern grüßen sollst. Der Herr sei stets mit Euch und segne Euer Wirken. Auch deiner Frau, bitte, viele Grüße und deinen Kindern.
Genf, 19. September 1547.
Dein
Johannes Calvin.