Burk, Karl - Predigt am Weihnachtsfest

Burk, Karl - Predigt am Weihnachtsfest

D. Karl Burk,
Stiftsprediger in Stuttgart.

Ev. Luk. 2, 1-14.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa aus der Stadt Nazareth in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte David war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

„Du hast viele Sorge und Mühe, Eins aber ist not.“ Das, in Christo Geliebte, ist heute der Ruf des Herrn an die vielen durch Weihnachtssorgen und Weihnachtsgeschäfte umgetriebenen und zerstreuten Seelen in seiner Christenheit. Du hast viele Sorge und Mühe; o lass dir doch durch dieses Vielerlei, welches aus dem von der Einfachheit des Lebens sich immer weiter entfernenden Geiste dieser Zeit stammt, welches aber mit all seinem Glanz der Seele keinen Frieden und kein Genüge gibt, das Eine, welches allein wahre und bleibende Befriedigung gewährt, nicht aus den Augen rücken! Wo findest du aber dieses Eine?

„Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet,
Wo alle vollkommene Fülle erscheinet.“

Und das ist geschehen in dem Kinde, welches zu Bethlehem geboren ward. O stelle dich im Geiste an seine Krippe und vergiss, in seine Betrachtung versunken, alles um dich her! Lass schwinden, was dich quält! lass liegen, was du treibst! lass dahinten, was als Vorwurf aus der Vergangenheit dich beunruhigt! lass fahren, was von Sorgen für die Zukunft dein Herze beschwert und traurig macht! und denke nur an das Eine, was in diesem Kinde dir und aller Welt erschienen ist! Ja, so verschieden wir auch sein mögen an Alter, an äußerem Stand, an Wissen, an Meinungen und Lebensgewohnheiten, um die Krippe Jesu wollen wir uns zusammenfinden und ihm zu Ehren jenes alte Loblied der Christenheit anstimmen: „Hallelujah, denn uns ist heut ein göttlich Kind geboren!“

In Christo Geliebte! Vor wenigen Wochen hat die evangelische Christenheit Deutschlands unter großer Teilnahme einen Geburtstag gefeiert, den 400jährigen Geburtstag Luthers. Aber der Geburtstag, den wir heute begehen, ist doch noch etwas ganz anderes; ihn feiert die ganze Christenheit unter allen Völkern seit anderthalb Jahrtausenden jedes Jahr aufs Neue, ohne dass sich die Frische dieser Feier verminderte. Wer ist's nun, dem diese einzigartige Feier gilt? Wer ist's, der in jener Heiligen Nacht zu Bethlehem in die Menschenwelt eintrat? Als einst zu Jerusalem die Bundeslade ihren Einzug hielt, da sang, wie wir aus Ps. 24 sehen, der Chor derer, welche sie begleiteten: „Macht die Türen weit und die Tore in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe“; und die, welche unter dem Tore sie erwarteten, erwiderten mit der Frage: „Wer ist derselbe König der Ehren?“ worauf die ersteren die Antwort gaben: „Es ist der Herr Zebaoth, er ist der König der Ehren.“ So sehen wir auch in unserem Evangelium zwei Chöre: die Engel, welche den Eingeborenen in die Welt einführen, und die Menschen, bei welchen er Wohnung machen will. „Wer ist's, der in Bethlehem geboren ward?“ Diese Frage, welche den Hirten auf den Lippen lag, und welche der Engel beantwortet, ehe sie noch ausgesprochen ist, sie bewegt bis auf den heutigen Tag Tausende von Herzen; die Antwort aber gibt der Engel, wenn er spricht: „Euch ist der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr.“ Darüber lasst uns weiter nachdenken, dass der in Bethlehem Geborene ist

I. Christus,
II. der Herr,
III. ein Heiland für uns.

Süßes Heil, lass dich umfangen,
Lass mich dir,
Meine Zier,
Unverrückt anhangen!
Du bist meines Lebens Leben;
Nun kann ich
Mich durch dich
Wohl zufrieden geben. Amen.

I. Der in Bethlehem Geborene ist Christus.

Wie werden bei diesem Wort die Hirten gestaunt haben! In dem Namen „Christus“, in ihrer Sprache „Messias“, d. H. der Gesalbte, befassten sich alle Hoffnungen, welche sie für ihr Volk hegten in Beziehung auf dessen bürgerliches und religiöses Leben. Bei uns ist Vaterlandsliebe und Eifer für das Reich Gottes zweierlei, in Israel aber war beides untrennbar verbunden; wenn ein Israelit seinem Volke Glück wünschte, so wünschte er nicht bloß das Wohlergehen seines irdischen Vaterlandes, sondern auch die Förderung des Reichs Gottes in der Welt, und alle diese Wünsche vereinigten sich in dem Namen „Christus“. Wenn dieser erschiene, dann sollte alles sich erfüllen, was die glühendste Vaterlandsliebe und der brennendste Eifer für Gottes Ehre sich wünschen konnte. Der Gesalbte hieß er, und die Salbung galt als Sinnbild für die. Mitteilung des Gottesgeistes, aus welchem alles, was es Großes im Volke Gottes gab, seinen Ursprung hatte. Dieser Geist sollte mit der Fülle seiner Gaben auf dem Christus ruhen, welcher aus Juda, dem mächtigsten Stamme des Volkes, und aus dem hochberühmten Königshause hervorgehen sollte als der Löwe aus Juda, als der längst verheißene Davidssohn. Das Heldentum Davids und die Weisheit Salomos vereint sollte in ihm in erhöhtem Maße wieder erscheinen. Zugleich aber sollte er auftreten als ein Prophet, größer als Elia oder Jesaja und einzig mit Mose, dem größten aller Gottesknechte des Alten Testaments, zu vergleichen, und als ein Priester nach der Weise jenes Priesterkönigs der Vorzeit, Melchisedek. Eine Zeit des Glücks und Segens sollte unter ihm für das Volk Gottes anbrechen. Er sollte der Zemah sein, unter welchem alles sprossen und blühen werde, alle Kräfte und Gaben des Volks zur glänzendsten Entfaltung gelangen werden.

Alle diese Hoffnungen, welche sich mit dem Namen „Christus“ verbanden, traten bei dem Worte des Engels im Lichte der Erfüllung den Hirten vor die Seele. Für uns aber ist in dem Worte: „Er ist Christus“, noch etwas Größeres enthalten. Schon die Propheten hatten von Christo geweissagt, dass er dastehen werde als ein Panier unter den Völkern, und dass die Heiden nach ihm fragen werden. So deutet der Christusname darauf, dass der in Bethlehem Geborene nicht nur die edelste Blüte des jüdischen Volkes, sondern auch die köstlichste Frucht am großen Baume der Menschheit sei. Schon viele große Männer, ausgezeichnet auf den verschiedensten Gebieten menschlicher Tätigkeit, hat die Menschheit aus sich hervorgebracht. Wir bewundern, was sie geleistet im Frieden und Krieg, wir betrachten mit Staunen die Kunstwerke, welche sie hinterlassen, wir erfreuen uns der Erfindungen, durch welche sie zur Annehmlichkeit unseres Lebens beigetragen haben; aber doch ist keiner unter ihnen, den wir als Christus begrüßen, dem wir mit rückhaltlosem Vertrauen uns hingeben, mit unbegrenzter Verehrung huldigen könnten. Jeder derselben trägt etwas an sich, dass unser volles Zutrauen hindert. Und was ist das? Wenn ein Kind mit unbegrenzter Verehrung an seinen Eltern hängt, so können äußerliche Verhältnisse dieser Liebe keinen Eintrag tun. Wenn Vater und Mutter alt oder krank werden oder in Not geraten, so gibt das nur umso mehr Anlass, die dankbare Kindesliebe zu beweisen; aber lass das Kind gewahr werden, dass die Eltern es mit der Wahrheit nicht genau nehmen oder einer Unehrlichkeit sich schuldig machen, dann hat die Verehrung einen Stoß erhalten, von welchem sie sich nicht mehr erholt. Siehe also, was es dem Menschen unmöglich macht, einem andern mit unbegrenzter Liebe und Verehrung anzuhangen, das ist die Sünde. Sünde aber nehmen wir wahr - auch an den größten Helden der Menschheit. Ja, so lange einer dasteht im Zwielichte der Sage, mag er makellos erscheinen, wenn aber geschichtliche Forschung den Schleier lüftet, da sehen wir, dass er ein sündiger Mensch war gleich wie wir, da entdecken wir an ihm Volkssünden und Familiensünden, mit denen er behaftet ist, und dazu eigene Sünden, welche er vollbracht hat. Darum kann er nicht Christus sein.

Nur Einer ist unter allen, an dem auch die schärfste Prüfung nichts von Sünde entdecken kann, der hintreten konnte vor seine argwöhnischen Feinde und sie fragen: „Wer unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ Und die heutige Wissenschaft mag sein Leben erforschen, so genau sie kann; auch vor ihren Richterstuhl kann er kecklich treten mit der Frage: „Kannst du mich einer Sünde zeihen?“ Ja, auch der allwissende Gott sieht an ihm keinen Flecken, sondern erklärt feierlich, dass er an ihm Wohlgefallen habe. Darum ist er Christus, durch welchen die Menschheit ihre höchste Bestimmung, Gott wohlgefällig zu werden, erreichen kann. Von den großen Männern der Welt hat jeder seinem Volke genügt, er wird gepriesen als Retter des Volks, als Begründer seiner Macht und Größe; aber von andern Völkern wird sein Name verflucht. Ja, mancher, der seinem Volke zu äußerem Glanze verholfen hat, hat zugleich zu dessen innerem Zerfall den Anlass gegeben. Wir kennen jenen großen König zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, der seinem ganzen Zeitalter den Namen gab und von seinem Volke vergöttert wurde; aber als er begraben werden sollte, konnte man kaum seinen Leichnam schützen vor der Wut des Volkes, das in diesem seinem ehemaligen Abgott nun seinen Verderber erkannte. Der in Bethlehem Geborene dagegen ist Christus, weil er nicht einem einzelnen Volke angehört, sondern der ganzen Menschheit, und weil er nicht diesen oder jenen äußeren Vorteil ihr verschafft, sondern die Quelle alles Segens ihr wieder erschlossen hat, die Gnade und das Wohlgefallen Gottes.

Aber, fragt einer, kann man denn Trauben lesen von den Dornen? Kann denn aus der Mitte dieser sündigen Menschheit einer hervorgehen, welcher das Brandmal der Sünde nicht an sich trägt? Wie sollte dieser Eine eine Ausnahme bilden von dem allgemein herrschenden Gesetze der Sünde? Ist's nicht am Ende nur eine Selbsttäuschung, vermöge welcher ihr alle anderen herunter setzt, nur um diesen Einen, den ihr nun einmal zu eurem Christus erwählt habt, umso höher hinauf zu heben?

Diese Einwendung kann nur dann widerlegt werden, wenn wir noch einen Schritt weiter gehen und dem Engel glauben, dass der in Bethlehem Geborene nicht nur Christus sei, sondern dass er auch

II. der Herr sei.

Der „Herr“, das ist im Munde des Engels nicht ein bloßes Wort der Ehrerbietung oder Höflichkeit, nein, das ist der hochheilige Name Gottes im Alten Bunde. „Herr“ wurde Gott genannt als der, welcher sich herunter gelassen und mit dem sündigen Volke einen Bund geschlossen und es getragen hat mit großem Erbarmen. „Herr“ heißt Gott, sofern er heruntersteigt in alle Wechsel des Zeitlebens und dabei doch der ewige, unveränderliche Gott bleibt. Und dieser Name „Herr“ wird nun übergetragen auf das Kind, welches in der Krippe zu Bethlehem liegt.

Wir stehen hier vor jenem kündlich großen Geheimnis, das Menschen und Engel anbeten: „Gott ist offenbart im Fleisch“. Der, welcher in der Krippe liegt, ist der wahrhaftige Gottessohn. „Der Sohn des Vaters, Gott von Art, ein Gast in der Welt hie ward.“ Gott von Art, d. h. nicht ein gewordener Gott, nicht einer, der, wie die Heiden fabelten, sich durch seine Großtaten erst zu göttlicher Würde empor geschwungen hätte, sondern einer, der nach seiner Natur, nach seinem ewigen Wesen Gott ist. Wer freilich, wie die Heiden, Götter glaubt, die von menschlicher Sünde befleckt sind, der mag es für möglich halten, dass ein Mensch durch seine Leistungen zur Gottheit emporsteige; wo man dagegen einerseits die unbefleckte Heiligkeit Gottes, andererseits die Tiefe des menschlichen Sündenverderbens erkennt, da weiß man auch, dass kein Mensch, wie Großes er auch leiste, die Kluft zu überbrücken vermag, die uns von Gott trennt, dass niemand gen Himmel steigt, denn der vom Himmel herniedergekommen ist. Dass der, welcher zu Bethlehem als Mensch geboren ward und als Mensch unter Menschen lebte, doch von menschlicher Sünde unberührt blieb und darum nicht nur selbst Gott wohlgefällig war, sondern auch die Menschheit zum Gegenstande göttlichen Wohlgefallens gemacht hat, dieses Rätsel wird dadurch gelöst, dass Christus zugleich der Herr, dass diese Blüte der Menschheit zugleich der Sohn des lebendigen Gottes ist. Diese Gottessohnschaft Jesu ist zwar ein unbegreifliches Geheimnis, aber sie allein macht uns die sündlose Entwicklung seines Lebens begreiflich. Wer daher das zweite Wort des Engels „Er ist der Herr“ nicht annimmt, der muss auch an dem ersten „Er ist Christus“ zweifeln; wer die Gottessohnschaft des Heilandes leugnet, kann auch seine Sündlosigkeit nicht glauben.

Er ist der Herr, dessen Ausgang von Ewigkeit her ist (Mich. 5, 1). Ehe er in die Zeitlichkeit eintrat, hat er ein Leben in der Herrlichkeit des Vaters hinter sich, und nachdem er diese Zeitlichkeit verlassen hat, lebt er fort in unvergänglicher Kraft und Herrlichkeit. Das sagt uns das eine Wörtlein „Herr“. Die Großen der Welt verbreiten eine Zeitlang ihren Glanz um sich, aber wenn das Grab seinen Raub nimmt, dann ist es aus mit ihrer Herrlichkeit und bald heißt es: „Ihre Stätte kennt sie nicht mehr.“ Dieser Herr aber hat eine Herrschaft ohne Ende. Seit vielen hundert Jahren ist er von dieser Erde geschieden, aber das Andenken an seinen Namen ist nicht schwächer geworden bis heute. Auch jetzt noch hat er als der Herr Anspruch auf unseren Dienst und unsere Verehrung. Die Gewaltigen der Welt haben jeder seine Zeit, und oft genug erfüllt sich an ihnen das Wort:

„Über den, dem man hat müssen
Heut' die Hände höflich küssen,
Geht man morgen gar mit Füßen.“

Der in Bethlehem Geborene dagegen ist, obwohl oft verworfen und mit Füßen getreten, doch der Herr geblieben. Ein Herodes wollte ihn umbringen, aber sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben standen, das Kind aber, zum Manne geworden, lebt noch in unvergänglicher Herrlichkeit. Die Juden haben ihn gekreuzigt, aber von ihrer Stadt ist nicht ein Stein auf dem andern geblieben, ihn dagegen hat Gott auferweckt und erhöht. Unzählige Male hat die Welt mit Waffen der Gewalt oder der Wissenschaft seine Sache umbringen wollen und hat triumphiert, dass es aus sei mit ihm, aber er lebt, und zuletzt muss alle Welt offenbar werden vor seinem Richtstuhl und jedes Menschen Schicksal wird danach sich entscheiden, wie er zu diesem Kindlein sich gestellt hat. Darum ist für jedes von uns die Frage so wichtig: Was habe ich an dem zu Bethlehem Geborenen? Darauf dient zur Antwort, was der Engel spricht:

III. „Euch ist der Heiland geboren.“

Dies Wort ist zu den Hirten gesprochen. Was hatten diese geringen Leute mit den Gewaltigen der Erde zu schaffen? Aber nun wird ihnen verkündigt, dass der, welcher größer ist als Könige und Propheten, ihnen geboren sei als Heiland. In der Welt sind diejenigen, welche eine hohe Stellung, einen weiten Wirkungskreis haben, gewöhnlich nicht im Stande, der Elenden sich anzunehmen. Kann doch ein im öffentlichen Leben viel beschäftigter Mann nicht einmal seinen Hausgenossen Zeit und Aufmerksamkeit widmen, wie er wollte. Hier aber wird von dem, welcher als der größte von allen, als Christus und Herr auftreten soll, angekündigt, dass er den armen Hirten als ihr Heiland angehöre.

Und auch uns geht dieses kostbare Wort an: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Aber dieses Wort „für euch“ erfordert, wie der Katechismus uns sagt, eitel gläubige Herzen. Ja euch allen, Geliebte, lässt es heute der barmherzige Gott durch Engelmund zurufen und eurem Glauben es vorhalten: Euch ist der Heiland geboren. „Euch“, auch die Armen und Kranken, auch die Angefochtenen, auch die in den Fesseln der Sünde liegenden, die verdüsterten und verbitterten Gemüter, alle geht diese Botschaft an. Obwohl der in Bethlehem Geborene für die ganze Welt da ist, obwohl sein Werk Himmel und Erde umfasst, so hat er doch ein Herz für die geheimsten Anliegen jedes Einzelnen unter uns, denn er ist der Heiland. „Heiland“, das ist ein Wort, welches in der hl. Schrift nicht sehr häufig von Jesu gebraucht wird, es ist aber ein so köstliches Wort, dass wir alle, dass insbesondere die Kinder unseren Herrn Christum am liebsten mit diesem Namen bezeichnen. Einen Heiland, d. h. einen Erretter braucht jedes unter uns; denn jedes, auch die Glücklichsten und Lustigsten, auch die Stolzesten und Gewaltigsten sind, auch wenn sie es sich und anderen zu verbergen bemüht sind, von einer doppelten Verderbensmacht gebunden, vom Tod und von der Sünde. Dass er dem Tode verfallen ist, das kann ja auch der oberflächlichste, gedankenloseste Mensch nicht leugnen, daran wird auch der leichtsinnigste immer wieder erinnert. Wer aber tiefer nachdenkt über seine Seele und deren Bedürfnisse, der wird erkennen, dass er auch für sein inneres Leben eines Retters bedarf, der ihn befreit von der Macht der bösen Begierden. Oder wäre eines unter uns, das sich rühmen könnte, die böse Luft überwunden zu haben, so dass sie wie ein bezwungener Feind ihm zu Füßen liegt? Nein, wir alle sind unter der Sünde wie unter dem Tode gefangen, und gerade die gewissenhaftesten Menschen, die es mit sich selbst am genauesten nehmen, fühlen diese Bande am schmerzlichsten. Darum ist es für uns alle, wer wir auch sein mögen, eine Freudenbotschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren.“

Und als der Heiland, als welchen ihn der Engel angekündigt, hat er sich auch bewiesen. Der, welchen wir als Kind in der Krippe sehen, ist als Mann umher gezogen mit einem Herzen voll Erbarmen und einer Hand, stärker als der Tod, Kranke heilend, Tote erweckend, und dann hat er sich selbst in den Tod gegeben, um dem Tode die Macht zu nehmen und Leben und unvergängliches Wesen ans Licht zu bringen; und heute noch erweist er sich dem Tode gegenüber als der rechte Heiland. Wenn der Tod naht mit seinen Schrecken, dann brechen alle anderen Stücken. Was der Mensch gelernt hat, bleibt dahinten und tröstet ihn nicht; was er genossen hat, ist ihm entleidet; was er besitzt, muss er zurück lassen. Wer dagegen den in Bethlehem Geborenen als seinen Heiland kennen und lieben und ihm vertrauen gelernt hat, der rühmt mit dem Apostel: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“ Und wenn das Gewissen aufwacht und unsere Sünde uns vorhält, und das Gefühl des Zornes Gottes über das Herz hereinbricht, da vermag keine Selbstrechtfertigung, kein Beifall der Welt uns zu beruhigen. Nur der gläubige Hinblick auf den, welchen uns Gott hat vorgestellt als einen Gnadenstuhl in seinem Blut, bringt dem angefochtenen Herzen Ruhe; nur die Gewissheit, „dass ich einen Heiland habe,
Der vom Kripplein bis zum Grabe,
Bis zum Thron, da man ihn ehrt,
Mir, dem Sünder, zugehört“

, macht das Herz frei von der Schuld der Sünde und von ihrem Bann.

Und wer kann die Risse heilen, welche die Sünde in der Menschenwelt täglich verursacht, die Zwietracht im Großen und Kleinen, zwischen den Völkern und Reichen, zwischen den verschiedenen Klassen und Ständen, wie zwischen den einzelnen Gliedern derselben Gemeinde oder wohl gar derselben Familie? Frage einmal diejenigen, deren höchstes Bestreben es ist, die Zerrissenheit zu einer unheilbaren zu machen, die Klassen des Volkes gegeneinander aufzuhetzen, frage sie, was ihren verruchten Absichten am meisten im Wege steht. Sie werden dir antworten, dass es der Glaube an Jesum als den Heiland sei, was sie am meisten hindere, dass dieser Glaube das festeste Band der Einigkeit unter den Menschen sei. Darum geben sie sich alle Mühe, unserem Volke den Glauben an seinen Heiland aus dem Herzen zu rauben, weil sie wohl wissen, dass sie, wenn ihnen das gelänge, gewonnen Spiel hätten und der Umsturz aller Ordnung in der Welt nicht abgewendet werden könnte.

So ist in dem zu Bethlehem Geborenen für die Menschheit der erschienen,

„Der in Eil
Machet heil
Ihre tiefsten Wunden“

, die Wunden der einzelnen Herzen wie diejenigen der ganzen menschlichen Gesellschaft.

Und dieser Heiland ist dir geboren. Wer die unermessliche Größe dieser Wohltat erwägt, der muss in tiefster Beugung mit dem Psalmisten ausrufen: Herr, was ist der Mensch, dass du sein gedenkest? Ja

Hast du denn, Höchster, auch meiner noch wollen gedenken?
Du willst dich selber, dein Herz voll Erbarmen, mir schenken!
Soll nicht mein Sinn Innigst sich freuen darin
Und sich in Demut versenken? Amen.

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