Burger, Carl Heinrich August von - Zwölfte Predigt. Am Charfreitag 1854 Nachmittags.

Burger, Carl Heinrich August von - Zwölfte Predigt. Am Charfreitag 1854 Nachmittags.

Text: Joh. 19, 31 - 42.
Die Juden aber, dieweil es der Rüsttag war, daß nicht die Leichname am Kreuz blieben den Sabbath über, (denn desselbigen Sabbaths Tag war groß,) baten sie Pilatum, daß ihre Beine gebrochen, und sie abgenommen würden. Da kamen die Kriegsknechte, und brachen dem ersten die Beine und dem andern, der mit ihm gekreuziget war. Als sie aber zu Jesu kamen, da sie sahen, daß er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht; sondern der Kriegsknechte einer öffnete seine Seite mit einem Speer, und alsobald ging Blut und Wasser heraus. Und der das gesehen hat, der hat es bezeuget, und sein Zeugniß ist wahr, und derselbige weiß, daß er die Wahrheit sagt, auf daß auch ihr glaubet. Denn solches ist geschehen, daß die Schrift erfüllet würde: Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen. Und abermal spricht eine andere Schrift: Sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben. Darnach bat Pilatum Joseph von Arimathia, der ein Jünger Jesu war, doch heimlich aus Furcht vor den Juden, daß er möchte abnehmen den Leichnam Jesu. Und Pilatus erlaubte es. Derowegen kam er, und nahm den Leichnam Jesu herab. Es kam aber auch Nicodemus, der vormals bei der Nacht zu Jesu gekommen war, und brachte Myrrhen und Aloen unter einander, bei hundert Pfunden. Da nahmen sie den Leichnam Jesu, und banden ihn in leinene Tücher mit Specereien, wie die Juden pflegen zu begraben. Es war aber an der Stätte, da er gekreuziget ward, ein Garten, und im Garten ein neues Grab, in welches Niemand je geleget war. Daselbst hin legten sie Jesum, um des Rüsttags willen der Juden, dieweil das Grab nahe war.

Wir haben den Herrn unsern Heiland und Erlöser in den bis heute fortgesetzten Betrachtungen über die Geschichte Seines Leidens aus Seinem Schmerzensweg im Geist begleitet bis zu Seinem Rufe: Es ist vollbracht! Das große Opfer ist nun geschehen, das Werk vollendet, zu dem Sein Vater Ihn gesendet hat, das Er freiwillig auszurichten gekommen ist. Denn so sagt Er selbst: „Darum liebet mich mein Vater, daß Ich mein Leben lasse, auf daß Ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern Ich lasse es von mir selber. Ich habe es Macht zu lassen und habe es Macht zu nehmen.“ Joh. 10, 17. 18. Mitten durch das Dunkel der Schmach und Erniedrigung und Schmerzen bricht der Glanz von dieser Macht hindurch, die der Sohn hat, die Er braucht, nicht um des Leidens sich zu erwehren, sondern um ein Zeichen uns zu hinterlassen, wer es sei, der für uns leidet. Nun aber ist des Leidens Ziel gekommen. Bald soll der Sieg kund werden, der erkämpft ist. Aber vorerst wird der Leichnam Jesu zu seiner Ruhe gelegt in's Grab. Dieser Vorgang und was damit zusammenhängt, ist heute Gegenstand unserer beschauenden Erwägung. Lasset uns den Reichthum des Trostes und des Lichtes, welchen der Evangelist in unserm Text verbreitet über die letzte Stufe der Erniedrigung, zu der der Herr herabgestiegen ist, zu Herzen nehmen, und also die dießjährige Betrachtung Seines Leidens schließen mit der Hinweisung auf die Hoffnung, die uns das Osterfest bestätigen soll.

Herr unser Heiland, hochgelobter Mittler und Erlöser! segne das Wort davon an unsern Seelen. Der Du gesagt hast: Wenn ich erhöht sein werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen! Du hast uns ja damit versprochen, daß Du auch unser gedenken willst, die wir jetzt hier versammelt sind zu feiern das Gedächtniß Deiner Liebe. So sei nicht fern von uns in dieser Stunde; reinige unser Herz durch Deine Wahrheit und erhebe unsern Geist durch die Gewißheit Deiner Gnade! Erhöre uns um Deiner Treue und Erbarmung willen! Amen.

Die tröstlichen Zeichen, die dem Tode Jesu folgten, wollen wir nach unserm Text in dieser Stunde uns zu Herzen nehmen. Wir finden in demselben ein dreifaches Zeugniß voll tröstlicher Bedeutung:

  1. den Nachweis der Weissagungen, die an dem Herrn erfüllt sind;
  2. das Vorbild der Heilswirkung, die von Christo aufgehen soll;
  3. das Erwachen des Bekenntnisses zum Herrn als Vorspiel dessen, was bald mit Macht anbrechen sollte.

I.

Das erste tröstliche Zeugniß, welches unser Text uns vorlegt, ist die Erfüllung der Weissagungen auf Christum, welche der Evangelist uns nachweist. Ein tröstliches Zeugniß nenne ich diesen Nachweis, wenn es anders ein Trost ist, auch in der tiefsten Dunkelheit des Weges doch die gewissen Kennzeichen zu haben, daß der Herr mit uns ist, daß wir von Ihm geführt sind, daß nichts geschieht, als was Er haben will und längst zuvor auf diesen Augenblick beschlossen hatte. Trauer und Zagen war gefallen über alle Freunde Jesu, auf Alle, die Ihn liebten und Ihre Zuversicht auf Sein Werk gestellet hatten. Von dem sie erwartet hatten, daß Er Israel erlösen werde, der war nach großer Schmach gestorben unter dem Hohn Seiner Feinde, Das ist das Schmerzensbild, das unser Text uns nicht verhehlet. Aber Schritt für Schritt beleuchtet er diese Schilderung mit der Fackel des göttlichen Wortes; kein Zug, auf welchen er nicht das Licht der Verheißung und Weissagung Gottes fallen ließe, damit wir über jeden Zweifel weggehoben würden, als habe auch nur im geringsten Grade menschliche Willkühr oder Zufall einen Raum gehabt in diesem hohen Werke.

Zuvörderst macht der Evangelist uns aufmerksam auf den Umstand, daß nach der grausamen Gewohnheit, wenn man den Tod der Gekreuzigten beschleunigen wollte, zwar den zwei Mitgekreuzigten zu beiden Seiten Jesu die Beine zerschlagen wurden, aber dem Herrn selbst nicht, weil man sah, Er sei bereits gestorben. Sicherlich kann es in keiner Weise uns gleichgültig sein, daß wir dieß wissen; es thut auch unsrer menschlichen Teilnahme wohl, den theuern Leib des Herrn verschont zu sehen mit der Mißhandlung, welche Seine Feinde noch im Tode Ihm gegönnet hätten. Aber welch ein viel höheres Licht läßt der Evangelist auf diesen Vorgang fallen durch die eingeflochtene Bemerkung: „Solches ist geschehen, daß die Schrift erfüllet würde: Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.“ Denn was soll dieß heißen? Es ist ganz das Nehmliche, als ob uns Johannes sagte: Daran sollt ihr merken und eine neue Bestätigung darin erkennen, daß Jesus Christus wahrhaftig ist: Das Lamm, das eure Sünde trägt, das rechte eigentliche Osterlamm! Denn aus dem Gesetze über dieses Lamm ist die Anführung in unserm Text genommen. Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen, das ist vom Osterlamme vorgeschrieben (2. Mos. 12, 46), wo dem Volk Israel befohlen wird, genau, in's Einzelnste, wie sie damit verfahren, wie sie es brauchen, was sie durch dasselbe erlangen und gewinnen sollten. Was kann nun den Evangelisten bewegen, das Zutreffen dieses Wortes hier an Christo so hervorzuheben? Ist's Zufall? Ist es eine bloße Anspielung, oder eine geistreiche Vergleichung an sich fremder Dinge? Nichts von dem Allen, sondern das Osterlamm war wirklich nur ein Bild und Gleichniß, Christus ist die Wahrheit und die Erfüllung. Das Blut des Osterlammes an den Pfosten der Häuser schirmte Israel vor dem Verderber, welcher ausging, die Erstgeburt in Egyptenland zu schlagen; denn es bildete als in einem Schattenrisse die Wirkung des Blutes Christi ab, in welchem wir die Erlösung haben von Fluch und Tod, das uns in Zeit und Ewigkeit nicht läßt verderben. - Das Osterlamm war ein Opfer, durch dessen Kraft der Sünde Israels nicht gedacht ward im Gericht des Allerhöchsten. Denn sie waren nicht besser als Egypten, das haben sie bewiesen nachher in der Wüste. Aber der Herr hatte sie erwählt und ausgesondert zu Seinem Eigentum; darum sollten sie nicht sterben; der Tod des Lammes, das für sie geschlachtet wurde, verschlang ihren Tod. Erkennen wir in ihm nicht das Bild dessen, der von keiner Sünde wußte, und ward für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in Ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt 2. Cor. 5, 21? von dem geschrieben steht: Wir gingen alle in der Irre wie die Schaafe, ein jeglicher sahe auf seinen Weg; aber der Herr warf unser Aller Sünde auf Ihn? Jes. 53, 6. - Das Osterlamm war eine Speise, durch die das Volk theilhaftig wurde des versprochenen Segens. Haben wir nicht auch ein Osterlamm, für uns geopfert (1. Cor. 5, 7), das uns mit Seinem Leibe und Blute speist und tränket, weil Er, der für uns gestorben ist, nun in uns leben will, nach Leib und Seele uns erfüllen, durch Sich uns heiligen und zu Seinem bleibenden Besitz und Erbe uns zubereiten und erhalten will? Daß wir nicht übersehen diese tiefe Wahrheit in ihrer tröstlichen Fülle, darum hat der Geist des Herren den Apostel angetrieben, daß er mit einem kurzen unscheinbaren Federzuge uns eine Aussicht öffne in den Rath und in die Friedensgedanken unseres Gottes, die uns den Tod des Herrn verkläret als die Ursache unsres Lebens.

Wir müssen kurz sein; denn der Apostel gibt uns Vieles noch zu sagen. - Um von dem Tod des Herrn sich doch auf alle Fälle zu versichern, öffnete der Kriegsknechte einer Seine Seite mit einem Speere, und der Apostel macht hiebet aufmerksam aus die Schrift, in der gesagt sei: „Sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben.“ Wir schlagen die Stelle nach; es ist nur Eine, wo dieß Wort steht; und wir finden, daß der Prophet Sacharja weissagt 12, 10: „Ueber das Haus David's und über die Bürger zu Jerusalem will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebetes; denn sie werden mich ansehen, welchen jene zerstochen haben, und werden ihn klagen, wie man klaget ein einiges Kind, und werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübet über ein erstes Kind.“ - Was der Prophet verkündigt, ist noch nicht erfüllt; er spricht von der Bußklage des abgefallnen Israel über seinen einst verworfenen Messias, wenn es sich zu Ihm bekehret. Bis heute ist dieß Gegenstand der Hoffnung für uns und der zuversichtlichen Erwartung. Wie tröstlich aber ist der Wink, den der Evangelist uns gibt, gerade hier gibt, wo der Abfall seinen Höhepunkt erreicht hat, wo der Heilige in Israel, der König, der Sohn David's, Seinen irdischen Lauf am Kreuze endigt durch die Hände Seines Volkes; wie bedeutsam hier der Wink, daß Jesus durch den Lanzenstoß in Seine Seite bezeichnet wird als der Gegenstand der großen Klage, zu der einst das erwachte Israel sich kehren wird, .wenn ihm die Schuppen von den Augen fallen und die Erkenntniß des verworfenen Messias ihm aufgeht, welcher auch ihr Heil und Leben sein wird in den letzten Tagen! Welche Fülle des Trostes und der Friedenshoffnung verbreitet sich über jene ganze Schmerzensscene durch die Hinweisung des Apostels, welcher seinen Lesern saget: Jetzt sehet ihr an Jesu dem Messias das erste Zeichen eingetroffen, wie Er ist zerstochen worden; aber so gewiß ihr das seht, so gewiß und sicher wird auch noch die Klage folgen, die Klage der Buße, und mit ihr das Heil für das so weit und schwer verirrte Haus und Volk Israel.

Und dürften wir hiebet den dritten Zug erfüllter Weissagung schweigend übergehen, den unser Text durch seinen geschichtlichen Gehalt uns vorlegt? - Wir lesen im Briefe an die Galater, daß der Apostel schreibet: „Christus hat uns erlöset von dem Fluche des Gesetzes, da Er ward ein Fluch für uns; denn es stehet geschrieben: Verflucht ist Jedermann, der am Holze hängt.“ Gal. 3, 13. Das Holz ist der Stamm des Kreuzes; dort ward der Fluch von uns genommen, weil unser Herr ein Fluch für uns geworden ist. Aber das Gesetz, auf welches der Apostel hinweist, 5. Mos. 21, 23. ordnet an, daß der an's Holz Gehängte abgenommen werden müsse noch am Abend, damit der Fluch mit ihm begraben und versenket werde. So ist die Abnahme des Herrn vom Kreuz, die noch desselben Tags, an welchem Er verschieden war, vollzogen wurde, ein zum Voraus schon im Gesetze Mosis angegebenes Zeugniß und ein Zeichen, daß unser Aller Fluch getilgt ist. Darum rechnen wir auch das Begräbniß Christi noch zur Erniedrigung des Herrn; es bildet das letzte Glied in Seinem Sühnungswerke. Denn als das Fluchopfer für uns ward Er abgenommen und begraben; aber als Siegesheld und Fürst des Lebens steht Er am dritten Tage auf, uns zu verkündigen durch Sein Leben, daß das Alte nunmehr vergangen ist; der neue Tag ist angebrochen, der nimmer untergehen soll, die Sonne der Gerechtigkeit ist aus dem Grab erstanden, in welchem alle unsre Schuld mit Christi Leichnam eingescharrt ward, daß ihrer nimmermehr gedacht soll werden.

II.

Aber betrachten wir zum andern jetzt das Vorbild der Heilswirkung, die vom Herren ausgeht, wie der Evangelist es uns beschreibt in unserm Texte. Er erzählt: „Der Kriegsknechte „einer öffnete Seine Seite mit einem Speere, und alsobald ging Blut und Wasser heraus. Und der das gesehen hat, der hat es bezeuget, und sein Zeugniß ist wahr; und derselbige weiß, daß er die Wahrheit saget, auf daß auch ihr glaubet.“ Schon diese nachdrückliche Bezeugung muß uns aufmerksam machen, daß der Umstand, den der Apostel anführt, ihm von besonderem Gewichte erscheinet. Das Nächste, was uns zu Sinne kommen kann dabei, ist, daß er also redet zur Beglaubigung des Wunderbaren in dem Vorgang, welchen er berichtet. Denn daß Blut und Wasser, beides unterschieden, aus Jesu Seite fließet, ist ein Ereigniß ungewöhnlicher Art, seltsam, nicht zu glauben, wenn es nicht auf ganz gewisser Kunde ruhte. Aber gibt es noch gewissere als den Mund des Augenzeugen? Darum sagt Johannes: „der das gesehen hat, der hat es bezeuget.“ Er ist es selbst, der ja am Fuß des Kreuzes gestanden ist mit Maria, Jesu Mutter, bis zum letzten Augenblicke. Daß dessen Zeugniß wahr ist, daran kann uns wohl kein Zweifel kommen. Aber wozu soll das Wunder dienen, dem der Apostel solche Wichtigkeit beimißt in unserm Texte? Werden wir wohl irren, wenn wir eine Hinweisung darauf erkennen in seinem ersten Briefe (5, 6), wo er schreibt: „Dieser ist es, der da kommt mit Wasser und Blut, Jesus Christus, nicht mit Wasser allein, sondern mit Wasser und Blut; und der Geist ist es, der da zeuget, daß Geist Wahrheit ist.“ - Es ist die Weise dieses sinnigsten unter Jesu Jüngern, des, der an Jesu Brust gelegen war, den Jesus lieb hatte, daß er uns in die tiefsten Tiefen göttlicher Weisheit blicken läßt durch Andeutungen kurzer Worte, die des Aufmerkens wohl bedürfen, damit wir nicht übersehen, welche Schätze sie uns öffnen. Nicht das Ereigniß an sich selber, die Bedeutung desselben ist es, welche den Apostel fesselt und so erfüllet und beweget, daß sein Mund von Bezeugung des Gesehenen überfließet. Warum hebt er es so hervor, daß Jesus Christus gekommen sei nicht mit Wasser allein, sondern mit Wasser und Blut? Das Blut ist das Mittel unserer Versöhnung, das Wasser dient zur Reinigung. Daß der Mensch der Reinigung bedürfe, das war vorlängst kein Geheimniß, das sagt ihm sein Gewissen; jeder fühlt es. Daß der Mensch von neuem geboren werden müsse aus dem Wasser und Geist, ist eine Wahrheit, von welcher unser Herr zu Nikodemus sagt, daß er als ein Meister in Israel sie billig hätte wissen und verstehen sollen. Sagt doch schon der Prophet Ezechiel (36, 25. 27): „Ich will rein Wasser über euch sprengen, daß ihr rein werdet. Ich will meinen Geist in euch geben, und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und darnach thun;“ und dem bekehrten Israel ist verheißen (Sach. 13,1): „Zu der Zeit wird das Haus David's und die Bürger zu Jerusalem einen freien offenen Born haben wider die Sünde und Unreinigkeit.“ Aber wie soll es dazu kommen? wie soll diese Reinigung von oben Kraft bei uns gewinnen, so lange wir Kinder des Zorns sind und der Fluch der unvergebenen Sünde auf uns lastet? Sühnung ist das allernöthigste, was wir bedürfen, Versöhnung mit Gott; anders ist an Reinigung durch Gottes Gnadenwirkung nicht zu denken. Wer aber tilgt den Fluch? wer trägt den Tod? wer opfert das Blut der Versöhnung, das um Erbarmung für uns ruft? Wo ist die Sühne der beleidigten Gerechtigkeit, die Gottes Gnadenströme für uns aufthut, daß der gerechte Gott vergeben kann, und Seine Wahrheit bleibt doch ungebrochen? daß Er die Schuldigen lossprechen kann, und braucht nicht das Wort zu beschämen: „Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes und dein Recht wie große Tiefe?“ (Ps. 36, 7). Die Antwort liegt in dem Geheimniß des Erlösungswerkes Christi; in dem Geheimniß, von dem der Apostel schreibet 1. Cor. 2, 9: „das kein Auge gesehen, und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben;“ welches der Apostel ausspricht 2. Cor. 5, 19: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit Ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu;“ von welchem derselbe schreibt Col. 1, 14: „an Ihm haben wir die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung unsrer Sünden.“ Das Blut Christi tilgt unsre Schuld; das Wasser nimmt dann die Unreinigkeit der Sünde selbst weg. - Das Blut Christi ist der Grund unserer Rechtfertigung vor Gott; Er spricht uns los um Seinetwillen und gedenket unsrer Sünde nicht Jes. 43, 25. Er hat unsre Sünden selbst geopfert an Seinem Leibe aus dem Holz 1. Petr. 2, 24. Ihn hat Gott vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in Seinem Blute Röm. 3, 25; dadurch werden wir gerecht vor Gott; denn Christus ist unsere Gerechtigkeit, Sein blutiges Verdienst das hochzeitliche Kleid, das unsre Blöße zudeckt, unsern Mangel ausfüllt. - Aber Er ist uns auch zur Heiligung gemacht 1. Cor. 1, 30. Auch das Wasser, das uns reinigt, fließt aus Jesu Seitenwunde. Auch unsre innre Scheidung von der Sünde und die Ueberwindung ihrer Herrschaft geschieht lediglich aus Seiner Kraft und Gnade. Er ist treu und gerecht, daß Er uns nicht bloß die Sünde vergibt, sondern reinigt uns auch von aller Untugend, 1. Joh. 1, 9. und indem wir des Blutes Christi uns getrösten zur Vergebung unsrer Sünden mit aufrichtigem, wahrhaftem Herzen, wird Seine Gnade in uns mächtig, uns zum Bilde Gottes herzustellen und zu heilen. Der Glaube an Ihn läßt nicht leer und unfruchtbar an guten Werken bleiben. Wer Friede gefunden hat in Seinem Blute, welches Er für uns vergossen, der hat zugleich den offnen Born gefunden, der uns vom Unflath unsrer Sünde rein wäscht, und seinen Dienst uns nicht versagt, ob wir auch alle Tage zu Ihm kommen, weil wir alle Tage Sein bedürfen.

Das liegt in dem bedeutungsvollen Zeichen des Wassers und des Blutes, das aus der durchbohrten Seite Jesu fließet. Alles haben wir in Ihm, Gerechtigkeit und Stärke, Friede mit Gott und Kraft des neuen Lebens. Er wäscht uns durch die heilige Taufe rein; Er heiliget uns durch das Blut der Versöhnung im heiligen Abendmahle. Wie Wasser und Blut unterschieden, aber zumal ungetrennt aus Seiner Seite fließen, so gibt Er beides, die Vergebung und die Reinigung, stets mit einander; denn Eines wie das andere ist die Frucht der Versöhnung, welche Er gestiftet hat, und in der Zweizahl der heiligen Sakramente kehret uns dasselbe göttliche Geheimniß wieder, wie der Apostel es bezeugt in unserem Texte.

So haben wir gesehen das Vorbild der Heilswirkung, die von Christo ausgeht; lege Gottes Geist uns selbst die Kraft desselben in die Seele, daß wir Seiner Wirkung froh werden, weil wir sie an uns erfahren.

III.

Nur noch ein kurzes Wort zum Schlusse von den zwei Männern, die zum Liebesdienste der Bestattung Jesu eilen. Wir sehen an ihnen, wie mit dem Augenblicke Seines Todes der Bekenntnißeifer aufwacht, der bald die Welt erfüllen soll und nicht mehr schweigen darf, bis wir das: Hosianna dem, der da kommt im Namen des Herrn! zum andren Male ihm entgegen rufen. Joseph von Arimathia und Nikodemus, zwei Jünger Jesu, von denen die Welt nichts wußte bis auf jene Stunde, von der unser Text sagt, brachen das Band der Furcht; sie können es nicht lassen, die verhaltene Liebe muß heraus, und was sie dem Lebenden zu sagen, vor Ihm zu bezeugen den Muth nicht besessen hatten, das wird dem Gestorbenen gegenüber offenbar. Sie bekennen Jesum in einem Zeitpunkt, der wahrlich nicht gewählt war nach dem Maaßstab und nach der Schätzung dieser Welt. Doch es ist Gottes Finger, der sie also leitet, zu einem Vorbild und zum Troste für die ganze Christenheit auf Erden. Gewiß geschieht es nicht umsonst, daß Johannes, der seine Worte so zu sparen weiß, bei beiden Männern ihre frühere Furcht erwähnt. Von Joseph von Arimathia sagt er, daß er ein Jünger Jesu gewesen sei, doch heimlich, aus Furcht vor den Juden; bei Nicodemus unterläßt er nicht zu erinnern, es sei derselbe, der bei Nacht zu Jesu gekommen, damit er auf solchem Gange nicht gesehen werde. Aber während alle Wunder Jesu, alle Macht Seiner Zeugnisse und Thaten ihre Furcht nicht hatten bannen oder überwinden können, treten sie jetzt als Seine Freunde auf, wo alle Seine je und je bewiesene Herrlichkeit ausgelöscht erscheint durch die Schmach Seines Todes. Wir irren nicht, wenn wir hierin das Werk des heiligen Geistes sehen, der Seine lange stille Vorbereitung zu Tage kommen ließ in dieser Stunde. So hat Er oft in einem Menschen lange Sein Heilsgeschäft begonnen; Niemand weiß es; mancher andre eilt einem so zum Herrn Gezogenen weit voran, ist in Worten und Bezeugen feurig und entschieden, während jener noch furchtsam schweigt, erwäget, zweifelt, kaum sich selber zu gestehen wagt, daß er anfange zu glauben. Aber der treue Gott und Heiland, der Sein Auge auf ihn gerichtet hat, läßt ihn nicht los; zagst du auch noch zur Zeit und schwankest; wenn du nur ehrlich bist und ohne Falsch und Heuchelei, und willst nicht scheinen, was du nicht an dir selbst siehst: du bist dennoch ein Kind Gottes. Er hat deinen Namen in Sein Buch bereits geschrieben, wo du noch weit von Ihm dich dünkest, und die Seile Seiner Liebe halten dich fest, ob gleich sie dir selber kaum noch Fäden scheinen. Ja es kommt wohl ein Tag, an dem die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten werden, wo ein Petrus verleugnet und ein Nikodemus ungescheut bekennet. Darum preiset Gottes treue Liebe und Erbarmung, die an den zwei Männern unsers Textes sich verherrlicht; sie ist noch nicht aus und nicht verschlossen, sie ist auch an deiner Seele thätig, du armer Nicodemus, der du vielleicht heute unter uns bist und nicht zu bekennen wagest vor Gott und dir, und bist doch schon zum Herren hingezogen. Aber stehe auf in Seiner Kraft; denn Seine Stunde hat geschlagen, und Sein Kreuz steht aufgerichtet, dir zu winken, damit deine Liebe sich vor Ihm bezeuge. Denn das laßt uns an Nikodemus und an Joseph doch nicht übersehen, daß sie die Erstlinge sind, an welchen jenes Wort des Herren in Erfüllung gehen sollte, da Er sagte: „Die Zeit ist gekommen, daß des Menschensohn verkläret werde, und ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen.“ Das sagte Er aber, fügt Johannes bei, zu deuten, welches Todes Er sterben würde. Joh. 12, 23. 32. 33. Nun siehe, kaum ist Er am Kreuz gestorben, so tritt schon der verheißene Zug zu dem Gekreuzigten in Kraft. Er ist es, welcher die Welt Ihm zu Füßen gelegt hat. Mit dem Worte vom Kreuz sind die Apostel ausgegangen, nicht mit hohen Worten menschlicher Weisheit; Christus der Gekreuzigte hat die Starken zum Raube gehabt und große Menge zur Beute sich gewonnen. Das Wort vom Kreuze bricht den stolzen Sinn und überweiset uns von jener Liebe, der nichts zu widerstehn vermag, als die Verstockung derer, welche die Finsterniß der Sünde mehr lieben als das Licht. - Um dieß Kreuz sammeln auch wir uns im Geiste und preisen Deine Liebe, theurer Mittler und Versöhner, und verkünden Deinen Tod. Barmherziger gnädiger Gott, unser Heiland und Erlöser, siehe herab aus uns, verwirf nicht unser Flehen zu Dir, sei uns Sündern gnädig. Dein Blut laß unseren Seelen Friede geben, das Wasser aus Deiner Seite die Heilung unserer Gebrechen werden. Christe, Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünde der Welt, erbarme Dich unser Aller. Christe, Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünde der Welt, gib uns Deinen Frieden. Amen.

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