Burger, Carl Heinrich August von - Siebzehnte Predigt. Am ersten Sonntag p. Trin. 1849.

Burger, Carl Heinrich August von - Siebzehnte Predigt. Am ersten Sonntag p. Trin. 1849.

Text: Luc. 16, 19-31.
Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebete alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Thüre voller Schwären, Und begehrete sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde, und leckten ihm seine Schwären. Es begab sich aber, daß der Arme starb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schooß. Der Reiche aber starb auch, und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, Hub er seine Augen auf, und sahe Abraham von ferne, und Lazarum in seinem Schooße, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarum, daß er das Aeußerste seines Fingers in's Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes hast empfangen in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet und du wirst gepeiniget. Und über das Alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestiget, daß die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüber fahren. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in meines Vaters Haus; Denn ich habe noch fünf Brüder, daß er ihnen bezeuge, auf daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mosen und die Propheten, laß sie dieselbigen hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Todten zu ihnen gienge, so würden sie Buße thun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Todten auferstünde.

Ob unser Leben noch weiter sich erstrecke, als auf die Spanne Zeit, die für den Wandel hier auf Erden uns geschenkt wird, darüber ist, seitdem der Sieg des Christenthums über die Macht heidnischer Finsterniß entschieden war, kein Zweifel mehr gewesen unter all den Nationen, die sich des aufgegangnen Lichts und Trostes freuten. Nur etlichen Stimmführern der neuesten Zeit war es vorbehalten, das Panier gläubiger Gewißheit, die über Tod und Grab schon triumphiert hat, wieder zu verlassen, um in der einmal schon ausgetriebenen Trostlosigkeit und Finsterniß heidnischer Blindheit den Schein einer neuen Weisheit und einen Freibrief zum rücksichtlosen Gebrauche der Gegenwart sich zu holen. Aber dergleichen Dinge lassen sich in der Wirklichkeit eben nicht nach menschlichem Belieben drehen und machen.

Ich gebe zu, daß mit der Unsterblichkeit der Seele Vielen heutzutage wenig mehr gedient ist. Aber los werden sie dieselbe darum nicht werden, und wahrlich! weiser, besser, vortheilhafter ist es, der Wahrheit Recht zu geben und sich von ihr leiten zu lassen, als sie zu leugnen, um von ihr überrascht zu werden und am Ende ihrem unerbittlichen Ausspruche zu erliegen. Darum laßt uns achtsam und mit heiligem Ernst den Text ansehen, den wir heute vor uns haben, damit wir aus ihm erkennen und dadurch uns hüten lernen vor der Last der ewigen Entscheidung.

Wir sehen darin:

  1. wie zu ihr der Grund gelegt wird,
  2. wie sie eintritt,
  3. wie wir ihrem Schrecken zu entgehen vermögen.

Herr, öffne uns die Augen, daß wir Deine Wahrheit inne werden; laß sie uns vor der Seele stehen allewege, damit wir unsre irdische Wallfahrt zurücklegen lernen im Licht der Ewigkeit, und Weisheit üben, die uns nicht gereuet, weil sie sich bewährt, wenn die Kurzsichtigkeit und die Leichtfertigkeit der Welt beschämt wird. Dein guter Geist leite uns auf rechter Bahn um Deines Namens willen, und drücke uns in's Herz das Wort, welches kann unsre Seelen selig machen. Amen.

I.

Wie zu der ewigen Entscheidung der Grund gelegt wird, das zeigt uns unser Evangelium in wenig Zügen. Wir können es mit Einem Worte sagen: durch den Gebrauch, den wir von dem gegenwärtigen Leben machen. - Der Text stellt uns zwei Menschen vor die Augen, deren äußere Lebenslage nicht verschiedener war, als die innere Herzensstellung, in der sie sich dabei befanden. Die äußere beschreibt der Herr in schneidenden Gegensätzen; aus die innere zu schließen gibt Er uns alle erforderlichen Anhaltspunkte. Der erste war ein reicher Mann, der Neidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Dieß seine ganze Schilderung; es ist Alles, was man von ihm sagen konnte. - Der andre war ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Thüre voller Schwären und begehrte sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären. Was machte nun den Unterschied zwischen beiden? War es bloß der Stand? das zeitliche Besitzthum? Unmöglich! denn dann hätten sie am Ende mit Grund sich beschweren können, der eine wie der andere: warum hast Du mich in solchen Ueberfluß gesetzt? und warum mich in solche Noth und Armuth? Die äußere Stellung in der menschlichen Gesellschaft ist nur theilweise unser Werk; daß es Reiche und Arme geben soll, Gebietende und Gehorchende, Herren und Diener, ist Gottes Wille, Gottes Ordnung, die auch durch keine neu erfundne Weisheit, mag sie sich schmücken und spreizen, wie sie will, wird umgestoßen, sondern nach jedem denkbaren Wechsel nur immer neu, wenn auch in andrer Art, wird hergestellet werden. - Aber der Gebrauch, welchen wir von der uns verliehenen Stellung und den uns geschenkten Gaben machen, der ist unsre Sache, und nach diesem wird sich die Entscheidung einmal richten, durch die unser künftiges Loos bestimmt wird.

Was nehmen wir nun aber in dieser Hinsicht an dem reichen Manne wahr? Er erscheint uns in der kurz gedrängten Beschreibung, die der Herr gibt, als ein Mensch, dessen ganzes Dichten und Trachten dahin gerichtet ist, sein Leben diesseits stattlich zu genießen. Dahin verwendet er, was er besitzt, darin geht seine Zeit, geht seine Kraft aus. Gut essen, gute Tage haben, sich in Wohlleben wiegen, sich nichts abgehen lassen, darin ist er erfinderisch, mit solchen Gedanken steht er Morgens auf und leget er sich Abends nieder. Was sonst um ihn her in der Welt ist, das liegt ihm wenig auf. Bösartig ist er nicht; er ist nur, was man heutzutage einen rechten Lebemann nennt. Ein harter Mensch hätte vielleicht den Lazarus von seiner Thüre weggewiesen, um nicht durch solchen widerlichen Anblick gestört zu sein in seiner Freude. Das thut er nicht; auch stehet nicht geschrieben, daß er den Abhub von seiner Tafel, die Brosamen von seinem Tisch, nach denen Lazarus begehrte, ihm mißgönnet habe; mochte er sich daran laben! er hat nichts dawider. Nur selber etwas für ihn thun, sich thätig seiner erbarmen, nachsinnen, wie man ihm helfen könne, Hand dazu anlegen, das fällt ihm eben nicht ein. Denn über der Beschäftigung mit sich selbst kann er nicht an den andern denken; zu seinem Lebensgenusse trägt es nichts bei, daß der andere auch irgend einen Antheil daran habe; darum gilt er ihm auch so gut wie nicht vorhanden. - Das ist das Bild des reichen Mannes! Lieblos ist er aus Genußsucht; verschwenderisch und üppig, weil er kein höheres Ziel kennt und keine bessere Verwendung seiner Güter, als sie selbst zu verzehren; hartherzig erscheint er, weil sein Herz nicht Raum hat für einen anderen Gedanken als den: Wie mache ich mir mein Leben leicht und süße? Auf dieses Leben hat er all sein Heil gestellt und alle seine Hoffnung. Was kann ihm für ein anderes übrig bleiben? Die Antwort wird der zweite Theil uns geben.

Zuvor aber laßt uns einen Blick auch auf den Armen werfen. Daß er in großer Bedrängniß ist, ist nicht der einzige Zug an ihm, den uns die Beschreibung des Herrn aufdeckt. Ein zweiter, der unverkennbar in's Auge fällt, ist seine Geduld. Nicht mit den jetzt so häufigen Trotz der Armuth und dem verbissenen Groll darüber, daß er es nicht besser habe, trägt er sein gehäuftes Elend, sondern mit der Ergebung, die aus der Hoffnung auf den Herrn kommt. Daß er sein Leben nicht genießen kann, ist sein geringster Jammer. Er dankt für die Erquickungen, die es ihm wenigstens erleichtern; es ist der Dienst, den ihm die unvernünftigen Thiere in unbewußtem Mitleid leisten, da sie ihm seine Schwären lecken, eine Wohlthat, die ihn freut und rühret. In seiner Geduld spricht sich die Demuth, in seiner Demuth der Glaube und die Hoffnung aus. Denn die Kraft, solches Leid zu tragen ohne Murren, stammt von oben; er hat sie sich erbeten und errungen, und sie hat ihn begleitet bis an's Ende. Sie bestimmt den Gehalt seines sittlichen Charakters. -

Darum aber, meine Lieben, merket nicht bloß auf die äußern, achtet auch auf die angegebenen innern Züge. Man braucht kein reicher Mann zu sein, wie der in unserm Texte, um gleichwohl seinen Sinn zu haben, und die Genußsucht, die unbefriedigt bleibt, ist ja nichts besser als die befriedigte, der Neid nicht besser als die Schwelgerei, das Haschen nach jeder nur möglichen zeitlichen Vergnügung nicht edler als das Haben und das rücksichtlose Brauchen derselben. Und weil der Arme so gut wie der Reiche im Götzendienst des Mammon hängen kann, der eine, weil er ihn hat, der andere, weil er ihn gerne möchte: so sind die Stufen tausendfach, auf denen die verschiedene Gesinnung offenbar wird. Aber der Unterschied bleibt stehen: die einen suchen all ihr Theil in diesem Leben, so gut sie eben wissen oder können; die andern brauchen dieses Leben im Lichte ihres göttlichen Berufs, und setzen seine Bedeutung nicht in das Maaß des Genusses, den sie davon haben, sondern in die Treue der Benützung, welche sie darin beweisen. Die einen leben, als müsse es so immer fortgehen, wie sie hier begonnen haben, oder wenigstens mit dem letzten Odemzug hienieden alles aus und vorbei sein; die andern trösten sich in Müh und Arbeit und mäßigen sich in Genuß und Freude mit der Aussicht, daß hier die Aussaat geschieht, und dort eine Ernte nachfolgt; daß über den Werth oder Unwerth eines Lebens nicht bloß die kurze Gegenwart entscheidet, sondern die Ewigkeit, die uns zukünftig ist.

II.

Nach dieser Schilderung der entgegengesetzten Herzensstellung, in welcher wir die beiden Männer unsers Textes finden, als des eigentlichen Unterschiedes, durch welchen zu der späteren Entscheidung über beide Grund gelegt ward, laßt uns jetzt die Entscheidung selber ansehen, wie sie eintrat. Sie erfolgte alsobald, da sie starben. Der Arme erreichte zuerst dieß Ziel, und seine aus den Banden ihres geplagten Leibes frei gewordene Seele ward getragen von den Engeln in Abraham's Schooß, wie der Text sagt. Der Reiche aber starb auch und ward begraben. All sein gehabter Glanz und Reichthum vereinigte sich noch einmal, um seinem Leichnam, was man nennt die letzte Ehre zu erweisen; aber die Ehre und die Herrlichkeit war damit aus; er konnte dieses letzten Prunkes selbst sich nicht mehr freuen. Denn rasch führt uns der Herr zu einem andern Schauplatz, und zeigt uns den reichen Mann in der Hölle und in der Qual. Wie er dahin gekommen, davon schweigt Er. Es bedarf auch keiner besonderen Erwähnung. Es geschah nach der Ordnung, welche der Apostel ausspricht (Hebr. 9, 27.): „Es ist dem Menschen gesetzt einmal zu sterben, darnach aber das Gericht.“ Und zwar tritt das Gericht sogleich ein, ob auch die schließliche Offenbarung und Vollendung desselben aufbehalten bleibt bis auf den Tag der herrlichen Erscheinung Jesu Christi bei Seiner Wiederkunft. Denn sobald die Seele aus der sichtbaren Sinnlichkeit des Leibes geschieden ist, hinweggenommen aus all den Gegenständen ihrer Täuschung und Verblendung, von all den Götzen, an welche sie sich hing und die mahnende Stimme ihres Geistes überhörte: so macht ihr wirtliches wahrhaftiges Verhältniß sich unaufhaltsam geltend mit seinem ganzen Gewicht, nach allem seinem Umfang; all die unnütz verbrauchte Zeit, die versäumten Gnadenzüge, das verschwendete geistliche und irdische Vermögen, alle Sünden der Gottentfremdung, der Abgötterei und Weltlust, sie machen peinigend in der Erinnerung sich geltend; und die vollkommene Trostlosigkeit des Geistes, der sich getrennt sieht, unwiederbringlich abgeschieden von Allem, was er liebte, wünschte, suchte, worein er sein Leben setzte, und der nun auch zu Gott nicht kommen kann, den er niemals gesucht, nach dem er nie gefragt, dessen Wort er für nichts geachtet, über dessen Drohungen und Verheißungen er nur gescherzet und gehöhnet hatte; die nackte hoffnungslose Wahrheit: Mein Leben ist versäumt, verträumt! ich bin verloren! sie wird zur Flamme und zur Qual in dem Gewissen des Unglückseligen, der also sich verlassen, betrogen und verlassen von der ganzen Welt sieht, und wird durch eigne Schuld so spät erst inne, daß es einen Gott gibt, der gerecht ist, einen Gott, der strafet. Es bedarf gar keines andern Urtheils, es genügt das Eine, welches in den Thatsachen schon gesprochen vorliegt, was jedem sein Gewissen sagt; es tritt einfach das Wort in Kraft, wovon der Herr spricht (Joh. 3, 18.): „Wer nicht an den Sohn glaubet, der ist schon gerichtet; denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes!“ und dieses Gerichtet sein, ewig gerichtet! das wird zum Wurm, der nicht stirbt, zum Feuer, das nicht verlöschet, dessen Empfindung, je länger sie übertäubt und unterdrückt ward im Leben dieses Leibes durch Lust der Sünde und durch den Genuß des Unrechts, um so gewaltiger hervorbricht, wenn es mit all der Scheinbefriedigung der Welt vorbei ist, und jene Sätze, die jetzt mit Grimm und Hohn verfolgt sind von den Widersachern Christi, dennoch bestehen: das Wort von Gericht und von der Ewigkeit und von der Hölle.

Dagegen die erlöste Seele kommt zum Frieden. Abraham's Schooß heißt der Ort der Ruhe, wo sie weilet. Denn um den frommen glaubensstarken Vater sammeln sich die Kinder, welche in die Fußstapfen seines Glaubens getreten sind; er nimmt sie alle gleichsam auf in seinen Schooß; mit ihm, bei ihm genießen sie den Frieden, den sie immer hofften, die Frucht der Zuversicht, mit welcher sie von Gott nicht ließen auch im Leide, und auf Ihn hofften, den sie nicht sahen, als sähen sie Ihn, ob auch alle Welt um sie herum sie Thoren schalt und ihrer Hoffnung lachte. Nun aber ist die Welt vergangen mit aller ihrer Lust. Kein Schall, kein Hauch derselben reicht hinüber über das Begräbniß; aber der ewige Gott labt mit süßem Frieden die Erlösten. Das Blatt hat sich gewendet. Was sichtbar war, hat sich erwiesen, wie es denn ist, als zeitlich und vergänglich. Das Unsichtbare, woran sie sich hielten, weil es von Gottes Wort und Geist bezeugt war, steht bewähret als das Wahrhaftige und Bleibende, Gewisse. So ist ihr Loos auf's Liebliche gefallen; und wenn der Tag der Zukunft kommt, der Tag der Auferstehung und Wiedervereinigung der Seele mit dem Leibe der Verklärung, dann bricht ihr Jubel aus in Wort und That. Sie dienen Gott vor Seinem Thron in ewiger Gerechtigkeit und Freude.

Aber die Reue der Unbußfertigen, die nicht hören wollten, bis sie fühlen mußten, wird alsdann zu spät sein. Auch nicht das Tröpflein Wasser, das der reich Gewesene zu seiner Linderung begehrt, kann ihm gegeben werden. Denn es steht nicht in der Erlösten Macht. Der lang versuchte und verschmähte Gott der Gnaden übt jetzt Strafe; die Seele erntet, was sie selbst gesät hat. Der Reiche hat auf das Fleisch gesät, und war ihm doch voraus gesagt, daß die, die solches thun, vom Fleische das Verderben ernten werden. Nun ist's also geschehen. Oder sollte Gott an ihm zum Lügner werden? Der Arme hat gesäet auf den Geist in Glaube, in Geduld, in Hoffnung und in Demuth; so erntet er vom Geist das ewige Leben. Der wahrhaftige Gott hält Sein Wort im Segnen wie im Strafen; denn Er ist heilig; Er ist barmherzig, gnädig, aber auch gerecht.

III.

Dieß das Bild der Entscheidung, wie sie schon mit dem Tode eintritt in dem unvermeidlichen Zustand der abgeschiednen Seele; wie sie am Tage der Offenbarung Jesu Christi vor aller Welt als gerecht und als wahrhaftig öffentlich für einen Jeden und an einem Jeden wird erwiesen werden. Aber ist denn gesorgt, daß jeder auch zu rechter Zeit erfahre, was ihm drohet, damit er dem Gericht entgehen könne? Gewißlich ist dafür gesorgt. Zwar durch das Mittel nicht, um welches der reiche Mann in seiner unverständigen Blindheit Abraham bittet, daß er den Lazarus noch einmal senden solle in seines Vaters Haus, um seine Hinterbliebenen zu warnen. Aber ein kräftigeres noch ist uns gegeben: „Sie haben Mosen und die Propheten, sagt Abraham, laß sie dieselben hören.“ Mosen und die Propheten nennt Abraham dem abgefallenen Glied des alten Bundes; wir haben die Apostel und Propheten, und stehen darum sicher nicht verkürzt und ärmer neben jenem. Tagtäglich wird aus ihnen Gottes Wort verkündigt; die Jugend wird darin unterwiesen, die Alten darauf ermahnet und gewarnet; jedem wird es in die Hand gegeben, der es begehret, und nachgetragen auch dem, der es nicht begehret. Groß ist die Unbekanntschaft damit in den weiten Kreisen der vom Glauben Abgeirrten, das ist richtig; aber nicht so groß, daß sie nicht doch alle wüßten, es gibt ein Wort, von dem gesagt wird, daß Gott darin zu uns rede; daß sie nicht doch alle ausgefordert wären es zur Hand zu nehmen und es wenigstens bedachtsam darauf anzusehen, ob seine Aussprüche nicht Wahrheit seien; und so unwissend sich auch einer stellen möge, gehört wenigstens vom Himmel und der Hölle hat er doch schon; von einem Gott und Richter hat er sicherlich vernommen; daß es auch einen Heiland gibt, ist ihm gesagt, und daß ein heiliger Geist ist, welcher auch an seinem Gewissen sich bezeugt hat, daran wird sein Gewissen ihn einmal erinnern, will er's jetzt nicht glauben. Was hat er nun für Grund und Vorwand sich zu entschuldigen, wenn ihn am Ende trifft, was ihm von Anfang an voraus gesagt war? Sollte ihn das rechtfertigen, daß er es nicht hat hören wollen? daß er es von sich gestoßen hat, wenn es ihm nahe trat? daß er den Gott gelästert hat und Schmach gehäuft auf dessen Diener, der seine Seele herum holen wollte vom Verderben und ihn erleuchten wollte mit dem Lichte der Lebendigen? Das könnt ihr doch wohl alle selbst nicht meinen! in der Verachtung der Warnung liegt doch sicherlich kein Grund, sie unerfüllt zu lassen! - Aber ihr meint vielleicht mit dem reichen Mann im Texte, nachdrücklichere Warnung wäre gut! Wenn einer wiederkäme aus der andern Welt und davon erzählte, das würde größern Eindruck machen! Aber das heißt doch mit andern Worten nur so viel: dem Worte Gottes dürfte man vielleicht nicht glauben, aber wohl etwa Gespenstern! Das lebendige und kräftige Zeugniß, das seit Jahrtausenden verkündigt wird; das von Jahrhundert zu Jahrhundert durch die Welt geht; das besiegelt ist mit Zeichen und mit Wundern; das bewährt ist durch Weissagung und Erfüllung; das sich in seiner guten Frucht erweist an Millionen, die dadurch neue Menschen worden sind, und denen man auf ihrem Sterbebette ansah, daß sie den Tod schon überwunden hatten in der Kraft des Herrn, an den sie glaubten, - das soll nichts gelten, Alles nichts! Aber wenn ein Nachtgesicht erschiene, ein Schatten, der zu seiner eigenen Beglaubigung nichts beizubringen wüßte, als etwa den Schrecken, welcher ihn begleitete, das würde Plötzlich Herz und Sinn der Lebenden verwandeln?! Thörichte Hoffnung! Wisset ihr denn nicht, daß Jesus Lazarum, den Bruder der Martha und Maria, von den Todten wirklich auserweckt hat vor vielen Zeugen, und noch viel mehrere sahen ihn und sprachen ihn nachher, da er zurückgekehrt war in das Leben! Aber was war der Erfolg bei den verstockten Feinden Jesu? Nur daß sie um so eifriger darauf dachten, Jesum zu todten und den Lazarus dazu! Oder hat das offenkundige Wunder es verhindert, daß der große Hause wie rasend wenige Wochen später sein: Kreuzige! rief über eben diesen Jesum, durch den sie Lazarum vom Tod erstanden sahen? Und hat die Botschaft, welche die bestürzten und verstörten Wächter nachher von dem Grabe Jesu zu den Hohepriestern brachten: Er sei wirklich auferstanden, deren Sinn gebeugt, ihr Herz gebessert? Bedarf es eines stärkeren Beweises vom Gegentheile, als den Versuch der Bestechung, mit der sie eine Lüge in das Volk zu streuen suchten, da sie doch die Wahrheit wußten? - Abraham sagt: „Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob Jemand von den Todten auserstünde,“ und die Erfahrung hat bewiesen, daß dem so ist. Sollte Gott Seine Weisheit und Voraussicht unsrer Thorheit unterordnen, und die Ruhe der im Herrn Entschlafenen stören, um solchen, die nichts nach Ihm fragen wollen, nur zur Lästerung vermehrten Anlaß an die Hand geben? Nein, laßt uns lieber hören, was der Herr zu uns spricht, weil wir leben; dann werden wir im Tode wohl bewahret bleiben, und nur Bestätigung der Wahrheit finden, die Er uns bezeugt hat. Nach dem Gesetz und Zeugniß! (Jes. 8, 20) das ist der Ruf des alten und des neuen Testamentes. Land, Land, Land! höre des Herrn Wort! (Jerem. 22, 29) diese Warnung gehe jedem Lebenden zu Herzen! Der kann nicht klagen, dem sein Geschick in seine eigne Hand gelegt ist. In unsre ist es uns gelegt. Uns ist gesagt: Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du und dein Haus selig! Uns ist verkündigt, was der Glaube schafft, wie er reich ist an Liebe und uns fruchtbar macht an guten Werken. So lernet das gegenwärtige Leben führen im Lichte des künftigen, als Gäste und Pilgrime, die drüben ihre Heimath haben: so wird derselbe Schooß, in welchem Lazarus seine Ruhe fand, auch euch aufnehmen, daß ihr mit allen Gläubigen aus allen Zeiten in Frieden harret auf den Tag der Offenbarung Christi (Col. 3, 4.) ohne Leid und Klage.

Verschmäht ihr aber jetzt das Heil, dann wundert euch nicht, wenn es später einmal auch euch verschmäht; und wollt ihr mündig sein und für reif und für verständig gelten, so darf es euch am wenigsten befremden, wenn man euch nach dem Maaße nimmt, nach welchem ihr euch selber messet, und eure wissentliche unzweideutige Verschmähung des Lebens der zukünftigen Welt als eure eigene Entscheidung gelten läßt, mag es auch in der Qual des Todes euch gereuen.

Gott aber helfe uns, daß wir uns warnen lassen, weil es noch Zeit ist. Heute, so ihr Seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht! So wird die Wahrheit unsers Gottes, der Seine Drohungen erfüllt, noch um viel reichlicher auch die Verheißungen an euch bewähren, und euch in seliger Erfahrung schmecken und sehen lassen, wie freundlich und wie treu der Herr ist denen, die Ihn lieben. Amen.

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