Bunyan, John - Pilgerreise - Zehntes Kapitel.
Pilgers Gefährte.
Als Christ nun auf seinem Wege weiterging, kam er an eine kleine Anhöhe, welche zu dem Ende aufgeworfen worden war, damit die Pilger von dort als den Weg vor ihnen möchten übersehen können. Hier stieg Christ nun hinauf, und als er vor sich hinblickte, sah er Getreu vor sich einherwandeln. Sogleich rief Christ ihm mit lauter Stimme nach: „Halt'! halt'! warte, ich will mitgehen!“ Da blickte Getreu um, und Christ rief abermals: „Warte! warte doch! bis ich zu dir komme!“ Allein Getreu antwortete: „Nein, es geht um mein Leben, denn der Bluträcher1) ist hinter mir!“
Dies that Christ wehe, doch nahm er alle seine Kräfte zusammen und holte Getreu schnell ein, ja kam ihm sogar zuvor, so daß der Letzte der Erste ward. Darüber kam ein eitles Lächeln auf Christ's Angesicht, daß er seinem Bruder den Vorrang abgewonnen hatte. Hierbei vergaß er aber vor sich hin zu sehen und auf einmal strauchelte und fiel er, und konnte nicht eher wieder auf die Beine kommen, bis Getreu ihn eingeholt hatte und ihm aufhalf.
Darauf sah ich in meinem Traume, daß beide von da an freundlich zusammengingen. Indem sie nun liebliche Reden mit einander führten über Alles, was ihnen auf ihrer Pilgerschaft begegnet war, nahm zuerst Christ das Wort.
Chr. Mein geschätzter und vielgeliebter Bruder Getreu, ich bin froh, daß ich dich eingeholt habe, und daß Gott unsere Herzen so gestimmt hat, daß wir auf diesem angenehmen Wege miteinander wandeln können.
Getr. Ich hatte gehofft, lieber Freund, gleich von unserer Stadt aus schon in deiner Gesellschaft wandern zu können, allein du kamst mir zuvor, und so wurde ich genöthigt, den Weg bis hierhin allein zu machen.
Chr. Wie lange bliebst du noch in der Stadt Verderben, ehe du deine Pilgerfahrt hinter mir drein antratest?
Getr. So lange bis ich nicht mehr bleiben konnte; denn bald nach deiner Abreise ging dort ein starkes Gerede, daß unsere Stadt binnen Kurzem mit Feuer vom Himmel bis auf den Grund werde niedergebrannt werden.
Chr. Wie! sprachen so deine Nachbarn?
Getr. Ja, so war es eine Zeitlang in Jedermanns Munde.
Chr. Wie, und machte sich Keiner auf als nur du, um der Gefahr zu entrinnen?
Getr. Obgleich, wie ich eben sagte, ein großes Gerede von der Sache war, so glaubten sie doch, meines Bedünkens, nicht recht daran; denn in der Hitze des Gesprächs hörte ich Einige von ihnen mit Verachtung über dich und deine verrückte Reise (denn so nannten sie deine Pilgerfahrt) reden. Aber ich glaubte es und glaube es auch noch, daß unsere Stadt durch Feuer und Schwefel vom Himmel herab untergehen wird, und deßwegen habe ich die Flucht ergriffen.
Chr. Hast du nicht von unserm Nachbar Fügsam sprechen hören?
Getr. Ja, Christ, ich hörte, daß er dir bis zum Sumpfe Verzagtheit nachgefolgt, dort sei er, wie Einige sagen, hineingefallen; er selbst wollte indessen Nichts davon wissen; ich bin jedoch überzeugt, daß er mit dem Schlamm desselben ganz besudelt war.
Chr. Und was sagten die Nachbarn zu ihm?
Getr. Seit der Zeit er zurück gekommen, ist er bei allen Leuten sehr in Verachtung gerathen. Einige machen sich lustig über ihn und verspotten ihn und es ist kaum noch Jemand, der ihm Arbeit gibt. Er ist nun zehnmal schlimmer daran, als wenn er die Stadt niemals verlassen hätte.
Chr. Allein, warum sind sie denn so sehr gegen ihn eingenommen, da sie doch auch den Weg verachten, welchen er verlassen hat?
Getr. O, sie sagen: „An den Galgen mit ihm! er ist ein Wetterhahn, er ist seinem Glauben untreu geworden!“ Ich glaube, Gott hat sogar Seine Feinde gegen ihn erweckt, ihn zu verspotten und ihn zum Sprichwort zu machen, weil er den Weg verlassen hat. 2)
Chr. Hast du nicht mit ihm gesprochen, ehe du abgingst?
Getr. Einmal begegnete ich ihm auf der Straße, aber er bog still zur Seite aus, als Einer, der sich dessen schämt, was er gethan hat, und daher konnte ich nicht mit ihm sprechen.
Chr. Im Anfange meiner Wanderschaft hatte ich Hoffnung für den Mann, aber nun wird er, wie ich fürchte, beim Untergange der Stadt mit umkommen, denn ihm ist das wahre Sprichwort widerfahren: Der Hund frisset wieder, was er gespieen hat, und die Sau wälzet sich nach der Schwemme wieder im Koth. 3)
Getr. Eben dasselbe befürchte ich auch für ihn, aber wer kann's ändern, da er's so will?
Chr. Nun, Nachbar Getreu, laß uns von ihm aufhören und über Dinge sprechen, die uns selbst näher angehen. Erzähle mir einmal, was dir auf dem Wege, den du gekommen, begegnet ist; denn ich bin überzeugt, es sind dir wunderbare Dinge vorgekommen, es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre.
Getr. Ich entging glücklich dem Sumpfe, in welchen du, wie ich merke, gefallen bist, und kam ohne Gefahr die Pforte hinan. Allein es begegnete mir eine Person, Namens Wollust, die mir beinahe Leid zugefügt hätte.
Chr. Es war ein Glück für dich, daß du ihrem Netze entschlüpftest. Joseph wurde hart von ihr zugesetzt, doch er entkam ihr, gleichwie du, aber beinahe hätte es ihm das Leben gekostet. 4) Doch was hat sie dir gethan?
Getr. Du kannst dir nicht denken (du müßtest es denn selbst erfahren haben) was für eine glatte und süße Zunge sie hatte; sie drang in mich, mit ihr vom Wege abzugehen, und versprach, mir in allen Stücken Freude zu machen.
Chr. Aber die Freudigkeit des Gewissens versprach sie dir sicher nicht.
Getr. Nein, du kannst wohl denken, nur allerlei sinnliche und fleischliche Freuden.
Chr. Gott sei Dank! daß du ihr entgangen bist! Wem der Herr ungnädig ist, der fällt in ihre tiefe Grube. 5)
Getr. Ach, ich weiß nicht, ob ich ihr gänzlich entgangen bin, oder nicht!
Chr. Wie so? ich denke doch nicht, daß du in ihr Begehren gewilligt hast.
Getr. Nein, nicht also, daß ich mich befleckt hätte, denn ich erinnerte mich einer alten Schrift, in der es heißt: Ihre Füße laufen zum Tode hinunter, ihre Gänge erlangen die Hölle. 6) Darum schloß ich meine Augen zu, daß ich von ihren Blicken nicht bezaubert werden möchte. 7) Hierauf verspottete sie mich und ich zog meines Weges.
Chr. Hast du sonst keinen Angriff auf deiner Reise erfahren?
Getr. Als ich an den Fuß des Hügels Beschwerde kam, begegnete mir ein hochbetagter Mann, welcher mich fragte, wer ich wäre und wohin ich wollte? Ich sagte ihm, ich wäre ein Pilger, der zu der himmlischen Stadt wolle. Darauf sagte der Greis, du scheinst mir ein ehrlicher Mann zu sein: hast du Lust bei mir zu wohnen um den Lohn, welchen ich dir geben will? Da fragte ich ihn, wie er heiße und wo er wohne? Er erwiederte: ich heiße der alte Adam und wohne in der Stadt Betrug. 8) Nun fragte ich ihn, was er für ein Geschäft habe und welchen Lohn er mir geben wolle? „Mein Geschäft“, sprach er, „sind allerlei Ergötzlichkeiten, und mein Lohn, daß du zuletzt mein Erbe sein sollst.“ Weiter fragte ich ihn, was für eine Haushaltung und welche andern Diener er habe? Da sagte er mir, sein Haus sei mit allen Leckerbissen der Welt versehen und seine Dienerschaft bestehe aus seinen eigenen Kindern. „Wie viele Kinder hast du denn?“ fragte ich ihn. „Ich habe nur drei Töchter“ erwiederte er, „sie heißen: Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Leben9), und wenn du willst, kannst du eine von ihnen heirathen.“ Darnach fragte ich: wie lange soll ich bei dir wohnen? er antwortete: so lange ich selbst lebe.
Chr. Nun, und zu welchem Entschlusse kamst du dann endlich mit dem alten Manne?
Getr. Anfangs war ich einigermaßen geneigt, mit ihm zu gehen, denn ich meinte, es wäre doch sehr schön, was er sagte, als ich aber, im Gespräch mit ihm, gerade auf seine Stirn blickte, sah ich, daß darauf geschrieben stand: Ziehet den alten Menschen mit seinen Werken aus. 10)
Chr. Und wie wurde es dir nun?
Getr. Da fiel es mir heiß ein, daß, was er auch immer sagen und wie er mir auch schmeicheln möchte, er mich als einen Sklaven verkaufen würde, wenn er mich nur erst in seinem Hause hätte. Darum sagte ich ihm, er möge seine Worte nur sparen, denn niemals würde ich die Schwelle seines Hauses betreten. Da verhöhnte er mich und sagte, er wolle mir Jemanden nachschicken, der solle mir den Weg sauer machen. Somit wandte ich mich von ihm weg; allein in dem Augenblick, als ich fortgehen wollte, fühlte ich, daß er mein Fleisch packte und mich mit einer so mörderischen Gewalt zurückriß, daß ich meinte, er hätte mir ein Stück vom Leibe gerissen und ich ausrief: „o, ich elender Mensch!“ 11) So ging ich weiter den Hügel hinan.
Als ich nun ungefähr halb den Weg hinaufgekommen und mich umsah, bemerkte ich Jemanden hinter mir, der mir wie der Wind nacheilte. Er holte mich gerade an der Stelle ein, wo die Laube steht.
Chr. Gerade dort ließ ich mich nieder, um auszuruhen. Da mich aber der Schlaf überfiel, verlor ich diese Pergamentrolle aus meinem Busen.
Getr. Aber, lieber Bruder, laß mich nur ausreden. Sobald der Mann mich eingeholt hatte, gab er mir einen Schlag, daß er mich für todt liegen ließ. Als ich aber wieder ein wenig zu mir selbst gekommen war, fragte ich ihn, warum er mich so behandle? „Wegen deiner verborgenen Neigung zum alten Adam“, sagte er. Und somit versetzte er mir noch einen tödtlichen Schlag auf die Brust, daß ich rücklings niederfiel, und so lag ich abermals wie todt zu seinen Füßen. Als ich nun wieder zu mir selbst kam, flehte ich ihn um Gnade an. Allein er sprach: „ich weiß von keiner Gnade“ — und alsobald schlug er mich zum drittenmal nieder. Er würde aber zweifelsohne meinem Leben ein Ende gemacht haben, wenn nicht Einer gekommen wäre, der ihn hieß von mir abzulassen.
Chr. Wer war denn das?
Getr. Anfangs kannte ich ihn nicht, aber als er näher kam, bemerkte ich die Wundenmale in seinen Händen und in seiner Seite, und daraus schloß ich, daß es unser Herr sei. So ging ich denn den Hügel hinan.
Chr. Der Mann, welcher dich einholte, war Moses. Er schonet keines Menschen, noch weiß er etwas von Gnade gegen die, welche sein Gesetz übertreten.
Getr. Ich weiß es wohl; es war nicht das erste Mal, daß ich mit ihm zusammentraf. Gerade er kam zu mir, als ich noch sicher wohnte in der Heimath, und sagte, er würde mir das Haus über dem Kopfe abbrennen, wenn ich da bliebe.
Chr. Aber sahst du denn nicht das Haus, welches auf dem Gipfel des Hügels steht, an der Seite, wo Moses dir begegnete?
Getr. Ja, und auch die Löwen, ehe ich an das Haus kam. Allein ich glaube, sie schliefen, denn es war gerade um die Mittagszeit und weil ich noch so viel vom Tage vor mir hatte, ging ich am Pförtner vorbei und kam den Hügel herab.
Chr. Ja, er sagte mir, daß er dich habe vorübergehen sehen. Aber ich wünschte, du wärest in dem Hause eingekehrt. Dort hätte man dir Dinge gezeigt, so seltener Art, daß du sie dein ganzes Leben lang wohl nicht vergessen hättest. Aber sage mir doch, bist du in dem Thale Demuth Niemandem begegnet.
Getr. Ja, ich kam mit einem gewissen Mißvergnügt zusammen, der mich gern beredet hätte, wieder mit ihm umzukehren. Als Grund gab er an, daß im ganzen Thal keine Ehre zu finden wäre. Er sagte mir überdies, wenn ich diesen Weg ginge, so würde ich all meinen Verwandten als Stolz, Anmaßung, Eigendünkel, Menschenruhm sehr mißfällig werden, und Andere, die er wohl kenne, würde ich sehr beleidigen, wenn ich mich so zum Narren mache, daß ich durch dieses Thal wandere.
Chr. Nun, was sagtest du ihm darauf?
Getr. Ich sagte, daß sich zwar Alle, die er da genannt, zu meinen Verwandten rechneten, und das auch mit Recht (denn sie waren es wirklich nach dem Fleisch), daß sie mir jedoch, seit ich ein Pilger geworden, ihre Freundschaft aufgekündigt, und ich sie ebenfalls von mir gewiesen hätte, und jetzt ständen sie zu mir, als wenn wir nie von demselben Herkommen gewesen wären. Übrigens bemerkte ich ihm noch, daß er eine ganz falsche Beschreibung von dem Thale gemacht hätte, denn Demuth komme vor der Ehre und Hochmuth vor dem Fall 12) „Darum“, sagte ich ihm, „will ich lieber durch dieses Thal zu der Ehre gelangen, welche die weisesten Menschen für solche halten, als die Ehre erwählen, welche er für die theuerste halte.“
Chr. Ist dir sonst Nichts in dem Thale begegnet?
Getr. Ja, es begegnete mir Einer, Namens Scham; allein von allen Leuten, die mir auf meiner Pilgerreise begegneten, trägt er, wie ich glaube, seinen Namen mit Unrecht. Die andern ließen sich doch durch Vorstellungen und dergleichen noch abweisen, aber mit diesem unverschämten Scham war gar nicht fertig zu werden.
Chr. Wie so? was sagte er denn zu dir?
Getr. Was er sagte? Er verwarf die Religion überhaupt. Er sagte, es wäre eine jämmerliche, gemeine und niederträchtige Sache für einen Mann, sich mit der Religion zu befassen. Er behauptete, ein zartes Gewissen wäre ein unmännliches Ding und ein Mann mache sich vor der Welt lächerlich, der über seine Gedanken und Handlungen wache und auf die großartige Freiheit verzichte, von welcher die starken Geister dieser Zeit Gebrauch machen. Auch brachte er vor, daß es immer nur wenig Mächtige, Reiche oder Weise gegeben, die meiner Meinung gewesen, und daß unter diesen Wenigen kein Einziger gewesen, der sich nicht zuvor hätte überreden lassen, ein Narr zu werden, und aus selbstgewählter Thorheit um Nichts oder, wer weiß, was für eine Ungewisse Sache zu gewinnen. 13) Überdem hielt er mir entgegen, daß die Pilger zu jeder Zeit hauptsächlich nur gemeine und niedrige Leute gewesen, die gar keine Kenntniß von der Beschaffenheit und dem natürlichen Verlauf der Dinge gehabt hätten. Und in dieser Art ließ er sich noch über Vieles gegen mich aus, was ich nicht Alles wiederholen mag, wie z. B. es sei schimpflich unter einer Predigt weinend und heulend dazusitzen, schimpflich: seufzend und schluchzend nach Hause zu kommen, und schimpflich, seinen Nächsten wegen kleiner Fehler um Verzeihung zu bitten, oder ihm das wieder zu erstatten, was man ihm entwendet habe. Auch behauptete er: „Das Evangelium entfremdet die Menschen allem Großen nur wegen einiger wenigen Laster“ (die er aber mit feinern Namen benannte) „und bringt sie dazu, sich mit gemeinen Leuten abzugeben und dieselben zu achten, und zwar um der geistlichen Brüderschaft willen“ — „und“, fragte er, „ist das denn keine Schande?“
Chr. Und was erwiedertest du ihm darauf?
Getr. Was ich erwiederte? Ich wußte anfangs Nichts darauf zu sagen. Ja, er setzte, mir dermaßen zu, daß ich schamroth wurde — dieß war gerade die falsche Scham — und beinahe hätte sie mich ganz fortgerissen. Endlich aber bedachte ich, daß Alles, was der Welt hoch und geachtet, vor Gott ein Gräuel ist,14) und ferner erwog ich, daß dieser Scham mir wohl, sage, was die Menschen sind, aber nicht, was Gott oder Gottes Wort sei. Auch fiel mir ein, daß am Tage des Gerichts Niemand sein Urtheil zum Tode oder zum Leben, nach der Weisheit und dem Gesetz der starken Geister dieser Welt, sondern nach der Weisheit und dem Gesetz des Allerhöchsten empfangen wird. Folglich dachte ich, ist und bleibt das Beste das, was Gott sagt, und wenn auch alle Menschen in der Welt dagegen wären. Indem ich nun wohl erkannte, daß Gott die Gottseligkeit und ein zartes Gewissen werth hält, daß die, welche des Himmelreichs willen Narren werden, die Weisesten sind, und daß der Arme, welcher Christum lieb hat, reicher ist, als der größte Mann in dieser Welt, der Ihn hasset, so sagte ich: Scham, hebe dich hinweg von mir, denn du bist ein Feind meiner Seligkeit! Sollte ich mit dir halten gegen meinen Herrn? Wie könnte ich ihm dann in's Antlitz sehen bei seiner Wiederkunft. 2) Wollte ich mich jetzt seiner Wege und seiner Knechte schämen, wie könnte ich dann seines Segens gewärtig sein? — Allein dieser Scham war wirklich ein unverschämter Bube; ich konnte ihn fast nicht von mir wegbekommen; ja, er blieb mir auf dem Halse hangen und flüsterte mir bald dies, bald jenes von den Unvollkommenheiten und Schwächen der Anhänger des Evangeliums zu. Endlich erklärte ich ihm jedoch, daß seine Bemühungen, mich davon abzubringen, ganz vergeblich seien, denn in diejenigen Dinge, welche er verachte, setze ich die größte Herrlichkeit. Und so gelang es mir denn zuletzt, diesen unerträglichen Menschen los zu werden. Darauf fing ich an zu singen:
Viel Prüfung Muß bestehen
Wer Gottes Weg' will gehen,
Er muß das Fleisch bekämpfen
Und seine Lüste dämpfen.
Stets kommt der Satan wieder:
Drum, Pilger, wach' und kämpft,
Damit du ihn bezwingest
Und durch die Pforte dringest!
Chr. Ich freue mich, lieber Bruder, daß du diesem Buben so männlich Widerstand geleistet hast. Nach Allem, was du sagst, glaube ich auch, daß er seinen Namen mit Unrecht trägt. Er heißt Scham und ist doch so unverschämt, uns auf allen Wegen nachzulaufen und versucht es, uns vor aller Welt zu beschämen d. h. beschämt zu machen wegen dessen, was doch gut ist. Wäre er aber selbst kein Unverschämter, so würde er nimmer versuchen, uns so Etwas anzuthun. Aber laß uns ihm nur widerstehen, denn mit allen seinen Großsprechereien richtet er doch nur bei Thoren und sonst Niemandem Etwas aus. Salomo sagt: Die Weisen werden Ehre erben, aber wenn die Narren hoch kommen, werden sie doch zu Schanden. 15)
Getr. Ich denke, wir müssen Den gegen Scham zu Hülfe rufen, welcher will, daß wir aus Erden für die Wahrheit tapfer kämpfen.
Chr. Du hast ganz Recht; aber ist dir sonst Nichts im Thale begegnet?
Getr. Nein, denn ich hatte den übrigen Theil des Weges Sonnenschein, und ebenso im Thale der Todesschatten.
Chr. Das war ein Glück für dich, denn ich versichere dich, mir ist es dort ganz anders ergangen. Ich hatte daselbst, sobald als ich hineinkam, einen langen furchtbaren Kampf mit dem verruchten Feind Apollyon zu bestehen: ich dachte wirklich, er würde mich umgebracht haben, besonders als er mich zu Boden warf und auf mich fiel, als wenn er mich in Stücke hätte zerreißen wollen. Denn als er mich niederwarf, flog mir auch das Schwert aus der Hand; ja, er sagte schon, jetzt sei er meiner gewiß. Allein ich schrie zu Gott, und er erhörete mich und riß mich aus allen meinen Nöthen. Darauf kam ich in das Thal der Todesschatten und mußte fast den halben Weg im Finstern zurücklegen. Da dachte ich einmal über das andere, ich würde umkommen; aber endlich brach der Tag an, die Sonne ging auf, und so konnte ich den übrigen Theil des Weges weit leichter und ruhiger abmachen.