Bunyan, John - Die überschwängliche Gnade - X. Kapitel. Seine segensreiche Erfahrung im Gefängnisse zu Bedford.
1660-1672.
Nachdem ich das herrliche Evangelium Christi eine lange Zeit bekannt, und etwa fünf Jahre lang gepredigt hatte, wurde ich verhaftet, als ich eben in einer Versammlung frommer Leute auf dem Lande war, unter denen ich, wenn man mich hätte gehen lassen, an jenem Tage gepredigt haben würde. Aber man führte mich von ihnen weg und vor einen Richter, der mich, selbst nachdem ich mich erboten, Bürgschaft für mein Erscheinen vor der nächsten Sitzung des Gerichts zu stellen, doch gefangen setzte, weil meine Bürgen sich nicht verbindlich machen wollten, daß ich dem Volke nicht mehr predigen würde.
Hernach in der Sitzung des Gerichts wurde ich angeklagt, als ein Anstifter und Leiter von ungesetzlichen und heimlichen Versammlungen, und als Einer, der sich der Weise des Gottesdienstes der Nationalkirche von England nicht anschlösse. Nach einiger Besprechung mit den Richtern sahen sie meine offenen und ehrlichen Aussagen als „ein Bekenntniß“ der Anklagepunkte an, wie sie es nannten, und verurtheilten mich zu ewiger Verbannung, weil ich mich nicht unterwerfen wollte. So wurde ich wieder dem Gefangenwärter übergeben und zurück in's Gefängniß gebracht, und hier habe ich nun volle zwölf Jahre gelegen, und abgewartet, zu sehen, was Gott diesen Menschen mit mir zu thun zulassen werde. In dieser Lage bin ich durch Gottes Gnade sehr zufrieden gewesen; doch habe ich viele Erfahrungen in meinem Herzen gemacht vom Herrn, vom Satan und von meinem eignen Verderben. Durch alle aber habe ich, gelobt sei Jesus Christus! unter Anderm viel Ueberzeugung, Belehrung und Aufschluß empfangen, wovon ich hier nicht ausführlich sprechen will. Ich will auch nur ein paar Winke geben, ein Wort, das die Frommen zum Lobe Gottes und zur Fürbitte für mich antreiben könnte, und sie auch ermuthigen, getrost zu sein, wenn es ihnen auch so ergehen sollte und sich nicht zu fürchten, was sollte ihnen ein Mensch thun können?„
In meinem ganzen Leben bin ich nicht so in's Wort Gottes eingeführt worden, wie in dieser Zeit. Jene Schriftstellen, in denen ich vorher nichts sehen und erkennen konnte, strahlten mir an diesem Orte und in diesem Zustande in wunderbarer Klarheit. Jesus Christus ist mir nie so klar und wirklich, nie so vor die Augen gemalt gewesen, wie hier. Hier habe ich Ihn in der That gesehen und gefühlt. O, das Wort: „Denn wir sind nicht erklügelten Fabeln gefolgt“ 2 Petri 1,16; und das „Gott hat Christum von den Todten auferwecket, und Ihm Herrlichkeit gegeben, also daß nun euer Glaube und Hoffnung zu Gott stehet;“ 1 Petri 1,21; waren für mich, in meiner Gefangenschaft, gesegnete Worte. Ebenso sind mir folgende drei oder vier Stellen auch sehr erquicklich gewesen: Joh. 14,1-4; 16,33; Col. 3,3-4; Hebr. 12,22-24; so daß ich manchmal, wenn ich im Genusse derselben war, „dem Verderben lachen konnte, und mich weder vor dem Roß, noch vor seinem Reiter fürchtete.“ Ich habe an diesem Orte süße Versicherungen der Vergebung meiner Sünden, und davon, daß ich in der andern Welt bei Jesu sein werde, genossen. O! „Der Berg Zion, das himmlische Jerusalem, die Menge vieler tausend Engel, und der Richter Aller, Gott, und die Geister der vollendeten Gerechten, und Jesus,“ sind mir köstlich gewesen an diesem Orte. Ich habe hier Dinge erfahren, die ich, so lange ich in dieser Welt bin, das bin ich überzeugt, niemals aussprechen kann. Ich habe die Wahrheit der Schriftstelle geschmeckt: Welchen ihr nicht gesehen und doch lieb habet, und an Ihn glaubet, wiewohl ihr Ihn jetzt nicht schauet, und freuet euch mit unaussprechlicher und herrlicher Freude.“ 1 Petri 1,8.
Ich habe nie gewußt, was es sei, daß Gott mir in Allem beistehet, und wie Er Sich erzeiget bei jedem Versuch des Satans, mich zu quälen rc., seit ich hier hereingekommen bin. Denn siehe, wie sich Befürchtungen eingestellt haben, so kam auch Trost und Ermuthigung; ja, wenn ich, so zu sagen, vor meinem eignen Schatten erschrak, so ließ mich Gott, so zärtlich war er gegen mich - nicht belästigt werden, sondern stärkte mich mit dem einen und dem andern Bibelspruch gegen alle Versuchungen, so daß ich oft gesagt habe: „Wenn es recht wäre, so wollte ich um des größeren Trostes willen, um größere Leiden bitten.“ Pred. 7,14; 2 Cor. 1,5.
Ehe ich in's Gefängniß kam, sah ich, was meiner wartete, und es lagen mir besonders zwei Punkte warm auf meinem Herzen: der erste war, wie ich eine lange Gefangenschaft geduldig ertragen, und der zweite, wie ich dem Tode begegnen könne, wenn dieser hierbei mein Los werden sollte. Hinsichtlich des ersten gab mir die Stelle Col. 1,11. viel Anleitung zu Gott zu beten, „um stark zu werden mit aller Stärke, nach der Kraft Seiner Herrlichkeit, zu aller Geduld und Langmüthigkeit mit Freuden.“ Länger als ein Jahr vor meiner Gefangenschaft konnte ich selten beten, ohne daß dieser Spruch oder diese süße Bitte sich, so zu sagen, in mein Gemüth drängte, und mich überzeugte, daß ich würde Geduld nöthig haben, wenn ich je durch lange anhaltende Leiden gehen müßte, besonders wenn ich sie mit Freuden tragen wollte. Hinsichtlich der zweiten Punktes war mir der Ausspruch 2 Cor. 1,9 sehr nützlich: „Wir hatten uns bei uns selbst das Todesurtheil gesprochen, auf daß wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst stelleten, sondern auf Gott, der die Todten auferwecket.“ Aus dieser Stelle wurde mir gezeigt, daß wenn ich jemals gottgefällig leiden wolle, so so müsse ich erstens über Alles, was eigentlich diesem Leben angehört, das Todesurtheil aussprechen; ja, ich müsse mich selbst, meine Frau, meine Kinder, meine Gesundheit, meine Genüsse, und Alles als todt für mich, und mich als todt für Alles ansehen, und zweitens müsse ich in dem unsichtbaren Gotte leben. Wie Paulus in einer andern Stelle sagt, um nicht zu erschrecken, müsse man „nicht schauen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“ Und so schloß ich bei mir selbst: „Wenn ich mich nur für's Gefängniß vorsehe, so kommt die Peitsche unversehens und der Pranger ebenso. Wiederum, wenn ich mich nur für diese vorsehe, so bin ich für Verbannung nicht bereit. Weiter, dachte ich, daß wenn ich dächte, daß Verbannung das Schlimmste wäre, so wäre ich nicht bereit, wenn der Tod käme. So sah ich, wie am besten zu leiden sei, nämlich hinsichtlich der zukünftigen Welt auf Gott durch Christum zu vertrauen; und hinsichtlich dieser Welt, „das Grab mein Haus zu heißen, mein Bette in der Finsterniß zu machen, die Verwesung meinen Vater, die Würmer meine Mutter und meine Schwester zu nennen,“ d. i, mich mit diesen Dingen vertraut zu machen.
Allein trotz dieser Stärkungen erkannte ich mich selbst doch als einen Mann, der mit Schwachheiten umgeben ist. Die Trennung von meinem Weibe und meinen armen Kindern war mir in diesem Gefängniß oft wie das Abreißen meines Fleisches von meinen Gebeinen; und zwar nicht nur, weil ich etwas zu sehr an ihnen hing, sondern auch, weil mir die vielen Beschwerden, Leiden und Nöthen zu Herzen gingen, die meine Familie zu leiden haben mochte; besonders mein armes blindes Kind, das mir mehr als alle Andern am Herzen lag! O, der Gedanke an die Beschwerden, die, wie ich dachte, meinem blinden Kinde widerfahren könnten, brach mir mein Herz. „Armes Kind,“ dachte ich, was für Elend mag in dieser Welt Dein Theil werden! Du mußt geschlagen werden, mußt betteln, mußt Hunger, Kälte, Blöße und tausend andere Trübsale leiden, obgleich ich jetzt nicht dulden kann, daß Dich ein kühler Wind anweht.“ Dennoch faßte ich mich wieder und dachte: „Ich muß euch Alle Gott anvertrauen, obgleich es mir bis in's innerste Leben geht, euch zu verlassen.“ O, ich sah in dieser Lage, daß ich wie ein Mann war, der sein Haus über dem Haupte seines Weibes und seiner Kinder niederreißt. Jetzt dachte ich an jene zwei jungen säugenden Kühe, die ihre Kälber dahinten lassen und die Bundeslade in ein fremdes Land ziehen mußten. 1 Sam. 4,10-12.
In dieser Versuchung stärkten mich mehrere Betrachtungen, von denen ich drei besonders anführen will. Die erste war die Erwägung der folgenden zwei Schriftstellen: „Verlaß Deine Waisen, daß ich sie erhalte; und Deine Witwen sollen auf mich hoffen.“ Und wiederum: „Der Herr sprach: Wahrlich, Ich will Dich lösen, daß Dir's wohl gehe; Ich will Dir zu Hülfe kommen in der Noth und Angst unter den Feinden.“ Jer. 49,11; Cap. 15,11.
Ich erwog auch Dieses: Wage ich Alles daran um Gottes willen, so verbinde ich Ihn, für meine Angelegenheiten zu sorgen; dagegen, verlasse ich ihn aus Furcht vor dem Kreuz, das mir oder den Meinigen aufgelegt werden könnte, so verleugne ich nicht nur mein Bekenntniß, sondern würde auch damit zeigen, daß mir meine Angelegenheiten, während ich für Seinen Namen stritt, in Gottes Hand nicht so wohl aufgehoben wären, als in meiner eignen, während ich den Weg Gottes verleugnen würde. Diese Betrachtung war schmerzend und wie Sporen für's Fleisch. Daß dies noch schärfer und nachdrücklicher wurde, dazu half auch die Schriftstelle, wo Christus wegen des Judas betet, daß ihn Gott in den selbstsüchtigen Gedanken betrogen werden lassen solle, welche ihn aber wogen, seinen Meister zu verkaufen. Bitte, leset nachdenklich: Ps. 109,6-8 rc. rc.
Ich stellte auch meine Betrachtung an über die Schrecken der Höllenqualen, von denen ich gewiß war, daß sie Diejenigen treffen werden, welche, aus Furcht vor dem Kreuz, von dem Bekenntniß Christi, Seiner Worte und Gesetze vor den Menschenkindern zurückschrecken. Auch dachte ich an die Herrlichkeit, welche Er für Diejenigen bereitet hat, die in Glauben, Liebe und Geduld sich vor den Menschen zu Seinen Wegen bekennen. Diese Dinge, sage ich, stärkten mich, wenn die Gedanken an das Elend, das sowohl ich als die Meinigen um meines Glaubens willen würden zu leiden haben, quälend auf meinem Gemüthe lagen. Hielt ich es für gewiß, daß ich um meines Glaubens willen verbannt werden würde, so dachte ich an diesen Spruch: „Sie sind gesteinigt, zersäget, durch's Schwert getödtet; sie sind umhergegangen in Schafpelzen und Ziegenfellen, mit Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach; sie, deren die Welt nicht werth war;“ Hebr. 11,37.38. Auch dachte ich an diesen Ausspruch: „Daß der heilige Geist von einer Stadt zur andern bezeuget und spricht: Bande und Trübsale warten meiner.“ Ap. Gesch. 20,23. Ich habe wahrlich gedacht, daß meine Seele manchmal mit sich selbst von dem schmerzlichen und traurigen Zustande der Vertriebenen und Verbannten redete, wie sie dem Hunger, der Kälte, der Gefahr, dem Mangel an Bedeckung, den Feinden und tausend andern Leiden ausgesetzt sind, und wie sie endlich gleich einem verlornen und verlassenen Schaf in einem Graben sterben können. Aber ich danke Gott, bis hieher bin ich durch all diese Betrachtungen noch nicht schwankend geworden, habe vielmehr durch sie mein Herz mehr zu Gott gerichtet.
Ich will euch noch eine schöne Geschichte erzählen. Ich war einmal mehrere Wochen lang tiefer als je in einer sehr traurigen und gebeugten Lage; und da ich noch ein junger Gefangener und noch unbekannt mit den Gesetzen war, fiel es mir schwer auf's Herz, daß meine Gefangenschaft, so weit ich erkennen konnte, noch am Galgen enden könnte. Darum setzte mir Satan gewaltig zu, mich muthlos zu machen, indem er mir dieses einflüsterte: „Aber wie, wenn du sterben solltest, und wärest in diesem Zustande, d. i. daß du die göttlichen Dinge nicht fühlen könntest, und hättest keine Gewißheit von einem seligen Zustande nach diesem Leben?“ Denn in der That, es waren zu der Zeit alle göttlichen Dinge meiner Seele verborgen. Daher war dieses auch, als ich zuerst darüber nachzudenken anfing, ein schweres Leiden für mich, denn ich dachte bei mir selbst, daß ich in meiner gegenwärtigen Lage nicht zum Sterben bereit sei, noch dachte ich, ich könnte es, wenn ich dazu berufen werden sollte. Dazu dachte ich bei mir selbst, wenn ich auch durch Verstellung scheinbar muthig die Leiter hinaufsteigen würde, so könnte ich doch durch Beben oder andere Zeichen der Angst dem Feinde Ursache geben, den Weg Gottes und sein Volk um ihrer Verzagtheit willen zu lästern. Deshalb lag dies schwer auf mir; denn mir däuchte, ich würde mich schämen, mit einem blassen Gesichte und bebenden Knieen für eine solche Sache zu sterben.
Darum flehte ich zu Gott, daß Er mich trösten und stärken möchte, damit ich thun und leiden könnte, wozu Er mich berufen werde. Dennoch kam kein Trost, und Alles blieb dunkel. Ich war auch zu dieser Zeit wirklich so von dem Gedanken an den Tod eingenommen, daß mir oft war, als wenn ich schon, mit dem Strick um den Hals, auf der Leiter stände. Nur das war mir in etwas tröstlich, daß ich dachte, ich möchte nun eine Gelegenheit bekommen, meine letzten Worte zu einer Menge Menschen zu reden, die, wie ich glaubte, kommen würden, um mich sterben zu sehen. Dabei dachte ich, wenn es so sein soll, und Gott wird nur eine Seele durch meine letzten Worte bekehren, so will ich mein Leben nicht als weggeworfen oder verloren ansehen. Dennoch wurden mir alle göttlichen Dinge verdunkelt gehalten, und der Versucher verfolgte mich mit diesen Fragen: „Aber wohin wirst Du gehen müssen, wenn Du stirbst? Was wird aus Dir werden? Wo wird man Dich in der andern Welt finden? Was für Gewißheit hast Du, Himmel und Herrlichkeit und ein Erbtheil unter den Geheiligten zu erlangen?“ So wurde ich mehrere Wochen lang hin- und hergeworfen, und wußte nicht, was anzufangen. Endlich wurde mir die Betrachtung wichtig, daß ich um des Wortes und Weges Gottes willen in dieser Lage war; und daß ich mithin nicht ein Haarbreit davon weichen wollte. Ich gedachte auch daran, obgleich es Gott freistehe, mich jetzt oder in der Todesstunde zu trösten, daß ich um deswillen doch keine Wahl habe, meinem Bekenntnisse treu zu bleiben oder nicht. Ich war gebunden, aber Er frei; ja es war meine Pflicht, bei Seinem Worte zu bleiben, ob Er mich auch niemals ansehen oder endlich erretten wollte. Darum dachte ich: „Sicherlich so ist's, und also will ich beharren, und mich für die Ewigkeit Christo anvertrauen, ob ich Trost habe oder nicht. Schreitet Gott nicht ein (dachte ich), so will ich, selbst mit verbundenen Augen von der Leiter in die Ewigkeit springen; mag ich sinken oder schwimmen, komme Himmel oder Hölle Herr Jesu willst Du mich auffangen, thue es; willst Du nicht, so will ich's dennoch in Deinem Namen wagen!“
Kaum hatte ich diesen Entschluß gefaßt, als mir das Wort einfiel: „Obwohl Hiob umsonst Gott dienet?“ Als wenn der Verkläger hätte sagen wollen: „Herr, Hiob ist kein redlicher Mann, er dient Dir für Nebeninteressen. Hast Du doch ihn rings umher verzäunet u. s. w. Aber recke Deine Hand aus und taste an Alles, was er hat; was ist's, er wird Dich in's Angesicht segnen?“ „Wie nun,“ dachte ich, „ist das das Kennzeichen einer aufrichtigen Seele, daß sie dennoch Gott dienen will, wenn ihr auch Alles genommen wird? Ist der ein gottseliger Mensch, der lieber Gott umsonst dienen, als seinen Dienst aufgegeben will? Gelobt sei Gott, dann hoffe ich ein redliches Herz zu haben; denn ich bin entschlossen, (wenn Gott mir Kraft gibt) mein Bekenntniß nie zu verleugnen, wenn ich auch nichts für meine Mühe bekomme. Und als ich diese Betrachtung anstellte, wurde mir die Schriftstelle Ps. 44,12-27, vorgeführt. Nun war mein Herz des Trostes voll, denn nun hoffte ich, daß ich aufrichtig sei. Ich möchte dieser Prüfung nicht überhoben gewesen sein, für Vieles. So oft ich daran denke, werde ich getröstet; und ich hoffe, ich werde Gott immer für die Belehrung loben, die mir dadurch ertheilt wurde. So könnte ich noch viele von den Führungen Gottes mit mir erzählen. „Aber dieses habe ich aus den Streiten und Beuten geheiliget, zu bessern das Haus des Herrn.“ 1 Chron. 26,27.