Bunyan, John - Die überschwängliche Gnade - IV. Kapitel. Wie er in Christo getröstet wird; die Prüfungen seines Glaubens und die Mittel, durch die ihm geholfen wird.
1650-1651.
In diesem Zustande war ich sehr lange. Als aber die Zeit der Tröstung kam, hörte ich Einen über die Worte des hohen Liedes (Hoh. Lied 4.1.) predigen: „Siehe, meine Freundin, Du bist schön; siehe, schön bist Du.“ Der Prediger machte die zwei Worte „Meine Freundin“ zum Hauptpunkt und Gegenstand seiner Betrachtung und zog daraus, nachdem er den Text ein wenig ausgelegt hatte, folgende Schlüsse: 1. Daß die Gemeinde, und so jede erlöste Seele, Christi Freundin sei. 2. Christi Freundin ohne Veranlassung von ihrer Seite. 3. Christi Freundin, welche von der Welt gehasset wird. 4. Christi Freundin auch in Versuchungen und wenn sie verlassen ist. 5. Christi Freundin vom Anfang bis zum Ende. Von allem, was er sagte, hatte ich nichts, bis er zur Anwendung des 4. Punktes kam und dies Wort sagte: „Ist es nun so, daß die erlöste Seele Christi Freundin ist, auch wenn sie in Versuchung und verlassen ist, dann, arme versuchte Seele! wenn du mit Versuchungen geplagt und heimgesucht wirst, und wenn Gott Sein Angesicht verbirgt, so denke noch an die zwei Worte: „Meine Freundin.“
Auf dem Heimwege fielen mir diese zwei Worte wieder ein und ich erinnere mich wohl, daß ich dabei in meinem Herzen sagte: „Was soll es mir helfen, über diese zwei Worte nach zu denken?“ Dies war aber kaum gedacht, so zündeten eben diese Worte: „Du bist meine Freundin! zwanzigmal hinter einander in meinem Geiste, und dabei wurden sie stärker und lebendiger, daß ich mußte in die Höhe blicken. Da ich aber noch zwischen Furcht und Hoffnung schwebte, erwiderte ich in meinem Herzen: „Aber ist's auch wahr? Aber ist's auch wahr?“ worauf mir die Worte einfielen: „Er wußte nicht, daß ihm wahrhaftig solches geschähe durch den Engel.“ Ap.Gesch. 12.9. Darauf gab ich mich dem Worte: „Du bist meine Freundin und nichts soll dich von meiner Liebe scheiden,“ welches diesen freudigen Jubel wieder und wieder in meiner Seele bewirkte, ganz hin. Mein Herz wurde mit Trost und Hoffnung erfüllt und nun konnte ich glauben, daß mir meine Sünden würden vergeben werden. Ja, ich war jetzt so von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes hingenommen, daß ich mich wohl erinnere, ich konnte mich kaum halten, bis ich heim kam. Ich meinte, ich könnte selbst den Krähen, die auf dem gepflügten Lande saßen, von Seiner Liebe und Barmherzigkeit gegen mich erzählen, hätten sie mich nur verstehen können. Darum sagte ich mit großer Freude in meiner Seele: „O, daß ich Tinte und Feder hier hätte, so wollte ich es niederschreiben, ehe ich weiter gehe; obgleich ich es gewiß in vierzig Jahren nicht vergessen werde!“ Aber ach! in weniger als vierzig Tagen fing ich schon wieder an zu zweifeln, und ich kam bald dahin, Alles wieder in Frage zu stellen; doch wurde mir manchmal mein Glaube, daß es eine wahre Offenbarung der Gnade an meiner Seele gewesen sei, wieder gestärkt, obwohl ich viel von der Lebendigkeit und dem Gefühl desselben verloren hatte.
Etwa eine oder zwei Wochen nachher fiel mir die Schriftstelle oft ein: „Simon, Simon, siehe der Satan hat euer begehret.“ Luc. 22,31. Manchmal schallte dies Wort so laut in mir, daß ich, besonders einmal, mich wirklich umsah; indem ich dachte, es müsse mich jemand gerufen haben. Es kam, wie ich seitdem gedacht habe, mich zum Gebet und zur Wachsamkeit zu erwecken; es kam, mir zu zeigen, daß Wolken und Sturm über mich kommen werden; aber ich verstand es nicht. Ich erinnere mich, daß ich diese Stimme zum letzten Mal hörte, als sie so laut in meine Ohren schallte. „Simon, Simon“. Obgleich das nun nicht mein Name war, so bewog es mich doch, wie gesagt, zurück zu blicken, weil ich glaubte, daß der, der so laut rief, mich damit meinte.
Aber so thöricht und unwissend war ich, daß ich die Ursache dieser Stimme nicht erkannte; welche (wie ich bald hernach sah und fühlte) als eine Weckstimme vom Himmel gesandt war, um mich für das, was kommen würde, bereit zu machen. Ich dachte bloß und wunderte mich in meinem Gemüthe, warum diese Schriftstelle mit solcher Kraft, so oft und so laut, in meine Ohren tönen sollte. Aber, wie gesagt, ich sah bald nachher den Zweck Gottes dabei.
Es währte kaum einen Monat, als ein sehr großer Sturm über mich kam, der zwanzigmal härter mit mir verfuhr, als alles, was mir bis dahin begegnet war. Er kam zwar nicht gleich in seiner ganzen Heftigkeit, aber nach und nach entfesselte er seine ganze Wuth. Zuerst wurde mir all mein Trost genommen; dann kam Dunkelheit über mich; darnach wurden zu meiner großen Verwirrung und meinem größten Entsetzen ganze Fluthen von Lästerungen - gegen Gott, Christum und die Schrift über meinen Geist geschüttet. Diese lästerlichen Gedanken waren solche, die Zweifel selbst über das Dasein Gottes und Christi in mir erweckten, wie z. B.: Ob es wohl in Wahrheit einen Gott und einen Christus gäbe? Ob die heilige Schrift nicht vielmehr eine Fabel, eine verschmitzte Lügengeschichte wäre, als das heilige und reine Wort Gottes? Der Versucher fragte mich auch: „Wie kannst du wissen, ob die Türken nicht eben so gute Schriften haben, ihren Muhamed als den Heiland zu beweisen, als du hast, um deinen Jesus zu beweisen? Und wie kannst du denken, daß so manche Zehntausende in so vielen Ländern und Königreichen sollten ohne die Erkenntniß des rechten Weges zum Himmel sein, (wenn's wirklich einen Himmel gibt) und ihr allein, die ihr gleichsam nur in einem Winkel der Erde lebet, solltet damit gesegnet sein? Jeder hält seine eigne Religion für die richtigste, sowohl Juden als Mohren und Heiden; und wie, wenn all unser Glauben, und unser Christus, und die Schrift, auch nur ein solches Dafür halten wäre?
Manchmal versuchte ich, gegen diese Anfechtungen Beweis zu führen, und ihnen einige von den Aussprüchen des Apostels Paulus entgegen zu setzen. Aber ach! bald kam die Gegenfrage wieder in mir: Obgleich wir so viel von Paulus und seinen Worten machten; wie ich denn wissen könnte, ob er nicht in der That als ein schlauer und verschmitzter Mensch sich dazu hergegeben haben möchte, mit kräftigen Irrthümern zu betrügen; und ob er nicht Mühe und Arbeit angewandt, um seine Mitmenschen uns glücklich zu machen und zu verderben.
Diese Anfechtungen (und viele andere, die ich jetzt weder mit dem Munde, noch mit der Feder nennen darf) nahmen einen solchen Halt in meinem Geiste, und überwältigten mich so mit ihrer Zahl, mit ihrem Anhalten und mit ihrer finsteren Gewalt, daß ich vom Morgen bis zum Abend an nichts anderes denken konnte; ja, daß mir zu Muthe war, als ob in der That kein Raum für etwas anderes in mir sein könnte. Ich schloß, daß Gott selbst im Zorne gegen meine Seele mich diesen Lästerungen preisgegeben habe, damit ich von ihnen wie von einem Wirbelwinde dahin gerissen werde. Nur an dem Mißfallen, das mein Geist daran hatte, fühlte ich, daß etwas in mir war, das sich weigerte, sie anzunehmen. Aber diesen Trost hatte ich nur, wenn Gott mich „ließ“ (wie Hiob sagt); sonst ertränkte, überschwemmte und, so zu sagen, begrub der Lärmen, die Stärke und die Gewalt dieser Versuchungen alle solche Aufrichtungen, oder die Erinnerung an irgend eine erfahrene Gnade.
Während ich in dieser Versuchung war, bemerkte ich, daß mein Herz plötzlich darauf fiel, zu fluchen und zu schwören, oder Schmähungen gegen Gott, gegen Christum oder gegen die Schrift auszustoßen. Da dachte ich: „Sicherlich bin ich vom Teufel besessen.“ zu andern Zeiten dachte ich, ich hätte meinen Verstand verloren; denn, anstatt Gott, den Herrn, mit Andern zu loben und zu verherrlichen, brach aus meinem Herzen, wenn ich nur von Ihm reden hörte, irgend ein oder der andere schreckliche und lästerliche Gedanke gegen Ihn hervor; etwa: ob ich wohl dächte, daß ein Gott sei? u. s. w. Ach, ich konnte keine Liebe, keinen Frieden, kein Verlangen nach Gnade in mir fühlen!
Diese Dinge versenkten mich in sehr tiefe Trostlosigkeit, denn ich schloß, solches könnte unmöglich unter denen, die Gott lieben, gefunden werden. Ich verglich meinen Zustand oft mit dem eines Kindes, das irgend eine Zigeunerin mit Gewalt in ihre Arme genommen hat, und nun seinen Freunden entreißt und an seiner Heimath entführt. Zwar schrie und weinte ich manchmal und sträubte mich, aber ich war in Versuchungen wie eingewickelt und der Wind trug mich hinweg. Ich dachte auch an den König Saul und an den bösen Geist, der in ihn gefahren war, und fürchtete sehr, daß mein Zustand dem seinigen gleich sein möchte. 1. Sam. 16.14.
Hörte ich in jenen Tagen Andre davon reden, was die Sünde wider den heiligen Geist sei, so reizte mich der Versucher zu begehren, daß ich diese Sünde begehen möchte; er reizte mich so sehr, daß es war, als ob ich nicht ruhen könnte, bis ich diese Sünde begangen hätte. Konnte sie mit dem Aussprechen eines Wortes begangen werden, so war mir, als ob mein Mund das Wort hätte sprechen müssen; ich mochte wollen oder nicht; in einem solchen Maße lag die Versuchung auf mir, daß ich oft im Begriff war, meine Hände unter mein Kinn zu stemmen, um mir den Mund mit Gewalt zuzuhalten. Ja, ich hätte manchmal meinen Mund in den Koth drücken mögen, damit ich es nur nicht aussprechen könnte.
Jetzt hielt ich wieder den Zustand aller Geschöpfe, die Gott gemacht hatte, für viel besser als meine und meines Gleichen schreckliche Lage. Ja, gerne wäre ich ein Hund oder ein Pferd gewesen; denn ich wußte, daß die keine Seelen haben, die unter der ewigen Last der Hölle oder der Sünde verderben können, wie es der meinigen zu ergehen drohte. Ja, es stand so mit mir, daß, obgleich ich dies sah und fühlte, und mein Herz darüber völlig zerschlagen war, ich doch nicht einsehen konnte, daß ich von ganzem Herzen Errettung begehrte. Mitten in diesem Aufruhr riß und zerriß auch das folgende Schriftwort meine Seele: „Aber die Gottlosen sind wie das ungestüme Meer, das nicht stille sein will und seine Wellen Koth und Schlamm auswerfen. Aber die Gottlosen, spricht mein Gott, haben keinen Frieden.“ Jes. 57.20.21.
Zu dieser Zeit war mein Herz bisweilen überaus hart. Wenn ich viertausend Thaler für eine Thräne hätte haben können, so wäre ich doch nicht im Stande gewesen, eine einzige zu vergießen; ja, manchmal wünschte ich nicht einmal, eine zu weinen. Ich war sehr niedergeschlagen darüber, daß dies mein Los sein sollte. Einige konnten trauern und klagen über ihre Sünden, das sah ich; Andere konnten sich freuen und Gott für Christum danken; und wieder Andere sprachen in Freude und Frieden von dem Worte Gottes und konnten sich mit Wonne daran erinnern, während ich allein im Sturm und Orkan war. Dies schlug mich sehr darnieder. Ich dachte, mein Zustand wäre einzig in seiner Art und beweinte mein hartes Unglück; aber herauskommen oder davon frei werden, konnte ich nicht.
So lange diese Versuchung währte, konnte ich keine der Gnadenmittel Gottes ohne Schmerz und großes Leiden benutzen. Ja grade dabei war ich am meisten mit Lästerungen geplagt. Hatte ich das Wort Gottes gehört, so hielten mich Unreinigkeit, Lästerung und Trostlosigkeit gefangen. Las ich, so kamen plötzlich Gedanken, die mich alles Gelesene bezweifeln ließen; dann wurde mein Gemüth wieder so plötzlich hinweggerissen, daß ich nicht soviel als den Satz wissen, beachten oder behalten konnte, den ich eben gelesen hatte. Im Gebet wurde ich zu dieser Zeit auch sehr vom Satan geplagt. Manchmal war es mir, als fühlte ich ihn hinter mir, wie er mich an den Kleidern zöge. Er machte sich während des Gebetes an mich: „Brich ab, eile dich; du hast genug gebetet; halte dich nicht länger auf;“ wobei er immer mein Gemüth wegzuziehen suchte. Manchmal warf er mir auch solche böse Gedanken in's Herz, wie die, daß ich zu ihm und für ihn beten müßte. Ich habe oft gedacht an das: „Falle nieder,“ oder: „So du niederfällst, und mich anbetest.“ Math. 4.9. Auch wenn ich mich bestrebte, weil ich zerstreut gewesen war, mein Gemüth zu sammeln und es auf Gott zu richten, so arbeitete der Versucher mit großer Gewalt, mich von ihm wegzureißen und zu verwirren und mein Gemüth abzuwenden, indem er mir etwa die Gestalt eines Strauches, eines Ochsens, eines Besens, oder so etwas in meinem Herzen und in meiner Phantasie vorstellte, als ob ich diese Dinge anbeten sollte. Bei diesen Dingen hielt er (besonders bisweilen) mein Gemüth so fest, daß mir war, als ob ich an nichts Anderes denken und zu nichts Anderem beten könnte, als zu diesen oder ähnlichen Dingen.
Doch hatte ich manchmal starke und herzergreifende Empfindungen von Gott und von der Kraft und Wahrheit Seines Evangeliums. Und o! wie ergoß sich mein Herz zu solchen Zeiten in unaussprechlichen Seufzern! Meine ganze Seele war dann in jedem Worte. Ich schrie mit innigem Verlangen nach Gott, daß er mir gnädig sein möchte. Aber dann wurde ich auch wieder von Gedanken zurückgestoßen, wie z. B.: Gott spotte meiner Gebete und in der Versammlung Seiner heiligen Engel sage er von mir: „Dieser arme, einfältige Wicht läßt sich nach mir gelüsten, als ob ich nichts Anderes mit meiner Gnade zu thun hätte; als sie einem Solchen wie er ist, zu schenken. Ach, du arme Seele, wie bist du betrogen! Nicht Solche wie du finden Gunst bei dem Höchsten.“
Dann kam der Versucher wieder mit Entmuthigungen: „Du brennst vor Verlangen nach Gnade; aber ich will dich abkühlen. Viele sind eine Zeitlang eben so heiß gewesen wie du, - aber ich habe ihre Hitze gedämpft.“. Dabei wurden mir Diese und Jene, welche abgefallen waren, vor meine Augen gestellt. Dann fürchtete ich, es möchte mir auch so ergehen; aber ich dachte auch wieder: „Ich bin froh, daß mir dies einfällt: nun will ich wachen und Vorsicht brauchen, so viel ich kann.“ „Wenn du das auch thust,“ sagte Satan, wo werde ich dir doch zu stark sein. Ich will dich unvermerkt hier ein wenig und da ein wenig erkalten lassen.“ „Was mache ich mir daraus,“ sagte er, „wenn ich auch sieben Jahre gebrauche, dein Herz kalt zu machen, wenn's mir nur endlich gelingt. Anhaltendes Wiegen bringt ein schreiendes Kind zum Schlafen. Ich will ihm fleißig obliegen, aber ich will jedenfalls meinen Zweck erreichen. Wenn du auch jetzt glühend heiß bist; ich kann dieses Feuer dämpfen, ich will dich bald eiskalt haben.“
Diese Dinge trieben mich sehr in die Enge. Denn da ich mich nicht für zubereitet hielt, gleich zu sterben, so dachte ich, durch längeres Leben würde ich nur noch ungeschickter dazu werden; weil die Zeit mich alles vergessen lassen würde, und weil sie auch selbst die Erinnerung an die Abscheulichkeit der Sünde, den Werth des Himmels und meine Bedürftigkeit des Blutes Christi zu meiner Reinigung, beides aus meinem Gemüthe und meinen Gedanken verwischen würde. Aber ich danke meinem Herrn Jesu, daß mich diese Dinge nicht dahin brachten, nachzulassen im Flehen, sondern mich vielmehr dazu antrieben; (gleich wie Jene, welche mit dem Ehebrecher zusammentraf, 5. Mose 22,27). In jenen Tagen, nachdem ich eine Weile gelitten hatte, that mir folgendes Wort gut: „Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Hohes noch Tiefes rc. mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu, unserm Herrn“, Röm. 8,38. Und nun hoffte ich, daß mich ein langes Leben nicht verderben, noch mich um den Himmel bringen würde.
Doch darf ich einige Tröstungen, die ich während dieser Versuchung genoß, nicht unerwähnt lassen; obgleich sie mir alle zweifelhaft gemacht wurden. Das Wort in Jer. 3,1 war mir einige Mal zum Troste; und ebenso auch die Betrachtung des 5ten Verses in dem Kapitel, wo es heißt: daß, ob wir auch so viel Böses gesprochen und gethan haben mögen, als wir nur konnten, wir doch zu Gott rufen sollen: „Lieber Vater, Du Freund meiner Jugend;“ und wieder zu ihm kommen. So hatte ich ein anderes Mal einen süßen Blick in das Wort 2. Cor. 5,21: Denn Er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit Gottes.“ Ich erinnere mich auch, als ich eines Tages sehr traurig bei der Betrachtung meiner vielen Lästerungen in einem Nachbarshause saß, und als ich eben in meinem Herzen sagte: „Was für Grund habe ich, der ich so schlecht und abscheulich bin, zu hoffen, daß ich jemals das ewige Leben ererben sollte?“ daß mir da das Wort plötzlich einfiel: „Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ Röm. 8,31. Auch dies war mir tröstlich: „Denn ich lebe und ihr sollt auch leben.“. Aber diese Worte waren nur schnell vorübergehende und kurze Besuche; obgleich sehr süße, während sie da waren. Sie blieben aber nicht lange bei mir, sondern wurden plötzlich, wie Petri Gefäß, „wieder aufgenommen gen Himmel.“ Ap. Gesch. 10,16.
Hernach aber offenbarte der Herr Sich mir deutlicher und gnädiger, und erlös'te mich nicht nur ganz von dem Schuldgefühl wegen dieser Dinge, daß auf meinem Gewissen lag, sondern auch von der Verunreinigung durch dieselben; denn die Versuchung wurde weggenommen und ich kam wieder zu mir selbst, und wurde wie andre Christen sind.
Eines Tages, während ich über die Bosheit und Lästerung meines Herzens nachdachte, und die Feindschaft gegen Gott in mir betrachtete, kam mir diese Schriftstelle in den Sinn: „Indem er Frieden machte durch das Blut seines Kreuzes.“ Durch sie wurde ich befähigt, wieder und wieder zu sehen, daß Gott und meine Seele durch Christi Blut Freunde seien; ja, ich sah, daß die Gerechtigkeit Gottes und meine sündenvolle Seele durch Sein Blut einander umarmen und küssen konnten. Das war ein köstlicher Tag für mich, den ich nie zu vergessen hoffe. Ein ander Mal, als ich in meinem Hause am Feuer saß und über meine Verderbtheit nachdachte, machte mir der Herr Folgendes auch zu einem köstlichen Worte: „Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut gemein haben, ist er auch gleichermaßen desselben theilhaftig geworden, auf daß er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hat, das ist, dem Teufel, und erlösete die, so durch Furcht des Todes ihr ganzes Leben lang in Knechtschaft gehalten waren.“ Hebr. 2,14.15. Ich dachte, die Herrlichkeit dieser Worte wäre mir so wichtig, daß ich ein- und zweimal außer mir hätte kommen können, während ich da saß; aber nicht vor Last und Kummer, sondern vor wahrer Freude und Frieden.
Zu der Zeit genoß ich auch den Dienst am Wort, den der Prediger, Herr Gifford übte, dessen Lehre durch Gottes Gnade viel zu meiner Befestigung beitrug. Dieser Mann machte es sich viel zum Geschäfte, das Volk Gottes von all den falschen und ungesunden Stützen zu befreien, auf welche zu bauen wir von Natur so geneigt sind. Er ermahnte uns, vorsichtig zu sein und keine Wahrheit (so zu sagen) „auf Borg“ zu glauben, sondern vielmehr ernstlich zu Gott zu rufen, daß Er uns von der Gewißheit derselben überzeugen und uns darin gründen möchte durch seinen Geist in seinem heiligen Wort. „Denn,“ sagte er, „wenn ihr es anders macht, so werdet ihr, wenn eine schwere Versuchung kommt, sehen, daß euch die Hülfe und Stärke zum Widerstande gebricht, die ihr einmal zu haben meintet; und zwar eben, weil ihr die Wahrheit nicht mit Gewißheit vom Himmel empfangen habt.“ Dies war so zur rechten Zeit für meine Seele geredet, wie die Früh- und Spätregen zu ihrer Zeit; denn ich war schon durch traurige Erfahrungen von der Wahrheit dieser Worte überzeugt worden. Ich hatte schon gefühlt, daß Niemand (besonders wenn er vom Teufel versucht wird) Jesum einen Herrn heißen kann, ohne durch den heiligen Geist. Daher war meine Seele durch diese vorbereitende Gnade sehr geneigt, diese Lehre zu beherzigen und sich zum Gebet zu Gott weisen zu lassen, daß Er mich, hinsichtlich Seiner Ehre und meiner Seligkeit, in keinem Stücke ohne die Befestigung vom Himmel lassen möchte. Denn ich sah jetzt deutlich den Unterschied zwischen dem Meinen des Fleisches und Bluts und der Offenbarung von Gott im Himmel; zwischen dem Glauben, der gefärbt ist und aus menschlicher Weisheit entsteht, und dem Glauben, zu dem der Mensch aus Gott geboren wird. Matth. 16,15. 1. Joh. 5,1.
Aber o! Wie wurde nun meine Seele von Gott selbst von Erkenntniß zu Erkenntniß geführt von der Geburt und Wiege des Sohnes Gottes an, bis zu Seiner Himmelfahrt und Seinem zweiten Kommen, um die Welt zu richten. In Wahrheit sah ich hierin, daß der große Gott sehr gut gegen mich sei. Denn, so viel ich mich erinnern kann, bat ich damals Gott nie um irgend Etwas, das Ihm nicht auch gefallen hätte, mir zu zeigen und zu offenbaren. Ich meine: es war kein Theil des Evangeliums vom Herrn Jesu, worin ich nicht ordnungsmäßig hinein geführt worden wäre. Mir däuchte, ich sähe mit großer Gewißheit aus den vier Evangelisten die wunderbaren Werke Gottes in der Dahingabe Jesu Christi zu unserer Errettung, von Seiner Empfängniß und Geburt an, bis zu Seiner zweiten Erscheinung zum Gericht. Es war mir, als ob ich gesehen hätte, wie Er geboren wurde, wie Er aufwuchs, wie Er von der Wiege bis zum Kreuze durch diese Welt wandelte. Dazu sah ich, wie Er, als Er zum Kreuze kam, Sich so still und willig für meine Sünden und bösen Werke daran hängen und annageln ließ. Auch fiel mir, als ich so über diesen Seinen Gang nachdachte, in meinem Geiste das Wort ein: Er war bestimmt, wie ein Lamm geschlachtet zu werden. 1. Petri 1, 19.20. Betrachtete ich die Wahrheit von Seiner Auferstehung und gedachte des Wortes: „Rühre mich nicht an, Maria, rc.“, so war's mir, als sähe ich Ihn sich aus dem Rachen des Grabes empor schwingen und freute mich, daß Er wieder auferstanden sei und den Sieg über unsre schrecklichen Feinde errungen habe. Joh. 20,17. Ich habe Ihn auch im Geiste gesehen, wie Er als Mensch für mich zur Rechten Gottes, des Vaters, sitzt; und ich habe die Art und Weise Seines Kommen zum Weltgericht in der Herrlichkeit vom Himmel gesehen, und bin durch folgende Schriftstellen darin befestigt worden: Ap. Gesch. 1,9.10. Cap. 7,56. Cap. 10,42. Hebr. 7,24. Cap. 8,1. Offenbarung 1,18. 1. Thess. 4,17.18. Einmal sehnte ich mich, zu wissen, ob der Herr Jesus sowohl Mensch als Gott, und sowohl Gott als Mensch sei, und in Wahrheit, in jenen Tagen mochten Menschen sagen, was sie wollten, es war mir Alles nichts, außer wenn ich es mit Gewißheit vom Himmel hatte. Nun war ich aber, dieses Punktes wegen, sehr in Verlegenheit, und wußte mir nicht zu helfen. Endlich kam das Wort in Offenb. 5. in mein Gemüth: „Und ich sah, und siehe, in der Mitte des Stuhls und der vier Thiere, und in der Mitte der Aeltesten stand ein Lamm.“ „In der Mitte des Stuhl's,“ dachte ich, da ist die Gottheit; „in der Mitte der Aeltesten,“ da ist die Menschheit. Aber o! wie mir das einzuleuchten schien. Es war ein köstlicher Genuß und gab mir süße Befriedigung. Jenes andre Schriftwort half mir in dieser Hinsicht auch viel: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, der die Herrschaft hat auf Seiner Schulter; und Er heißt Wunder-Rath, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“ rc. Jes. 9.6.
Neben diesen Belehrungen von Gott aus Seinem Worte gebrauchte Er noch zwei Dinge, um mich in Seiner Wahrheit zu befestigen. Das eine waren die Irrthümer der Freunde (Quäker), das andre war die Schuldenlast der Sünde. Denn sowie die „Freunde“ der Wahrheit widerstanden, so befestigte mich Gott desto mehr darin, indem Er mich in das Verständniß der Schriftstellen einführte, durch welche sie wunderbarlich bewiesen wurde. Die Irrthümer, denen die „Freunde“ damals ergeben waren, sind folgende: 1. Daß die heilige Schrift nicht das Wort Gottes sei; 2. daß jeder Mensch in der Welt den Geist Christi, Gnade, Glauben u. s. w. hätte; 3. daß Christus Jesus, als Er vor sechzehnhundert Jahren gekreuzigt worden und gestorben sei, nicht die göttliche Gerechtigkeit für die Sünden des Volks befriedigt habe; 4. daß Christi Fleisch und Blut in den Heiligen sei; 5. daß die Leiber der Guten und der Bösen, die auf dem Kirchhofe begraben liegen, nicht wieder auferstehen würden; 6. daß die Auferstehung bei guten Menschen schon vorbei sei; 7. daß der Mensch Jesus, der zwischen zwei Uebelthätern auf dem Berge Golgatha im Lande Canaan, nahe bei Jerusalem gekreuzigt worden, nicht aufgefahren sei über die Sternen-Himmel; 8. daß Er, eben derselbe Jesus, der durch die Hände der Juden gestorben, nicht am letzten Tage wiederkommen werde und als Mensch alle Nationen richten rc. Viel mehr schlechte und abscheuliche Dinge wurden in jenen Tagen von ihnen ausgebrütet; durch welche ich zu einer genauern Untersuchung der Schrift getrieben und nicht nur erleuchtet, sondern auch sehr in der Wahrheit befestigt wurde.
Und, wie gesagt, die Schuldenlast der Sünde half mir viel; denn noch immer, wenn sie mich überfiel, nahm das Blut Christi sie mir wieder und wieder hinweg; und zwar auf köstliche Weise und nach der Schrift. O lieben Freunde! flehet zu Gott, euch Jesum Christum zu verklären; denn Niemand lehret wie Er.
Es würde zu lang werden, euch zu erzählen, wie Gott mich in den Dingen, die sich auf Christum beziehen, befestigte; ja, und auch wie er mir Sein Wort öffnete und ließ es mir leuchten, bei mir wohnen, mit mir reden, mich wieder und wieder trösten, und selige Gewißheit geben von Seinem Dasein und dem Seines Sohnes und heiligen Geistes. Nur dies will ich, wie ich es schon gesagt habe, nochmals wiederholen: Es gefiel Ihm gewöhnlich, mich zuerst mit Versuchungen in Hinsicht Seines Wortes prüfen zu lassen und mir dann erst dasselbe zu offenbaren. Wie ich denn manchmal unter großer Schuld der Sünde darnieder lag, und davon wie zu Boden geschmettert war; dann aber mir der Herr den Tod Christi zeigte, ja mein Gewissen mit Seinem Blute so besprengte, daß ich, ehe ich es erwartete, entdeckte, wie in dem Gewissen, in welchem eben noch das Gesetz regiert und gewüthet hatte, nun der Friede und die Liebe Gottes durch Christum ruhete und blieb.
Nun hatte ich, dachte ich, eine Versicherung meiner Erlösung vom Himmel, mit vielen goldenen Siegeln daranhängend, die ich alle sehen konnte. Nun konnte ich mich dieser Offenbarung und dann jener Gnadenerweisung freuen; und ich verlangte und sehnte mich darnach, daß der letzte Tag gekommen sein möchte, damit ich von Seinem Anschauen, der Freude an ihm und der Gemeinschaft mit Ihm für immer entzündet sein könnte, Ihm, Dessen Haupt mit Dornen gekrönt, Dessen Angesicht verspeit, Dessen Leib gebrochen, Dessen Seele zu einem Opfer für meine Sünden gemacht wurde! Denn während ich vorhin beständig zitternd vor dem Rachen der Hölle gelegen hatte, war ich nun so weit davon, daß ich, wenn ich zurückblickte, sie kaum mehr erkennen konnte. „Und o!“ dachte ich, daß ich doch achtzig Jahre alt wäre, damit ich bald sterben und meine Seele zur Ruhe gehen könnte!“
Ehe ich indessen so weit aus meinen Versuchungen gekommen war, verlangte mich sehr, irgend eines gottseligen Mannes Erfahrung zu lesen, der einige hundert Jahre vor mir gelebt hätte. Nun, nach manchem solchem Verlangen in meinem Gemüthe ließ mir der Gott, in dessen Händen alle unsre Tage und Wege sind, eines Tages ein Buch von Martin Luther in die Hände kommen. Es war seine Erklärung der Epistel an die Galater, und es war so alt, daß es in Stücke zu zerfallen drohte, wenn ich es nur umdrehte. Dies freute mich sehr, daß ein so altes Buch in meine Hände fiel, worin ich, sobald ich es ein wenig durchgegangen war, meine Lage in seiner Erfahrung so ausführlich und gründlich behandelt fand, als ob dies Buch aus meinem Herzen geschrieben gewesen wäre. Dies wunderte mich; denn ich dachte so: „Dieser Mann konnte nichts von dem jetzigen Zustande der Christen wissen; er muß nothwendig die Erfahrung von frühern Tagen geschrieben und ausgesprochen haben.“ Dabei handelt er auch in diesem Buche sehr ernstlich von der Entstehung dieser Versuchungen, nämlich von Anfechtungen zur Lästerung, Hoffnungslosigkeit u. dgl., und zeigt, wie sowohl das Gesetz Mosis, als auch der Teufel, Tod und Hölle die Hand dabei im Spiels hätten. Dies kam mir zwar erst sehr fremd vor; aber da ich es betrachtete und darauf Acht gab, fand ich es in der That so. Indessen will ich mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen, sondern nur sagen, daß ich dies Buch von Martin Luther über die Galater als das passendste für ein verwundetes Gewissen (die heilige Bibel ausgenommen) allen Büchern vorziehe, die ich je gesehen habe.
Nun meinte ich zu entdecken, daß ich Christum herzlich lieb hätte. O, mir däuchte, meine Seele klebte und mein Gemüth hinge an Ihm! Ich fühlte, als ob meine Liebe zu Ihm so heiß wie Feuer wäre. Aber ich erfuhr bald, daß meine große Liebe noch zu klein war, und daß ich, der ich solche brennende Liebe zu Jesu Christo zu haben glaubte, Ihn für eine Kleinigkeit noch wieder hergeben konnte. Gott weiß, wie er uns demüthigen und „den Mann vor Hoffart beschirmen kann.“ Bald nach diesem wurde meine Liebe gründlich geprüft.