Brenz, Johannes - Sonntag Reminiscere.

Brenz, Johannes - Sonntag Reminiscere.

1542.

Matth. 15, 21-28.

Und Jesus ging aus von dannen, und entwich in die Gegend Tyrus und Sidons. Und siehe, ein kanaanäisches Weib ging aus derselbigen Grenze, und schrie ihm nach, und sprach: Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten ihn, und sprachen: Lass sie doch von dir, denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber, und sprach: Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen von dem Hause Israels. Sie kam aber, und fiel vor ihm nieder, und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete, und sprach: Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme, und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr, aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen. Da antwortete Jesus, und sprach zu ihr: O Weib, dein Glaube ist groß! dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.

Wollen wir die gebührende Sorgfalt anwenden, um dieses Evangelium durchzunehmen, so werden wir finden, dass in selbigem die ganze Lehre des Christentums in den Hauptpunkten enthalten ist. Gott verlangt nämlich von einem Frommen oder einem Christenmenschen, dass er zuvörderst recht an Christum glaube; dass er zweitens den Namen des Herrn durch Christum anrufe; dass er drittens im Unglück stand halte und vom Glauben nicht abtrete; dass er endlich die Sünden abtue und Werke der Gerechtigkeit und der Liebe gegen den Nächsten übe. Oder, damit ich es bezeichnender hinstelle: Gott fordert von uns, dass wir recht glauben, das Gute recht tun und das Böse oder das Unglück recht ertragen. Das ist's in der Kürze, was im Christentum gelehrt, was auch durch Taten vollbracht werden soll. Da nun Solches im heutigen Evangelium auseinander gesetzt wird, ist dasselbe wert, dass wir es mit besonderer Sorgfalt betrachten.

Und zwar haben wir zu Anfang festgestellt, dass es einem frommen Menschen gebühre, von Christo und an Christum recht zu glauben. Die Juden erwarten auch Christum, der in den Propheten verheißen ist, allein sie denken und glauben nicht recht von Christo, als die da noch immer warten, dass er kommen solle, der doch schon längst gekommen ist, und vermeinen, er werde ein Fürst dieser Welt sein. Die Heuchler rühmen sich gleichfalls Christi, halten ihn jedoch bloß für einen Richter unserer Taten, nicht aber in der gleichen Weise für einen Versöhner, der uns mit Gott dem Vater ohne Verdienste unserer Werke aussöhnt. Auch Frevler haben Christum im Munde, gehorchen ihm aber nicht als Christo, ihrem Herrn. Das heutige Evangelium dagegen lehrt den rechten Glauben an Christum. Denn Christus hat bisher sein Evangelium gelehrt, dass er vom Vater gesandt sei, um die Sünden der Menschen zu sühnen, um Alle, die an ihn glauben, zur ewigen Seligkeit zu bewahren. Und auf dass solche Predigt bekräftigt würde, hat er außer anderen Wundern auch das hinzugetan, was an der Tochter des kananäischen Weibes geschehen ist. Diese hat er nämlich in ihrer Abwesenheit durch sein Wort vom Teufel befreit. Und so. mahnt und versichert uns dieses Wunder, dass wir an Christum also glauben müssen, dass wir ihn nicht für einen äußerlichen Herrscher der Welt, wie ihn die Juden erhoffen, nicht bloß für einen Richter, wie die Heuchler träumen, noch für einen Verächter der menschlichen Handlungen, wie Frevler denken, sondern für einen geistlichen König halten, der uns sowohl in dieser Zeit umsonst mit seinem Vater versöhnt, als auch am jüngsten Tage alle Menschen richten wird. Hierher gehört Alles, was über Christi Amt aus den Propheten wie aus den Reden Jesu Christi und der Apostel sich ergibt.

Zweitens wird erfordert, dass, wer recht an Christum glaubt, im Glauben an Christum auch den Namen des Herrn, ja auch Christum selber, der mit Gott, seinem Vater, von gleicher Majestät ist, anrufe. Dazu regt uns nämlich das Beispiel des kananäischen Weibleins an. Während sie eine Heidin gewesen war und zuvor allerlei Götter geehrt hatte, verlässt sie jetzt bei der Not ihrer Tochter all' ihre Götter und pilgert nicht nach Jerusalem, um daselbst für die Rettung ihrer Tochter Gelübde zu tun, sondern sie ruft allein Christi Hilfe an: „Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner; meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt!“ Und das ist Christo nicht bloß begegnet, dass er angerufen wurde, da er noch auf Erden lebte, sondern er ist auch von Stephanus in dessen letzter Not angerufen worden, als er nach seiner Himmelfahrt bereits zu der Rechten Gottes, seines Vaters, saß. „Herr Jesu (spricht Stephanus), nimm meinen Geist auf!“ Und den Namen des Herrn anrufen was ist's Anderes, als Jesum Christum anrufen? Was uns daher betreffen mag, allein Jesum Christum müssen wir zu Hilfe rufen, dass uns Gott der Vater um seinetwillen vergebe und uns errette. Denn wo nur immer der Vater den Sohn findet, da ist alle Huld und Barmherzigkeit; wo er ihn aber nicht findet, da ist eitel Zorn, Strenge und Verdammnis.

Außerdem wird von dem frommen Menschen erfordert, dass er nicht ob des Unglücks vom Glauben und vom Gehorsam des Glaubens abtrete, sondern ausharre und fortfahre in seiner Berufung. Du hast in dieser Hinsicht ein bemerkenswertes Beispiel am kananäischen Weibe. Dieses Weib nämlich beginnt in Gottes Berufung zu wandeln, da sie recht an Christum glaubt, und ruft ihn um die Rettung ihrer Tochter im Glauben an. Das sind fromme Werke und die Berufung des Herrn. Doch siehe, was ihr widerfährt, und dennoch lässt sie nicht ab, in der Berufung des Herrn zu bestehen. Erstlich geht Christus an ihr vorüber, kümmert sich nicht um ihr Schreien und gibt ihr überhaupt zu verstehen, dass er sie verachte. Zweitens versagt er ihr nach der Bitte seiner Jünger offenbar seine Hilfe. „Ich bin nicht gesandt (spricht er), denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel;“ d. h.: Das Weib ist eine Heidin und gehört nicht zum Volke Gottes. Daher ist sie nicht würdig, meine Wohltat zu empfangen. Zuletzt, da sie auch näher hinzukommt und ihm zu Füßen fällt, wird sie auch schimpflich abgewiesen; denn Christus spricht: „Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme, und werfe es vor die Hunde.“ Du bist ein Hund, also geht der Kinder Brot dich nichts an. Das ist wahrlich ein großes Unglück. Wie benimmt sich nun das Weib darin? Geht sie entrüstet zurück? Durchaus nicht; sondern sie fährt fort im Glauben und im Anrufen und erlangt so endlich nicht nur die Befreiung ihrer Tochter, sondern auch das größte Lob vor der ganzen Kirche.

Was diesem Weibe geschieht, das pflegt in der Regel allen Frommen bei ihrem Beten und Anrufen Gottes zu geschehen. Wir reden hier nicht von den Verächtern Gottes; denn dieselben eilen in ihrer Trübsal nicht vermittelst des Gebetes zu Gott, sondern zu Flüchen, und fangen sie bisweilen an zu beten, so kehren sie doch, wenn sie nicht sofort die nahende Hilfe spüren, zu ihrer alten Sinnesweise zurück. Von den Frommen reden wir. Beginnen sie in der Anfechtung zu beten, dann scheint ihnen Gott zu schlafen. Sie empfinden keine Hilfe, keinen Trost, keine Erhörung. Fahren sie dann fort, so pflegen in ihrem Bewusstsein mancherlei Gedanken aufzusteigen, nämlich, dass sie nicht unter die Zahl des Volkes Gottes gehören. Und wie jenes Weib Anfangs als Heidin, danach als Hund abgewiesen wird, entstehen immer größere Gedanken oder Versuchungen im Gewissen des frommen Menschen, dadurch er gereizt wird zu meinen, er gehöre nicht nur nicht zum Volke Gottes, sondern sei auch ganz und gar verworfen und verdammt als ein Hund, weil er der allervornehmste Sünder (1. Tim. 1,15) sei, der Gott niemals vollkommen gehorcht und der Berufung Gottes nie recht Folge geleistet habe. Was ist nun hier zu tun? Sollen wir Gottes Berufung aufgeben und das Gebet unterlassen? Keineswegs, sondern fortfahren müssen wir. Und hier sehen wir, wie es hoch vonnöten ist, fleißig das Wort Gottes zu lernen, auf dass wir in den härtesten Anläufen bestehen können. Denn was die Anfechtung betrifft, dass uns vorgeworfen wird, nicht vom Volke Gottes zu sein, so müssen wir unsere Taufe entgegenhalten, dadurch wir unter das Volk Gottes aufgenommen sind. Deshalb muss man den wahren Grund der Taufe lernen; denn wer denselbigen nicht erkannt hat, kann davon in Gefahr keinen Gebrauch machen. Wird uns aber vorgehalten, dass wir unserer Sünden wegen verworfen seien, dann müssen wir Christum vorbringen, der gekommen ist, um die Sünder selig zu machen. Darum müssen wir das Amt Christi fleißig lernen und erkennen.

Allein wie konnte das kananäische Weib in diesen Prüfungen seinen Glauben bewahren und stärken? Sie gehörte ja nicht zum Volke Israel, welches damals das Volk Gottes war, und war auch nicht getauft. Wie sie sich nun gestärkt habe, das drückt sie nicht undeutlich aus, indem sie sich als Hündlein erkennt und sagt, dass die Hündlein von den Brosamen ihrer Herren essen. Mit diesem Worte zeigt sie an, dass Christus auch den Heiden gehöre. Denn wie man Brei, der von den gesättigten und sich ekelnden Kindern verabscheut wird, den Hunden hinwirft: so ist Christus zu allererst zu den Israeliten gekommen, als diese ihn aber verabscheuten, den Heiden offenbart worden, wie die Propheten geweissagt hatten. Da also in den Propheten so viele Verheißungen über die Berufung der Heiden vorhanden waren, hat jenes Weib keinen eitlen, sondern durch die Eingebung des Heiligen Geistes den zuversichtlichen Glauben angenommen, dass auch die Heiden Christo angehören, ein Glaube, darin sie gleichfalls Werke der Liebe üben, die Sünden abtun und Werke der Gerechtigkeit vollbringen. Daran werden wir durch das Beispiel des Weibes und ihrer Tochter gemahnt. Das Weib nimmt die Trübsale ihrer Tochter nicht anders hin, als würde sie selber damit heimgesucht. Das ist ein Werk der Liebe; denn die wahrhaftige Liebe liebt den Nächsten wie sich selbst. Es ist ja, sagst du, ihre Tochter gewesen, und deswegen hat sie die Mutter so sehr geliebt. Dagegen höre indessen, dass unter dem Namen des Nächsten nicht bloß ein Kind, sondern auch ein Fremder, so Freund wie Feind, in Betracht kommt.

Hier aber sehen wir in der Tat, wie lau, ja vielmehr, wie kalt wir in unserer Liebe sind. Eigene Leiden berühren uns aufs Heftigste, fremde machen uns auch nicht die geringste Sorge. Gott aber heischt auf das Strengste wahrhaftige Liebe von uns, und können wir sie gleich nicht durchaus vollkommen leisten, so will er doch, dass wir derselben nicht fremd seien; denn wo der Glaube ist, da ist auch die ihm eigene Glut der Liebe.

Und die Beispiele der Heiligen bezeugen, dass der Heilige Geist in den Menschen die rechte Liebe wirkt, wie du an Mose, an David und an Paulus siehst. Deshalb müssen wir uns überhaupt der Liebe befleißigen. Solches Beispiel erinnert desgleichen alle Familienväter und Obrigkeiten, welche Sorge sie tragen müssen für die Wohlfahrt der Ihrigen. Obschon nämlich nicht Alle, seien es Kinder oder Angehörige, von einem solchen Teufel besessen sind, wie der in der Tochter der Kanaaniterin gewesen ist: so müssen wir doch, weil alle Menschen Sünder sind, denken, ein Jeglicher unter den Menschen habe seinen Teufel. Ein gewaltiger Teufel ist die Sünde, und derselbige stellt vornehmlich den Knaben und den Jünglingen nach. Daher müssen wir sie vor Allem in unseren Gebeten Gott weihen. Dazu müssen wir auf Unterweisung und Zucht Mühe verwenden, auf dass sie vor den Teufeln, d. i. den Sünden, sich hüten. Nun gemahnt aber auch die Tochter einen Jeden an seine Pflicht. So lange sie noch vom Teufel besessen war, konnte sie nicht recht handeln; nachdem sie aber befreit worden war, tut sie, was ihres Amtes ist. Also können die Menschen nicht recht handeln, es sei denn, dass sie zuvor die Vergebung ihrer Sünden durch Christum erlangt haben, denn das heißt wahrhaftig von dem Teufel befreit werden. Sobald wir aber durch Christum in der Vergebung der Sünden gerechtfertigt sind, dann werden wir auch im Dienste der Gerechtigkeit recht wandeln dürfen. So lasst uns denn Christo, lasst uns dem Evangelio Christi gehorchen, damit wir das wahre Heil erwerben durch ihn, der samt dem Vater und dem Heiligen Geiste Gott ist, hochgelobt in alle Ewigkeit. Amen.

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