Brenz, Johannes - Sonntag Invocavit.
Matth. 4, 1-11.
Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf dass er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm, und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Und er antwortete, und sprach: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein; sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt, und stellte ihn auf die Zinne des Tempels, und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt. Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen. Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg, und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit; und sprach zu ihm: Dies Alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Hebe dich weg von mir, Satan! denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen. Da verließ ihn der Teufel; und siehe, da traten die Engel zu ihm, und dienten ihm.
Drei gar schwere Versuchungen werden im heutigen Evangelio aufgezählt, welchen Christus, unser Herr, in der Wüste unterworfen worden ist; und weil er sie unsertwegen auf sich genommen hat, müssen wir fleißig darauf achten. So lasst uns denn sehen, welchen Nutzen die Versuchungen Christi uns bringen.
Nachdem Christus getauft war und vom Himmel herab das Zeugnis des Vaters und des Heiligen Geistes empfangen hatte, dass er Gottes Sohn und der wahrhaftige Messias sei, also dass es weder im Himmel, noch auf Erden eine größere Würde geben kann, da ward er (schreibt Matthäus) „vom Geiste, nämlich vom heiligen, in die Wüste geführt, auf dass er von dem Teufel versucht würde.“ Wir werden also hier gleich zu Anfang erinnert, so lange wir im Glücke sind, unsere Seele zur Aufnahme des Unglücks vorzubereiten. Ist's doch nicht das Ende des Unglücks in dieser Welt, wenn uns irgend ein Glück strahlt, sondern es ist der Anfang zur Ertragung des Unglücks in der Welt, und, je größer das gegenwärtige Glück ist, desto größeres Unglück ist vor der Tür. Davon gibt uns Christus im heutigen Evangelio ein offenbares Beispiel. Kurz zuvor hatte er das Zeugnis vom Himmel empfangen, dass er Gottes Sohn und der wahrhaftige Messias sei, von den Propheten verheißen, und sollte von der Zeit an unter den Menschen predigen. Das ist eine Majestät, das ist ein Glück, wie keinem Menschen jemals ein größeres zu Teil geworden ist. Was geschieht denn nun? Ist es etwa das Ende des Unglücks Christi in dieser Welt? Nicht im Allermindesten, sondern es ist der Anfang seines Unglücks; denn alsobald wird er den schwersten Anfechtungen in der Wüste unterworfen. Wir aber wollen nicht besser sein als unser Herr Christus; der Knecht ist nicht größer, denn sein Herr. Wird uns daher irgend ein Glück zu Teil, so lasst uns denken, es bringe sein Unglück mit sich, und unsere Seelen vorbereiten, um dasselbige im Glauben und in der Geduld aufzunehmen.
Ferner, dass der Satan Christum versucht hat, ist nicht so zu verstehen, als hätte er einige Gewalt gehabt wider Christum; denn Christus ist der wahre Sohn Gottes und hat durchaus keine Sünde. So hat ja der Satan kein Recht wider ihn, sondern Christus ist vom Geiste in die Wüste geführt worden, d. i.: der Heilige Geist hat es ihm geheißen, sich um unsertwillen der Gewalt des Satans preiszugeben und dessen Versuchungen auf sich zu nehmen. Denn Christus ist in diese Welt gesandt worden, auf dass er die Strafen der Sünde übernähme und sühnte unsere Sünde. Zu den Strafen der Sünde gehört aber auch das, dass wir den mancherlei Anfechtungen des Satans unterworfen sind, der unsere Seele mit seinen feurigen Pfeilen zu verwunden pflegt. Bald flößt er uns Zweifel über Gott ein, bald über Gottes Verheißungen, bald über unser leibliches wie geistliches Heil. Zuweilen reizt er uns, Sünden zu tun und völlig von Gott abzufallen. Kurz, in keinem Augenblicke unserer Zeit lässt der Satan ab uns zu bekämpfen, und diese Strafe haben wir durch unsere Sünde verdient. Wie sich also Christus bei seinem Leiden als ein bloßer Mensch darstellt und so lange seiner göttlichen Gewalt und Majestät sich entäußert hat, um mancherlei Trübsale zur Sühne unserer Sünden auf sich nehmen zu können: so gibt er sich auch hier dem Satan zur Versuchung als bloßer Mensch preis, mit jeweiliger Entäußerung der Majestät des Sohnes Gottes, um für die Anfechtungen des Satans zugänglich sein zu können und für uns den Sieg davon zu tragen.
Wir wollen nun von der ersten Versuchung reden. Nachdem Christus vierzig Tage und Nächte in der Wüste gewesen und durch göttliche Macht wunderbar vor dem Untergange bewahrt geblieben war, hungerte ihn danach. Hier also ergreift der Satan die Gelegenheit in Betreff des Hungers, tritt zu Jesu und sagt: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Die Meinung bei dieser Versuchung ist folgende: Es bedünkt dich, kurz zuvor in der Taufe ein Zeugnis empfangen zu haben, dass du der wahre Sohn Gottes und der Messias bist, und in diesen vierzig Tagen und Nächten glaubst du durch göttliche Macht wunderbar erhalten zu sein; nun aber siehst du in der Tat, dass jenes Alles wahre Possen sind. Denn ist's wahr, dass du Gottes Sohn bist, so beweise es jetzt in deiner Hungersnot; sprich, dass diese Steine Brot werden. Du kannst aber Solches nicht vollbringen, und deshalb ist's nicht wahr, dass du Gottes Sohn bist. Das ist ein feuriger Pfeil des Satans, und er hat die ganze Seele Christi durchbohrt. Es sind dergleichen Gedanken gar beschwerlich und bringen größeren Schmerz als leibliche Krankheiten. Und Christus ist davon so ermattet, dass Engel nachher ihm dienen müssen. Es sind Strafen der Sünde; Christus aber ist ohne alle Sünde gewesen. Darum hat er die so schweren Gedanken für uns getragen, um uns den Sieg zu bereiten. Denn da wir in Sünden empfangen und geboren sind, beherrscht der Satan auch uns und erregt in uns, zumal wenn wir niedergebeugt werden, dergleichen Gedanken: Was? Dir wird das Erbe des Himmelreiches verheißen, du sollst zu einem Kinde Gottes angenommen sein, deine Gebete sollen erhört werden vor Gott, und dir wird unbedingt geboten zu glauben, dass du einen gnädigen Gott hast? Allein das Alles ist ganz eitel. Denn achtete Gott auf dich, wärest du zu einem Kinde Gottes angenommen, wäre Gott dir gnädig, so könnte er dich retten. Was bleibt also übrig, als dass du mit jenen eitlen Verheißungen des Evangeliums völlig betrogen bist? Das sind feurige Pfeile des Satans, die um der Sünden willen uns auch verwunden. Und es ist unmöglich, dass sie nicht einen Menschen, der in Christo noch nicht wiedergeboren ist, zu seinem ewigen Verderben verletzen sollten. Jedoch Christum allein haben sie nicht verletzen können, weil er ohne Sünde ist, und deswegen hat er solche Versuchung überwunden und zurückgeschlagen, dass sie ihn nicht verletzen konnte.
Lasst uns nun sehen, wie er dieselbe abgewiesen hat. Er führt die Schrift an, hält dem Satan Gottes Wort entgegen, welches das Schwert des Geistes ist, und spricht: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.“ Ich brauche nicht aus Steinen Brot zu machen, weil Gott den Menschen nicht erhält in dem Berufe allein, worin Brot bereitet werden kann, sondern in jedwedem Berufe, dazu er selbst durch sein Wort beruft. Nun bin ich aber in diese Wüste gegangen nicht in eigener Verwegenheit, sondern unter Gottes Berufung und Führung des Heiligen Geistes. So ist's denn gewiss, der Herr wird mich erhalten, auf welche Weise das auch immerhin geschehen mag. Da hast du den Sieg Christi durch Gottes Wort, aber Solches ist zu unserem Heile getan und geschrieben. Denn wollen wir in diesen Anfechtungen bestehen und nicht verderben, so sind uns zwei Stücke vonnöten: das eine ist Christus selber, das andere ist die Schrift, die ein Werkzeug des Heiligen Geistes ist. Erstlich also müssen wir an Christum glauben, dass er den Satan überwunden, für uns den Sieg davongetragen und uns mit Gott dem Vater versöhnt hat. Danach müssen wir die Verheißungen und Gebote der Schrift vorbringen, deren wir als eines Schwertes gebrauchen sollen. Denn gleichwie der, welcher mit einem äußeren Feinde kämpfen will, zuerst mit leiblicher Stärke begabt und sodann mit einem Schwerte gewappnet sein muss, hat er nämlich keine leibliche Stärke, so kann er sich des Schwertes nicht füglich bedienen, so müssen wir im geistlichen Kampfe vor Allem in Christo wiedergeboren sein und Stärke von ihm haben, danach aber das Schwert des Wortes Gottes gebrauchen, welches dann wirksam ist, wann wir durch den Glauben Christum angezogen haben. Dieses Schwert frommt keinem ungläubigen Heiden, keinem gottlosen Juden, keinem grausamen Türken; da sie ohne Christum sind, so sind sie ja auch zu schwach, als dass sie dies Schwert führen könnten. Doch du sprichst: Was? Lässt denn Gott nach dem Worte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Worte, das durch den Mund Gottes geht,“ Niemanden durch Hunger umkommen, der in seiner Berufung wandelt? Was sind denn so Viele durch Hunger umgekommen bei der babylonischen Verwüstung der Stadt Jerusalem? Ist denn unter ihnen nicht irgend ein Frommer gewesen? Es ist allerdings wahrscheinlich, dass es viele Fromme unter ihnen gegeben hat, dem Worte des Jeremias zufolge, die zwar durch Hunger umgekommen und dennoch nicht verdorben sind. Sie sind leiblicher Weise umgekommen, nicht dem Geiste nach verdorben, sondern zur ewigen Seligkeit erhalten worden. Denn hier ist zu merken, dass wir uns in dergleichen Versuchungen verhalten sollen, wie sich die drei Knaben bei Daniel (Kap. 3) verhalten haben. Diese wollten das Bild des Königs nicht anbeten; da dräuet er ihnen mit dem Feuerofen, sie aber antworten: „Siehe, unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten aus dem glühenden Ofen, dazu auch von deiner Hand erretten. Und wo er's nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, dass wir deine Götter nicht ehren, noch das güldene Bild, das du hast setzen lassen, anbeten wollen“ (Dan. 3,17.18). So ist auch, wenn Jemand durch Hungersnot oder irgend eine andere Trübsal heimgesucht wird, dieses Wort hervorzuholen: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Worte, das durch den Mund Gottes geht.“ Und das ist so zu deuten: Gott kann mich auch ohne Brot in diesem leiblichen Leben wunderbar erhalten; will er mich aber nicht erhalten im leiblichen Leben, so will ich doch nicht abtreten von seiner Berufung, weil ich weiß, dass er mich zum ewigen Leben erhalten wird. Gewiss, diese Zuversicht gefällt Gott.
Doch nun lasst uns die zweite Versuchung ansehen. Satan, einmal abgewiesen, greift Christum abermals an, und weil er Christum die Schrift gebrauchen sieht, gebraucht er sie ebenfalls, stellt ihn auf die Zinne des Tempels und spricht zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ Christus aber weist ihn wiederum zurück durch den rechten Brauch der Schrift. Satan hatte sie ja missbraucht. Denn Gott hat verheißen, uns durch die Engel beizustehen, so jedoch, dass wir ihn nicht versucht, sondern in seiner Berufung gewandelt haben. Es ist aber nicht Gottes Berufung, dass ich mich vom Tempel hinabstürze. Hier werden wir zur fleißigsten Erforschung des Wortes Gottes ermuntert. Satan ist der gelehrteste Streiter, kennt die Schrift und weiß sie zu verdrehen. So erfordert denn die Not, dass wir uns stets der Schrift befleißigen, um uns zum Kampfe mit dem Satan zu rüsten. Kinder zwar und die, welche überhaupt töricht sind, welche die Heilige Schrift nicht begreifen können, sie werden vom Herrn wunderbar errettet; Andere aber, die lernen können und Gottes Wort doch nicht mit großer Sorgfalt lernen, die versuchen Gott in der Tat und pflegen, wenn sie in den Streit kommen, in der Regel zu unterliegen. Wenn ein Kriegsmann in Dienst träte und dazu die Führung der Waffen nicht lernte: wäre er nicht untauglich zum Kampfe? So gleichen auch solche kalte Christen, welche das Forschen im Worte Gottes verabsäumen, den Eulen, die bei Nacht sehen, bei Tage Nichts sehen; so sind Jene schlau und erfahren in der Finsternis der Geschäfte dieser Welt, allein im Lichte des Evangeliums sind sie blinder als ein Maulwurf. Deshalb darf die Erforschung des Wortes Gottes niemals ausgesetzt werden.
Die dritte Versuchung. Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg, und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, und sprach zu ihm: „Dies Alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.“ Diese Worte haben folgenden Sinn: Du hast dir vorgenommen, in dieser Welt verworfen zu sein, und beschlossen, mancherlei Leiden auf dich zu nehmen (denn das war der Beruf Christi); allein ich rate dir, es nicht zu tun; folge vielmehr meinem Rate, und übernimm die Herrschaft dieser Welt; dann werden dir alle Reiche untertan sein. Doch Christus weist auch diese Versuchung zurück und spricht: „Hebe dich weg von mir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen.“ D. h.: Du musst allein der Berufung Gottes folgen. Auf eben diese Art werden auch wir versucht. Hast du deinen Nächsten betrogen, so wirst du großes Gut gewinnen. Zu Kain sprach der Satan: Hast du deinen Bruder getötet, so wirst du der Herr der Erde sein. Solcher Versuchung begegnet man: erstlich durch den Glauben an Christum, dass Gott um seinetwillen uns gnädig sei; danach durch Erwägung der göttlichen Berufung und Vorschrift. Denn nur der Gehorsam gegen Gott kann ewig selig sein; ob auch der Ungehorsam eine Zeit lang glücklich ist, so ist doch solches Glück nicht von Dauer. So müssen wir denn lernen, die Verheißungen Gottes, lernen Gottes Gebot, um, gehorsam in dergleichen Anfechtungen, zu bleiben in der Berufung Gottes durch Jesum Christum, unseren Herrn, welchem samt dem Vater und dem Heiligen Geiste sei Lob und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen.