Brenz, Johannes - Erster Advents-Sonntag.
1538.
Matth. 21,1-9.
Da sie nun nahe bei Jerusalem kamen gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zween, und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihr; löst sie auf, und führt sie zu mir. Und so euch Jemand etwas wird sagen, so sprechet: Der Herr bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig, und reitet auf einem Esel, und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin, und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte; und brachten die Eselin und das Füllen, und legten ihre Kleider darauf, und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die Andern hieben Zweige von den Bäumen, und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohne Davids! gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Unsere Altvordern, welche die kirchlichen Ordnungen festgestellt, haben das ganze Jahr in bestimmte Zeiten und Festtage eingeteilt. Das haben sie jedoch nicht getan, um abergläubisch auf Tage und Monate zu achten, sondern um bei der Unterweisung in der Religion eine gewisse Ordnung zu bewahren, damit das, was zu wissen not ist, an bestimmten Tagen und Festen gelehrt würde. Was nämlich also gelehrt wird, dass es durch bestimmte Tage, gleichsam durch Merkmale, erläutert wird, das prägt sich viel treuer und fester dem Gedächtnis ein, als dasjenige, was einfach ohne irgend ein besonderes und wahrnehmbares Merkmal dargelegt wird. Bei dieser Einteilung nun haben sie, wie vor Ostern das sogenannte vierzigtägige Fasten eingesetzt ist, so vor dem Tag der Geburt Christi vier Wochen verordnet, welche man die Zeit der Zukunft Christi genannt hat. Und es lässt sich nicht leugnen, dass Heuchler diese Zeiteinteilung zum Aberglauben missbraucht haben, indem sie nämlich wähnten, durch das Fasten in diesen Zeiten die Vergebung der Sünden zu verdienen, zu würdiger Aufnahme des zukünftigen Christus. Allein diejenigen, welche zuerst die Adventszeit angeordnet haben, hatten etwas ganz Anderes im Sinne.
Anfangs nämlich, als Christi Kirche durch die Predigt des Evangeliums neu gepflanzt ward, da wurde den Christen sowohl von Juden als von Heiden vorgeworfen, dass sie einer ganz neu entstandenen und, von wer weiß wem, ersonnenen Religion anhingen, und man nannte die christliche Religion einen neuen und schädlichen Aberglauben. Man war nämlich der Ansicht, als wäre unsere Religion erst dann entstanden, als Christus zu Bethlehem geboren war und in Judäa sein Evangelium gepredigt hatte. Es gab auch Andere, die da meinten, Christus würde nicht zum Gerichte wiederkehren, weil er seine Wiederkehr in der Zukunft in eine seiner Himmelfahrt so fernliegende Zeit verschöbe; man meinte, die Auferstehung sei bereits geschehen, wie Paulus im Briefe an die Korinther angibt (1. Kor. 15,12 ff.; vgl. 2. Tim. 2,18). Deshalb haben unsere Altvordern vier Wochen vor den Tagen der Geburt Christi festgestellt, damit in diesen Tagen die Kirche über das Alter unserer Religion belehrt würde: dass Christus nicht von Ohngefähr gekommen, sondern zuvor längst verheißen gewesen sei; dass unsere Religion nicht dann erst begonnen habe, als Christus zu Bethlehem geboren ward, sondern bereits vom Anbeginn des Erdkreises an dagewesen sei; dass Christus, wie er zuerst in Niedrigkeit gekommen ist, so zuletzt kommen werde in Herrlichkeit und Majestät, um zu richten die Lebendigen und die Toten. Damit dieses, sag' ich, gelehrt und fortwährend alltäglich wiederholt würde, ist die Adventszeit angeordnet worden. Wo es indessen etliche Fromme gab, die haben sich auch in diesen Tagen mehr als die anderen der Nüchternheit befleißigt, nicht, um ihre Sünden durch das Verdienst des Fastens zu sühnen, sondern um nüchtern die so notwendige Lehre besser aufzufassen und zu bewahren. Da nun zu dieser Frist nicht minder als in den Zeiten der ursprünglichen Kirche die Predigt des Evangeliums der Neuheit angeklagt wird, und da außerdem so viele entgegengesetzte und feindselige Meinungen über unsere Religion geäußert werden, wohlan meine Teuersten, lasst auch uns von dieser Adventszeit Veranlassung nehmen,
von der Beschaffenheit unserer Religion
zu reden. Und zwar wollen wir zuerst zeigen, welches jene wahre Religion sei, oder der Glaube, worüber jetzt Vornehm und Gering unter einander streiten, wodurch wir gerechtfertigt und erlöst werden. Danach werden wir in der Kürze zeigen, dieser Glaube sei nicht erst neuerdings ersonnen, habe auch nicht erst angefangen mit der Zeit, als Christus Mensch geworden ist, sondern er sei die älteste von allen Religionen.
Ist also anfangs die Rede gewesen von dem wahren Glauben, durch den wir gerechtfertigt und erlöst werden, so darf man das nicht von der Beobachtung der äußeren kirchlichen Gebräuche verstehen: haben doch die Päpstler und Mönche ihre Gebräuche, und die Einen diese, die Anderen jene Gebräuche. So haben auch die Türken ihre kirchlichen Einrichtungen; so haben vor Zeiten die Juden und die Erzväter ihre Gottesdienste und Gebräuche gehabt. Allein auch die Heiden haben in ihren Versammlungen auf äußere Gebräuche und auf Gottesdienste gehalten. Nichts aber von all' diesen Dingen ist eigentlich der Glaube, nach welchem diejenigen fragen, die in Wahrheit gerechtfertigt und erlöst zu werden begehren. Wohl haben die gesetzmäßigen Kirchengebräuche und die heiligen Sakramente ihren Nutzen, wie wir nachher angeben werden, und sind dennoch eigentlich nicht jener rechtfertigende Glaube. Ferner ist jene Erkenntnis des Guten und des Bösen, welche teils bei den Heiden vorhanden war, teils aus den zehn Geboten herrührt, eigentlich nicht der Glaube, von dem wir jetzt reden. Denn bestünde der wahre Glaube darin, so. hätte es auf Erden nicht so viele Streitigkeiten über den Glauben gegeben; überall nämlich hat man erkannt, es gebe einen Gott; es sei böse, einen Menschen zu töten, dagegen gut, demselben wohlzutun, und Anderes dergleichen. Dazu nennen wir hier Glauben eigentlich auch nicht jene Erkenntnis, dadurch wir wissen, es gebe außer dieser äußerlichen Welt noch eine andere, wo die Bösen bestraft, die Guten belohnt werden. Denn bestünde der wahre Glaube darin, so hätten sich längst schon Juden und Heiden, Türken und Christen vereinigt, die ja allesamt anerkennen und bekennen, es gebe noch eine andere Welt außer dieser sichtbaren. Dass nicht jeder Einzelne für sich dieses bekennt, dadurch ist der öffentlichen Volksmeinung Nichts benommen.
Ist daher weder die Beobachtung des kirchlichen Brauches, noch die Erkenntnis des Guten und des Bösen, noch die Erkenntnis der anderen Welt jener wahre Glaube, von dem wir jetzt reden: - was ist denn nun? Das fürwahr ist der Fall, dass er das Mittel und der Weg ist, mit Gott so versöhnt zu werden, dass er uns für Gerechte gelten lässt und uns ewiges Heil gewährt. Erkennen wir nämlich auch an, dass es einen Gott gebe, und was gut sei, und dass eine zukünftige Welt da sei, wo die Bösen bestraft und die Guten selig werden: so erschrecken wir dennoch mehr, als wir Trost empfangen, wenn wir ferner erkennen, dass dieser Gott uns zürne, dass wir nicht vollkommen das Gute tun und die Strafe der zukünftigen Welt verdient haben. Hier also handelt es sich um den Weg und die Art, wie Gott mit uns versöhnt werde, dass er uns für gerecht gelten lässt und uns die ewige Glückseligkeit schenkt. Hier entstehen nun in Wahrheit jene Streitigkeiten in Betreff des Glaubens oder der Religion; denn ein Volk hat diesen, ein anderes jenen Weg, Gott zu versöhnen und Glückseligkeit zu erlangen. Der Heide hat seine sittlichen Vorzüge. Der Jude hat seine Beschneidung und die Opfer. Der Heuchler unter den Christen hat seine Messen und Wallfahrten, und in dieser Beziehung gibt es fast so viel Sinne als Köpfe von Heuchlern und Abergläubischen und Gottlosen. Wie diese jedoch immerhin denken mögen, gibt es dennoch keinen anderen Weg, keine Art, kein Mittel, Gottes Huld zu erlangen und seine Glückseligkeit, als zu glauben, dass Jesus Christus, der Same Abrahams und Davids, der wahrhaftige Sohn Gottes, unsere Sünden gesühnt und seinen Vater im Himmel mit uns versöhnt hat. Das ist der Glaube, von dem eigentlich die Rede ist, wenn wir von der Religion handeln, und um des willen immer so viele Streitigkeiten auf Erden entstanden sind. Da sich dieses also verhält, ist uns noch übrig, zu zeigen, wie alt diese Religion sei. Sie hat nämlich nicht erst in dieser unserer Zeit angefangen, weil sie durch die Apostel auf dem ganzen Erdenkreise verbreitet worden ist; auch nicht dann erst, als Christus in die Welt geboren ward. Christus zwar ist damals Mensch geworden, allein diese Religion hat im Paradiese begonnen. Denn als Adam gesündigt hatte und bereits nicht nur das Urteil des leiblichen Todes, sondern auch des ewigen Todes und der Verdammnis empfand: da hört er Gott die Religion des Christentums verkündigen und Christum den Heiland verheißen; denn zur Schlange, d. i. zum Teufel, wird gesagt: „Der Weibessame soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen“ (1. Mose, 3.15). Das sind gar wenige Worte, aber in diesen wenigen wird nicht nur der Inbegriff der wahren Religion zusammengefasst, sondern auch geweissagt, wie viel Widerspruch und Ungemach die wahre Religion in der Welt erfahren werde. Der Weibessame nun ist Christus: die Schlange ist des Satans Gewalt und Majestät; Sünde, Bekümmernis, Tod und Hölle sind offenbar die Majestät des Satans. Zertreten aber bedeutet, wenn man es nach der hebräischen Redeweise auslegt, mit Gift anhauchen, tränken und verderben. Daher verkündigt Gott im Paradiese von der wahren Religion, dass Christus als Mensch solle geboren werden, der an und für sich zwar nur ein Heilmittel aller Übel, wider den Satan jedoch ein tödliches Gift sei, also dass er dessen Haupt vergifte, genug tue für die Sünden, Bekümmernis und Tod in die Tür zur Glückseligkeit und zum Leben verwandle und die Toten dem Verderben entnehme. Denn so legt Hosea (13,14.) diese Verheißung aus: „Ich will dein Tod sein, o Tod: ich will dein Biss sein, o Hölle1).“ Und das eben tut Christus an dem Kopfe der Schlange. Was aber tut die Schlange dagegen an Christo? Das folgt: „Du wirst ihn in die Ferse stechen.“ Dieses Stechen hinwiederum ist dasselbe, wie: mit Gift anhauchen und tränken. Christi Ferse aber ist, was nur auf Erden Christo äußerlich angehört: z. B. die äußerliche Predigt von Christo, ferner alle Menschen, welche der Predigt von Christo glauben; ferner wird Christi Menschheit selber, so lange sie auf Erden lebt, die Ferse Christi genannt. Wider diese nun kämpft Satan immer und tränkt sie immer mit seinem Gifte. Wo das Evangelium von Christo verkündigt wird, da erregt er Sekten oder Verfolgungen oder weltliche Verachtung; wo Fromme leben, da sendet er ihnen alles Unheil. Und als Christus hienieden lebte, was für Übel hat er ihm da nicht angetan? Er hat wider ihn die Pharisäer gereizt, die ihn dem Tode überantwortet haben. Das heißt in Wahrheit Christi Ferse stechen oder mit Gift anhauchen. Das ist Christi und des Satans fortwährender Krieg auf dem Erdkreise, bis zum Jüngsten Tag, dass der Weibessame der Schlange den Kopf zertritt und die Schlange dagegen den Weibessamen in die Ferse sticht. Da hast du die erste Predigt von der christlichen Religion und ersiehst daraus, dass unsere Religion bei Weitem die allerälteste und im Paradiese gestiftet ist.
Diese Religion ist nicht mit Adam untergegangen, sondern fortgepflanzt worden unter den Erzvätern. Denn Abel hat von den Erstlingen seiner Herde geopfert; so haben auch die übrigen Erzväter Opfer gebracht, die gewiss nichts Anderes gewesen sind als Zeugnisse der christlichen Religion und Predigten von Christo: dass er kommen und mit seinem Opfer unsere Sünden sühnen, oder den Kopf der Schlange mit Gift tränken würde. Und so ist die christliche Religion bis auf Noah gekommen, unter welchem die Sündflut geschah; denn auch Noah ist ein Christ gewesen und hat, als er aus der Arche hervorgegangen war, Opfer dargebracht, welche Predigten von dem Opfer Christi gewesen sind. Von Noah haben danach seine drei Söhne die christliche Religion gelernt, und als sich ihre Nachkommen über den ganzen Erdkreis zerstreuten, da ist auch mit ihnen zum Teil das Christentum ausgebreitet worden. Denn obwohl der größte Teil der Völker, welche von Noah abstammten, in Götzendienst versank, haben sie dennoch gewisse Spuren des Christentums beibehalten. Sie haben nämlich geopfert. Auch haben viele Völker öffentliche Übel mit dem Tod eines Menschen gesühnt, und obgleich das eine gottlose Tat ist, zeigt es dennoch, dass die Vorfahren solcher Völker gepredigt haben von Christo, dem Menschen, der durch sein Opfer und seinen Tod Gottes Zorn sühnen sollte. Ferner haben die Römer, um gewisse Strafen zu sühnen, in feierlicher Weise einen Nagel eingeschlagen. Und kann das auch vielleicht von einem zufälligen Aberglauben hergerührt haben, so mahnt es doch auch uns, zu bedenken, es sei von unseren Vorfahren ausgesprochen, dass Einer kommen würde und mit Nägeln angeheftet den Zorn Gottes sühnen, und dass Spätere davon Veranlassung genommen haben, das Einschlagen von Nägeln für eine Sühnung des göttlichen Zornes zu halten.
Um euch aber nicht länger als recht ist, hinzuhalten, lasst uns Christum, den Sohn Gottes, selbst hören, wie er vom Alter unserer wahren Religion predigt. Er selbst ja zeugt (Joh. 8,56.), dass unsere Religion von Anfang an schon vorhanden gewesen sei, indem er spricht: „Abraham, euer Vater, ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich.“ Auch Paulus zeugt, dass die Väter solche Religion mit uns gemein gehabt haben; denn er spricht (Röm. 1,1.2.) also: „Das Evangelium Gottes, welches er zuvor verheißen hat durch seine Propheten.“ Und Petrus (1. Petri 1,10): „Nach welcher Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der zukünftigen Gnade auf euch geweissagt haben.“ Da hast du Christi und der vornehmsten Apostel Zeugnisse, dass der Glaube an Christum die älteste aller Religionen ist, und nicht erst zu der Zeit entstanden, als Christus zu Bethlehem geboren ward; dass längst zuvor der Glaube an Christum vorhanden, und dass unser Glaube der der Patriarchen und aller Frommen von Anbeginn der Welt an einer und derselbe ist.
Wie nun? - sprichst du. Abraham hat die Beschneidung und die Opfer gehabt, wovon wir Nichts haben; und wir haben die Taufe und das Mahl des Herrn, was Abraham nicht gehabt hat, wie ist es also derselbe Glaube? Antwort: oben ist gesagt, dass die Sakramente und die kirchlichen Gebräuche nicht der Glaube selber sind. Abraham und die übrigen Erzväter haben zwar andere Sakramente, nicht aber einen anderen Glauben gehabt. Und Gott hat nach Maßgabe der Zeit, des Ortes und der Personen zwar die Sakramente, nicht aber den Glauben geändert. Die Sakramente nämlich sind die Mägde des Glaubens, der Glaube ist die Herrin; die Majestät der Herrin bleibt, der Dienst der Mägde ändert sich. Die Sakramente sind die Werkzeuge, durch die wir unseren Glauben stärken. Da also dieser Glaube an Christum der älteste ist, so lasst uns ihn lernen und festhalten in Christo Jesu, unserem Herrn, welcher Gott ist, hochgepriesen in Ewigkeit. Amen.