Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 14. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 14. Sonntag nach Trinitatis.

Luk. 17, 11-19.
Und es begab sich, da er reiste gen Jerusalem, zog er mitten durch Samaria und Galiläa. Und als er in einen Markt kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von ferne, und erhoben ihre Stimme, und sprachen: Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin, und zeigt euch den Priestern. Und es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um, und pries Gott mit lauter Stimme, und fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen, und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete, und sprach: Sind ihrer nicht Zehn rein geworden? Wo sind aber die Neune? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, und gebe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling? Und er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.

Es ist sehr nützlich und dieser Versammlung würdig, dass wir die Auslegung des heutigen Evangeliums anhören. Denn obwohl die Aussätzigen sonst von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen zu sein pflegen, damit die Gesunden nicht von denselben angesteckt werden, so bringt das heutige Evangelium dennoch solche Aussätzige in unsere Mitte, bei denen wir so wenig die Gefahr der Ansteckung zu befürchten brauchen, dass sie uns vielmehr den Weg lehren, auf dem wir nicht nur die wahre Reinheit und Gesundheit der Seele erlangen, sondern auch bewahren können. Darum soll uns die Mühe nicht verdrießen, mit der wir zusammengekommen sind, um die Auslegung dieses Evangeliums anzuhören. Es ist aber offenbar, dass die Heuchler bisher dieses Evangelium missbraucht haben, um jene papistische Ohrenbeichte damit zu bekräftigen, dass Christus zu den Aussätzigen spricht: „Geht hin, und zeigt euch den Priestern.“ Und es ist noch erträglich, dass sie gelehrt haben: der Aussatz bedeute die Sünde; denn beides hat viel Verwandtschaft unter einander, das aber ist albern, dass sie erklärt haben: zeigen heiße all' seine Sünden einzeln aufzählen. Denn Christus hat die Aussätzigen nicht zu den Priestern geschickt als zu ihren Beichtvätern, sondern als zu den ordnungsmäßigen Beurteilern des äußerlichen Aussatzes, wie 3. Mose 13 und 14 geschrieben steht.

Also handelt sich's hier durchaus nicht um jene Ohrenbeichte, sondern die Heilige Schrift bietet uns an jenen zehn Aussätzigen das schönste Beispiel dar, woran wir den wahren Weg nicht nur zur Erlangung, sondern auch zur Bewahrung der ewigen Reinheit, Heiligkeit und Seligkeit lernen sollen. Keine geringere Tugend als zu erwerben ist's, das Erworbene zu bewahren.

Lasst uns nun

von dem Beispiele der Aussätzigen hören;

diese sind nämlich mit einer so scheußlichen Krankheit behaftet, dass die, welche daran leiden, von allem menschlichen Umgange ausgeschlossen sind; sie werden auch durch diese Krankheit an einzelnen Teilen ihres Körpers so abgestumpft, dass sie es nicht fühlen, wenn man sie mit einer Nadel oder einem Pfriemen sticht. Wie diese Aussätzigen aber an ihrem Leibe sind, so sind vor Gott alle Menschen an ihrer Seele. Denn die Menschen sind durch die Sünde so befleckt und besudelt, dass sie, wie die leiblich Aussätzigen vom Umgange mit den Erdenbürgern ausgeschlossen sind, so der Sünde wegen vom Umgange mit den Himmelsbürgern ausgeschlossen werden. Und Jene zwar, obwohl mit Nadeln gestochen, fühlen Nichts; so sind diese, obschon äußerlich vom Worte Gottes getroffen, das schärfer ist, als jedes zweischneidige Schwert, dennoch so abgestumpft, dass sie Nichts fühlen, Nichts verstehen wollen. Das ist die schwerste Krankheit und, wer nicht davon befreit wird, der wird in die ewigen Flammen der Hölle versinken. Wie können wir also frei werden? Das lehrt uns das Beispiel der zehn Aussätzigen.

Fürs Erste erkennen diese Aussätzigen ihre schwere, scheußliche Krankheit, und halten sich für unwürdig, näher zu Christo zu treten; aber weil sie das Evangelium von Christo gehört haben, sein Wort: „Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“ glauben sie durch ihn gesund werden zu können, und rufen ihm in diesem Glauben zu: „Meister, erbarme dich unser!“ Was geschieht nun? Sie erhalten Befehl, zu den Priestern zu gehen, um sich für rein erklären zu lassen, und obschon sie unterwegs gesund werden, so empfinden sie doch, als sie zu den Priestern ihres Urteils wegen gehen sollen, ihre Genesung noch nicht. Dieses Wunder hat Christus nicht nur um jene zehn Aussätzigen getan, sondern der ganzen Kirche wegen. Denn er wollte durch dieses und alle andern Wunder bezeugen, dass er allein unsere Gerechtigkeit, unser Heil und unsere Erlösung ist, und dass Alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden und ewiges Leben erlangen. Wie also die Aussätzigen allein zu Christo eilen, um rein zu werden, so lasst uns, die wir an Christum glauben, seinen Namen anrufen, auf dass wir errettet werden. Doch was geschieht? Wie die Aussätzigen ihrem Berufe folgen und sich an das Urteil der Priester wenden müssen (das war nämlich der Beruf der Aussätzigen, die für rein erklärt werden sollten), und dennoch ihre Genesung noch nicht empfinden: so heißt Christus uns Alle, nachdem wir an ihn geglaubt haben, unserem Berufe folgen und Gottes Geboten gehorchen und indessen mit ruhigem, fröhlichem Herzen Gottes Urteil erwarten, während wir doch die wahre Reinheit unserer Seele noch nicht empfinden. Denn die, so an Christum glauben, ob sie gleich äußerlich keine Sünden tun, tragen dennoch immer in ihrem Fleische die Sünde mit sich umher. 1. Joh. 1,8: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Und Paulus schreibt Röm. 7,22.23: „Ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen; ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte, und nimmt mich gefangen in der Sünden Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.“ Obschon es nun mit dem Menschen also steht, müssen wir doch, weil uns Christus mit Vertrauen an Gottes Gericht gehen heißt, hingehen und gehorchen. Haben wir nämlich auch keine Gerechtigkeit in uns, so schenkt er uns doch seine vollkommene Gerechtigkeit, durch die wir im Gerichte Gottes bestehen können. Doch was? Ist denn die ganze Sache abgetan, nachdem wir in Christo Vergebung unserer Sünden durch den Glauben erlangt haben? Was das Erlangen zwar betrifft, ist die Sache vollbracht; sie ist aber nicht vollbracht, was die Bewahrung der einmal erlangten Vergebung unserer Sünden betrifft.

Daraufhin lasst uns das Beispiel der Aussätzigen ansehen. Nachdem diese genesen und von den Priestern für rein erklärt waren, kehren nicht alle zehn zu Christo zurück und danken ihm, sondern nur Einer, ein Samariter, von welchem man das am wenigsten erwartet hätte, kehrt um und dankt. Die übrigen nun, welche Juden waren, welche am allermeisten hätten dankbar sein sollen, kehren nicht um, und danken auch nicht. Also haben diese neun zwar leibliche Gesundheit, aber der Aussatz des Leibes hat ihre Seele befallen, und an ihrer Seele aussätzig geworden, sind sie nun übler daran wegen ihres Undanks als je zuvor. Ein beachtenswertes Beispiel. Unter zehnen ist nur Einer dankbar, und erwirbt das wahre Heil. Und anderswo sagt Christus: „Viele sind berufen, aber wenig auserwählt.“ Desgleichen gibt es noch andere Beispiele in der heiligen Schrift. Bei der Sündflut werden nur wenige, d. h. acht, errettet. Bei dem Brande Sodoms wird nur Lot errettet mit seinen Töchtern. Bei Jerichos Eroberung wird Rahab errettet mit ihrer Familie. Bei dem Zuge Israels nach dem Lande Kanaan kommen nur die zwei, Josua und Kaleb, die aus Ägypten gezogen waren, hinein. Werden uns diese und andere Beispiele der Art vorgehalten, so erschrecken sie viele Menschen und bringen sie zur Verzweiflung, dass sie die Berufung Gottes verwerfen und ihres Herzens Gelüsten folgen, indem sie denken: „was sollst du tun? Sind wenige auserwählt, so ist's unmöglich, dass du unter jenen Wenigen Raum finden kannst. Darum folge nur deinen Neigungen, und lebe nach deiner Begierde.“ Aber vor Allem ist der Punkt sorgsam festzuhalten, dass die ganze Heilige Schrift uns dazu gegeben ist, nicht, um uns in Verzweiflung zu stürzen und uns von Gottes Berufung abzuziehen, sondern vielmehr, um Glauben in uns zu erwecken und uns zu bestimmen, der Berufung Gottes nachzukommen.

Paulus sagt: „Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben.“ Ferner: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, dass ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt.“ Diese Beispiele und Urteile über die Menge der Verworfenen und über die kleine Anzahl der Auserwählten sind ein Bestandteil der Schrift; darum sind sie uns vorgehalten zu unserem Heile und nicht zu unserem Verderben. Denn würde man sagen: „es ist unbedingt notwendig, dass es nur wenig Auserwählte gibt, und es kann auf keine Weise anders werden,“ stünde also, sag' ich, geschrieben, so gäbe das vielleicht Veranlassung, zu verzweifeln und von unserer Pflicht abzulassen. Nun wird aber Solches nicht erwähnt, um die unbedingte Notwendigkeit darzulegen, auch nicht um zu lehren, Gott habe das durchaus unbedingt äußerlich angeordnet, sondern auf dass die Trägheit der Menschen gestraft würde. Denn Gott oder Gottes Sohn ist nicht Ursache, dass unter zehnen nur Einer dankbar ist, dass unter Unzähligen nur Wenige selig werden, sondern die Schlaffheit und Trägheit der Menschen ist daran Schuld.

Jes. 59,1-3: „Siehe, des Herrn Hand ist nicht zu kurz, dass er nicht helfen könne; und seine Ohren sind nicht dicke geworden, dass er nicht höre; sondern eure Untugenden scheiden euch und euren Gott von einander, und eure Sünden verbergen das Angesicht von euch, dass ihr nicht gehört werdet. Denn eure Hände sind mit Blut befleckt, und eure Finger mit Untugend.“ Spr. 1,24.25: „Ich rufe, und ihr weigert euch; ich recke meine Hand aus, und Niemand achtet darauf, und lasst fahren allen meinen Rat, und wollt meiner Strafe nicht.“ Denn was den Besitz des Heils anlangt, verhält die Sache sich also.

Zu allererst bietet unser Herr, soviel an ihm ist, uns alles zu unserm Heil Notwendige dar, und Gott kann auch nicht im Geringsten angeklagt werden. Denn er hat seinen eingeborenen Sohn gesandt und seiner nicht geschont, sondern ihn für uns in den Tod gegeben, auf dass er uns von Sünden erlöste und das Leben verdiente. Und er hat nicht allein Solches getan, sondern auch dies Evangelium über den ganzen Erdkreis verbreitet, und wird uns Zeit und alles für dieses Leben Notwendige geben, damit wir dies Evangelium hören und auffassen können. Was also Gott betrifft, so mangelt uns Nichts zu unserem Heile. Zweitens ist's notwendig, dass Solches nicht nur öffentlich vorhanden sei, sondern dass wir es auch annehmen. Es würde nichts nützen, dass die Sonne leuchtet, es sei denn, dass wir die Augen auftun und ihres Lichtes uns freuen. So würde es nichts nützen, dass Christus und sein Evangelium dargeboten sind, wollten wir diese Wohltat nicht annehmen. Und der Glaube ist's, durch den wir diese Wohltaten annehmen sollen; denn „wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben, sagt Christus, und ohne Glauben ist's unmöglich, Gott zu gefallen.“ Endlich genügt es nicht, dass man annimmt, sondern es ist auch erforderlich, dass man behält.

Man kann leicht annehmen, aber man behält nicht leicht. Noah ging mit seiner Familie leicht in die Arche hinein, dass die Familie aber unter so vielen Wogen und wilden Tieren in der Arche aushielt, das geschah nicht so leicht. Alle Israeliten gewannen in einer Nacht ihre Freiheit, allein sehr wenige behielten sie. Diese Aussätzigen erlangen leicht ihre Gesundheit, aber nur Einer behält sie auf heilsame Weise. So erlangst du leicht die Vergebung deiner Sünden, nämlich durch den Glauben an Christum. Ein Beispiel ist Magdalene und der Schächer und Paulus, aber dieselbe zu behalten das ist Kunst, das ist Mühseligkeit. Wie behält man sie? Durch Dankbarkeit, durch Gehorsam und die von Gott gebotenen Dienste. Wenn die Schrift also von der geringen Anzahl der Auserwählten redet, so beklagt sie sich nicht über Gott, sondern über unsere Trägheit. Lasst uns daher unsere Trägheit abtun und dem Rufe Gottes Folge leisten in Christo Jesu, unserem Herrn. Amen.

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