Brenz, Johannes - Am Sonntag der heiligen Dreifaltigkeit über Römer 11,33-36
Mit diesen Worten will uns St. Paulus vermahnen, dass wir nicht nach der Heimlichkeit Gottes grübeln, sondern uns an seinen offenbarten Willen halten sollen. Diese notwendige Vermahnung wird auch sonst in der Heiligen Schrift oft wiederholt. Salomo sagt z. B. Sprüche 25, 27: „Wer zu viel Honig isst, der ist nicht gut; und wer schwere Dinge forscht, dem wird es zu schwer.“ Nicht, unsre Faulheit zu verblümen, wie es denn Leute gibt, die ihre Trägheit in Glaubenssachen verteidigen und sagen: was über uns ist, geht mich nichts an, ich lasse den Pfarrer darum sorgen. Sondern deshalb wird es uns geboten, dass wir uns nicht selber in unser Verderben stürzen. Denn wie wir unsern Kindern auf steile Felsen zu klettern oder in tiefes Wasser zu gehen nicht darum verbieten, dass wir ihnen die Lust, so dabei ist, nicht gönnen, sondern dass wir sie vor Unfall oder Tod bewahren: also ist uns auch, nach Gottes verborgener Heimlichkeit zu forschen, nicht darum verboten, dass Gott uns seine Seligkeit missgönne, sondern dass wir uns darin nicht zu hoch versteigen und verderben. Warum werden wir verwarnt? Weil diejenigen, so nach den Geheimnissen Gottes grübeln, leicht anfangen sich zu ärgern, also, dass sie Gott verachten und für einen unweisen Gott halten, endlich sogar schmähen. An den folgenden Beweisen lässt sich's erkennen. Gott schuf den Menschen im Anfang fromm und gerecht. Warum ließ er ihn in die Sünde fallen, wovor er ihn doch als der Allmächtige hätte wohl bewahren können? Das ist ein Geheimnis. Danach grübeln aber die vorwitzigen Leute, und wenn sie dann hören, dass Gott seinen Sohn Christum in die Welt gesandt habe, das menschliche Geschlecht durch ihn wiederum von der Sünde zu erlösen, so fragen sie weiter, warum er ihn nicht gleich nach dem Fall Adams gesandt, sondern habe so lange verzogen und inzwischen unzählige Menschen verderben und verdammen lassen? Ferner: warum Gott das Licht seines Evangeliums nur wenigen Ländern und Völkern leuchten lasse? Weshalb die armen Heiden jetzt die Schuld ihrer Voreltern entgelten sollen? Desgleichen, was die Heilige Dreifaltigkeit anlangt, so forschen die vorwitzigen Leute, wie es komme, dass nur Ein Gott und nicht viele Götter seien? Oder wie drei unterschiedliche Personen in einer einigen Gottheit sein können? Und andre solche Geheimnisse Gottes mehr. Wenn man nun hierin vorwitzig ist und grübeln will, und nicht gleich die Ursache findet, warum dieses so und jenes anders sei, was geschieht? Es folgt, sonderlich bei den Gottlosen, dass sie anfangen, Gott zu lästern, der die Sachen nicht recht und nicht weislich bedacht habe. Zuweilen kommen sie auch dahin, dass sie nicht mehr glauben wollen, dass ein Gott sei. Darum ist es sehr heilsam anzusehen, dass uns verboten worden, nach den Geheimnissen Gottes vorwitziger weise zu forschen.
Die andre Ursache nun ist die, dass diejenigen, so nach den Geheimnissen Gottes grübeln, nicht nach dem Willen Gottes fragen, den er in seinem Worte offenbart und zu erkennen gegeben hat. Es befahl uns Gott, nicht zu forschen, warum er dieses also, jenes anders verordnet habe, darum wir's auch billig unterlassen sollen. Das aber hat er uns geboten, dass wir nach seinem offenbarten Willen fragen sollen, wie er selber durch Mosen sagt: „Alles, was ich euch gebiete, das sollt ihr halten, dass ihr danach tut; ihr sollt nichts dazu, noch davon tun.“ Wohlan, Gott hat uns seinen Willen vernehmen lassen, zuerst im Gesetz, danach im Evangelio. In den zehn Geboten sagt er uns, was wir tun, im Evangelio, was wir glauben sollen. Aber solche zwei Hauptstücke achten die Leute für zu gering, meinen, sie wollten wohl Höheres ausrichten, ergeben sich darum ihrem Fürwitz und übersehen dabei den Willen Gottes, im Gesetz und Evangelio angezeigt. Darum ist es hoch von Nöten, dass man uns verbiete, nach den verborgenen Geheimnissen zu forschen, auf dass wir gezwungen werden, nach dem, so uns offenbart ist, zu trachten. Und zwar, was bedarf es viel Forschens nach den Geheimnissen Gottes? Hat uns doch Gott solche Dinge offenbart, die wir unser Leben lang nicht genugsam lernen und begreifen können. Nimm die Heilige Schrift vor dich! Wiewohl in ihr alles, was zu unserm Heil nötig ist, deutlich genug gezeigt und offenbart ist, hat doch die Welt mit ihr alle Hände voll zu schaffen, und wird sie nie völlig ausgründen, geschweige denn erfüllen können. Wozu vieler Worte? Wir haben unser Leben lang zu schaffen mit dem Gesetz, ja, mit dem geringsten Gebot im Gesetz, und werden nie damit fertig werden. Darum ist es nicht nötig, dass wir auch erst noch nach den Geheimnissen Gottes fragen, sondern lasst uns nach dem Willen Gottes forschen, welchen er uns in seinem Worte offenbart hat. Und weil er uns insonderheit seinen lieben Sohn, Jesum Christum, offenbart, so wollen wir ihn im Glauben annehmen, auf dass er uns zu seiner Zeit aus der Finsternis dieser Welt versetze in sein ewiges Reich, in welchem wir alle Geheimnisse Gottes erkennen werden, wie wir jetzt erkannt sind, dazu auch ewiglich genießen werden der ewigen Herrlichkeit Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.