Brenz, Johannes - XI. Am Sonntag Judika (für den Karfreitag) über Hebr. 9,11-15
Durch Gottes Gnade naht sich nun der Tag, an dem uns die Geschichte des Leidens und Sterbens unsers Herrn Jesu Christi gepredigt wird. Darum ist es recht und wohlgetan, dass in der Epistel uns heute gezeigt wird, auf welche Weise von der Passion Christi schon vor seiner Erscheinung auf Erden bei dem Volk Israel gehandelt worden sei. Darum wollen wir mit Fleiß hören, wie bei den Juden vom Leiden und Sterben des Herrn gepredigt worden sei. Es haben nämlich im alten Testamente alle Opfer darauf hingewiesen, vornehmlich zwei. Mit dem ersten hat es folgende Gestalt und Bewandtnis gehabt. Am großen Tag der Versöhnung nahm das ganze Volk zwei Böcke und brachte sie dem Hohenpriester. Dieser nahm den einen Bock und schlachtete und opferte ihn dem Herrn; mit dem Blute desselben besprengte er siebenmal den Gnadenstuhl und siebenmal den Altar und reinigte so die Kinder Israel von ihrer Unreinigkeit. Dann legte der Hohepriester dem andern Bock die beiden Hände aufs Haupt und bekannte auf ihn alle Missetat des Volkes, alle Übertretung in allen ihren Sünden, legte sie dem Bock auf und ließ ihn durch einen Mann in die Wüste laufen, dass also der Bock alle ihre Missetat auf seinem Kopfe in die Wildnis trug. Dies war das jährliche große Versöhnungsopfer. Was wollte Gott der Herr durch dieses Opfer andeuten? Kann man auch durch ein solches Opfer die Sünde büßen? Nein, keineswegs; sondern Gott hat durch dieses Opfer von dem Leiden und Sterben seines geliebten, eingeborenen Sohnes Jesu Christi predigen und im voraus anzeigen wollen, dass sein Blut eine genugsame Reinigung von unsern Sünden sein werde. Es ist dieses Opfer freilich eine dunkle, schwer verständliche Predigt von dem Leiden Christi gewesen; aber damals hat man hiervon nicht so deutlich predigen können, als in unsrer Zeit, nachdem Christus gekommen ist und sein Opfer für uns vollbracht hat. Es mussten die Alten an solchen äußerlichen Vorbildern sich genügen lassen. Das andre Opfer ist eine rote Kuh gewesen. Dieselbe musste ohne Fehl und Wandel sein, durfte ferner noch nie ein Joch getragen haben. Nachdem sie vor den Hohenpriester gebracht war, musste er sie vor seinen Augen schlachten lassen und dann ihr Blut nehmen und davon siebenmal gegen die Hütte des Stifts sprengen. Die Kuh aber samt Haut und Fleisch und dem übrigen Blut wurde verbrannt, und die Asche gesammelt und an einer reinen Stätte verwahrt, um zum Sprengwasser zu dienen für die Gemeine der Kinder Israel. Dies war auch ein Sündopfer, und Gott hatte es mit allem Fleiß eingesetzt und ernstlich befohlen, dass es ein ewiges Recht in Israel sein solle.
Hier ist nun abermals die Frage, was Gott mit solchem Opfer wohl gemeint habe? Ich antworte: Gott hat durch dasselbe seines Sohnes, unsers Herrn Jesu Christi, bedeuten und abmalen wollen, dass nämlich das Blut Jesu Christi eine Reinigung und Abwaschung unsrer Sünden sein solle. Gleichwie zu jener Zeit die Kinder Israel mit Blut und Asche besprengt wurden, damit sie äußerlicher Weise wieder rein würden, so müssen auch wir inwendiger und geistlicher Weise unser Gewissen mit dem Blute Christi besprengen, damit wir von unsern Sünden gereinigt werden. Wie soll aber dieses Besprengen mit dem Blute Christi geschehen? Es geschieht durch die Predigt des heiligen Evangelii und durch die Ausspendung der heiligen Sakramente. So oft das Evangelium gepredigt und das heilige Nachtmahl des Herrn Jesu Christi gehalten wird, so oft wird auch das Blut Christi ausgesprengt zu einer seligen Reinigung von unsern Sünden. Doch müssen wir dieses Blut im Glauben empfangen, wenn wir seinen Segen genießen wollen. Hierbei lernen wir auch, was dieses Blutes Kraft und Wirkung sei. Zuerst nämlich reinigt es uns von allen toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott. Denn so wir glauben, dass das Blut Jesu für uns vergossen sei, werden alle unsre Sünden von Gott bedeckt sein; wie denn Paulus Kol. 2, 14 sagt: Christus habe mit seinem Blute die Handschrift ausgetilgt, welche von unsern Sünden wider uns zeugte. Zum andern hat aber das Blut des Herrn Jesu Christi auch die Wirkung, dass es unsre Herzen fruchtbar macht zu guten Werken. Wie ein Garten, sobald ihn der Regen von oben fruchtet, lustiger grünt, mehr Gras und Frucht bringt, denn zuvor: so beginnt auch unser Herz zu grünen und allerlei Frucht zu bringen, wenn es mit dem Blut Jesu besprengt wird. Hieraus können wir abnehmen, dass alle, die noch in Sünden liegen, ihr Herz noch nicht mit dem Blute Christi besprengt haben. Diese werden immer mehr verdorren und endlich in das ewige Feuer geworfen werden. Wenn wir aber gute, liebliche Früchte bringen wollen, müssen wir uns vor allen Dingen aufs höchste befleißen, dass wir mit dem Blut Christi besprengt werden und ihn selber aufnehmen im wahren Glauben. Der allmächtige Gott und Vater wolle uns hierzu seine Gnade verleihen! Amen.