Braun, Friedrich - Zur Konfirmation.

Braun, Friedrich - Zur Konfirmation.

Gehalten am 11. März 1894.

Offenb. Joh. 3,11:
Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.

In dem Herrn Geliebte!

Wiederum erscheint in unserer Mitte eine Schar von Konfirmanden, und ihr alle wisst, was ihr Vorhaben ist: sie wollen heute tun, was sie beim Empfang der heiligen Taufe noch nicht zu tun vermochten, nämlich das Bekenntnis ihres Glaubens ablegen und daraufhin die Zusage empfangen, dass wir sie fortan als rechtmäßige Glieder der Kirche Jesu Christi ansehen und halten wollen. Inmitten der versammelten Gemeinde geschieht dieses Werk. Und es ist billig, dass nicht bloß die einzelnen Familien, sondern die ganze Gemeinde diesem Werk die freudigste Teilnahme und herzlichste Fürbitte entgegenbringt. Denn der Kirche gehören diese Kinder; sie sind wie junge, sprossende Ranken, die der Weinstock im Frühling treibt, damit der heiße Sommer sie zu fruchttragenden Reben ausreifen soll. Wahrlich, Segen über Segen ist's, und alles Dankes wert, dass uns Jahr für Jahr solch ein Nachwuchs beschieden ist, dass wir diese Kinder in stetiger, stiller Arbeit befruchten dürfen mit den Samenkörnern des ewigen Lebens. Wäre es nur auch so leicht, diese Kinder bei der Kirche und ihrem Haupt, Jesu Christo, zu erhalten, als es uns leicht gemacht ist, sie in die Gemeinschaft der Kirche hereinzuführen! Gewaltig türmt sich da die Angst und die Sorge auf vor denen, welche die Welt kennen und das Menschenherz. Aber sagen wir denn nicht, diese Kinder seien dem Herrn Jesu zugeführt und zu Gliedern an seinem Leibe gemacht? Und ist es dann nicht zuallererst seine Sorge, seine Sache, dass er sich diese Kinder bewahrt, dass er sie uns erhält, indem er sie sich erhält, er, der Hirte, seine Lämmer, er, der Herr, sein teuer erworbenes Eigentum?

Gewiss, Geliebte, er will sie behalten! „Ich will dich behalten vor der Stunde der Versuchung“, verheißt er der Gemeinde zu Philadelphia. Damit dürfen wir uns trösten. Nur werden wir dann auch nicht überhören dürfen, was der Herr von dieser selben Gemeinde erwartet. Es ist die geringste Zumutung, die er ihr macht, das wenigste, was er fördern kann, aber das Unerlässliche: halte, spricht er, was du hast! Das wollen wir also zur Losung dieses Tages machen. Diese Mahnung soll uns allen gleichermaßen gelten, diesen Konfirmanden wie der ganzen Gemeinde:

Halte, was du hast! denn

  1. das Beste, was es in der Welt gibt, haben wir empfangen.
  2. Im Kampfe aber gegen die Welt müssen wir's behaupten.
  3. Dann wird uns niemand unsre Krone nehmen.

1.

Halte, was du hast! denn das Beste in der Welt habt ihr empfangen. Was ist das Beste in der Welt? In hohem Ton hat man's schon oft verkündet: die Liebe ist das Beste in der Welt! Man meint die Liebe, da ein Mensch dem Menschen sein warmes Herz auftut; die Liebe, da ein Mensch dem Menschen die helfende Hand entgegenstreckt. Gewiss, Menschenliebe ist etwas Großes und Herrliches; sie ist das Beste, was Menschen einander geben können. Aber das Beste in der Welt ist sie doch nicht; sondern, wie niemand gut ist, denn der einige Gott, so muss auch die Liebe Gottes größer und besser sein, denn alle Menschenliebe. Das Beste in der Welt ist Gottes Liebe, mit der er uns arme Sünder hinzieht an sein Vaterherz. Das habt ihr empfangen Kindesrecht im Vaterhaus, Gottes Kinder seid ihr geworden!

Was für ein wundervoller Besitz ist das! Ihr Kinder möchtet werden, was ihr wollt, ihr könnt nichts Größeres werden in der Welt. Eure Lebenswege werden ja fernerhin weit auseinandergehen, wie euch die Lose des Lebens schon in diesen jungen Jahren verschieden gefallen sind. Die einen vater- und mutterlos, die andern umhegt von treuer Elternhand; die einen mit allem versorgt, was die Liebe erdenken kann, die andern schon vertraut mit des Lebens rauer Gestalt - so tretet ihr an den Altar. Aber wie ihr vor dem Altar alle eins seid in dem Einen: wir sind Gottes Kinder, Brüder und Schwestern in dem Herrn, so müsst ihr auch euer Leben lang in dem Einen euch gleich bleiben, Gottes Kinder zu sein. Was hülfe es euch auch, wenn ihr zu Glück und Reichtum kämet und dieses Eine verlöret! Und wenn ihr niedrig und arm bleibt euer Leben lang und dieses Eine behaltet, so kann kein König reicher sein!

Das Beste in der Welt habt ihr empfangen. Es ist euch aber zu teil geworden durch den Dienst der Kirche, der ihr heute die Treue geloben wollt. Sie, die evangelisch-lutherische Kirche, hat euch als eure geistliche Mutter auf die Arme genommen und eurem Herrn und Heiland zugebracht. Durch ihren Dienst seid ihr herzugekommen zu dem Erzhirten und Bischof eurer Seelen. O haltet, was ihr habt! Bleibt bei der Gemeinde der Heiligen, bei eurer teuren evangelisch-lutherischen Kirche! Es ist nicht euer geringstes Glück, dass ihr in der Kirche der Reformation, in der Kirche des Evangeliums geboren und erzogen seid. Nirgends in der Welt kann man euch Besseres zeigen als den Herrn Jesum; und nirgends kann man ihn euch besser zeigen als in eurer evangelisch-lutherischen Kirche. Das ist ihr Ruhm, dass sie euch nichts zeigen will, als Jesum allein. Jesu Gnadenwort sollt ihr vernehmen, wenn ihr zur Beichte kommt. Jesu Lebensgaben sollt ihr empfangen, wenn ihr am Tisch des Herrn erscheint. Mit Jesu, dem erhöhten, lebendigen Herrn, sollt ihr betend, glaubend zusammenwachsen, sodass ihr nichts Lieberes wisst, als diesem Hirten nachzugehen und je mehr und mehr aus Herzensüberzeugung zu sprechen: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens! Wenn ihr Jesum habt, dann habt ihr das Beste in der Welt. Und ihr habt den Herrn Jesum! Haltet, was ihr habt. Denn

2.

im Kampf mit der Welt müsst ihr's behaupten.

Gäbs keine Untreue des eigenen Herzens; gäb's keine Feinde Christi in der Welt, sondern eitel gläubige Jünger; gäb's keine böse Welt, die des Teufels Helferin ist: so bedürfte es nicht der Mahnung: halte, was du hast! Es bedürfte nicht der Warnung: dass niemand deine Krone nehme!

Ein schmerzlicher Gedanke, Geliebte! Wir haben diese Kinder. zu Christo geführt und ihnen den Herrn lieb und wert zu machen gesucht; wir dürfen denken, dass ihre jungen Herzen sich für ihn aufgeschlossen haben; wir dürfen glauben, dass sie auch behalten wollen, was sie haben: da kommt die Welt mit Lügen und Tücke, mit Unglauben und Spott, und droht ihnen den kostbaren Besitz wieder zu entreißen. Drängt sich da nicht vor allem uns die Mahnung auf: halte, was du hast!? Wir haben wieder eine Schar junger, gläubiger Christen, Anfänger im Christentum - halte, was du hast, evangelische Gemeinde! Halte diese jungen Christen beim Glauben fest! Halte sie als deine Glieder fest! Lass dir deine Kinder nicht verloren gehen! Wer unter uns einen schönen Garten hätte, in dem allerlei herrliche Blumen blühten, allerlei köstliche Früchte reiften, würde er ihn nicht hegen und schützen? Würde er ihn nicht vor bösen Buben, vor frechen Dieben zu bewahren suchen? Und was ist nun diese Kinderschar anderes, als ein lieblicher, verheißungsvoller Gottesgarten, in welchem allerlei Pflanzen grünen und blühen, die der himmlische Vater gepflanzt hat? O, es müsste sich jeder Vater und jede Mutter, jeder Meister und Vorgesetzte, ja ein jedes Gemeindeglied sagen, dass es diesen Kindern gegenüber mindestens die heilige Pflicht zu erfüllen habe, ihnen keinen Anstoß zu geben, kein Ärgernis zu bereiten, kein böses Beispiel darzubieten, keine Macht der Verführung auszuüben oder ausüben zu lassen, wodurch sie von ihrem Herrn könnten abgezogen werden. Vielmehr aber sollten wir mit ihnen und für sie kämpfen gegen alle Gefahren der Verführung; sollten diese Kinder behüten und stärken; sollten um ihretwillen schon uns alle Mühe geben, ihnen mit dem Beispiel eines christlichen Wandels voranzuleuchten, damit sie mit Augen sehen und mit Händen greifen, was es um die Nachfolge Jesu Christi sei.

Indes, wo ihr auch hinkommt, ihr lieben Konfirmanden, und in welcher Luft ihr auch lebt, in welcher Umgebung ihr euch finden werdet auch euch ist's gesagt: haltet, was ihr habt! Ihr müsst hineintreten in die Welt. Und die Welt, das kann ich euch sagen, ist sehr böse, sehr ungläubig, sehr feindselig gegen Gott und seinen Gesalbten. Es wird euch aber manches begegnen in der Welt, was euch gewaltig in die Augen sticht, was euch lockt und schmeichelt, was eure Sinne und Herzen einnimmt, dass ihr darüber nichts mehr seht und hört, auch Jesum nicht und sein Wort. Und es wird euch sein, als wäre gegen diese Herrlichkeiten der Welt die Gotteskindschaft doch nicht recht viel wert. Wort und Sakrament werden euch vielleicht gering erscheinen. Eure evangelische Kirche mit ihrem schlichten Wort und Sakrament wird euch vielleicht gar zu armselig vorkommen: o, lasst euch nicht betören! Haltet, was ihr habt! Prüft zuvor, was ihr eintauschen wollt! Besinnt euch, ehe ihr dem alten Glauben den Rücken kehrt! Ich sage euch aber aus treuem Herzen: es gibt doch nichts Besseres in der Welt an Hilfe und Kraft und Trost als Gottes Wort und des Herrn Christi Sakrament! Es führt euch keine Kirche so sicher den Lebensweg, als eure lutherische Kirche! Es hält keine Wahrheit so stand unter allen Stürmen des Lebens als die: aus Gnaden selig! Haltet, was ihr habt, auch im Streit gegen die Welt, dann

3.

wird niemand eure Krone nehmen.

Was ist die Krone? Die Krone, der Kranz, das ist das Zeichen der Liebe, mit dem Jesus alle diejenigen auszeichnet, die er als die Seinigen anerkennen will. Die Gemeinde zu Philadelphia hat schon ihre Krone, ihren Ehrenkranz; er besteht darin, dass der Herr seine Augen voll Liebe und Zärtlichkeit auf ihr ruhen lässt, dass er ihr eine Anerkennung spendet, wie keiner andern unter seinen Gemeinden. Diese Liebe also konnte der Gemeinde verloren gehen; und wenn sie verloren ging, so war alles verloren. Wenn die Gemeinde diese Liebe behalten, wenn sie die Anerkennung, die der Herr ihr spendet, und welche sie schmückt, wie ein Ehrenkranz, bewahren will, so muss sie das festhalten, was der Herr an ihr schätzt: ihr Beharren bei sei seinem Wort, ihre Geduld, ihre Treue, ihr arbeiten mit einer kleiner Macht. Nicht ganz soviel, aber etwas davon habt auch ihr aufzuweisen. Und wenn es nicht mehr wäre, als ein Fünklein der ersten Liebe, eine erste, ehrliche Willensregung, dem Herrn zu Lieb eure Sünden und Fehler abzulegen - o haltet das fest! o nährt die Glut, und lasst sie nicht erkalten! Denn hier gilt allewege Treue um Treue! Und denen, welche ihm die Treue halten, will er in überschwänglicher Weise kund tun, wie sehr er sie liebt. Der Kranz, welchen er am Ende den Seinigen auf die Stirne drückt, wird unverwelklich sein.

Ach, Geliebte, zwischen heute und jenem großen Tag - was alles mag dazwischen liegen? Durch wieviel Kämpfe wird's hindurchgehen! wieviel Wunden, wieviel Niederlagen, wieviel Angst und Gefahr der Seelen wird's noch kosten! Doch es läge ja nichts daran, was es kosten mag, wenn wir nur dereinst uns alle wieder zusammenfinden vor den Augen dessen, der zwischen den sieben Leuchtern wandelt und dessen Augen sind wie Feuerflammen; wenn nur jedes von uns dann sagen kann: Siehe, ich habe deren keins verloren, die du mir gegeben hast! Und wenn er nur jedem von uns dann sagen kann: ei du frommer Knecht, du getreue Magd, geh' ein zu deines Herrn Freude! Dazu helf uns Gott in Gnaden! Amen.

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