Blumhardt, Johann Christoph - Über die Lehre von den Engeln - 6. Der Engel des HErrn bei Mose.
Weil öfters in der Schrift, wie bei Zacharias, so nachdrucksvoll der „Engel des HErrn“ genannt wird, wie wenn derselbe ein von andern Engeln sich unterscheidendes, besonderes Engelwesen wäre, so mahnt mich das, einer Ansicht vieler Theologen und Christen älterer und neuerer Zeit zu gedenken, welche wirklich diese Unterscheidung machen, und darum namentlich in der Geschichte Mosis unter dem Engel des HErrn den Sohn Gottes, das vor der Menschwerdung sich kundgebende Wort bei Gott, verstehen. Mitunter gehen solche Christen so weit, dass sie sich dabei bereits eine Erniedrigung des Sohnes denken, sofern sich derselbe zunächst als Engel mit einer Engelnatur in die Reihen der Engel gestellt habe, zum Zweck der Vorbereitung der künftig durch Ihn zu vollbringenden Erlösung, wie Er in der Fülle der Zeit, noch weiter herabsteigend, Mensch geworden sei.
Indem wir zuerst im Allgemeinen über diese eigentümlichen und gewagten Auffassungen reden, so bemerken wir voraus, dass wir, wie wir sehen werden, durchaus keine Berechtigung zu ihnen in der Schrift finden. Sie führen auch aus der Einfalt hinaus und geben dem christlichen Gemüte nichts Besonderes zu Trost und Erquickung, das es nicht auch ohne das hätte. Das Gemüt hat Alles weitaus, was es bedarf, wenn es für den Rückblick auf die Vorzeit Christi den allgemeinen Gedanken festhalten darf, dass von Anbeginn der Welt an der HErr, der dreieinige Gott, den Ratschluss zur Erlösung der Welt gefasst und für die Erfüllung desselben durch die Offenbarungen des Alten Testaments und die Führungen mit Israel den Weg angebahnt habe; und die Menschwerdung Christi wird uns durch jene erweiterten Vorstellungen von Seiner vorherigen Erniedrigung um nichts wichtiger, oder wertvoller, oder fasslicher. Denken wir uns das ewige Wort, wie es der Evangelist Johannes (Joh. 1,1 ff.) uns zur Kenntnis bringt, in der ganzen Vorzeit bei Allem, was Gott tut, mitwirkend, so haben wir an dem Einen, was Johannes dort weiter sagt, genug, „dass in Ihm das Leben, und dieses das Licht der Menschen war, und dass dieses Licht in der Finsternis schien, ohne dass es die Finsternis begriffen hatte.“ Damit wird uns das ewige Sein des Worts bei Gott und das Wirken Gottes durch das Wort genügend dargelegt, ohne dass wir das ewige Wort auch als Engel, oder Abgesandten Gottes an Israel, uns vorzustellen haben. Nehmen wir dazu das Wort Christi: „Ich und der Vater sind Eins“ (Joh. 10,30), und fassen das als eine Hindeutung auf seine persönliche Einheit mit Gott auf, so sagte Er dieses, von Seiner Menschwerdung gewissermaßen absehend, vorzugsweise mit Bezug auf Sein ewiges Sein bei Gott; damit erscheint Seine Person viel größer, und Sein Mitwirken für Israel in der Vorzeit, wenn man auch an dieses denkt, viel bedeutungsvoller, als wenn man Ihn auch wieder als Engel, gleichsam anschaubar, während das ewige Wort als Eines Wesens mit Gott unanschaubar gedacht werden muss, Eins mit Gott denken soll.
Offenbar treten, wie man auch jene Vorstellungen fassen mag, viele Unebenheiten hervor, die sich mit einer gesunden Lehre nicht vertragen. Versteht man unter dem Engel des HErrn an und für sich schon das ewige Wort, so dass also Engel und Logos (Wort) gleichbedeutend wäre, neuestens ist sogar eine Stimme dahin laut geworden, dass selbst der Engel des HErrn, welcher der Maria erschien, eben das ewige Wort, das Fleisch werden sollte, gewesen sei, so steht das ewige Wort als die zweite Person in der Gottheit offenbar zu sehr abgetrennt von der ersten Person da; und die ganze Lehre von der Dreieinigkeit bekommt dadurch eine schiefe und die Einheit Gottes wirklich gefährdende Haltung. Dies ist noch mehr der Fall, wenn man, wie gleichfalls Viele tun, unter dem Engel des HErrn den Jehova des Alten Testaments (gewöhnlich mit HErr übersetzt) selbst mit der Übersetzung „Heiland“ versteht, und unter Beidem also das ewige Wort. Letzteres wäre hierbei die sich anschaubar und hörbar machende zweite Person in der Gottheit, im Gegensatz zu der unanschaubar und unhörbar bleibenden ersten Person. Wer aber sieht nicht, dass hierbei der tiefere Begriff der Trinitätslehre geradezu verloren geht, und dass man so in einem vollen Arianismus, der das ewige Wort für das vornehmste Geschöpf nach Gott, nicht gleich Gott, nimmt, sich verfangen hat? Stellt man sich endlich eine wirkliche Erniedrigung des Worts bis zur Natur der Engel vor, so erwägt man nicht, dass die Engel, wie daraus zu schließen ist, dass die verklärten Menschen ihnen einmal ganz gleichgestellt erscheinen (vgl. Off. 22,9), auch müssen irgendwie eine Entwicklungsgeschichte bis zu ihrer jetzigen Vollkommenheit durchgemacht haben, wie der Mensch. Somit stiege das Wort zuerst gleichsam zur Stufe vollendeter Menschen, um das Kreaturwesen der Engel damit zu bezeichnen, hernieder, und wäre gewissermaßen zweimal Mensch geworden, das erste Mal ein schon vollendeter Mensch, und das zweite Mal ein erst in tiefster Schwachheit beginnender Mensch. Es bedarf wohl keines weiteren Worts, um die daraus sich ergebenden Unebenheiten zu erkennen. Bei Allem möchten wir noch fragen, wozu denn gerade das ewige Wort entweder als Engel erscheinen, oder sich bis zum Engel erniedrigen solle, da beide Male Alles, was der Engel tut und spricht, in gleicher Weise von einem wirklichen Engel, dem Gott, wie gewöhnlich, die Befähigung gibt, vollbracht werden könnte, und da im zweiten Fall die Erniedrigung des Worts bis zum Engel erkennbar keinen Zweck für sich hätte, wie die Erniedrigung ins Fleisch auf eine Versöhnung der Menschen mit Gott zielte. Wir sehen klar, wie wichtig und ratsam es ist, in allen Lehrpunkten, welche uns zu einer Betrachtung über das Wesen Gottes und Sein ewiges Walten und Wirken führen, durchaus beim Einfachsten zu bleiben, so weit es die Schrift klar gibt, da wir bei unberechtigten Behauptungen ins Ungebührliche uns verlieren, und jedenfalls nur auf Unsicheres kommen, damit Niemandem für sein Seelenheil gedient ist.
Besehen wir übrigens die Stellen ein wenig, auf welche man sich für die erwähnten Vorstellungen beruft. Ihrer Viele finden das schon bedeutsam, dass bei Abraham Engel erschienen, und doch der HErr der Redende ist. Da soll der HErr eben das ewige Wort sein. Wie sich aber Ersteres ohne das Letztere erklärt, haben wir oben gesehen. Außerdem wird solche Auslegung schon damit abgewiesen, dass eben der Engel des HErrn hie und da, was er sagt, als Ausspruch des HErrn, nicht als seinen Ausspruch darlegt. So heißt es 1 Mos. 22,15.16: „Der Engel des HErrn sprach: Ich habe bei Mir geschworen, spricht der HErr.“ Der Engel spricht also als der Diener, nicht als der HErr, man wollte denn gerade an die vorhin besprochene Erniedrigung des Worts bis zum dienenden Engel herab denken, was aber anzunehmen unter allen Umständen hier die höchste Willkür ist, und jedenfalls ganz anderer Beweisgründe bedürfte. Will man aber etwa darauf sich berufen, dass JEsus sage (Joh. 8,56): „Abraham ward froh, dass er Meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich,“ so ist wohl zu bedenken, dass hiernach Abraham nicht Christum selbst, sondern nur den Tag Christi sah, d. h. Seine Zukunft im Geist erblickte. Wohl mag in den Worten JEsu liegen, dass dem Abraham eine Ahnung von der wunderbaren Erscheinung Gottes im Fleisch durch seinen Samen mit dem, was der Engel sagte, gegeben wurde, damit er den Segen verstünde, der von diesem Samen aus auf alle Geschlechter der Erde kommen sollte, wie auch in 1 Mos. 22,16-18 die Aufopferung Isaaks als Vorbild des Opfers Christi aufgefasst werden kann. Aber nicht aus der Anschauung des Engels, sondern aus dem, was der Engel im Auftrag Gottes aussprach, erhielt Abraham solche Ahnung, und diese mit einer solchen Stärke, dass es ihm war, als sähe er die Erscheinung des HErrn im Fleisch vor sich.
Noch mehr aber beruft man sich auf Stellen im zweiten Buch Mose für die Behauptung, dass unter dem Engel des HErrn Christus zu verstehen sei. Allerdings wird der Engel mit besonderem Nachdruck genannt, wie schon bei der Berufung Mosis im brennenden Busch, da sodann beständig der HErr der Redende ist. Zunächst aber beziehe ich mich zur Erklärung des Letzteren wieder auf das früher Gesagte; und es bleibt uns mehr nur 2 Mos. 33 und 34 zu besprechen übrig. Da droht nach dem Abfall des Volks zum Kälberdienst der HErr, dass Er nur einen Engel senden, nicht aber selbst mitgehen werde ins gelobte Land. Über dieser bösen Rede, heißt es, trug das Volk Leid. Moses aber betete inständigst, dass doch der HErr selbst mitziehen möge, bis endlich zu ihm gesagt wurde: „Mein Angesicht soll mitgehen.“ Um dessen ganz versichert zu sein, begehrt Moses die Herrlichkeit des HErrn zu sehen; und es gelang ihm, dem vorübergehenden HErrn wenigstens von hinten nachsehen zu dürfen, weil Niemand das Angesicht des HErrn sehen könne. Hier ist allerdings ein Unterschied gemacht zwischen einem Engel und dem HErrn selbst, oder Seinem Angesicht; und unter dem Letzteren glauben nun Viele, den Sohn, das Wort, verstehen zu müssen. Aber wir werden gleich sehen, wie sich auch das leicht erklärt, ohne es in genannter Weise verstehen zu müssen. Immerhin wohl müssen wir Gott als eine Einheit nehmen, in welcher etwa verschieden Persönliches sich offenbart und wirkt, aber immer in einander, und wie überhaupt in der Schöpfung und Weltregierung, so auch in der Führung Israels, und so, dass das verschieden Persönliche für uns nicht hervortreten sollte. Das mehrfach Persönliche in Gott bekommt für uns erst eine Anschauung, als das Wort Mensch und zugleich menschliche Persönlichkeit wurde, wie es auch von da an vornehmlich der Sohn und der Eingeborne heißt (vgl. Luk. 1,31.32.35). Für die Zeit vor Christus haben wir Gott schlechthin als eine Einheit zu nehmen, sei es auch, dass diese dem Wesen nach auf eine für uns schwer zu erfassende Weise eine Mehrheit von Personen nach dem Ausdruck der Kirchenlehre in sich schließt. Geschichtlich wenigstens wird das Mehrfache in Gott nach der Schrift auch bei Israel nicht; und somit fiele jede Betrachtung über das Mehrfache in Gott neben der Einheit Gottes, abgesehen von der Erscheinung Christi, rein nur in das Gebiet einer christlichen Philosophie, ohne auf einer für uns geschichtlich gewordenen Tatsache zu ruhen. Alles, was bei Mose erzählt wird, geschah, wie sich darlegen lässt, durch Vermittlung von Engeln, welche Gott repräsentieren, ob den Vater, oder den Sohn, oder den heiligen Geist, ist mit nichts angedeutet, genug, dass es der Eine Gott, den Israel anzubeten hatte, (vgl. 5 Mos. 6,4), ist, der sich ihm auf mannigfache Weise offenbarte. Alle weiteren Annahmen ergeben sich als überbiblisch, und sind darum unfruchtbar; und dergleichen als Behauptungen aufzuwerfen, ist auch aus dem Grunde um so misslicher, weil, besonders in unsern Tagen, gerade durch Überbiblisches Viele vom wirklich Biblischen sich abgestoßen fühlen.
Die Stellen aber, um einiges Erläuternde noch zu sagen, welche einen Unterschied zwischen dem Engel und dem Angesicht Gottes ausdrücken, deuten nur auf mehr oder minder völlige Kundgebungen Gottes hin. Wenn diese als Erscheinungen der Herrlichkeit Gottes oder des Angesichts des HErrn dargestellt werden, so sind sie der höchst mögliche Grad äußerer Erscheinung Gottes, aber immer wieder vermittelt durch Engel. Wenn es also zuerst hieß, Gott wolle nur einen Engel mitschicken, aber nicht selbst mitgehen, so war damit nur gedroht, dass das auffällige Nahesein Gottes, welches bisher dem Volke und Mose zukam, aufhören sollte. So diente dem Volke insbesondere die Wolken- und Feuersäule als persönliche Gegenwart Gottes, wie sie auch ausdrücklich die Herrlichkeit des HErrn genannt wird, deren Ansehen war, „wie ein verzehrend Feuer auf der Spitze des Bergs“ (2 Mos. 24,16.17); und in ihr war der Engel Gottes (2 Mos. 14,19.20). Wenn nun sie, namentlich über der Stiftshütte (2 Mos. 40,34-38), verschwand, so war dem Volk die Herrlichkeit Gottes, oder das Angesicht des HErrn, oder der HErr selbst mit Seiner fühlbaren persönlichen Gegenwart verschwunden. Ein Engel nun, wie gedroht wurde, sollte wohl mitgehen (2 Mos. 33,2.3), aber etwa unsichtbar, auch nicht mehr so, dass Mose sollte Gott gleichsam von Angesicht zu Angesicht sehen, wie es gewöhnlich war (vgl. 5 Mos. 34,10; 4 Mos. 12,8). An Letzterem aber musste dem Moses für seinen großen und schweren Beruf Alles liegen, schon weil es in solcher Weise angefangen hatte, und er nun fortan unter dem Gefühl der Ungnade des HErrn gestanden wäre, während es ihm sonst als unmöglich erscheinen musste, das Angefangene unter einer andern Stellung zum HErrn fortzusehen. Deswegen fühlte sich Mose nicht eher beruhigt, als bis er eben damals in ganz besonderer Weise die Herrlichkeit Gottes gesehen hatte. Immerhin aber müssen wir, wenn Persönliches dem Mose nahe trat, Engel uns denken, als die Träger der göttlichen Herrlichkeit im Auftrage Gottes, weil Solches anderwärts ausdrücklich gesagt ist, und wir nun einmal unter Engel geradezu die. zweite Person in der Gottheit, das ewige Wort, zu verstehen kein Recht haben.
Die bedeutendsten Stellen aber, da eben Engel als die Vermittler von Allem erscheinen, sind folgende: In der oben angeführten Stelle (2 Mos. 14,19.20) wird gesagt, dass nach dem Auszug aus Ägypten der Engel Gottes, der vor dem Heere Israel herzog, sich bei der Annäherung Pharaos hinter sie machte; und „die Wolkensäule“, (welche bei Nacht als Feuersäule erschien) heißt es, „machte sich auch von ihrem Angesicht, und trat hinter sie, und kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israel“. Die Wolkensäule ist also gleichsam das Gewand des Engels Gottes, der nicht Gott selbst, sondern nur Repräsentant Gottes ist. Von demselben Engel sagt später Gott (2 Mos. 23,20.21): „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege, und bringe dich an den Ort, den ich bereitet habe. Darum hüte dich vor seinem Angesicht, und gehorche seiner Stimme und erbittere ihn nicht; denn er wird euer Übertreten nicht vergeben, und mein Name ist in ihm“. So hoch auch hier der Engel gestellt erscheint, so ist es doch immer nur ein Engel, nicht der HErr selbst; und wenn der Engel nicht durch Ungehorsam verbittert werden durfte, so erinnere man sich des Worts JEsu, das zu den Aposteln, den Stellvertretern JEsu, gesprochen wurde (Luk. 10,16): Wer euch hört, der hört Mich: und wer euch verachtet, der verachtet Mich“. Der aber, welcher Obiges dem Mose anzeigte, ist gleichfalls ein Engel, der Alles im Auftrage Gottes dem Mose verkündigende Engel. Endlich führen wir Jes. 63,9 an, wo ausdrücklich, wenn wörtlich übersetzt, von dem Engel des Angesichts des HErrn die Rede ist, der Israel in der Wüste half. Wenn also auch in früher angeführter Stelle (2 Mos. 33,14), der HErr sagt: „Mein Angesicht soll gehen, damit will ich dich leiten“, so ist hier gleichfalls ein Engel solches Angesichts zu denken, nicht die eigenste Person der für Menschen unanschaubaren Gottheit. Nach dem Allem ist auch das Sehen Gottes durch die Ältesten (2 Mos. 24,10), ferner das Vorübergehen des HErrn, dem Mose hintennach sehen durfte (34,22.23), zu erklären. Das Schauen aber der Herrlichkeit Gottes in Gesichten, wie bei Jesaias (Kap. 6,1 ff.), bei Ezechiel (1,26-29), und in der Offenbarung durch Johannes (Kap. 4) ist immerhin anders aufzufassen. Dass aber auch hinter dem Lichtvollsten, das Mose sah, und das so stark auf ihn wirkte, dass sein Angesicht wie von Feuer durchglüht erschien, und ihn das Volk nicht ansehen konnte (2 Mos. 34,29-35), ein noch Völligeres zu denken sei, wurde dem Mose damit angedeutet, dass er dem HErrn nur hintennach sehen durfte, weil Weiteres, die volle Gottesherrlichkeit, selbst wenn auch so noch durch Engel repräsentiert, ein sterblicher Mensch nicht ertragen kann.
Wir erwähnen noch einer eigentümlichen Stelle von Paulus, die man zur Verteidigung der Ansicht anführt, dass bei Mose in der Wüste das persönliche ewige Wort, der Sohn Gottes, als Engel gewirkt habe. Paulus nämlich sagt (1 Kor. 10,4): „Sie haben Alle einerlei geistlichen Trank getrunken; sie tranken aber von dem geistlichen Fels, der mitfolgte, welcher war Christus“. Aber schon der Name Christus, der Gesalbte, kommt in der Schrift nur dem ins Fleisch gekommenen Wort zu. Die Stelle erklärt sich sonst leicht in anderer Weise. Der Fels nämlich, aus welchem die Israeliten das Wasser tranken, und der insofern ihnen nachfolgte, als das Wasser in Bächen und Strömen aus dem Felsen weithin durch die Wüste sich ergoss (vergl. Psalm 78,16-18), galt den Israeliten für das, was uns der Christus des Neuen Bundes ist, welcher das Wasser des Lebens gibt. Die Israeliten in der Wüste nun, will Paulus sagen, standen geistlich, d. h. vorbildlich, in denselben Verhältnissen, wie die Christen. Sie wurden auch vorbildlich getauft, indem sie unter der Wolke und dem Meere gingen, und bekamen vorbildlich die Elemente des heiligen Abendmals, indem sie Manna vom Himmel aßen, und Wasser vom Felsen tranken. Sie hatten's also in ihrer Art vorbildlich dem gleich, wie wir's unter Christus haben; und für sie war der Fels geistlich genommen ihr Christus. (Paulus redet von geistlicher Speise und geistlichem Trank und geistlichem Fels, womit er das Vorbildliche andeutet, welches Alles auf Christus und uns hatte.) Wenn sie, welche im Bilde unter denselben Segnungen standen, wie wir Christen, um deswillen nicht verschont blieben, dass sie in Unglauben verfielen, so ist uns damit auch unser Gericht vorbildlich angezeigt, wenn wir uns gleichen Unglaubens schuldig machen; und Gott hat uns an Israel vorbildlich belehren wollen, dass der Empfang höchster Segnungen und Mitteilungen von Seiten Gottes, wie sie auch Israel vorbildlich gehabt hatte, uns vor dem Gericht nicht sichert, wenn wir zum Unglauben uns wenden. Dies ist offenbar der Sinn der Stelle; und vom eigentlichen Christus, dass der dem Volke nachgefolgt sei, redet sie nicht.
Auch wenn Petrus in seinem Briefe (1 Petr. 1,11) vom Geist Christi redet, der in den Propheten war, kann nicht gemeint sein, dass der persönliche Christus oder das ewige Wort den Propheten innewohnend gewesen sei; sondern weil die Propheten vom heiligen Geist getrieben redeten (2 Petr. 1,29), so ist unter Geist Christi eben der Geist verstanden, von welchem getrieben die Propheten von Christus und Seiner Zukunft zeugten, wie es auch in der ersten Stelle umständlicher heißt, dass Er die Leiden, die in Christo sind, und die Herrlichkeit danach durch die Propheten bezeugt habe. Immerhin ist anzunehmen, dass das ewige Wort als Gott mitwirkend war in Israel, wie in der ganzen Weltregierung und schon in der Weltschöpfung. Aber Seine von dem Vater gesonderte Persönlichkeit will uns nirgends in der Geschichte Mosis angezeigt sein; und was nach dieser Seite hin behauptet wird, bleibt eine durchaus unbegründete Annahme. Hüten wir uns daher, Vorstellungen dieser Art gar als Lehrsätze geltend machen zu wollen, da sie zur Erbauung nichts Wesentliches eintragen, dagegen in mannigfacher Beziehung dem einfältigen Glauben hinderlich werden können.