Blumhardt, Johann Christoph - Über die Lehre von den Engeln - 3. Die Engel als Engel des HErrn.
In unsrer Stelle wird der Engel ein Engel des HErrn genannt. Solche Bezeichnung der Engel kommt häufig vor, um es anzuzeigen, dass es eigentlich der HErr selbst ist, der sich bezeigen will, und Er nur der Person des Engels, dessen eigenste Persönlichkeit uns nichts angehen soll, sich bedient. So stehen überhaupt alle Engelerscheinungen als Gotteserscheinungen da. Deswegen kommt es öfters vor, dass wohl ein Engel erscheint, und es doch heißt, dass der HErr rede. So erscheinen dem Abraham drei Engel (1 Mos. 18); und stets heißt es daselbst: „Der HErr sprach zu Abraham“, wie auch Abraham sagt: „Ach, siehe, ich habe mich unterwunden zu reden mit dem HErrn (Jehova)“. Ebenso heißt es beim Auszug aus Ägypten (2 Mos. 13,21): „Der HErr zog vor ihnen her“, und später (14,19): „Da erhub sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israel herzog“. Bei der Gesetzgebung (2 Mos. 19 u. 20) redet durchweg der HErr vor und auf Sinai; und doch heißt es Hebr. 2,2, dass es „durch die Engel geredet“ sei, wie auch Stephanus vor dem Rat sagt (Apostelg. 7,53): „Ihr habt das Gesetz empfangen durch der Engel Geschäfte“. Dem Josua erschien „der Fürst über das Heer des HErrn“ (Josua 5,14); und gleich darauf (6,2) heißt es: „Aber der HErr sprach zu Josua“. So oft also der Engel erscheint, ist es im Grunde der HErr, der sich durch ihn bezeigt; und wenn der HErr als der Erscheinende genannt ist, wie schon 1 Mos. 2 und 3, haben wir den Engel uns zu denken, der den HErrn repräsentiert. Wir sehen es klar, wie so die Offenbarungen Gottes an die Menschen vermittelt worden sind, und zwar in einer Weise, dass wir das Reden Gottes mit den Menschen, das uns sonst undenkbar wäre, verstehen können, und doch auch so, dass wir die Engelwesen nicht als solche nehmen dürfen, die außer Gott und ohne Gott gleichsam für sich mit den Menschen verkehrten, dass wir also von der Person der Engel rein absehen und nur den HErrn uns redend denken müssen, wie es auch die, welchen Engel erscheinen, immer gemacht haben.
Wie die Engel Gottes auch alles persönliche Tun Gottes in der Welt und unter den Menschen vermitteln, ohne dass dasselbe aufhört, ein unmittelbares zu sein, können wir auf eine lehrreiche Weise im Neuen Testamente finden. Am deutlichsten zeigt es uns die Offenbarung durch Johannes, wo Alles, was Gott in den letzten Zeiten tut, durch Engel vermittelt oder vielmehr vollzogen erscheint. Selbst in der Geschichte JEsu haben wir es nicht ganz aus der Acht zu lassen, wiewohl es kaum wird bestimmt werden können, wie weit wir diese Vermittlung auch bei Seinen Wundern, wenn sie als unmittelbare Gottestaten erscheinen, uns zu denken haben. Doch hören wir JEsum sagen (Joh. 1,51): „Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen, und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn“. Er nimmt Sich also, so lange Er auf Erden wandelte, wie einen Jakob, und denkt sich, wie bei diesem, über sich eine Himmelsleiter zu Seinem Vater. Er ist auf Erden, über Ihm der Himmel offen, Sein Vater will Sich Ihm bezeigen, und Er tut's, wie weit, können wir, wie gesagt, nicht ermitteln, durch die Dienste auf und absteigender Engel, welche die Allmachtskraft Gottes Ihm gleichsam überreichen. An die Engel wenigstens konnten die Jünger bei den großen Taten JEsu, die ganz als Werke Gottes, also nach dem Ausdruck JEsu durch Engel vermittelt oder vollzogen, erschienen, erinnert werden. Jenes Wort also drückt dasselbe aus, als wenn Er sagte: „Von nun an werdet ihr wunderbare Werke Gottes bei mir sehen, und überall, wo ich gehe und stehe, meinen Vater mit mir sein und durch mich wirken sehen“ (vergl. Joh. 5,17.20.36). Wenn ferner nach der Versuchung JEsum hungert, und Gott Ihm den Hunger stillen will, so „traten die Engel zu Ihm und dienten Ihm“ (Matth. 4,11). Wollte Gott mit JEsu „reden von dem Ausgang, welchen Er sollte erfüllen zu Jerusalem“ (Luk. 9,31), so kamen Mose und Elias als Boten, d. h. als Engel Gottes zu Ihm. Im Garten Gethsemane wollte Gott JEsum aufrichten; da „erschien Ihm ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn“ (Luk. 22,43). Wenn JEsus von dem allmächtigen Schutz redet, den Er wider Seine Feinde von Seinem Vater erbitten dürfte, so sagt Er (Matth. 26,53): „Meinst du, dass ich nicht könnte Meinen Vater bitten, dass Er Mir zuschickte mehr den zwölf Legionen Engel?“
Auch sonst sieht man, wie Gottes und der Engel Schutz gleichbedeutend genommen wird. Um zu sagen, wie die Kinder unter einem besondern Schutz Gottes stehen, sagt JEsus (Matth. 18,10): „Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht Meines Vaters im Himmel“, wobei die mancherlei träumerischen, oft an Aberglauben und Abgötterei grenzenden Vorstellungen von sogenannten Schutzgeistern und Schutzengeln viel von ihrer Berechtigung verlieren, sofern jene Engel ja Gott repräsentieren, der uns, wie immer, Seinen Schutz durch Engel zukommen lässt, ohne dass die Person der Engel eine Bedeutung für sich oder uns hätte. Wenn ferner erzählt werden will, wie Gott von Zeit zu Zeit durch Bewegung des Teichs zu Bethesda eine Anzeige Seiner heilenden Nähe geben will, so heißt es (Joh. 5,4): „Ein Engel“ (wahrscheinlich unsichtbar, vergl. V. 3) „fuhr herab zu seiner Zeit in den Teich und bewegte das Wasser“. Wenn es heißt (Psalm 34,8): „Der Engel des HErrn lagert sich um die her, so ihn fürchten, und hilft ihnen aus“, so ist es dasselbe, als wenn David sagt (Psalm 3,6): „Ich liege und schlafe und erwache; denn der HErr hält mich“. Auch wenn Gott den übermütigen König Herodes mit einer tödlichen Krankheit bestrafen will, heißt es (Apostelg. 12,13): Alsbald schlug ihn der Engel des HErrn; und er ward gefressen von den Würmern und gab seinen Geist auf“. So erklärt sich wohl auch die schwierige Stelle bei Paulus im Korintherbriefe (1 Kor. 11,10): „Darum soll das Weib eine Macht auf dem Haupte haben, um der Engel willen“, sofern der Ausdruck: „um der Engel willen“ das Nämliche besagt, wie: „um des HErrn willen“, nämlich des HErrn, der Seinen Schutz, wie Er ihn durch Engel erteilt, gegen Versuchung und Verführung den Frauen, welche sich den Blicken lüsterner Männer bloßstellen, nicht zukommen lassen kann. Wenn, um nur das Eine noch anzuführen, der HErr dem Johannes offenbaren will, was in der Kürze geschehen soll, deutet und sendet Er's zu ihm durch Seinen Engel (Off. 1,1).
Wir sehen, Geliebte, aus Allem, wie einfach, edel, rein und gotteswürdig Alles ist, was die Schrift über Engel und Engelerscheinungen zu erkennen gibt, ja, wie die Engel notwendige Mittelglieder zwischen Gott und den Menschen sind, wenn die Letzteren nicht in einer Gottverwaisten Stellung sollen zu denken sein. Durch die Engel steigt Gott, und steigen Gotteskräfte zu den Menschen hernieder; und alle Beziehungen Gottes zu den Menschen werden durch sie persönlich; und solche persönliche Beziehungen lassen sich anders gar nicht denken. Dabei ist der Zusammenhang der erscheinenden Engel mit Gott so innig, und sind die Engel mit Gott, der sie für die jedesmalige Aussendung mit Kräften, auch Allmachtskräften (vergl. 2 Mos. 4,1-19), ausrüstet, so Eins, dass wir die Bezeigungen Gottes durch Engel nicht bloß persönliche, sondern sogar unmittelbare Bezeigungen Gottes nennen müssen, sofern die Vermittlung für die Sache selbst in gar keinen Betracht kommt und nicht im Mindesten die göttliche Bezeigung, so zu sagen, abschwächt. Die Engel sind die Hand Gottes, die wirkt, der Mund Gottes, der spricht; und so wirkt und spricht Gott durch sie auch wieder unmittelbar. Wer sich daher mit Engel und Engelerscheinungen gar nicht befreunden kann, oder gar darüber als über etwas Abergläubisches und Kindisches spötteln mag, der begibt sich alles Glaubens nicht nur an die göttlichen Offenbarungen überhaupt, sondern auch an das persönliche Walten Gottes in der Welt und Menschengeschichte; oder er glaubt Beides, ohne sich die Denkbarkeit von Beidem recht vorzustellen, also mehr nur, um gläubig zu scheinen, und ohne ein volles Genüge für die Seele darin zu finden. Zu viel wird man darum mit der Behauptung kaum sagen, dass schon mit der Engellehre, wie mit jeder biblischen Grundlehre, das ganze Evangelium und alle Offenbarung steht oder fällt; und man sieht daher, was es auf sich hat, wenn man Erzählungen der Schrift, in welchen Engel reden oder handeln, alsbald und ohne alle Rücksicht und Schonung mit Achselzucken in die Fabelwelt versetzen will.