Blumhardt, Christoph - Andachten zum Psalter

Blumhardt, Christoph - Andachten zum Psalter

Psalm 16,8.

Ich habe den HErrn allezeit vor Augen; denn Er ist mir zur Rechten, darum werde ich wohl bleiben“ („… steht Er mir zur Rechten, so werde ich fest bleiben“).

Dieser Spruch ist aus dem 16. Psalm genommen, in welchem David so redet, dass es der HErr, unser Heiland, auf Sich anwenden kann für die Zeit, da Er im Fleische war. Konnte man Ihn doch auch sagen hören: „Ich tue allezeit, was Meinem Vater wohlgefällig ist“ (Joh. 8, 29). Darum erfüllte sich's auch an Ihm am vollkommensten, dass der HErr, Sein Vater, Ihm zur Rechten war und Er wohl geblieben ist unter allen Finsternissen des Erdenlebens, bis es sich bei Ihm zur Verklärung beim Vater gestaltet hatte.

David spricht aber in dem Psalm auch so, als beziehe er's auf sich selbst. Er wagte es demnach zu sagen, er habe allezeit den HErrn vor Augen und fühle den HErrn zu seiner Rechten und hoffe, durch Ihn wohl zu bleiben. Zwar war zeitweise dem nicht so, dass er das von sich sagen konnte: „Ich habe den HErrn allezeit vor Augen.“ Doch hatte er im übrigen den frommen Sinn. Und nachdem er infolge eines schweren Falles mit Schaden klüger geworden war, mag es stetiger bei ihm recht gewesen sein, so dass er die Zuversicht wiedergewann und behielt, er werde wohl bleiben.

Von uns, die wir im Neuen Testament stehen, wird es vornehmlich gefordert, den HErrn allezeit vor Augen zu haben - allezeit, wenigstens insoweit, dass wir keine Ihm missfälligen, Ihn verleugnenden, Ihn hintansetzenden Seitenblicke tun. Solches ist uns leichter gemacht, da nun unser Blick zu Gott dem HErrn ein Blick auf Jesus geworden ist, unsern hocherhöhten Bruder, dessen Vorbild wir vor uns haben. Zu Ihm, dem „Anfänger und Vollender unsres Glaubens“, fühlen wir uns auch hingezogen, weil wir durch Ihn zu Gnaden angenommen sind und Frieden empfangen haben. Von Ihm wissen wir ferner, dass Er, wenn wir zu Ihm blicken, bei uns, uns zur Rechten sein will - wie denn auch zu Ihm all unsre Hoffnung auf Zeit und Ewigkeit steht. Wer sollte nicht Ihn gerne allezeit vor Augen haben?!

Und doch, wo sind sie, die es so tun, wie es gefordert ist? Die nicht immer wieder ihre Blicke seitwärts richten nach den Trebern dieser Welt, durch die sie sich in allerlei Sünden und Übertretungen des göttlichen Gebotes verlocken lassen?

Aber bedenken wir recht, dass die Verheißung, wohl zu bleiben - an welche David sich hält -, nur soweit sich an uns erfüllt, als wir den HErrn vor Augen haben oder wenigstens nicht von Ihm abseits blicken. Jeder Seitenblick, den wir durch Verlassen des HErrn tun, bringt Gefahr oder Züchtigung - eine um so schwerere Züchtigung, je mehr es von uns erwartet werden konnte, dass wir keine solchen bösen Seitenblicke mehr tun. Wer die Welt und deren Lust und Freude und Tand noch im Auge hat, der wird es schwer haben, wohl zu bleiben und wird es früher oder später erfahren, wieviel Schaden es ihm gebracht hat oder bringt.

Wollen wir darum den HErrn allein unser Gut, unsern Schatz, unsre Ehre und Freude, unsre Richtschnur sein lassen! Ach, wie wird's uns dann so wohl gehen, nicht nur in dieser Zeit, sondern auch in der Ewigkeit!

Psalm 16,8

Das Wohlbleiben - Festbleiben - Christi

Denken wir uns den Spruch im Munde des Heilands, so kann er noch allerlei Gedanken in uns wecken.

Schon wenn Er sagt: „Ich habe den HErrn allezeit vor Augen“, erinnert's uns an die versuchungsvolle Lage, in der Er auch als ein ins Fleisch Gekommener stand, da Satan bemüht war, Ihm überall Schlingen zu legen. Rühmt Er's sodann, dass Gott der HErr Ihm zur Rechten stehe, so liegt darin ein Hinweis auf die vielen Trübsale, die über Ihn kamen und die Ihn stets zu vernichten schienen - wie Er denn, mehr als wir es wissen, Sein Leben in beständigem Kampf und Ringen mit Gott um Hilfe zugebracht hat. Wie wichtig ist es endlich, dass all Sein Hoffen - besonders für uns, um derentwillen Er sich so hingegeben hat - darauf stand, dass Er fest bleiben würde. Denn eben daran hing unsre Rettung, weil sonst alle geborenen Menschenkinder unter Satans Macht und Knechtschaft verkauft waren. Wichtig war es insbesondere, dass Er in Seiner schwersten Zeit, da Er am Kreuz hing, so stand, dass Er auch hätte ausrufen können: „Er ist Mir zur Rechten, darum werde ich wohl bleiben“ - „wenn ich auch sterbe“, musste Er hinzudenken. Dies aber war Ihm so gewiss, dass Er selbst einen der Schächer zu dem Paradies, das Er vor sich sah, einladen, ihm also auch das „Wohlbleiben“ verheißen konnte. Deswegen konnte Er auch im Psalm (V. 9f.) noch weiter sagen: „Auch Mein Leib wird sicher ruhen; denn Du wirst Meine Seele nicht im Tode lassen und nicht zugeben, dass Dein Heiliger verwese“ - Worte, welche die Apostel ausdrücklich auf den HErrn Jesus beziehen (Apg. 2,25ff.; 13, 35ff.). Wie viel aber hing für uns davon ab, dass Er fest und wohl blieb, die Kämpfe alle zum Siege hinausführte und sich zum ewigen Wohlbleiben beim Vater aus der Trübsal dieser Welt in Seine ursprüngliche Herrlichkeit emporschwang! Damit ist auch für uns das Wohlbleiben gesichert.

Wie wohl aber wird's uns einmal sein bei Ihm, unsrem hocherhöhten Heiland, in Seiner Herrlichkeit und Ruhe!

Psalm 23,4

“Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich.“

Die Losung spricht vom finstern Tal. Wir sind auch heute auf eine schmerzliche Weise ans finstere Tal erinnert worden. Ein uns fast allen wohlbekannter teurer lieber Bruder in Straßburg (Herr Mausch) wird heute Mittag um 3 Uhr ins Grab eingesenkt, - war nur 24 Stunden lang krank! Der HErr hat ihm schnell durchs finstere Tal geholfen. Er ist im Glauben gestanden, und hat viel in allerlei christlichen Vereinen Straßburgs gewirkt, auch große Liebe zu unsrem Hause, schon in den Tagen Möttlingens, gehabt. Er wird mir und vielen in Straßburg unvergesslich bleiben. - Gottlob. dass der HErr auch für uns durchs finstere Tal gegangen ist; und Er hatte es zuvor finsterer, als es nur ein Mensch haben kann. Fühlte Er sich doch selbst von Gott verlassen, wiewohl Er auch unter dieser Verlassenheit doch noch rufen konnte und nicht davon abließ: „Mein Gott, mein Gott!“ In Stunden der Verlassenheit sich nicht verlassen lassen, - versteht ihr's? - in Stunden der Verlassenheit sich vom lieben Gott nicht verlassen lassen, das ist besonders wichtig, dass wir es lernen, - und der Heiland lehrt's uns. Auf ein Tüpfelchen, kann man sagen, kam bei Ihm alles an. „Eli, Eli.“ rief Er, und dieses hebräische Wort „Eli“ ist zusammengesetzt aus „El“ d. h. Gott, und „I“ d. h. „mein“; und letzteres wird nur mit einem Tüpfelchen oder Strichlein geschrieben. Aber mit diesem Tüpfelchen behielt Er den Faden bis zum Herzen seines Vaters. Denket an den Glauben, wie ein Senfkorn, was auch wir mit dem, nach der Versicherung des HErrn, auszurichten vermögen. Aber so musste Er durch, und so hat Er sich auch durchgekämpft im Glauben (Heb. 12,2), und ist damit unser Retter geworden. Weil Er hindurchgekommen ist, hat Er das Recht, uns auch hindurchzubringen; und für uns wird's nur dann schwer, wenn das eigene Gewissen trostlos machen will. Ja, das kann's schwer machen. Aber Er hat für uns geblutet; so darf auch das eigene böse Gewissen uns nimmer mutlos machen, wenn wir nur Ihn ansehen, annehmen und festhalten. „Dein Stecken und Stab trösten mich,“ lesen wir; und wie kann doch der HErr JEsus uns Stecken und Stab werden.

Auch so lange wir hienieden wallen, geht es fortwährend durch Todesnoten hindurch. Man gehe unter den Tröstungen des Kampfes JEsu ruhig, gelassen, seine Straße weiter, wenn auch geplagt, gepeinigt und bedrängt auf allerlei Weise. Nur Ihn, den gekreuzigten und Auferstandenen, nicht fahren lassen, Ihn als Stecken nehmen, mit dem man läuft, und als Stab, auf den man sich stützt, - und weiter, Er führt zur Herrlichkeit.

Mel. Herzlich tut mich.

Wann ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wann ich den Tod soll leiden,
So tritt Du dann herfür!
Wann mir am Allerbängsten
Wird um das Herze sein,
So reiß' mich aus den Ängsten
Kraft Deiner Angst und Pein!

Psalm 28, 7

“Der Herr ist meine Stärke und mein Schild. Auf ihn hoffet mein Herz, und mir ist geholfen. Mein Herz ist fröhlich, und ich will ihm danken mit meinem Liede.“ Psalm 28, 7.

Das will viel sagen, wenn Einer kühnen Muts, aber mit wahrem Herzen, nicht bloß, dass es Lippengeschwätz ist, sagen kann: „Der HErr ist meine Stärke und mein Schild.“ Das eine Mal muss man mannhaft kämpfen, ritterlich sich wehren, die Bollwerke der Finsternis verstören helfen, fast übermäßig sich anstrengen, um sich durchzuschlagen, - dazu braucht's Stärke. Das Mal muss man aushalten, gefasst und ruhig sich stille bleiben, wenn die Macht der Finsternis auf uns einstürmt, und uns zu überschütten und zu zertrümmern droht, ohne dass wir etwas dagegen vornehmen können, - dann braucht‘s eines Schilds. Ob wir nun wirken oder ruhen, kämpfen oder stille sind, so haben wir auf beide Fälle am HErrn genug. Einerseits ist Er uns Stärke, und andererseits ist Er uns Schild, und dieses beides, sobald unser Herz in Wahrheit auf Ihn hofft. „Auf Ihn hoffet mein Herz,“ sagt David weiter, „und mir ist geholfen.“ Ihm gilt also Hoffnung für Hilfe, er hofft ja nicht auf etwas Vergängliches, Trügerisches. Er hofft auf den HErrn, den starken großen Gott, der alles machen kann, und den Wahrhaftigen, dessen Wort und Verheißung gilt. Wie kann's ihm fehlen, wenn er auf diesen HErrn hofft? Fehlt es ihm aber nicht, dass er ganz gewiss weiß, das komme, was er hoffe, wie sollte er es nicht ansehen dürfen, als wäre ihm schon geholfen? Jedenfalls weiß er, dass nichts Ungeschicktes ihm widerfahren kann, und alles auf die große und eigentliche Hilfe zielen muss. Solcher Hoffnung und Hilfe gewiss, ruft David noch aus: „Mein Herz ist fröhlich, und ich will Ihm danken mit meinem Liede.“ So jubelt er voll guten Muts, obwohl er noch nicht hat, was er hofft; und so denkt er, wie wenn er's bereits hätte. Wie töricht und verkehrt sind doch wir, dass wir so oft uns nicht trösten lassen wollen, dass wir immer mehr klagen als danken! Aber wir hoffen nicht genug; und nur durch Hoffnung machen wir den HErrn zu unsrer Stärke und zu unsrem Schilde.

Mel. O du Liebe meiner Liebe.

Auf Dich harre ich, wenn das Leiden
Nicht so bald zum Ende eilt.
Dich und mich kann's nimmer scheiden,
Wenn's gleich noch so lang' verweilt.
Und auch dies mein gläubig Hoffen
Hab' ich nur allein von Dir.
Durch Dich stets mein Herz Dir offen,
Dass Du Solches schaffst in mir!

Psalm 34,2.

Ich will den HErrn loben allezeit; Sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.

Wenn David eine Errettung erfahren hat, so will er sie nie vergessen und will in der Erinnerung derselben allezeit verbleiben. Auf diese Weise konnte er dazu kommen, allezeit den HErrn zu loben - auch in der Trübsal und in schwerer Anfechtung. Da erinnerte er sich immer des Guten zurück, das er schon erfahren hatte; und das war ihm ein Angeld über alle trüben Zeiten hinüber. Wenn es uns also seltsam vorkommen will, dass David allezeit Gott zu loben gestimmt gewesen sein sollte: so ist es doch sehr erklärlich, dass er's vermochte. Denn er verstand, alle frühere Barmherzigkeit Gottes, die er erfahren hatte, an seiner Seele vorübergehen zu lassen. Daher kam es auch, dass selbst in seinen Klagepsalmen das Lob Gottes nie fehlt und ihm immer ein Halt übrigblieb, über die Not, in der er sich befand, hinüberzuglauben.

Wir sehen's also, wie auch wir immer das Lob Gottes im Munde haben können - selbst wenn uns das Klagen nähersteht! Denn wenn alles noch so sehr durcheinandergeht, so dass wir uns nicht mehr zu raten und zu helfen wissen, dürften wir uns nur die erfahrenen lobenswerten Taten des HErrn vor die Seele stellen - und das Lob würde aufflammen! Kommt aber solch Lob, so können wir schon besser tragen und haben Mut, ja Freudigkeit genug.

Lassen wir's nur nicht, die Treue des HErrn zu preisen, indem wir sagen: „Er hat schon so oft geholfen, Er wird auch diesmal helfen!“ Denn damit loben wir schon den HErrn, und unter diesem Lob kommen wir doch weiter als unter dem Klagen.

Wir sind freilich in der Regel gar zu unverständig und verschließen uns, wenn Not kommt, nur zu schnell den Blick in die Vergangenheit und das Gute, das Gott bisher an uns getan hat. Da tun wir, wie wenn wir in unserem Leben nichts als Trauriges erfahren hätten und als ob Gott gar nichts anderes wüsste, als Seine Kinder zu plagen!

0 wir Toren und bösen Leute, dass wir des Guten so leicht vergessen, das Er tut, und an dem es nicht lernen, allezeit den HErrn zu loben und Sein Lob immer im Munde zu haben!

Psalm 44, 27.

Mache Dich auf, hilf uns und erlöse uns um Deiner Güte willen!

So ruft David oft; und so oft er's tut, hat er das Gefühl, als ob Gott ruhte und Alles nur so gehen ließe, wenn's auch bis zum äußersten Verderben käme.

Es ist ihm dies ein scheinbares Schlafen des Gottes Israels, dabei er sich von Gott verlassen fühlt, dem ähnlich, da der Heiland auf dem Schiffe mitten unter dem drohendsten Sturm, der Alles in Aufregung brachte, schlief. In solchen Zeiten nehmen wir keine Bezeigungen des HErrn für uns wahr; wir verspüren Sein Hereinwirken nicht, sehen lauter Sturm und Ungewitter um uns und fühlen unheimliche Mächte der Finsternis, die uns zu verderben drohen. Da ist's, als ob wirklich der Teufel Meister wäre und tun dürfte, was er wollte, ohne dass Gott darnach fragte. In diesen dunklen und schweren Zeiten ist der Ausruf eines gläubig zu Gott sich haltenden Menschen erklärlich, wenn er mit dem lauten Schrei: „Mache Dich auf, stehe auf, wache auf!“ den Gott, der doch nie schlafen und schlummern kann, gleichsam aus dem Schlafe aufwecken will, wie es in den Psalmen öfters vorkommt. Genau genommen ist solcher Ausruf eine Selbsterweckung zu neuem Glauben und zu ernstlichem Bitten, da Gott allerdings schlafen kann, wenn wir schlafen.

Warum aber und wozu soll der HErr erwachen und sich aufmachen? „Hilf uns und erlöse uns,“ setzt in unsrem Spruch David hinzu. Wir werden damit an das erinnert, da die Jünger den HErrn aufweckten mit den Worten: „HErr, hilf uns, wir verderben!“ Um des HErrn Hilfe und Errettung ist es uns zu tun, da wir uns selber nicht mehr zu helfen wissen, sondern es ganz nur der Allmacht Gottes anheimstellen müssen. Gott lässt es gerne so weit kommen, dass wir uns aller Selbsthilfe begeben müssen, gleichsam Bankerott machen, damit sich's herausstelle, Er sei der Helfer. In solchen Zeiten wagen auch ihrer Viele nicht einmal mehr an eine Hilfe Gottes zu glauben, wie wenn's fortan auch Ihm unmöglich wäre. Andere aber, die Gott noch im Herzen haben, schreien unwillkürlich Ihn an, ohne zu bedenken, dass sie um unmöglich Scheinendes bitten. So wecken die Jünger den HErrn auf und sagen: „Hilf uns!“ Was kann denn aber sonst ein Mensch machen, wenn der Sturm tobt und das Schiff mit Wellen bedeckt wird? Welcher Mensch will denn da helfen? Die Jünger hatten das selbst nicht recht überlegt, dass sie auch hier sagen mochten: „HErr, hilf uns!“ Und wer es hörte, konnte denken: „Was wollen denn die da? Meinen denn die, ihr Meister könne Alles, könne auch dem Sturm und Meer gebieten?“ So kann der Glaube auch blindlings glauben, und er glaubt nicht umsonst. Der HErr hat damals wirklich dem Wind und Meer geboten. Was vermag nicht Gott! Alles, wenn er einmal aufwacht und Seiner Allmacht braucht uns zu lieb!

Dass es Gott tun werde, hofft David von Seiner Güte, da Er ja nicht auf einmal der Harte, Unerbittliche geworden sein kann, sondern der Gütige und Barmherzige bleibt, der Seine Kinder nicht preisgibt, sondern, wenn Er sie auch lange in der Anfechtung gelassen hat, doch endlich, wenn sie ernstlich bitten, erlöst. Erwecken lässt sich der HErr! So wird er einmal in der allerhärtesten Zeit Seine Auserwählten erhören, die Tag und Nacht zu Ihm rufen und sie erretten in einer Kürze. Lernten wir nur gläubiger bitten und rufen!

Mel. O Ewigkeit, du. Verbirg doch nicht Dein Angesicht;
Vergiss, HErr, unsres Elends nicht
Und Dranges, kehre wieder.
Denn unsre Seele ist gebeugt
Zur Erde, tief in Staub geneigt;
Wir liegen ganz darnieder.
Steh' auf, hilf uns, erlöse uns,
Denk' Deiner Güte, Deines Tuns.

Psalm 55, 17.

“Ich will zu Gott rufen, und der HErr wird mir helfen.“

Die Losung erinnert uns an das Vielen unter uns bekannte Verslein nach Psalm 55, 17. 18. 23). „Ich will schreien zu Gott, dem HErrn.“ Was wollen wir denn anfangen in der Not? Wohin sollen wir gehen? wenden sich nach rechts und links, in die Kreuz' und Quere, wenn's möglich wäre, bis ans Ende der Erde. Wir aber wollen einen anderen Entschluss fassen. Beschlossen sei's, dass wir sagen: „Ich will zu Gott rufen.“ Aber du musst's nicht nur so tagelöhnersmäßig tun wollen, sondern mit ganzem Herzen und vollem Ernst, dass es heißte „Ich will.“ Nun, tue also; und wenn du recht willst, und dein Glaube wirklich zu Gott gerichtet ist, so wird dir gewisslich, wie David dazu setzt, der HErr helfen, sei's so oder so! Helfen wird Er. Das heißt aber nicht: alle Last wegnehmen, alles Kreuz aufheben, sondern es heißt nur: helfen, wohl auch nur: tragen helfen. Da ist's auch etwas. Jedenfalls wird Er's so machen, dass du durchkommst, und zuletzt alles recht wird.

Man muss nicht gleich zu viel wollen. Da meint wohl Eins, wenn es krank ist, erst dann sei es erhöret, wenn es wieder gesund ist. So hilft der HErr nicht immer. Er hilft auch unter der Krankheit, unter dem Kreuz so, dass die Krankheit bleibt, und das Kreuz bleibt, aber die Hilfe dabei ist. Für das muss man auch dankbar sein, dass man wenigstens fortkommt. Wenn wir für das dankbarer wären, so hätten wir's viel besser, und würden wir auch unter der Trübsal viel freudigere Stimmungen haben. Ist übrigens mehr nötig, so wird der HErr auch mehr helfen. Es ist aber in der Regel das Seine Weise, dass Er etwas zu tragen und sich zu schleppen übrig lässt, und nur so weit hilft, dass es geht. Verstehst du's? und willst du zufrieden sein? Sei's! ich rate dir's!

Mel. Weil ich Jesu etc.

Ich will schrei'n zu Gott dem HErrn;
Und es hilft der HErr mir gern.
Wenn ich Abends vor Ihm weine,
Morgens ich vor Ihm erscheine,
Ich auch Mittags klage Ihm,
Wird Er hören meine Stimm'.
Auf den HErrn wirf deine Last,
Jede Sorg', die dich erfasst.
Der wird also für dich sorgen,
Dass dir kommt ein froher Morgen.
Ewig lässt in Unruhpein
Den Gerechten Er nicht sein. (nach Ps. 55, 17. 18. 23.)

Psalm 62, 9.

“Hoffet auf Ihn allezeit, lieben Leute! Schüttet euer Herz vor Ihm aus. Gott ist unsre Zuversicht.“

Wir haben heute den allgemeinen Konfirmationstag im Lande. Da erneuern Tausende von Kindern ihr Taufgelübde; und wir dürfen annehmen, dass deren viele heute schon ernstlich gebetet und deren Eltern auch mit bewegtem Herzen aufwärts geblickt haben. Manche derselben sind mir auch besonders in die Fürbitte anbefohlen worden. Obwohl wir nun diesmal hier kleine Konfirmation haben, so wollen wir doch auch in die Gemeinschaft der vielen uns versetzen, die vor den Herrn treten, und im Geist mit ihnen hertreten, und dabei auch unser Taufgelübde im Stillen erneuern. Der Geist der Gnade möge auf sie und uns kommen!

Unsre Losung sagt viel und gerade das Rechte für uns und die Kinder. Was kann man letzteren Besseres sagen, als dass sie nur auf den HErrn hoffen lernen möchten, der allein unsre Zuversicht ist? Die Jugend fängt gerne mit eigenem Mut ihren freieren Lebensweg an, hat auch ein Gelüste, gewisser Fesseln, in denen sie sich fühlen, sich zu entschlagen; und wenn sie da nicht aufwärts blicken lernen, kommen sie außer aller Pflege, der menschlichen, wie der göttlichen. Das ist auch Ursache, dass so viele bald ausarten. Wie viel schöner, wenn sie länger Kinder bleiben, und auf den Heiland hoffen, dass Er ihre Hilfe und ihre Stütze, ihr Führer und Wegweiser bleiben möge.

Um aber in Gott die rechte Zuversicht zu haben, muss man es lernen, sein Herz vor Ihm auszuschütten. Man muss alles seinem Gott sagen lernen, was man wünscht und hofft, fürchtet und leidet. Mit Gott, sei's auch in der Stille, alles besprechen, was das Herz bewegt, das heißt sein Herz vor Ihm ausschütten. Sollte da der HErr Sich nicht finden lassen? Die Jugend bedenkt's gar nicht, wie nahe ihr noch die Engel sind, und wie schnell diese ihr Dienste zu leisten angewiesen werden, wenn sie nur ein wenig ihre Arme nach oben ausstreckt. Wie schnell war der Engel bei der Hagar und deren Sohn Ismael zur Hand, als Letzterer in der Wüste am Verschmachten war (1. Mos. 21,15 ff.)! Denn immer noch steht die Jugend dem HErrn näher, als es meist bei Älteren der Fall ist; und immer noch sehen ihre Engel im Himmel das Angesicht ihres Vaters im Himmel.(Matth. 18, 10).

Dieses freundliche Verhältnis zum HErrn dauert so lange fort, als sie beten und ihr Herz einfältig ausschütten können vor Ihm, indem das ihnen hilft, in keine Sünde zu willigen und nichts zu tun wider Gottes Gebot.

Machen wir alle es doch auch so, und zwar nicht nur von Zeit zu Zeit, sondern allezeit, wie es im Text heißt. Sind etwa bei dem einen oder andern die Engel schon ferner gestellt, - und jedes weiß warum? - so können die Engel doch durch tägliches Bitten und Flehen wieder näher gerufen werden, da denn auch kindliche Buße den Engeln es erleichtert, sich wieder ihrer Pfleglinge nach dem Auftrage Gottes anzunehmen. Halten wir's fest; und Gott bleibt unsre Zuversicht, so lange wir Sein Antlitz suchen.

Mel. Weil ich JEsu Schäflein bin.

Hoffet auf Ihn, liebe Leut',
Und vertraut Ihm allezeit.
Euer Herz vor Ihm ausschüttet;
Denn Er hört, wer zu Ihm bittet.
Er ist unsre Zuversicht,
Lässt die Seinen wanken nicht.

Psalm 66, 16.

“Kommet her, höret zu alle, die ihr Gott fürchtet! Ich will erzählen, was Er an meiner Seele getan hat.“

Davids Herz ist voll von Lob und Dank gegen Gott, der ihm geholfen; und nun kann er's nicht für sich behalten. Er will seine Freude mit andern teilen, und möchte es gerne erzählen. Daher ruft er herzu alle, welche Gott fürchten. Nur an die, welche Gott fürchten, will er sich wenden. Er weiß wohl, dass er's nicht jedermann sagen kann und darf. Denn es gibt viele, bei denen man muss stille sein, und denen man nichts der Art sagen darf, weil sie nur lachen oder spotten, ja schelten oder lästern. Denen aber, die Gott fürchten, tut‘s wohl, von Liebestaten Gottes zu hören, welche andere erfahren haben. Wenn dann die so beisammen sind und miteinander die Gnaden Gottes preisen, so ist das ein schönes Häuflein, das dem HErrn Freude macht, und das glücklicher ist, als alle sonstigen Vereine und Klubs in der Welt, die nur pochen und ihr selbst Werk preisen.

Bei Freunden Gottes aber verrät es Undankbarkeit, wenn sie gegen jedermann über das, was sie Großes vom HErrn erfahren haben, so schweigsam sind; und es macht einen üblen Eindruck, wenn jemand, auch da, wo ihm Gelegenheit sich darbietet, erfahrene Hilfe oder Freundlichkeit Gottes zu erzählen, den Mund nicht auftun mag. Da gibt es Leute, die nehmen alles so stumm hin, was der liebe Gott tut, ohne ein rechtes Gefühl selbst für ihren Gott zu haben; und die müssen sich's daher auch gefallen lassen, wenn sie Gott wieder darben und ins Elend kommen lässt, damit sie ein andermal die Güte Gottes schätzen lernen. Oft schämen sie sich gleichsam, nur ein freudiges Gesicht zu zeigen, dabei ein geheimer Stolz zu Grund liegt, wenn nicht gar eine Verleugnung des HErrn. Wer aber fröhlich sein kann, und mit seinen Brüdern sich Gottes freuen, der darf sich vom lieben Gott noch mehr versprechen.

Andererseits gibt's wieder viele, die zu schnell und ungescheut vor jedermann über alles reden; und die verursachen damit oft großen Schaden, weil sie dem Lästerer den Mund öffnen. Merk's, wie David nur die zuhören heißet, die Gott fürchten. Noch ungeschickter ist es, wenn man vollends prahlt mit den erfahrenen Gnaden Gottes, und den Eindruck macht, als wollte man's ausbreiten, wie man bei Gott so besonders wohl daran sei. Es ist aber eine große Sünde, aus der Gnade Gottes einen Selbstruhm zu machen, und mit dem Preisen Gottes mehr seiner Eigenliebe zu dienen. Da gibt‘s Leute, welche Tage lang fortmachen können, vor andern sich als Lieblinge Gottes hinzustellen.

Wollen wir uns das alles zur Beachtung und Vorsicht gesagt sein lassen. Ein lauterer, kindlicher, wahrer Dank, der sich laut macht, ist etwas Schönes; aber Demut und Furcht Gottes muss zu Grund liegen, bei welcher man sich alles Guten unwert achtet, das man erfahren darf.

Mel. Womit soll ich dich.

HErr, entzünde mein Gemüte,
Dass ich Deine Wundermacht,
Deine Gnade, Treu und Güte
Froh erhebe Tag und Nacht,
Da von Deinen Gnadengüssen
Leib und Seele zeugen müssen.
Tausend, Tausendmal sei Dir,
Großer König, Dank dafür!

Psalm 71, 15.

a. Losung. „Mein Mund soll verkündigen Deine Gerechtigkeit, täglich Dein Heil, die ich nicht alle zählen kann.

Das Wort „Gerechtigkeit“ hat hier und oft eine weitere Bedeutung, und ist nicht als Strafgerechtigkeit zu nehmen, sondern in der Bedeutung, dass Gott alles recht mache. Verkündigt also David die Gerechtigkeit des HErrn, so will er rühmen, wie der HErr es recht mache nach allen Beziehungen fürs Innere und Äußere, unter Bösen und Guten. Er sagt das Nämliche, was der Schluss eines Liederverses:

„In Seinem ganzen Königreich
„Ist alles recht und alles gleich.
„Gebt unsrem Gott die Ehre.“

In diese Gerechtigkeit ist allerlei eingeschlossen, auch das, dass sie nicht als solche erscheint. Je und je sieht Alles sehr uneben ans, und kann man längere Zeit sehr in Zweifel sein, ob es auch noch recht werde auslaufen. Aber nach gewissen Zeiträumen merkt man's, wie vieles, das in einem unauflöslichen Gewirre zu sein schien, doch immer wieder auf den rechten Punkt hinauskommt. So hat man, wenn man zurückblickt, Ursache genug, die Gerechtigkeit des HErrn, d. h. Sein Rechtmachen, zu loben und zu preisen. So bekommt man Mut, auch fürs große Ganze zu hoffen. Wie verwickelt sind und bleiben nicht oft die Knoten? Menschlicher Verstand sieht da nicht hinaus. Ihm kommt es als eine Unmöglichkeit vor, dass Alles noch recht und harmonisch sich auflösen soll. Der Glaube aber hält sich an das wunderbare Rechtmachen Gottes im Einzelnen, da die Lösung auch nicht voraus erkannt werden konnte. Das Unmögliche wird oft im Laufe der Zeit möglich; und ein frommer Sinn, wie der Davids, kann darum jetzt schon beim Vorblick auf die Vollendung aller Dinge jauchzen, da die Gerechtigkeit Gottes, d. h. Seine Wunderhand, die alle Rätsel gelöst, alles Verwickelte in Ordnung gebracht, alles recht gemacht hat, von allen Kreaturen im Himmel und auf Erden verkündigt werden wird.

Beim Rechtmachen Gottes aber geht es immer auf das Heil der Menschen hinaus, von dem auch unser Spruch redet. Alle Fäden der göttlichen Führung laufen in dem endlichen Heil zusammen, das Gott den Menschen zugedacht hat. Darum kann auch das Evangelium, nach welchem alles wiedergebracht wird, wie das Heil Gottes, so auch Seine Gerechtigkeit, Sein Rechtmachen, genannt werden. Zunächst darf jeder Mensch, der zum Glauben sich wendet, es erfahren, wie bei ihm alles zum Heil zielt, zum Preis der Gerechtigkeit Gottes. Dieses Heil wird aller Kreatur nahe gebracht; und zuletzt werden alle Zungen der Erlösten sagen (Jes. 45, 24): „Im HErrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke,“ d. h. Er bringt bei mir alles zurecht, und offenbart Sein Heil an mir durch Seine starke Hand.

Zusatz

Wie glücklich ist der Mensch, der dieses Rechtmachen Gottes zum Heile hin in Zeiten merkt, und darum in Unangenehmes, Trübes und Schweres sich fügen kann, weil er sich's bewusst ist, dass alles aufs rechte, aufs Heil, hinausläuft! Wer aber die Einsicht und Erfahrung davon hat, soll auch davon reden, wie David es tut, und nicht immer so stumm sein, soll auch nicht fortfahren, mit Unmut und Verzagtheit auf neues Gewirre, das sich etwa vor seinen Augen ineinanderschlingt, hinzusehen, da er's doch erfahren hat, wie Anderes sich so schön vor ihm zuletzt recht gemacht hat aus aller Verwirrung heraus. Lerne dieses Rechtmachen Gottes laut rühmen. Das wird dir und Andern aufhelfen, wenn du auf die verborgene Führung Gottes zum Heil im eigenen Leben aufmerksam machst, und es darlegst, wie Gott so vieles, das Anfangs rätselhaft schien, doch so wunderbar schön zum Guten hat ausschlagen lassen.

Mel. O dass ich tausend.

Ich will von Deiner Güte singen,
So lange sich die Zunge regt.
Ich will Dir Freudenopfer bringen,
So lange sich mein Herz bewegt.
Ja, wenn der Mund wird kraftlos sein,
So stimm' ich noch mit Seufzen ein.

Psalm 86,2.

Hilf Du, mein Gott, Deinem Knechte, der sich verlässt auf Dich!

„Hilf Du, mein Gott!“, ruft David in großen Nöten aus. In tausend Fällen weiß man sonst keine Hilfe. Die Sachen verwickeln sich oft in einer Weise, dass alle Hilfe unmöglich scheint, dass es also der Mensch von sich aus fallenlassen muss. Da kommt es nur darauf an, dass man einen Glauben habe, der es Gott zutrauen kann, auch das zu tun, was unmöglich scheint, und dass man sich in solchem Glauben zu Ihm wendet.

Gar leicht aber kommen wir dazu, uns so zu stellen, als ob auch nicht einmal Gott mehr zu helfen wüsste - also alles verloren wäre! Da mag und kann man nimmer bitten. So ist's bei denen, die in Verzweiflung kommen. Alle Verzweifelnden verzagen an Gott und können nicht mehr sagen: „Hilf Du, mein Gott!“ - weil sie wie gesagt die Sache verlorengeben, so dass nicht einmal Gott mehr sollte helfen können! Bei vielen ist es freilich auch so, dass sie gar nie an Gott zu denken gewohnt sind und von einem Anrufen Gottes in der Not gar nichts wissen. Leider ist man oft auch zu klug und weise und meint: „Was sollte Gott das Gebet des Menschen hören und sich bewegen lassen, auf seine Bitten hin etwas zu tun - oder gar etwas anders zu machen, als Er's ohnehin machte!“ Diese alle haben keinen Gott und sind dann, wenn die Lagen verwickelt sind, übel dran. Ja, übel dran ist der Mensch, der nicht einmal den Seufzer gelernt hat: „Hilf Du, mein Gott!“ Doch lernen die Menschen oft in den Nöten beten, wenn sie's auch sonst nicht vermocht haben.

In peinlichen und verzweifelten Lagen befand sich auch David oft. Der aber nennt sich „Knecht des HErrn“ und kann darum sagen: „Ich verlasse mich auf Dich!“ Er ist ja, das will er damit zu verstehen geben, ohnehin nur der Knecht, der im Dienst eines Herrn steht, dessen Sache es ist und der's eigentlich zu besorgen hat. Als Knecht braucht er nicht der zu sein, der alles machen muss., und darf es auch nicht. Als Knecht kann und soll er zum Herrn gehen und sagen: „Ich kann nicht mehr, weiß mir keinen Rat mehr, sehe nicht mehr hinaus. Herr, sorge Du, mach Du's!“

Wir aber machen's wohl selten so. Wir wollen gerne die Herren spielen, die alles allein machen und alles vermögen, und wir sind, wenn's nimmer geht, wohl auch ärgerlich, dass es uns nicht weiter gelingt - und mögen schon aus Verdrossenheit darüber Gott nicht bitten! Aber wenn wir so sind und nicht schließlich alles dem lieben Gott zuweisen können und Seiner Barmherzigkeit und Kraft, so machen wir unsre Sachen verkehrt und stürzen uns ins Verderben, indem wir lieber mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen als stillestehen und zuwarten, demütig betend: „Ach, lieber Gott, hilf doch Du!“

David also, der König, verlässt sich auf seinen Gott. Ihm traut er's zu, dass Er es fertig bringe, wo er selbst, der Knecht David, stecken geblieben ist. Er traut's Ihm zu, dass Er den Wagen aus dem Schlamm wieder herausbringe, in welchen derselbe sich verlaufen hat.

Ja, Gott sind alle Dinge möglich; und Er hört auch, wenn wir bitten, und achtet darauf. Das müssen wir im Glauben festhalten. Wohl dem, der's kann! Denn ihm wird's wirklich nie fehlen. Das hat David erfahren, weswegen er auch sagen kann (Ps. 2,12): „Wohl allen, die auf Ihn trauen!“

Psalm 86,4.

Erfreue die Seele Deines Knechtes; denn nach Dir verlangt mich.

David richtet's als Bitte zu Gott, wenn er sagt: „Erfreue mich, erfreue die Seele Deines Knechtes!“ Nur mit Bitten und Flehen können wir das, was wir verlangen, von oben bekommen; und nur, wenn wir gebetet und gefleht haben, erfreut uns das, was Gott gibt. Tut Gott uns Gutes, ohne dass wir bitten, so lässt's uns in der Regel kalt und undankbar, will's uns nicht erfreuen. Darum wartet der liebe Gott so gerne, bis wir bitten und bis wir ernstlich bitten. Dann erst macht's uns Freude, legt Gott gleichsam Ehre bei uns ein, wenn wir Erbetenes bekommen.

„Die Seele Deines Knechtes“, sagt David, d. h. des Mannes, der in Deinem Dienste steht, der also Deine Sache vertritt. Dies war bei David der Fall - und doch muss. er so viele Schwierigkeiten finden in dem, was ihm obliegt. Mit Leuten, die es anders wollten als er, hat er viel zu kämpfen gehabt. Die waren seine Widersacher, die ihn in allem hinderten. Hinter solchen Bösen steht auch der Feind, der der Widersacher heißt; und so kann's einem Knecht des HErrn - und überhaupt jeden, der des HErrn sein will - schwer gehen; so dass er oft Kummer und Betrübnis hat, weil's nicht gehen will und alles zu stocken scheint. Daher kommt die Bitte: „Erfreue mich, erfreue die Seele Deines Knechtes, in ihrer Bekümmernis und Sorge, indem Du mir nach meinem Verlangen tust!“

Was verlangt denn David? „Nach Dir“, sagt er, „verlangt mich“, d.h. nach Deiner Hilfe, wie und was es nun sei. Oft hat man nicht gerade eine besondere Bitte zum HErrn. Aber doch fühlt man eine Bedürftigkeit und Sehnsucht in sich; oder es ist dessen, was man zu bitten hat, zu viel, so dass man nicht weiß, womit man anfangen soll. Da ist denn alles gesagt, wenn ich sage: „Nach Dir, HErr, verlangt mich!“ Damit will gesagt sein: Mich verlangt, dass Du Dich einstellest, dass Du Dich nicht so ferne stellest; dass Du den Widersacher nicht so allein und frei wirken lässt, sondern dass Du ins Feld rückest und Deine Sache ausrichtest wider die, die Dir entgegen sind! - So meint's David.

So ist's auch für uns, wenn wir irgendwie besonders erregt und bewegt sind, ein umfassender Seufzer, nur zu beten: „Nach Dir, HErr, verlanget uns!“ Wir wissen oft nichts weiter hinzuzusetzen.

Wollen wir denn eben Ihn, Ihn zu allem, was es mit uns ist und werden soll, haben! Denn wir singen wohl auch: „Der hat alles, der Dich hat!“ Je ernstlicher wir's mit der Bitte meinen, desto gewisser wird auch unsre Seele - komme, was wolle - erfreut werden. Mit allem hat ja der HErr Sein Absehen auf die kommende rechte Freude im großen Jubeljahr!

Psalm 87, 3.

“Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes“.

Unter der Stadt Gottes ist Jerusalem gemeint, aber ein Jerusalem, das zahlreich das Vorbild der Gemeine Gottes auf Erden ist. War's damals schon herrlich, sofern die Großtaten Gottes immer und immer wieder. ausgerufen wurden, so ist's im Neuen Bunde noch herrlicher, da wir von einem Heilande hören, der uns zu lieb den Schoß des Vaters verließ, Knechtsgestalt annahm, unsre Sünden trug, für uns sich kreuzigen ließ, auferstanden, gen Himmel gefahren ist, zur Rechten Gottes sitzt und uns vertritt, endlich wiederkommen wird, Seine Kinder zu Sich in die Herrlichkeit hinaufzuholen. Das, und was Er sonst noch zur Verwirklichung Seines Reiches auf Erden getan hat, sind die herrlichen Dinge, die jetzt in der Stadt Gottes, d. h. mitten in Seiner Gemeine, gepredigt werden.

Dieser herrlichen Dinge eingedenk zu sein, macht unsern Frieden aus; und so wollen wir sie auch recht viel an unserm Geist vorübergehen lassen, wollen sie ergreifen und festhalten als Säulen unsres Heils. Wir können uns schon den Tag über, selbst mitten unter den Geschäften, vieles einfallen lassen. Wie wichtig aber sollten uns die herrlichen Dinge werden, so oft wir ins Haus Gottes gehen, namentlich auch zum Tisch des HErrn, da wir in dem Mahl, das wir empfangen, die Konzentration aller herrlichen Dinge, die uns verkündigt worden sind und werden, haben. Wir sollten gar nicht müde werden, uns alles, was mit JEsu vorgegangen ist, was Er getan und erlitten, auch verheißen hat, zu vergegenwärtigen. Tun wir's, so werden wir's uns wohl auch zu Nutz machen, um zum völligen. Seelenfrieden zu kommen, und zu einer Stärke in Ihm wider die Lüste des Fleisches und die Anfechtungen der Finsternis. Der HErr gebe es uns, dass wir allezeit aus allem, was uns gepredigt wird, reichen Gewinn ziehen!

Mel. Von Gott will ich nicht.

Das ist des Vaters Wille,
Der uns in Christo liebt,
Dass Er uns eine Fülle
In Seinem Sohne gibt.
So dass man nehmen soll
Aus Ihm von Grad' zu Grade,
Im Glauben Gnad' um Gnade,
Die ganzen Herzen voll.

Psalm 89, 10.

“Du herrschest über das ungestüme Meer, Du stillest seine Wellen, wenn sie sich erheben.“

Auf ungestümem Meere ist's dem Menschen freilich nicht gar wohl; denn wenn das Schifflein auseinanderfällt, hört alle Stütze auf im Wasser. Darum ist große Sorge und Angst bei allen, die auf dem Meer sind, wenn ein ungestümer Wind sich erhebt, der hohe Wellen emporwirft. Der Mensch ist da nicht im Stande, zu helfen, und kann seine völlige Ohnmacht fühlen, wie die Leute auf Jonas’ Schiff, Jon. 1,45f. Er hält seine Sachen zusammen, so gut er kann; und das ist's, was ihm allein noch übrig bleibt. Aber Wind und Wellen, - ach, wie leicht werden sie übermächtig, dass alle seine Kunst und Arbeit umsonst ist! „HErr, hilf uns,“ sagten auch einst die Jünger zum Heiland, als so ein Wind auf dem Meer sich erhob, Er aber hinten im Schiff schlief. Ja, „wir verderben, wir sind verloren!“ ist ein Schrei, den man tausendmal auf Schiffen hören kann, aber ein Schrei, der oft in die Luft sich verliert. Doch bei dem, der ernstlich Gott anruft, dringt der Schrei da hinein, von wo bei ungestümem Meer noch Hilfe möglich ist. Denn, heißt es, „Du herrschest über das ungestüme Meer, Du stillest seine Wellen, wenn sie sich erheben.“ Dass Er auch auf dem Meer helfen kann, hat unser Heiland, der in der Kraft Seines Vaters auf Erden stand, bewiesen. Denn Er sprach nur ein Wort, „bedräute,“1) heißt es, „den Wind und das Meer, da ward es ganz stille.“ Matth. 8, 26.

Das ungestüme Meer indessen ist auch ein Bild von andern Stürmen, deren wir in diesem Leben viele durchzumachen haben, da man oft sich nicht zu raten und zu helfen weiß, und auszurufen geneigt ist: „Wir verderben! Wir sind verloren!“ Auch bei solchen Stürmen dürfen wir nach oben blicken; denn auch über sie ist Gott Herr. Wenn wir kindlich glauben und bitten, kann Er entweder mitten durch die Stürme hindurch glücklich führen, oder, wenn das nicht mehr ausreicht, dem Sturme gebieten und Ruhe schaffen. Wenn da oft nur dem Sturm im Herzen gewehrt wäre, an dem wir gar häufig durch unsre Zaghaftigkeit Schuld sind! Es stünde oft alles gut, wenn es nur drinnen ruhig wäre. Indessen können wir's von uns aus auch nicht immer machen; denn wir haben uns selbst nicht immer in der Gewalt, wenn es im Innern so tobt und stürmt. Soll aber der HErr auch diese Stürme stillen, so musst du Ihn bitten, anrufen, kindlich zu Ihm aufblicken lernen. Er kann durch Seinen heiligen Geist eine Ruhe ins Herz geben, bei der man viel zu ertragen und auszuhalten vermag, gut durchkommt und endlich sich gerettet sieht. Also, wenn's tobt und stürmt, nur gleich hinauf dem Herzen zu dem, der Wind und Meer stillen kann.

Mel. Valet will ich.

Nun weiß und glaub' ich feste,
Ich rühm's auch ohne Scheu,
Dass Gott, der Höchst und Beste,
Mein Freund und Vater sei,
Und dass in allen Fällen
Er mir zur Rechten steh',
Und dämpfe Sturm und Wellen,
Und was mir bringet Weh.

Psalm 97, 10

“Der Herr bewahret die Seelen Seiner Heiligen.“

Ein schönes Psalmwort, auch beim Blick auf die, die uns heute verlassen. Die werden sich zwar nicht gern die Heiligen Gottes nennen wollen; aber unwillkürlich nehmen sie doch Trost aus dem Verheißungswort, wie wenn sie's wären. Vielleicht sind sie's auch, und nehmen wir's nicht zu schwer. Wer sind denn eigentlich Seine Heiligen? Wir müssen da zunächst nicht an das denken, dass es solche Leute sind, an welchen keine Flecken mehr sich finden. Denn da ginge es nach dem Wort (Hiob 14, 4): „Wer will einen Reinen finden bei denen, da Keiner rein ist?“ oder nach dem andern Wort (1. Sam. 6, 20): „Wer kann stehen vor dem HErrn, solchem heiligen Gott?“ Vielmehr werden aus Gnaden alle die vom HErrn Seine Heiligen genannt, die sich zu Ihm halten. Schon damit werden sie Seine Lieblinge. Will ja der HErr doch vor allem nur ein liebendes, Ihm vertrauendes Herz haben; und wer das hat, der ist unter Seinen Heiligen, sofern er sich ja schon damit in einen Gegensatz zu der Welt stellt, die nichts von Ihm will. Bei ihnen macht sich das Andere sodann auch, was nach dem inwendigen Menschen zur Heiligkeit gehört, wenn sie nur bei dem HErrn verbleiben.

So sind denn alle die Seine Heiligen, die sich gleichsam in Seinen Schoß setzen, die auf Ihn vertrauen, zu Ihm aufblicken, in allem nur Ihn ansehen, nach Ihm sich sehnen, unter der Trübsal Ihn suchen, Seine Gnade und Erbarmung begehren, in allem nur immer Ihn bitten und anrufen. Das sind die, von welchen der Psalm sagt (91,1.2): „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibet, der spricht zu dem HErrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ Der Art sind die Heiligen, von welchen es in unserer Losung heißt, dass der HErr ihre Seelen bewahre. Alle, die kindlich und vertrauensvoll sich an Ihn halten, dürfen es erfahren, dass Er sie nicht lässt, sondern ihnen aushilfst in jeglicher Trübsal. Die lieben Abreisenden haben's also nicht so schwer, sich unter den Heiligen zu denken, deren Seelen der HErr bewahrt. Glaubet nur, so bleibt. Auch der Schutz eures Gottes gewiss!

Mel. Ermuntre dich, mein.

Drum, liebes Herz, sei wohlgemut,
Und lass von Sorg und Grämen!
Gott hat ein Herz, das nimmer ruht,
Dein festes Vorzunehmen.
Er kann's nicht lassen, glaube mir,
Sein Vaterherz ist gegen dir
Und uns hier allzusammen
Voll ew‘ger Liebesflammen.

Psalm 102, 14.

“Du wollest Dich aufmachen und über Zion erbarmen, denn es ist Zeit, dass Du ihr gnädig seiest, und die Stunde ist gekommen.“

Die Sehnsucht, dass Gott sich über Zion erbarme, d.h. über das Volk Gottes und anschließend über die ganze Welt, ist keine neue; sie ist schon 3000 Jahre alt. Schon damals blickte man mit Erwartung nach oben, dass der HErr drein sehen und dem Jammer steuern möchte, wie des Volks, so der ganzen Welt, welchen tieferen Blick David und die Propheten immerhin hatten. „Es ist Zeit,“ hieß es, „die Stunde ist gekommen,“ d.h. es geht nicht mehr anders. Aber der Mensch denkt oft so: „Jetzt muss es sein!“ - und dennoch ist er auf längeres Warten verwiesen, und muss er einstweilen mit Brocken vorlieb nehmen. Eine gewisse Ruhe indessen kam damals über Israel, eine Ruhe, die lange fortdauerte, und bis über Salomo hinaus, unter welchem eine Friedenszeit war, die zugleich ein Vorbild sein sollte der Ruhe Gottes, die noch dem Volke Gottes vorhanden ist (Hebr. 4,9). In etwas also ging die damalige Sehnsucht wirklich in Erfüllung, nur eben in dem Maße, wie's möglich war, fast nur nach außen, und einzig auf Israel beschränkt. Unterdessen hat sich das Erbarmen Gottes über Zion noch weiter kund getan, als der HErr kam. Wie schön sangen Zacharias, der Vater Johannis, und Simeon, der Wartensheld, indem sie sich freuten, dass wenigstens der Anfang da war, die Zeit der gnädigen Heimsuchung Gottes! Diese war denn gekommen, aber auch wieder nur nach einem gewissen Maße; und Zion und die ganze Menschheit wurde auf noch weiteres Warten verwiesen. Wie wir jetzt stehen, das wissen wir. Jeder Stein schreit: „Du wollest Dich aufmachen und über Zion erbarmen!“ - und das Gefühl: „Es ist Zeit, dass Du ihr gnädig seiest, und die Stunde ist gekommen,“ durchdringt mehr und mehr alle Welt. Wie lange werden wir noch warten müssen? Wenn der HErr einmal, etwa durch besondere Zeichen, die Er kommen lässt, sagt: „Es ist Zeit, die Stunde ist gekommen,“ - dann geht's. So lange wir sagen: „Es ist Zeit,“ - so lange müssen wir auch dessen gewärtig sein, dass der HErr sagt: „Noch nicht so ganz.“ Aber je mehr gebetet wird, je ernstlicher es die Leute auf dem Herzen tragen, je mehr Simeons kommen, desto schneller macht sich die Zeit, und kommt das, wonach die ganze Kreatur seufzet und sich sehnet. Denn es ist etwas gar Großes, das Allergrößte, das man noch zu erwarten hat, nichts Geringeres, als eine Umwandlung der ganzen Schöpfung zu neuem Himmel und zu neuer Erde, die wenigstens der Ausgangspunkt aller Erwartungen ist. Haben wir denn Geduld und harren wir sein! Kommen wird und muss doch alles.

Mel. So führst Du doch recht.

HErr, stehe auf, dass Zion Du befreiest,
Mit Mitleid und Erbarmen sieh' sie an.
Denn es ist Zeit, dass Du ihr gnädig seiest;
Gekommen ist die Stund'. Ach, lass sie nah'n!
Denn siehe, Deine Knechte wollten gern,
Dass ihre Steine wurden aufgebaut!
Ihr Auge nach dem Schutt mit Mitleid schaut.
Ach, dass sie bauete die Hand des HErrn!

Psalm 103,1.

“Lobe den HErrn, meine was in mir ist, Seinen heiligen Namen.“

David fordert sich selbst, seine Seele, auf, den HErrn zu loben. Er muss sich erst zum Lob heraufheben. So sollst du auch wohl deinen HErrn loben, oft, da dir's gar nicht recht ums Loben ist; und zuletzt wirst du Gott um alles loben, wenn du es auch im Anfang nicht kannst. Denn zuletzt wird's heißen: „Ende gut, alles gut.“ Bis dahin musst du bei Dingen, die dir Leid und Kummer verursachen, nicht so tief heruntersinken, nicht zu sehr in Klagen dich verlieren. Behalte allezeit in deinem Herzen etwas von Lob übrig, damit du dich ergeben, und des HErrn Wege dir gefallen lassen kannst. Wie sehr man sich innerlich erheben kann über dem Gedanken an das, was der treue Gott unfehlbar tun wird zur Rettung, beweist der ganze 100. Psalm, der so überschwänglich herrlich lautet, obwohl er Spuren genug enthält, dass auch Dinge vorlagen, die betrübt machen konnten.

Wie man auch unter dem Traurigen Gott loben kann, darin gibt Hiob das schönste Beispiel, wenn er sagt: „Der HErr hat's gegeben, der HErr hat's genommen,“ da ihm über dem Gedanken: „Der HErr, der HErr hat's getan,“ unwillkürlich das Schlusswort über die Lippen kommt: „Der Name des HErrn sei gelobet!“ Lass dich gleich ihm durch nichts zu tief herunter bringen. Sage nicht, wenn ein schmerzlicher Verlust kommt: la perte est cruelle (der Verlust ist grausam), wie es je und je in Todesanzeigen heißt, freilich mehr nach einer gewohnten Redensart, dass es nicht so böse gemeint ist. Aber eine schöne Redensart ist es nicht, und eine fromme auch nicht. So hat Hiob nicht gesagt, als ihm sieben Sohne und drei Töchter, alle seine Kinder, erschlagen waren, nachdem dazu noch alles andere ihm weggenommen worden war. Er sagt: „Der HErr hat's gegeben, der HErr hat's genommen: der Name des HErrn sei gelobet!“ David sagt auch, alles in ihm solle den HErrn loben. So weit werden's wir wohl selten bringen, da auch beim Glücklichsten, das uns widerfährt, stets etwas übrig bleibt, das Unlust macht. Aber im Himmel kommt's so weit! Ach, wären wir da!

Mel. Lobe den Herren, den mächtigen.

Lobe den HErren, o Seele, und alles mein Leben;
Was in mir ist, soll den heiligen Namen erheben.
Lobe den HErrn,
Seele, und stell' dir nicht fern,
Was Er dir Gutes gegeben;
Der für dich sorgt, dass die Menge der Sünden dir schwindet,
Alle Gebrechen dir heilt, vom Verderben entbindet,
Das in der Not
Schon deinem Leben gedroht,
Gnade und Huld um dich windet.
(nach Psalm 103,1-4)

Psalm 103,17.18.

Die Gnade des HErrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so Ihn fürchten, und Seine Gerechtigkeit auf Kindeskind bei denen, die Seinen Bund halten und gedenken an Seine Gebote, dass sie darnach tun.

Es ist doch eine tief fühlende Seele in David gewesen, wenn er sich den Einfluss derer, die den HErrn fürchten, und dessen, was ihnen von dem HErrn geschenkt ist, in der Art, wie der Spruch es besagt, vorstellen kann. Es ist ihm, wenn Jemand die Gnade des HErrn ergriffen hat und von ihr erfasst ist, und so, dass er Seinen Bund hält und Seiner Gebote gedenkt, unmöglich, sich's anders zu denken, als dass diese Gnade fortleuchte und allen künftigen Geschlechtern fühlbar werde. Denn mit aller Bestimmtheit sagt er: „Die Gnade des HErrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit auf Kindeskind.“ Er sagt's aber im Einklang mit der ganzen heiligen Schrift.

Mit solchem Wort drückt David erstlich die Größe der Gnade des HErrn aus, die nicht an dem aufhören werde, wofür das Herz der Eltern am Meisten schlägt. Gehen doch den Eltern die Kinder über sich selbst; und für deren Wohl können sie Alles aufopfern. Was aber von Gott kommt, kann David sich nie als aufhörend denken, so wenig Gott selbst aufhört. So kann auch, denkt er, die Gnade, in der die Eltern stehen, nicht so beschränkt sein, dass das ihnen vom HErrn Gewordene mit ihnen lebe und sterbe, dass also nichts davon ihren hindern, die mit ihnen doch ein Fleisch und Gebein sind, übrig bleibe; es sollte also die Gnade nicht nur den von der Erde Scheidenden von Ewigkeit zu Ewigkeit verbleiben, sondern auch ein ewiges Gemeingut derer verbleiben, die sie als ihre Stellvertreter auf Erden zurücklassen. David hat einen viel zu hohen Begriff von der Gottesgnade, als dass sie sollte nur der Person als solcher gelten, und nicht mehr, so weit es nur immer tunlich ist, denen, die als von ihnen geboren ihnen angehören. Nach oben und unten denkt er sich die Gnade unvergänglich.

Hiermit ist uns auch zweitens der wunderbare Zusammenhang zwischen Eltern und Kindern nahegelegt. Dieser ist so groß, dass auf Erden die Kinder vor Gott an die Stelle der abgegangenen Eltern treten. Was Gott die Eltern geliebt hat, wird ganz übergetragen auf die Kinder, um so vollständiger und unmittelbarer, als dieselben in gleicher Weise willig zum Guten sind, mindestens so weit, als die Gesinnung der Kinder es zulässt. Aber auch dann, wenn die Kinder nicht ganz einschlagen, währt die helfende, führende und rettende Gnade des HErrn fort; und auch die abfälligen Kinder stehen unter einer besonderen Gnadenleitung des HErrn, weswegen die Gnade, wenn sie durch Untreue der Kinder erloschen zu sein scheint, in nachfolgenden Geschlechtern doch wieder leicht in ihrer vollen Gültigkeit eintreten kann. Wir müssen uns nämlich die Gnade des HErrn auch als auf das Wesen des Menschen einwirkend denken; und wo dies der Fall ist, erbt sich eine bessere Art fort, die immer wieder durchschlägt, und für alle Zukunft die Nachkommen empfänglicher macht, als Andere, die etwa unter ihren Ahnen nie Gnadenkinder gehabt haben.

Lobe den HErrn, meine Seele,“ möchten wir nach dem Anfang des Psalms, aus welchem unsre Stelle genommen ist, mit David ausrufen, „und Alles, was in mir ist, Seinen heiligen Namen. Lobe den HErrn, meine Seele, und vergiss nicht, was Er dir Gutes getan hat,“ - „und tut,“ möchten wir hinzusetzen „an dir und den Deinen in alle Ewigkeit!“

Mel. Lobe den HErren, o meine Seele.

Aber die Gnade des HErrn wird währen
Von Ewigkeit zu Ewigkeit,
Über die, welche in Furcht Ihn ehren;
Sein Recht auf Kindeskind sich erbeut,
Dem, der von Seinem Bund nicht fällt
Hallelujah!

Psalm 108,6

“Erhebe dich, Gott, über den Himmel, und Deine Ehre über alle Lande!“

Wenn David Gott sich erheben heißt über den Himmel und Seine Ehre über alle Lande, so meint er damit, Er solle gleichsam in das Zenit über aller Häupter sich stellen mit Seiner Herrlichkeit, und so als ein Gnadenschirm und Gnadenflügel über allen schweben,. sie gleichsam mit Seilen der Liebe heben und halten. Wenn wir demnach gleich David Gott also bitten, so bitten wir Ihn um Seinen allmächtigen Gnadenschutz über uns und alle in allen Landen, die Sein begehren oder bedürfen. Wollen wir Ihn denn also bitten; und in JEsu, der zur Rechten Gottes sitzt, schwebt Er bald, wenn wir Ihn anrufen, wunderbar schirmend über unsern Häuptern. Lassen wir uns durch Ihn von oben anziehen, anbinden und halten, dass Er uns zuletzt gar zu Sich hinaufziehe. Er lässt uns nicht fallen, wenn Er uns einmal gefasst hat, es wäre denn, dass wir uns selbst wieder losbänden. Ja, Er soll uns nur alle heben und halten, dass es aufwärts, aufwärts gehe, immer mehr in Seine Gnade hinein und in Seine Herrlichkeit. Sagt Er doch selbst: „Wenn ich erhöhet sein werde von der Erde, so will ich sie alle zu ziehen“

Alle will Er zu Sich ziehen. Darum beten wir auch darauf hin, dass Er Seine Ehre erhebe über alle Lande; und dass die Zeit bald kommen möge, da der HErr allerwärts Sein Licht leuchten lasse, auch in die fernsten und finstersten Winkel der Erde, darf wohl uns ein besonderes Anliegen sein. Denn wie viele Millionen seufzen noch in Finsternis und Todesschatten!

Mel. Ich will's wagen.

Gott erhebe über Himmeln Dich,
Und es schwebe
Und erweise sich
Deine Ehr' in allem Land,
Bis das Leid hinweggewandt,
Fröhlich lebe,
Wer sich hält an Dich.

Psalm 116,8

Du hast meine Seele aus dem Tode gerissen (errettet), mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.

Das ist ein Wort nach einer Errettung aus großen Nöten, die David erfahren hat. Er war in Todesnöten gewesen, schien schon dem Tode verfallen zu sein - sei's, dass er gegen verfolgende Feinde keine Hilfe mehr vor sich sah oder dass eine schwere Krankheit ihn an den Rand des Todes gebracht hatte. Nun aber hatte der HErr ihm geholfen, und nun preist seine Seele den HErrn.

Es gehört mit zu der Erziehungsweise unsres Gottes, es auf vielerlei Art mit uns bis an den Tod hinkommen zu lassen, wie um uns zu erinnern, dass wir im Grunde lauter Todeskinder sind. Ohnehin geben wir nicht eher nach, als bis es aufs Äußerste gekommen ist - wie viele Missetäter erst dann sich beugen und schuldig geben, wenn sie das Schwert des Scharfrichters blinken sehen. Mit kleinen Nöten, die Gott über uns verhängt, bringt Er uns nicht weit. Es muss. bis ans Leben gehen, wenn's wirken soll. Kein Wunder, dass so viele arge Sachen über uns kommen, da es recht ausgedacht zu sein scheint, über uns das Ärgste, das nur möglich ist, zu verhängen. Viele müssen lange und unaufhörlich wie am Rand eines abschüssigen Abgrundes hinwandeln, als sollten sie jeden Augenblick in die Tiefe versinken; und anders wird's erst, wenn sie anfangen, sich zu demütigen.

Davids Augen sind auch von den Tränen befreit worden. Wenn nämlich der Mensch das Äußerste vor sich sieht, dann fließen die Tränen reichlich.

Nun' aber kommt es darauf an, was es für Tränen sind: ob es Tränen des bloßen Schmerzes sind, ferner des Stolzes, der Eigenliebe, der Verzweiflung, endlich gar des Zorns und Ärgers - oder ob es Tränen der Demütigung vor dem HErrn sind.

Sind's die letzteren, dann sind sie mit einem Aufblick zum HErrn verbunden, mit einem Seufzen nach Ihm, dass Er dreinsehen und sich erbarmen möge. Und damit ist ein Anfang gemacht zur Hilfe. Große Macht vor dem HErrn haben Tränen, wenn sie Ihm zugewandt fließen, nicht von Ihm abgewandt. Kam es doch selbst dem gottlosen Ahab zugut, als er sich einmal mit Weinen und Flehen vor Gott bückte (1. Kön. 21, 27ff.). So hatte auch David vor dem HErrn geweint, und das brachte ihm Rettung.

David rühmt aber auch das, dass der HErr seinen Fuß vom Gleiten gerissen hätte. Wenn man sich nämlich aussichtslos in Not und Bedrängnis sieht, so kommt der Fuß leicht ans Gleiten. Man verliert die Festigkeit des Gemüts und Glaubens und ist versucht, neben hinaus zukommen in Verzagtheit, Verzweiflung, Murren wider Gott, bis zum Abfall des Herzens vom Glauben an Gott und an Seine Treue und Verheißungen - auch wohl auf falsche sündliche Wege der Selbsthilfe. So kommt der Fuß bis ans Gleiten; und da wird's erst recht gefährlich für den Menschen, weil dieser damit an den Rand des ewigen Todes kommt, sofern er in der Glaubensprobe nicht besteht. Aufrichtige Seelen aber besinnen und fassen und halten sich. Solchen erzeigt sich der HErr freundlich, dass Er die Versuchung nicht zu stark werden lässt, wohl auch zu rechter Zeit das Leid wendet, ehe es mit dem Ausgleiten Ernst geworden ist. So erfuhr's auch David, wie es der Spruch anzeigt.

Den frommen David also hat Gott aus allem wieder gerissen. Ähnliches dürfen wir auch erfahren: Der HErr schickt immer unter die Trübsale hinein Zeiten der Erquickung und Ruhe durch wunderbar erzeigte Hilfe, da wir loben und danken können wie David.

Erneuern werden sich freilich die Anfechtungen und Kämpfe immer wieder; aber auch Erquickung und Hilfe von Seiten des treuen Gottes wird nie fehlen.

Endlich aber kommt die Zeit, da wir auf Ewigkeit ins Sichere gestellt werden, da für immer die Tränen von den Augen weggewischt werden und von einem Ausgleiten des Fußes ohnehin keine Rede mehr sein kann. Wie werden wir da erst loben und preisen! Ach wären wir schon da!

Psalm 118,21.

Ich danke Dir, dass Du mich demütigst und hilfst mir.“ („Ich danke Dir, dass Du mich erhört hast und hast mir geholfen.“)

Gott kann nicht leicht jemandem helfen, Er hätte ihn denn zuvor gedemütigt; und kaum kann einem Menschen ein Glück, welches es auch sei, zukommen, ohne dass er gedemütigt wird. Deswegen nimmt David die zwei Sachen als selbstverständlich zusammen, wenn er sagt: „Ich danke Dir, dass Du mich demütigst und hilfst mir!“ Können wir doch von Gott keine Hilfe erwarten und kein gnädiges, freundliches Aufsehen, wenn unsres Herzens Sinn hoch steht und wenn wir uns nicht als klein und arm, ja als arme Sünder unter Seine Fittiche gestellt haben. Meist haben wir's nur auch gar nicht verdient, das Gott uns helfe; und meist klagt uns vieles an, mit dem wir uns ferne von Ihm gestellt haben. Auch besondere Dinge können es sein, mit denen wir uns eine Züchtigung zugezogen haben. Solches alles kann nur dadurch bereinigt werden, dass uns Gott durch allerlei Missstände, durch Not und Sorge, in die Enge treibt und von unsrer Höhe herunterbringt - bis wir demütig und kindlich lernen, uns Ihm in die Arme zu werfen, und bußfertig vor Ihm stehen.

Jede Trübsal, in die wir kommen, ist eine Demütigung, weil wir da fühlen, dass wir nicht unser selbst, sondern eines andern sind; dass wir nicht die sind, die nach niemandem zu fragen haben, wie das der Mensch so gerne sein möchte! Kommt Not, so müssen wir uns beugen, müssen bitten und flehen, ja weinen um Hilfe. Wenn wir so weit kommen, so kann die Züchtigung vorübergehen und kann Gott helfen. Deswegen hätten wir Ursache, für jede uns begegnende Demütigung, für alles, was uns herunterstimmt, Gott zu danken. Das tut auch David, wenn er sagt: „Ich danke Dir, dass Du mim demütigst.“ Denn solange Gott es darauf anlegt, uns zu demütigen, hat Er auch im Sinn, uns Gutes zu tun; und oft sind gerade Demütigungen die Anfänge von neuen Segnungen, die uns Gott zukommen lassen möchte. Wollen wir darum nie murren, und demütigen wir uns nur gleich! Wenn Er uns nimmer demütigen will, hat Er uns aufgegeben - und dann erst steht es schlimm!

Wie übel sind doch die dran, die gleich empfindlich werden, wenn es misslich geht! Und die, ohne ein wenig in sich zu gehen, tun, als ob Gott sich an ihnen vergreifen würde, wenn Er nicht alles so gerade fortgehen lässt! Die bekommen oft eins ums andre auf den Nacken; denn wenn sie schon bei einem so tun und murren, so kommt sicher schnell ein zweites und ein drittes! Darum ist das Sprichwort „Ein Unglück kommt nie allein“ der Erfahrung entnommen. Da wäre es wohl besser, wenn wir gleich beim ersten uns demütigen und Gott danken würden für die liebende - wenngleich mit schmerzlichen Empfindungen verbundene - Aufmerksamkeit, die Gott für uns hat!

Psalm 118,26

Gelobet sei, der da kommt im Namen des HErrn!

Mit diesen Worten - welche einst bei besonderen großen Festversammlungen in Israel vor dem Tempel gesungen wurden - wird aufs lebendigste die Zuversicht zum HErrn ausgedrückt, der nach vielem Warten mit Seiner Allmacht und Hilfe herzutritt. Die Worte sagen mehr, als wenn man nur bittend spricht: „Komm, HErr, und hilf!“ Denn sie stellen die kommende Hilfe schon in die Gegenwart und wollen andeuten, dass man die ersten Spuren davon, gleichsam die ersten Strahlen einer aufgehenden Sonne, erblicke.

Die Worte des Psalms sind aber auch prophetisch gewesen auf den kommenden Heiland der Welt, den man, wenn man im Glauben recht erregt war, sich eben als kommend vorstellte. Deswegen hat auch beim Einzug Jesu in Jerusalem das Volk diese Worte gesungen, um damit zu bekennen, dass sie in Jesus den Verheißenen erblickten. Der war ja denn gekommen, und zwar „im Namen des HErrn“, d.h. mit der Kraft des Höchsten angetan, die bezeugte, dass Er ein Heilsstifter und Friedensbringer war. In Erinnerung an Ihn singen wir jetzt: „Gelobt sei, der gekommen ist im Namen des HErrn, ein Trost aller Welt, der allem Jammer ein Ende machen wird!“

Indessen ist Er wieder aufgefahren zu Seinem Vater; und wie viel Jammer ist bei uns zurückgeblieben, soviel Trost uns auch durch Ihn geboten ist! Da stehen wir in einer abermaligen Sehnsucht nach Seinem Kommen und möchten gerne den Tag anbrechen sehen, da wir ausrufen dürfen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des HErrn, in der Kraft und Herrlichkeit Seines Vaters!“

Doch erfahren wir, dass Er auch wieder in beständigem Kommen begriffen ist, namentlich, wenn wir Ihn anrufen. Er hat ja selbst zu Seinen Jüngern gesagt: „Ich will euch nicht Waisen lassen, Ich komme zu euch.“ So können wir uns bei allem, was in Seinem Reime geschieht, Sein Kommen, Sein Mitdazukommen denken und müssen uns einstweilen mit dem begnügen. Wie oft können wir das erfahren, wenn wir das Wehen Seines Geistes verspüren, wenn unser Herz in uns brennt wie in den Jüngern, die nach Emmaus gingen! Auch wenn oft unerwartete Hilfe in Nöten aller Art uns zuteil wird, können wir uns gedrungen fühlen zu sagen: „Gelobt sei, der da kommt, der hilft vom Himmel her!“

Aber doch warten wir auf Sein wirkliches Kommen, mit welchem sich alles vollendet, wonach sich unser Herz sehnt. „Komm, Herr Jesu!“ sind wir angewiesen zu rufen.

Und endlich wird es heißen: „Er kommt! Er kommt!“ Zu einer Zeit, da alles in großem Gedränge ist, alles verloren scheint: Wie werden die Seinen doch da ihre Häupter erheben, wenn sie Ihn vom Himmel kommen sehen! Und mit welchem Jubel und welchem Frohlocken werden sie sagen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen, in der Kraft des HErrn!“

Denn alles und alles ist uns unser hochgelobter Heiland Jesus Christus mit Seinem Kommen!

Psalm 119, 18.

“Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an Deinem Gesetz.“

Alle Tage, wenn man den Schlaf ans den Augen reibt, sollte man auch um ein Geisteslicht seufzen; denn es ist immer noch viel Blindheit an uns, dass wir nicht genug sehen, was wir sehen sollten und könnten. Vieles sehen wir gar nicht, anderes nur halb, wieder anderes verworren, und nur weniges mit einer genügenden Klarheit. „Die Wunder an Deinem Gesetz,“ sagt David, d.h. an Deiner Offenbarung, an dem, was Du uns kund getan hast. Eine völlige Einsicht wird uns freilich immer gebrechen, weil all unser Wissen nur Stückwerk bleibt. Aber vieles könnten wir besser wissen, wenn wir mehr Verlangen danach hätten. So sehen die meisten nur das Oberflächlichste, und bleiben viel zu ungeschickt, um in die Tiefen hineinzublicken, nur auch, so weit diese ihnen offen stünden. Auch das Gesetz, im eigentlichen Sinne genommen, hat seine Tiefen, die verborgen bleiben, weswegen ein feines Gewissen gar selten angetroffen wird. Mangel an Einsicht in Gesetz und Evangelium ist auch Ursache, dass vieler Gang so unsicher ist, ihr Wesen nur ein halbes Wesen, ihre ganze Art, nicht wie sie sein sollte. Da dürfte man doch wohl fleißiger mit David beten: „Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an Deinem Gesetz.“ Denn wenn es uns nur auch in den Sinn kommt, um Erleuchtung der Augen wirklich zu beten, so meine ich, dürften wir schon eine Wirkung des erleuchtenden Geistes bei uns verspüren.

Dagegen bei vielen hats den Anschein, als meinten sie alles zu wissen, alles zu durchschauen; und diese bleiben in einer erlahmenden ungemütlichen Gleichförmigkeit stehen, bei welcher auch das Licht, das sie haben, nicht als Licht wirken kann. Sie haben ja kein Verlangen, weiter zu vernehmen, tiefer zu schauen, wollen mit dem, was sie einmal haben, in allem durchkommen und alles fertig bringen, sind auch wohl selbstgefällig darin, als ob sie sehend und andere Leute blind wären; und bei all dem wird ihr Wesen langweilig und unerbaulich, andern mehr lästig, als förderlich, weil diese nicht viel an ihnen haben können. Widrig können sie sogar werden, wenn sie immer nur das Wort führen wollen, und nur gleich widersprechen, wenn's ein wenig anders klingt, als sie's gewohnt sind. Wohl mögen sie oft viel Worterkenntnis besitzen; aber was hilft dieses ohne helle Augen, wenn sie des Wortes Kraft nicht sehen? Da kann einer mit wenigerem Wissen oft hellere Augen haben, als ein Anderer, der, ob er auch die ganze Bibel, wie man sagt, kennt, doch noch blind ist.

Zu der Bitte freilich: „HErr, öffne mir die Augen,“ gehört Demut, und Gefühl eigener Schwachheit, Untüchtigkeit und Unwissenheit; und solches kommt vielen leicht abhanden, wenn sie einmal in ihrem Christentum sich fühlen gelernt haben. Wie weit war doch David? und doch bittet er: „HErr, öffne mir die Augen.“ Wird er umsonst gebetet haben? Ach, wären wir nur nach Verhältnis sehend, wie er's um seines demütigen Bittens willen geworden ist.

Mel. Gott will's machen.

Mache helle sie und klar,
Dass zu seh'n ich möge taugen
Dein Gesetz, das wunderbar.
Ich bin nur ein Gast aus Erden.
Pilgere als Fremdling hin;
Lass doch nicht verborgen werden
Dein Gebot vor meinem Sinn.

Psalm 138,7.

Wenn ich mitten in der Angst wandle, so erquickst Du mich.

Die Angehörigen des HErrn - im Alten Testament die Gerechten genannt, im Neuen Testament die Heiligen und Auserwählten -, die müssen nun einmal durch viel Angst oder Trübsal hindurch. Auch am letzten Abend sagt der HErr noch zu Seinen Jüngern: „In der Welt habt ihr Angst“ (Joh. 16, 33); und nirgends ist uns verheißen, dass wir der Angst, d. h. der Trübsal in dieser Welt, ganz enthoben werden würden. Es ist zwar verheißen, dass Gott helfen, dass Er auch je und je die Angst wegnehmen werde; aber sie kommt immer wieder. Und ist sie da, so muss. man sie auswarten, denn sie bleibt oft längere Zeit. Und wie gesagt: Wie man wünscht und will, kann man die Trübsal nicht wegschaffen.

So redet auch David in unserm Spruch von einer Erquickung des HErrn mitten in der Angst; aber das Wandeln in der Angst, unter Trübsalen, geht doch fort. Wahr bleibt es denn doch, und es ist oft in der Schrift zugesichert, dass unter der Angst der HErr erquicke. So ist's hier gesagt. Und so setzt auch der HErr zu den Worten: „In der Welt habt ihr Angst“ das weitere hinzu: „aber seid getrost, Ich habe die Welt überwunden.“ Die Angst oder Trübsal bleibt, aber die Erquickung ist auch da.

Möchten wir nun auch lernen, mit der Erquickung zufrieden zu sein, auch wenn die Trübsal bleibt! Diese wird doch gemindert und lässt sich leichter tragen, wenn man die Erquickung geschmeckt hat. Lernen wir auch daraus, dass wir mit unsren Bitten vor Gott bescheiden bleiben müssen! Wir dürfen nicht zu arg tun, wenn unsre Not je und je länger verbleibt - als ob uns Gott dann verlassen hätte oder nichts nach uns fragen würde! Wenn wir's so machen, so verlieren wir zu allem hin noch die Erquickung. Denn ein verzagtes und zweifelndes Herz kann vom HErrn nicht erquickt werden, steht gar nicht in der Fassung, um nur auch eine Erquickung anzunehmen. Dann wird's erst wirklich schwer, und dann bringt's minder treue Leute zuletzt in Verzweiflung oder sonst in allerlei Torheit. Merken wir daher doch auf die Erquickung, die Gott den Seinen unter der Angst gibt! Sie ist oft so groß, dass wenigstens die Herzensangst weicht - wenn auch nicht die Trübsal, die Ursache der Angst. Endlich geht auch diese vorüber; denn jeder Trübsal ist ein sicheres Ziel gesetzt.

Immerhin wollen wir uns auf die Zeit freuen, da kein Leid noch Geschrei noch Schmerzen mehr sein wird! Wie wohl wird's uns dann sein, wenn wir hier schon so freundliche Erquickungen erfahren!

Psalm 140, 14.

“Die Gerechten werden Deinem Namen danken, und die Frommen werden vor deinem Angesicht bleiben.“

Die Gerechten, die Frommen, die, deren Herz bei Gott ist, die bei aller etwaiger Schwachheit doch an den HErrn sich halten, und Seine Gnade und Barmherzigkeit in Anspruch nehmen, - diese Gerechte und Fromme, aus Gnaden von Gott also genannt, die werden danken, die werden vor Seinem Angesicht bleiben. Sie danken, weil sie erkennen und tief fühlen, was Gott zu ihrem Heil vollbracht hat, und wie Großes Er an aller Welt, so auch an ihnen getan und tut, im Neuen Bunde namentlich durch die Auferweckung JEsu von den Toten. Die Ungerechten und Gottlosen können für Gnadenerweisungen Gottes niemals danken. Die Frommen, wenn sie auch hienieden durch manche Trübsale gehen und viel seufzen müssen, behalten immer Stoff zum Danken übrig, so oft ihnen nur der Name des HErrn, des Gnädigen und Barmherzigen, einfällt, zumal ihnen gewiss ist, dass bei ihnen zuletzt alles sich in Lobgesänge auflöst. Ob sie in einer Welt, die im Argen liegt, noch so viele Bekümmernis haben, so dürfen sie doch getrost sein, weil ihnen zugesagt ist, dass sie vor Seinem Angesicht, in Seiner Gemeinschaft, wie sie sie vollendet hoffen in der zukünftigen Herrlichkeit, bleiben und Ihn schauen werden, wie Er ist.

Mel. Wach auf, du Geist der ersten.

Ich weiß, der HErr wird sich erbarmen
Des Elenden und richten seine Sach'.
Er führt hinaus das Recht der Armen,
Und lässt Errettung ihnen folgen nach.
Da werden die Gerechten danken Dir;
Die Frommen bleiben vor Dir für und für.

Psalm 145, 17.

“Der HErr ist gerecht in allen Seinen Wegen und heilig in allen Seinen Werken.“

Die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes in Seinen Wegen und Werken wird sehr häufig von den Menschen nicht angesehen. An dem, was ihnen widerfährt, sehen sie nur das Traurige und Schmerzliche; denn sie fühlen nur die Wunde, die es macht, aber nicht die Schuld, die irgendwo stecken kann, oder den verborgenen Plan, den Gott haben könnte. Daher klagen die Menschen über Unbegreiflichkeit der Wege Gottes in einem Tone, als wollten sie sagen, recht sei es doch eigentlich nicht, dass Gott es so oder so mache; und das warum? steht ihnen ferner, als es geziemt. Sie fragen wohl: „Warum hast Du, HErr, das getan?“ aber mit dem stillen Vorwurf, der sagt: „Es ist kein Grund da gewesen, um dessentwillen Du's tun solltest, und hättest es deswegen anders machen sollen.“ Das ist die gewöhnliche Stimmung vieler bei dem Traurigen, das ihnen widerfährt.

Am meisten sind die Menschen gewohnt, bei Sterbefällen also zu denken und zu fühlen. Da sich zu ergeben und zufrieden zu stellen, fällt ihnen schwer. Dem Herzen geht's freilich zu nahe, und es ist ein Riss ins Gemüt hinein, wenn man Liebendes und Geliebtes so schnell auf immer missen muss, weswegen sich die erwähnte Stimmung ein wenig entschuldigt. Aber erwägen sollten wir's doch alle, wenigstens es uns aus dem Worte Gottes sagen lassen, dass es einmal offenbar werden wird, wie unter allem Gerechtigkeit und Heiligkeit in besonderem Sinne mitgespielt habe. Hienieden ist's unsern Augen meist verborgen, aber nicht immer ohne eigene Schuld, weil wir eben noch so harthörig sind und hartfühlig in dem, worin der liebe Gott uns heimsucht. Unerforschliche Ratschlüsse liegen freilich oft wirklich zu Grund.

Denken wir nur z.B., wie das Sonntagsgesetz sei, das der liebe Gott gegeben hat. Da gibt es aber Leute, die fragen nach, und machen am Sonntag fort wie am Werktag. Nun sterben oft die gesündesten, kräftigsten, tätigsten Menschen, Familienhäupter, von einer Schar von Kindern schnell hinweg. Da ruft alles: „Unbegreiflich, rätselhaft!“ Wer weiß aber, ob's nicht doch begreiflicher wäre, wenn man alles dächte und alles wüsste, was an Ursache vor Gott etwa da liegt. Hätte man etwa eben die Wohltat geschätzt, die Gott mit dem Sonntag geben wollte, wer weiß, ob nicht wäre, wenn man es auch nur natürlich betrachten wollte. So kann's noch anderes geben, das aber nicht beachtet wird, obgleich es Wort Gottes und Vernunft nahe legt. Nichts hat der HErr umsonst gesagt, befohlen und angedeutet. Wahrlich, Er bleibt gerecht und heilig in allen Seinen Wegen und in allen Seinen Werken; wir aber sind ein wenig dumm und einfältig, auch unartig dazu.

Wie werden wir einmal erstaunen, wie gerecht Gott in allen Seinen Wegen und heilig in allen Seinen Werken gewesen ist! Darum muss man, wo Er befiehlt, folgen, wo er rät, nicht widersprechen, wo wir Weisungen von Ihm bekommen, wie sie auch das tägliche Leben gibt, sich belehren lassen. Wollen wir aber mit unsrem Kopf nur so durchfahren, so haben wir's eben zu nehmen, wie's kommt, bis ins Unbegreifliche hinein. Wenn Gott uns etwas zeigt, und lehrt und unterweist oder befiehlt, warum tut Er's? Nicht um hinzuzusetzen. „Es ist aber Einerlei, wie ihr's machet.“ Gewiss nicht so; vielmehr will Er uns vor Schaden bewahren, vor Unglück behüten, ein gutes und gar ein langes Leben bereiten, unser Bestes, unser Heil schaffen für Zeit und Ewigkeit.

Mel. Alle Menschen müssen.

Heilig ist in alten Werken
Und gerecht in Seinem Tun
Unser HErr, - die können's merken,
Die in Seinem Willen ruh'n, -
Allen nah', die Ihn anrufen,
Nah'n mit Ernst zu Seinen Stufen.
Was die Gottesfürcht'gen fleh'n
Und begehr'n, lässt Er gescheh'n.

Psalm 147,1.

Lobet den HErrn! Denn unsern Gott loben, das ist ein köstlich Ding; solch Loben ist lieblich und schön.

Also loben ist köstlich, loben ist lieblich und schön - ist besser als klagen und trotzen und jammernd den Kopf hängen! Hören wir's recht! Loben ist besser; es kommt mehr beim Loben heraus, als wenn man murrt und verdrossen ist. Lieblich und schön und wahrlich köstlich ist's namentlich bei denen, die man sonst nicht gerade im besten Glück sieht und bei denen man den Eindruck hat, sie hätten viel Ursache, traurig und bekümmert zu sein. Wie ergreifend, sie dennoch loben zu sehen!

Kann man denn immer loben?, so fragt eines. Dass man's doch immer zuerst mit den Verdrossenen zu tun haben muss! Nun, es gibt Dinge, die traurig, betrübt und unglücklich machen, da es Tränen kostet und Herzklopfen, Angst und Beklemmung gibt. Geben wir aber einmal acht, wie oft die Trauernden drunterhinein ein Gottlob! aussprechen in Erwägung oder Wahrnehmung eines Umstandes, der erfreulich ist! Das sollte uns nachdenklich machen, wie immer mitten in die Trübsal etwas hineinfällt zum Loben!

Wenn wir denn also nicht sagen wollen - wie es auch der Spruch nicht so meint -, dass man nie weinen, nie betrübt und bekümmert sein dürfe, so wollen wir doch lernen, die kleinen Zwischendinge, an welchen etwas von Gottes Nahesein zu erkennen ist, besser zu beachten. Das unwillkürliche, halb gedankenlose Gottlob! oder Gott sei Dank!, das uns entschlüpft, muss nicht alles sein; sondern wir müssen uns eben in das hinein versenken, was den Ausruf auspresst. Das ist immer etwas, an dem wir einen Halt bekommen und uns aufrichten können. Mitunter ist das so viel, dass es, wenn wir's recht erfasst haben, gerade den Schwerpunkt der Bekümmernis wegnimmt. Wenn es denn so geht, so ist die zufriedene Stimmung schon ein Loben und köstlich, lieblich und schön, erquicklich für alle, die es sehen und hören, wenn sie etwa daherkommen, um Teilnahme zu bezeigen. Wie kann man da so gesegnet beieinandersitzen! Aber welch ein Herzweh kann man bekommen, wenn man jemand rein gar nichts als klagen und jammern und sich trostlos gebärden sieht - selbst wenn offenbar ist, dass Ursachen da wären, den Schmerz zu mäßigen! Da ist's nicht köstlich, sondern armselig; da ist's nicht lieblich und schön, sondern peinigend und hässlich!

Aber sehen wir von der Frage der Verdrossenen ab und denken wir bei dem Spruch nicht gerade an die Traurigen und Unglücklichen: ob die auch noch loben könnten! Lass ihnen das Weinen! Aber du, wenn dir's gut geht und du Ursache hast, fröhlich zu sein, du, dem Gott eine Gnade, eine Hilfe und Errettung oder auch Glück und Segen hat zukommen lassen: wie, mein Lieber, was tust denn du? Nicht wahr, gar oft lässt du's eben so hingehen, wie wenn sich's so von selbst verstünde oder gar, wie wenn's des lieben Gottes Schuldigkeit wäre, dass Er dir's wohl gehen lasse! Wo man diese kühle und undankbare Art sieht, da ist's auch nicht köstlich und nicht lieblich und nicht schön! Tut sich gar dabei an dir noch ein herrischer und harter Sinn gegen andre kund, so möchte man von dir weglaufen und ob dir seufzen! Lerne doch, du Menschenkind, nur wenigstens Gott loben, wo Gott an dir handgreiflich zu loben ist!

Wer's tun kann, wer's vor jedermann unumwunden aussprechen kann mit freudiger Herzensbewegung, wie sehr er Gott lobe und Ihm danke für alles Gute, das Er gibt und erfahren lässt - wer so seinen gnädigen und gütigen Gott gleichsam jedermann repräsentiert und vor Augen stellt: der tut vielen wohl. Wer's hört, muss sagen: „Es ist doch köstlich, wie der oder die so dankbar ist, es ist lieblich und schön, es erquickt durch und durch, dass man sein eigen Kreuz darob vergisst und sich mitfreuen muss!“ Kommt's denn noch zu gemeinschaftlichen Lobgesängen, so singen alle gerne mit aus Herzensgrund. Und wie köstlich, wie schön und lieblich ist dann solch Loben!

1)
bedrohte
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/blumhardt_d_a/blumhardt-der_psalter.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain