Binde, Fritz - Mitgekreuzigt!
Ich bin aber durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß ich Gott lebe; ich bin mit Christo gekreuzigt.
Galater 2,19
Man hört viel reden vom „Geheimnis, des Kreuzes“. Die Heilige Schrift kennt zwar diese Bezeichnung nicht, aber dennoch ist es wahr: das Wort vom Kreuz ist voll heimlicher, verborgener Gottesweisheit; eben dieser verborgenen Weisheit wegen ist es den Ungläubigen eine Torheit (1. Kor. 1,18).
Doch ist das Wort vom Kreuz auch noch vielen Gläubigen eine Torheit, besonders als Wort vom Mitgekreuzigtsein. Als Frohbotschaft vom Kreuzestod Christi für unsere Sünden läßt man sich das Wort schließlich gefallen und rühmt sich durch das Blut am Kreuze Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott empfangen zu haben, aber um den Empfang weiterer Weisheit und Kraft aus dem Wort vom Kreuze kümmern sich die meisten nicht. Christus an unserer Statt gekreuzigt, o das ist einem schließlich willkommen, aber wir mit Ihm gekreuzigt, darauf will man nicht eingehen. Wohl läßt man das Mitgekreuzigtsein als biblischen Lehrsatz gelten, den man billigerweise bejaht, aber nur ja keine praktische Ausübung und Betätigung dieser biblischen Wahrheit. Vielleicht gibt es keinen Punkt, in dem die praktische Mißachtung des Wortes Gottes so offenbar hervortritt, wie in diesem. Das liegt aber hauptsächlich an unserem armseligen Unglauben, der das Wort vom Mitgekreuzigtsein nicht fassen kann, weil es allem Augenscheinlichen so sehr entgegen ist. Dann liegt es aber auch an unserem Nichtwollen; denn von nichts wird das eigenwillige Ichleben mehr bedroht, als vom Wort vom Mitgekreuzigtsein, und so groß unser Eigenwille ist, so groß ist allezeit unser Unglaube.
Und doch ist gerade hier der Punkt, von dem aus der Weg in die Freiheit hineinführt. Es muß gesagt werden: Das Leben der meisten „Gläubigen“ ist gar kein Glaubensleben und darum auch kein seliges Freiheitsleben. Das, was sie „Glauben“ nennen, ist ihnen nur eine verpflichtende Belastung. Sie haben mit dem Kopfe verschiedene Bibelwahrheiten aus Furcht vor dem „Verlorengehen“ bejaht und jammern nun darüber, welch schwere Folgen diese Bejahung nach sich zieht. So und so sollen sie sein, und dies und das müssen sie tun, und wann endlich kommen sie einmal dahin, daß sie sind, wie sie sein sollen, und tun, was sie tun sollen!
„O!„, schrieb mir einmal eine, „wann endlich komm’ ich dahin, daß sich der liebe Heiland auf mich verlassen kann!“ Nie können sie sagen: Herr, dein Joch ist sanft und deine Last ist leicht. Nein, entsetzlich qualvoll scheint ihnen das Gläubigsein, furchtbar schwer das Heiligwerden. Alles, was sie aus Gottes Wort lesen oder hören, wird ihnen zum belastenden Gebot und zum drohenden Gericht, dem sie durch die äußerste Anspannung ihrer Kräfte zu entgehen suchen. So werden sie immer kleinlicher, immer ängstlicher, immer unfreier und unfroher, infolgedessen auch immer unfreundlicher und unbarmherziger; immer richtseliger, rach- und klatschsüchtiger gegen andere. Entweder hängen sie zu ihrer Selbstberuhigung starr und unduldsam einer bestimmten Richtung an oder der innere unselige Umtrieb treibt sie auch äußerlich umher, daß sie laufen von Versammlung zu Versammlung, von Lehre zu Lehre, von Richtung zu Richtung. Meistens behaupten sie auch zu glauben, daß Christus für sie am Kreuze hing, aber eines wissen sie nicht, nämlich, daß sie selbst mit Christus gekreuzigt sind.
Sie können diese Gottestatsache auch durchaus nicht fassen, womit es offenbar wird, daß sie noch gar nicht wissen, was glauben heißt und noch außerhalb des Geheimnisses des Glaubens leben. Sie glauben noch an sich und ihr eigenes Tun. Nie haben sie die Tiefe der biblischen Buße erlebt, die zur Selbstverwerfung führt. Ihre Welt ist nicht die Glaubenswelt der biblischen Gottestatsachen sondern Sinnen- und Tatenwelt der unbiblischen Menschen; es ist die Ichwelt.
Fragt man einen dieser allezeit Unseligen: Glauben Sie denn, daß sie mit Christus gekreuzigt, gestorben und begraben sind? so ist die Antwort: „Ich kann es noch nicht recht glauben.“ Und traurig auf die weitere Frage: „Warum können Sie, es noch nicht recht glauben?“ folgt das Geständnis: „Ich kann noch zu wenig davon an mir merken.“ Das ist die eine, immer und überall wiederkehrende Antwort aus dem Munde ungezählter Leute, die sich für gläubig halten. Ist das nicht ein trauriger Beweis dafür, wie wenig das Geheimnis des Glaubens unter den Gläubigen wohnt? Genau wie die ungläubige Welt will man nur glauben, was einem durch Spüren und Fühlen, also durch sinnliche Wahrnehmung „glaubhaft“ erscheint. Das heißt, man will sich beim Glauben noch ganz auf sich selbst, auf, die eigenen Gedanken und Gefühle, anstatt auf Gottes Wort stützen. Anstatt in biblischer Buße den ichstürzenden Zusammenbruch der eigenen Gedanken-, Gefühls- und Tatenwelt erlebt und daraufhin das Gnadengeschenk des Glaubens, der über alles Denken, Fühlen und Tun hinaus Gott aufs Wort hin recht gibt, empfangen zu haben, will man den Inhalt des Glaubens erst denk-, gefühls- und tatenmäßig erringen und erarbeiten, und dann will man glauben. Welcher Fluch des Ichgeistes! Man will sich lieber selbst kreuzigen, anstatt übers eigene Wahrnehmen hinaus an die vollbrachte Gottestatsache unseres Mit-Christus-gekreuzigt-seins zu glauben.
Anstatt gottselige Freiheit im Glauben, knechtsselige Arbeit im Zweifel! O wie jammern einen die Armen, die bereits ihr gottfeindliches, eigenwilliges Ichleben erkannt haben und verabscheuen und nun jahraus, jahrein sich vergeblich abmühen, ihr Ich durch ihr Ich zu kreuzigen! Gib dich doch ganz auf, liebe Seele, dann kannst du auch ganz glauben: ich bin bereits vor neunzehnhundert Jahren mit Christus gekreuzigt.
Dieser alles Denken und Fühlen übersteigende Glaube hat keinen anderen Grund als das Wort Gottes. Wenn die Apostel gewisse grundlegende Gottestatsachen, die ihnen im Glauben gewiß geworden sind, berühren, so sagen sie gar nicht mehr: wir glauben, sondern: wir wissen! Gottes Tatsachen bestehen an und für sich, und wenn kein Mensch sie glauben würde. Aber indem sie durch den Geist Gottes offenbart und von Menschen geglaubt werden, werden sie Glaubenstatsachen. Und indem der Glaubende der Betätigung seines Glaubens lebt, werden ihm die Glaubenstatsachen zu Erfahrungstatsachen, deren Inhalt alles gegenwärtig Denk- und Spürbare himmelhoch übersteigt. So reden die Apostel bereits von den zukünftigsten Dingen mit den Worten: wir wissen (1. Joh. 3,2; 2. Kor. 4,14; 5,1). Und so reden sie auch von der geheimen Bedeutung vergangener Geschehnisse: wir wissen. Dazu gehört auch unser Mit-Christus-gekreuzigt-sein. „Wir wissen,“ schreibt der Apostel Paulus den Römern, „daß unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, auf daß der Leib der Sünde abgetan sei, so daß wir der Sünde nicht mehr dienen. “ (Römer 6,6.) Unser „alter Mensch“, das ist eben unser angeborenes, fleischlich-seelisches, eigenwilliges, gottfeindliches Wesen, das den Leib als Werkzeug der Sünde hat, so daß jedes Glied ihr dient. Dieser „alte Mensch“, sagt Paulus ist in Christi Kreuzigung mitgekreuzigt, also ist unser Sündenwesen mit ans Kreuz getragen und da tödlich festgeheftet worden, damit der Leib der Sünde, als Werkzeug des alten Wesens, außer Wirkung gesetzt würde, und wir der Sünde nicht mehr dienen müssen.
Welch eine Errettung! Durch Christi Kreuzigung los von unserem alten, eigenen, sündenbeherrschten Wesen? Was niemand fertigbringt, nämlich aus seinem adamitischen, der Sünde verfallenen und unter das Gesetz der Sünde verkauften und versklavten Wesen herauszukommen, das soll an Christi Kreuz geschehen sein? Dort soll diesem Wesen ein tödliches Ende bereitet worden sein? Welch eine gewagte Glaubenssache! Und: „Unglaublich!“ ruft jedes am liebsten aus; denn ist nicht aller Augenschein, jede innere und äußere Erfahrung dieser Botschaft entgegen? Zeigt sich der „alte Mensch“ nicht immer wieder? Sündigt man nicht täglich? Wie kann der Apostel Paulus so etwas ganz Unverständliches behaupten! Und zudem: Ich habe ja damals noch gar nicht gelebt, wie kann ich mit Christus gekreuzigt worden sein! Woher hat denn Paulus sein sonderbares Wissen?
Höre, der Apostel hat sein absonderliches Wissen aus Gott; denn Menschenweisheit wäre nie auf so etwas gekommen! Er sagt: „Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist, wovon wir auch reden, nicht in gelehrten Worten menschlicher Weisheit, sondern in vom Geist gelehrten, indem wir Geistliches geistlich beurteilen“ (1. Kor. 2,12. 13). Ihm, dem einstigen Pharisäer und nun „geringsten unter den Aposteln“ (1. Kor. 15,9), war ganz besondere Weisheit über die Bedeutung des Kreuzes Christi geschenkt worden. Petrus, und besonders Johannes schauen mehr das geopferte Gotteslamm; vom Kreuz Christi aber hat keiner so viel geredet, wie Paulus, der Apostel der Heiden. Ihm war das Kreuz Christi der Mittelpunkt aller Gottesweisheit, aller Gotteskraft und alles Gottesruhmes geworden. Die Weisheit seiner Predigt war der gekreuzigte Christus (1. Kor. 1,23; 2,2), die Sorge seiner Predigt war, daß doch nicht das Kreuz Christi zunichte werde, nämlich das Ärgernis des Kreuzes nicht aufhöre (1. Kor. l,17. 18; Gal. 5,11), und das Ziel seines Predigens und Lebens war der Ruhm des Kreuzes Christi (Gal. 6,14). Und warum wurde gerade dem Paulus solche Erkenntnis des Kreuzes geschenkt? Weil keiner der Jünger einen solchen gewaltsamen Zusammenbruch der Selbstgerechtigkeit erlebt hatte, wie er, der tadellose Pharisäer, der sich nun den ersten unter den Sündern nennt (1. Tim. 1,15). Seitdem Der als Herr aus dem Himmel zu ihm geredet, der zu Jerusalem am Fluchholz gehangen, war ihm das Kreuz das Zeichen aller Gottesweisheit und Gotteskraft geworden. Der Gekreuzigte war in den Himmel erhöht, der Pharisäer zu Boden geworfen worden. Fortan gab’s für Paulus nur ein Welt- und Himmelswunder, das war: der Sohn Gottes am Kreuz!
Und im Lichte dieser Kreuzesschau sah Paulus die schwarze Unwissenheit der Obersten seines Volkes, die den „Herrn der Herrlichkeit“ (1. Kor. 2,8) gekreuzigt hatten, und stand vor dem verhängnisvollen Unglauben und der fluchvollen Sünde des ganzen jüdischen Volkes. Aber damit erkannte er auch zugleich, daß Jesus Christus als Sühnopfer für die Sünden Seines Volkes am Kreuz gehangen hatte, und daß das Ärgernis des Kreuzes den Juden nicht nur zum Gericht, sondern auch zur Errettung gereichen sollte. Doch noch weiter sah er das Kreuz göttliche Kreise ziehen. Nicht nur die Juden, nein auch die Griechen und alle anderen Völker, ja die ganze Welt sah er im Kreuz gerichtet und gerettet. Gerichtet, denn das Kreuz schloß alle in den Ungehorsam ein (Römer 11,32), verstopfte aller Mund, schloß jeden ferneren Ruhm der Menschen aus (Römer 3,19 und 27), und gerettet, denn: „Gott war in Christus, die Welt mit ihm selbst zu versöhnen, indem er ihnen ihre Sünden nicht zurechnete . . . Denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns (am Kreuz) zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm (am Kreuz) Gerechtigkeit Gottes würden. “ (2. Kor. 5,19 und 21. ) So sah Paulus das Kreuz als Gerichts- und Rettungszeichen im Mittelpunkt des Weltenlaufs und der Zeitalter stehen. Aber am Kreuz sah er Den, durch den und für den alles geschaffen ist, der vor allem ist, und in dem alles besteht, sah Ihn, das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, den Erstgeborenen aller Kreatur (Kol. 1,15. 16), sah Ihn in Schwachheit gekreuzigt (2. Kor. 13,4), festgeheftet, angenagelt, erstarrend und verflucht am Holze hängen (Gal. 3,13), sah Den, der das Leben ist, totenbleich und todgeweiht, und sah, wie da die Welt, die durch Ihn lebte, mit Ihm gekreuzigt wurde, wie sie mit Ihm erstarrte, erbleichte und im Sterben erlosch, sah, wie das schwarze Kreuzesschattenzeichen sich über diese weite Welt hinlegte und sie entwertete und durchstrich, sah jedes Geschöpf und die Menschheit in jedem ihrer Glieder, der bisherigen Kraft und Herrlichkeit benommen, mit dem schwarzen Querstrich des Fluches und der Todeswürdigkeit gezeichnet und in die Starre des Kreuzesbannes mit hineingezogen, und sah so auch sich selbst, und wußte und verkündigte: „Ich bin mit Christus gekreuzigt!“ (Gal. 2, 19)
Wer je mit diesem Apostel dieser Kreuzesschau gefolgt ist, dessen Leben ist auf die andere Seite gekommen. Nie wird er mehr lachen können, wie er vorher gelacht hat. Er weiß sich einem Geschlechte zugehörig, um dessen Sünde willen der Sohn Gottes ans Kreuz hingegeben werden mußte. Er sieht die Menschen und die Welt anders an. Er sieht sie an, wie Gott sie im Zeichen des Kreuzes ansieht, nämlich zunächst durchstrichen, entwertet, gerichtet. Er hat nicht mehr lieb die Welt und was in der Welt ist. Er weiß nun, was die Bibel meint, wenn sie vom „Fleisch“ redet: Kein Zauber und keine Anmut dieses Fleisches fangen mehr bei ihm. Er sieht in der Lust dieser Welt den schmachvollen Gegensatz zum unaussprechlichen Ernst des Kreuzes. Er hasset Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern (Luk. 14,26) mit göttlichem Haß. Dieser Haß ist frei von menschlicher Bosheit; er ist nichts anderes als die schmerzliche Abkehr von der Unzulänglichkeit alles Geschöpflichen, dessen sündiges Fleisch Gott im Fleische Seines Sohnes am Kreuze verdammen mußte (Röm. 8,3). Noch ganz besonders hasset er aber sein eigen Leben. Nie mehr wagt er die Augen, wie früher, zu sich selbst zu erheben. Die Ichherrlichkeit ist dahin. Wer sich wirklich mit Christus am Kreuz gesehen, dem ist das Kreuz in alle Sinne und Glieder gefahren. Jede selbstgefällige Leichtbeweglichkeit ist ihm genommen. Er kann nicht mehr tun, was sein natürliches Wesen will. Er erscheint wie ein Angehefteter, wie ein Angenagelter, wie ein von Gott Überwundener, Festgehaltener und Abgesonderter. Das macht, er sieht die Welt und sich selbst mit Christus gekreuzigt, und die Welt sieht ihn gekreuzigt (Gal. 6, 14). Gleichwie der Leib des Auferstandenen doch noch die Wundmale zeigte, so zeigen sich die Kreuzesspuren im Wesen eines jeden, der sich mit Christus gekreuzigt weiß.
Ich kannte einen solchen. Er verteilte Traktate in der vierten Wagenklasse eines Zuges. Als er auch einem Angetrunkenen ein Blättchen reichte, schlug dieser ihn mit der Faust ins Gesicht. Nach dem Bau seiner Glieder zu urteilen, wäre es dem Geschlagenen ein Kleines gewesen, seinem Angreifer Schlag mit Schlag zu vergelten. Wohl durchzuckte es ihn jäh, aber er blieb ein Gehaltener, ein Angenagelter, ein mit Christus Gekreuzigter. Und so sprach er still, wie vom Kreuz herab: „Schlagen Sie mich nur weiter, mein Heiland liebt Sie doch, und ich liebe Sie auch. “ ‒ Das ist etwas anderes als menschlich natürliche Selbstbeherrschung oder Selbstverleugnung. Diese beruht immer auf Selbsteinsetzung, statt auf Selbstaufgabe, und setzt immer Selbstbewertung und Selbstvermögen voraus. Christus aber konnte nichts aus sich selber tun und war als der bis zum Tod am Kreuz in Seines Vaters Kraft Gehorsame in Schwachheit gekreuzigt. So sind auch die, die mit Ihm am Kreuz ihre Selbstbewertung und ihr Selbstvermögen verloren haben.
Seht Paulus an! Das Kreuz hatte ihn um jede eigene Weisheit, Kraft und jeden Eigenruhm gebracht. In Bezug auf sich selbst aber hatte ihn die gottgeschenkte Kreuzesschau eine Weisheit gelehrt, die er niemals zu Füßen des Gesetzlehrers Gamaliel gelernt hätte, nämlich die Weisheit: „Ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes. “ (Röm. 7,18. ) Höre, so sehr war das Kreuz Christi der Gradmesser seiner Selbstbewertung geworden, daß das angezeigte Ergebnis auf: „Nichts!“ lautete! Nichts Gutes in mir selbst! Das ist der Nullpunkt des Selbstvermögens, der genau dem Mitgekreuzigtsein in Jesus entspricht. Ist das seltsame, ichstürzende Wissen des Apostels auch unser klares Wissen geworden? Nur mit diesem Wissen geht man in das Mitgekreuzigtsein ein. Ist der Nullpunkt: „Nichts Gutes!“ auch von uns an- und eingenommen worden? Nur auf diesem Punkt bleibt man im Mitgekreuzigtsein, nämlich im Zustand des eigenen Unvermögens, des Angeheftetseins, des Getrenntseins von der eigenen Natur. ‒ Man ergriff damals Simon von Kyrene, der vom Felde kam, und zwang ihn, das für Christus bestimmte Kreuz zur Richtstätte zu tragen, aber nachher ließ man ihn laufen. So sind alle die, die nur durch menschlichen Zwang in Verbindung mit Christi Kreuz gekommen sind. Sie schleppen eine Zeitlang die allein für Christus bestimmte Last, aber ans Kreuz selber gehen sie nie mit. Wer aber von Christus selber durch den Heiligen Geist ergriffen worden ist, der weiß sich auch durch den für unsere Sünden Gekreuzigten mit ans Kreuz gezogen (Joh. 12, 32) und spricht: Ich empfange, was meine Taten wert sind; dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan (Luk. 23,41). Da hängt Paulus, der Pharisäer, so gut und so schlecht wie der Schächer, der Straßenräuber! Und allein von diesem Glaubensstandpunkt des Mitgekreuzigtseins aus gelingt auch der Sieg über die Sünde. Wer im Lichte der Kreuzesschau seine Selbstentwertung bis auf den Nullpunkt erlebt hat und sich mit ans Kreuz geheftet sieht, dem vergeht der eigenmächtige Kampf wider die Sünde, in dem sich so viele abmühen und Luftstreiche machen (1. Kor. 9,26). Alle, die noch so vergeblich und ungekrönt (2. Tim. 2,5) ringen, kämpfen noch auf dem Boden des sinaitischen Gesetzes, des Gesetzes der Werke, aber nicht auf dem Boden des Gesetzes des Glaubens (Römer 3,27) und der Freiheit (Jak. 1,25; 2,12). Und wie viele kämpfen noch so unselig! Es sind alle die, die noch nicht auf den Nullpunkt gekommen sind.
Sie glauben schließlich zur Not, daß am Kreuz ihr Schuldbrief angeheftet und ausgetilgt worden ist (Kol. 2,14), aber daß sie selbst mit ans Kreuz geheftet worden sind und gerade dadurch die Macht der Sünde in ihrem Fleische die Herrschaft verloren hat, das fassen sie nicht im Glauben. Sie glauben eben noch an sich selbst. Weil sie sich nicht im Glauben für mitgekreuzigt halten, haben sie noch nicht ihre natürliche, ichgläubige Bewegungsfreiheit im Eigenwirken eingebüßt. Sie glauben, daß in ihnen, das ist in ihrem frommen Fleische, noch viel Gutes wohnt. Gewöhnlich ist ihnen auch nicht anders zu helfen, als daß sie in ihrem Eigenwirken erst ganz abwirtschaften müssen. Gott sucht sie da mehr und mehr zwischen drei Gesetzen einzuengen, innerhalb deren sie an sich selbst verzweifeln sollen. Es ist das erstens das „Gesetz ihrer Vernunft“ (Römer 7,23), das sie inwendig auffordert, gut zu sein, zweitens das Gesetz vom Sinai, das „heilige Gesetz Gottes,“ das ihnen vom Himmel her gebietet, gut zu sein, und drittens das „Gesetz der Sünde“ in ihren Gliedern, das sie immer entscheidender belehrt: Du kannst nimmermehr so gut werden, wie du innerlich willst und äußerlich sollst! (Römer 7,14-23.) Zwischen diesen drei mehr als eisernen Gesetzen erlebt der ehrlich ringende Mensch das Ende seines ichgläubigen Eigenwirkens, indem er schließlich einsehen lernt, daß er das „Gesetz der Sünde“ in seinem „Leibe der Sünde“ und „des Todes“ nie zu durchbrechen vermag, und damit endlich glauben lernt, daß dieser Todesleib der Sünde seinem Gesetz und Wesen nach vor neunzehnhundert Jahren mit Christus ans Kreuz geheftet und dort außer Wirksamkeit gesetzt worden ist (Römer 6, 6).
Mit dieser Erkenntnis hört der eigentliche Kampf gegen die Sünde auf und beginnt der eigentliche Kampf des Glaubens. Der brennende Boden vom Sinai ist verlassen und der Heilsboden von Golgatha gewonnen. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem moralischen Kampf wider die Sünde und dem biblischen Kampf des Glaubens. Beim Kampf wider die Sünde steht das Ich der inneren und äußeren Macht der Sünde gegenüber und sucht durch Einsetzung aller moralischen und religiösen Kräfte zur Herrschaft über diese Macht zu gelangen; der „liebe Gott“ und der „liebe Heiland“ sollen gewöhnlich dabei ein wenig mithelfen, aber die Hauptsache, meint man, müsse man doch selber tun. Beim Kampf des Glaubens steht das Ich überhaupt nicht mehr ringend der Sünde gegenüber, sondern weiß sich ruhend in Christus, zu dem es elend und verloren geflohen ist, und der es durch das Blut Seines Kreuzes aus der Macht Satans und der Sünde losgekauft und errettet hat. Das Ich ist nicht mehr in sich selbst, sondern es ist eben nunmehr in Christus. So betrachtet, ist der Kampf des Glaubens nichts anderes als das unausgesetzte geisteswache, glaubenstätige, bleibende Ruhen in Christus. Er ist ‒ wie ich es gerne ausdrücke ‒ die fortgesetzte Ichverneinung und Christusbejahung, die stete Rechnung: Herr, ich in dir, und du in mir! So ist das „Stehen“, „Widerstehen“ und „Bestehen“ im Glauben nichts anderes, als das unter allen Umständen andauernde und ausdauernde Halten und Bewahren des Glaubens: Herr, ich bin dein, und du bist mein! wobei das Anziehen und Gebrauchen der ganzen Waffenrüstung Gottes von Epheser, Kapitel 6, eben das beständige Werten und Verwerten der Lebens-, Heils-, Schutz- und Siegeskräfte bedeutet, die uns in Christus durch den Glauben zuteil werden, die wir aber praktisch immer nur so lange besitzen, als wir uns glaubenswach und glaubenstätig in Ihm wissen. Sobald wir irgendwie wieder selbständig in uns werden, bietet uns die ganze Waffenrüstung Gottes weder Schutz noch Sieg mehr. ‒ Nicht wahr, wir verstehen, daß dieser biblische Kampf des Glaubens nicht auf ein möglich siegreiches Ausziehen wider die Macht der Sünde, sondern auf das allezeit siegesgewisse Bleiben in Christus hinausläuft? Der Sieg über die Sünde ist bereits ersiegt! Der Sieger heißt Christus, das Schlachtfeld Golgatha! Dein Glaube an diesen Sieg macht dich zum Teilhaber an diesem Sieg! Nicht die Sünde brauchst du mehr zu besiegen, sondern deinen elenden Unglauben, deinen Zweifel am Sieg Christi, der immer und allezeit die Folge des Rückfalls in die Selbstbejahung und damit die Ursache neuer Sünden ist.
Und so ist die erste Glaubensbetätigung im Kampf des Glaubens und die erste Stufe hinan zur Erlangung der praktischen Befreiung von der Macht der Sünde: Halte dich Sekunde um Sekunde für mitgekreuzigt!
Übe dich in der gottseligen Glaubensrechnung: Mein altes, gottfeindliches Wesen samt seinem Werkzeug, dem Leibe der Sünde, dessen Glieder als Waffen der Ungerechtigkeit den sündigen Lüsten dienten, ist mit ans Kreuz geheftet und dort seiner Macht und Kraft beraubt worden. Das Gesetz der Sünde und des Todes (Römer 8,2), das mich an sich versklavte, solange ich mich, ungläubig dem Siege Christi, der Sünde zum Gehorsam begab (Römer 6,16), ist am Kreuz aufgehoben worden. Ich bin frei von diesem Gesetz durch den Glauben! Und im Gehorsam dieses Glaubens stelle ich meinen Leib mit seinen Sinnen und Gliedern Christus dar (Römer 12,1). Er hat mich mit Geist, Seele und Leib an sich genommen. Er hat mich durch Sein Blut für Gott erkauft, und Gott hat mich Ihm zum Schmerzenslohn gegeben: Ich gehöre nicht mehr mir selber! Halleluja! (1. Kor. 6,19. 20.) Ich gehöre Christus an! Mein Fleisch samt den Lüsten und Begierden ist und bleibt gekreuzigt! (Gal, 5,24.) Ich bin dem Fleische nicht mehr schuldig, nach dem Fleische zu leben (Römer 8,12). Ich würde den Sohn Gottes mir selbst kreuzigen und zum Gespött machen, wollte ich meine Glieder vom Kreuz lösen und wieder mir selbst in der Sünde leben (Hebr. 6,6).
Wer so sich übt, seines Glaubens zu leben, dem wird die Glaubenstatsache des Mitgekreuzigtseins bald zur Erfahrungstatsache werden. Er wird immer mehr die eigentliche Bewegungsfreiheit verlieren. Der Glaubensgehorsam wird ihn immer fester ans Kreuz heften, die Gemeinschaft der Leiden Christi wird ihm immer deutlicher aufgeprägt werden (Phil. 3,10), er wird das Sterben Jesu immer allzeitiger an seinem Leibe herumtragen (2. Kor. 4,10), auf daß auch das Leben Jesu an seinem Leibe offenbar werde. Und entnommen sich selbst und entflohen dem Betruge der Lüste und der Irrsal des Eigenwillens, wird er jubeln können:
„Ich wünsche mir kein andres Leben,
Als das dein Sterben mir gegeben
Und du am Kreuz erworben hast.
Drum beug all meinen Eigenwillen,
Daß er sich göttlich möge stillen
Bei deines Kreuzes leichter Last!“
Dabei wird es sich im alltäglichen Lebensgange herausstellen: Nur wer sich im Glauben mitgekreuzigt weiß, vermag wahrhaft im Geiste zu entsagen, zu warten, zu schweigen, zu dulden und zu leiden. Wer sein altes Wesen am Kreuz weiß, verliert immer mehr jeden ichsüchtigen Anspruch auf Berücksichtigung, Anerkennung, Ehre, Bequemlichkeit, Besitz und Genuß. Wer seinen Platz am Kreuz hat, kann auf jedem Platz im Leben auskommen und auch jeden Platz lassen. Das mitgekreuzigte Ich rührt sich immer weniger. Es sucht und fürchtet nichts mehr für sich. Es hat seinen Platz mit Christus über den Menschen und erwartet nichts mehr von ihnen; es wartet in allen Dingen nur noch auf Gott. Dabei verliert es nicht nur die äußere, sondern auch die innere Ungeduld. Gleichwie ein Sterbender verliert es auch immer mehr die natürliche Kraft zu reden; es schweigt wie ein Fremdling, und wenn es redet, so redet es nur im Zeichen des Kreuzes. Jede Verhöhnung seiner Schwachheit vermehrt nur sein selbstloses, leidenswilliges Dulden und zerstört die Reste der Selbstbewertung als empfindsame Selbstbemitleidung oder geheime Selbstverherrlichung. Es hängt nackt und ohne jeden Zierrat am Kreuz. Es hat aber ein Wohlgefallen an Schwachheiten, an Mißhandlungen, an Nöten, an Verfolgungen, Ängsten. Aber das alles nicht, um eine Leidensrolle vor den Augen der Menschen oder vor den eigenen Augen zu spielen, sondern um Christi willen (2. Kor. 12,10), nämlich allein durch, mit und für Christus. So wird der Mitgekreuzigte immer mehr, wie Christus auch in der Welt war (1. Joh. 4,17), der ja längst im Kreuz ging, ehe Er am Kreuz hing. Seine Fußstapfen zeigten immer nach Golgatha, wenn Er nicht schalt, da Er gescholten ward, nicht drohte, da Er litt, sondern alles Dem übergab, der recht richtet, und uns so der Sünde entnommen hat, als Er statt der vor Ihm liegenden Freude das Kreuz erduldete. Das Vorbild, das Er uns gelassen, bleibt allezeit das Bild des Gekreuzigten (1. Petr. 2,21. 23; Hebr. 12,2).
Aber auch wir werden anderen nur zum Vorbild im Bilde des Gekreuzigten; denn das Kreuz ist das einzig Ungleichförmige in der Welt. Wohl ist es als Zeichen weit bekannt, aber als Lebensinhalt verbannt. Auf Türmen, an Wänden und am Halse liebt man es, und in der Tat haßt man es. In Bekenntnissen und Lehrsätzen ist man ein Freund und in der praktischen Lebensgesinnung ein Feind des Kreuzes Christi (Phil. 3,18). Vielleicht ist mit nichts in der Welt eine solche Heuchelei getrieben worden, wie mit dem Kreuz. Den einen ist es „Nehuschtan“ (2. Kön. 18,4), ein ehernes Götzenbild, geworden, den anderen ein magisches Wunderzeichen, den dritten ein flammendes Kampfzeichen, den vierten ein kostbares Schmuckzeichen, den fünften ein schwarzes Trauerzeichen, den sechsten ein verhasstes Ärgernis, ‒ und doch ist’s weiter nichts als der Galgen, an dem die Sklaven zu Tode gebracht wurden, und an dem man auch den erwählten Knecht Jahwes unter die Übeltäter rechnete und für nichts achtete, und an dem sich auch Paulus, der Mann, den man als eine Pest befunden hatte (Apostelgeschichte 24,5), mit seinem Meister vereinigt sah, und wo sich alle sehen, die das Kreuz als das Hinrichtungsmittel für ihr eigenwilliges Ichleben erkannt haben. Wer es aber so erkannt hat, dem hört das Kreuz auf, Zierrat oder Ärgernis zu sein, dem wird es ernster Tod und dann seliges Leben, dem wird es das Zeichen der einsamsten Fremdlingsschaft in dieser Welt und zugleich Gottes Siegeszeichen über diese Welt.
Wenn jemand deine sogenannte Ehre angreift und du greifst flugs in wiedervergeltender Empörung die seine an, so findet das die Welt vollkommen in Ordnung; es befremdet sie nicht. Wenn dir jemand unrecht tut, und du läufst zum Richter, um dein Recht zu suchen, so halten dich alle für einen klugen Mann; es befremdet niemanden. Wenn du aber deine „Ehre“ und dein „Recht“ und dich selbst vor Menschen fahren lassen kannst und nicht mehr mit ihnen dem Ichwahn nachläufst, das befremdet sie bis zum mitleidigen Spott und boshaften Haß. Da wittern sie die Echtheit des Kreuzes. Und da stört sie der lebensgefährliche Ernst des Kreuzes. Da schreien sie: „Schwärmerei!“ Und doch ist das Aufhören des Streitens für dich im Zeichen des Kreuzes und Mitgekreuzigtseins zugleich das Einzige, was die Welt überwindet. Ich muß da immer an den römischen Hauptmann bei der Hinrichtung Jesu denken. Wie verächtlich mag ihm zuerst der nackte, angenagelte Mann vorgekommen sein, über dessen dornengekröntem Haupte zu lesen war: „König der Juden!“ Erbärmlicher Scheinkönig ohne Macht und Kraft, ohne Thron und Heer, ohne Land und Leute! Hohnvolle Jammergestalt, wie schnell wird’s mit dir aus sein! Dann aber kam das Erstaunliche: der Angenagelte nannte Gott seinen Vater und bat laut für die feindseligen Spötter zu seinen Füßen! Der Nackte schenkte dem Räuber zur Rechten ein Paradies! Der am Galgen Hingerichtete befahl sterbend seinen Geist laut in Gottes, seines Vaters Hände! Und die Erde bebte, als dies Angesicht sich zum Tode senkte! Und der Glanz der Sonne erlosch, als dies Auge brach und erlosch! Gab es denn eine Allmacht der Schwachheit? Trug denn die Schande das Zepter Gottes? Und der römische Schwertträger schlug an seine Brust, und alle, die dabei standen, schlugen an ihre Brust und hörten den Kriegsmann bebend sagen und sagten es bebend mit: „Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn!“ (Matth. 27,54.)
Und du, o Mitgekreuzigter, sieh den Sohn Gottes, wie Er das Größte tut, als Er angenagelt stirbt! Nicht das war das Größte, daß Er mit Vollmacht redete und lehrte. Nicht das war das Größte, daß Er sie alle von ihren Seuchen und Gebrechen heilte. Auch war das nicht das Größte, daß Er Seinen Freund Lazarus vom Tode auferweckte. Nein, das war das Größte, daß Er als der Anführer (Apostelgeschichte 3,15) und Träger alles Lebens in Schwachheit gekreuzigt am Galgen starb. Nur so wurde das Lösegeld für der Welt Sünde entrichtet. Nur so wurde das heilige Gottesgesetz erfüllt. Nur so wurde der Fürst dieser Welt gerichtet und hinausgestoßen, er wurde hinausgestoßen, als Jesus außerhalb des Lagers (Hebr. 13,13) in die hohnvollste Schmach gestoßen wurde. Denn es bleibt wahr: Nur mit angenagelten Händen hat der Sohn Gottes den Starken gebunden und ihm den Hausrat entwunden (Matth. 12,29), und nur mit angenagelten Füßen hat Er der Schlange den Kopf zertreten (1. Mose 3,15). ‒ Darum darfst du es wagen, dich mitgekreuzigt zu sehen und sehen zu lassen. Mögen sie lange vor deinem gekreuzigten Leben höhnen und spotten, bleibe du nur in Christi Schwachheit, so werden eines Tages auch vor deinem Bilde die Schwertträger dieser Welt an ihre Brust schlagen und sagen, müssen: Wahrlich, das ist kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein Nachfolger Christi und ein Kind Gottes gewesen!
Freilich gehört dazu noch das andere, nämlich, daß du nicht nur mit Christus gekreuzigt, sondern auch mit Ihm gestorben seiest und Seinem Tode gleichgestaltet werdest. Christus wurde ja nicht nur ans Kreuz geheftet, um den Juden das Schauspiel eines machtberaubten Königs zu bieten, nein, Er sollte zu Tode gebracht werden. Und auch Jahwe gefiel es nicht nur, Ihn zu zerschlagen (Jes. 53,10. 12), nein, Er sollte Sein Leben in den Tod geben. Nicht nur Schande und Schmach, Unfreiheit und Qual, nein, Tod ist der Sünde Sold (Röm. 6,23). Nicht Jesu Kreuzesleiden erfüllte das Gesetz und tilgte unsere Sünde, nein, nur der Tod des Gottessohnes, den Er durch Gottes Gnade für uns alle geschmeckt, versöhnte uns mit Gott (Röm. 5,10; Hebr. 2,9). Nicht das Kreuzesleiden des Herrn ist der Gipfelpunkt der Kreuzesschau des Paulus, nein, der Tod des Herrn am Kreuz ist das Gewaltigste, was der Apostel zu erschauen vermag. Da offenbarte sich ihm die Höhe der Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe Gottes. Mit gottgeöffnetem Geistesauge schaut er da die zwei Einen, den ersten und den letzten Adam, und entdeckt das unvergleichliche göttliche Solidaritätsgesetz: Einer für alle.
Durch einen Menschen, den ersten Adam, ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod, der zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben, so daß durch des Einen Übertretungen die Vielen gestorben sind, ‒ und durch den Tod des einen Menschen, Jesus Christus, des letzten Adams, den Gott als den einen Mittler (1. Tim. 2,5) für uns alle dahingegeben hat (Röm. 8,32), ist die Gnade Gottes gegen die Vielen überströmend geworden (Röm. 5,12-21). In diesem großartig geschauten Haftgesetze der Gerechtigkeit Gottes findet Paulus die ganze Liebe Gottes und Christi kristallisiert. Durch Adam geschah die Sünde, die nach Gottes Gerechtigkeit uns allen den Tod bringen mußte, durch Christus geschah die Errettung aus der Sünde, die nach Gottes Liebe uns allen die Befreiung von der Macht und Herrschaft des Todes bringen konnte! Mußte aber Christus in Erfüllung der Gerechtigkeit und Liebe Gottes als der Eine für uns alle stellvertretend den Tod schmecken, so drängt uns die Liebe des Christus, schließt Paulus folgerichtig weiter, zu urteilen, daß, wenn einer für alle gestorben ist, sie alle gestorben sind, das heißt, alle im Tode lagen und in der Gleichheit Seines Todes mit Ihm verwachsen sind (2. Kor. 5,14; Röm 6,5). Und so, wie Paulus angesichts des gekreuzigten Gottessohns ausrief: „Ich bin mit Christus gekreuzigt“, so ruft er nun angesichts des am Kreuze gestorbenen Gottessohnes aus: „Ich … bin gestorben … nicht mehr ich lebe!“ (Gal. 2,19. 20) und: „Ihr seid gestorben!“ (Kol. 3,3), „Wir sind mit Christus gestorben. “ (Röm. 6,8.) Fortan ist ihm dieses Mit-Christus-gestorben-sein der Angelpunkt zweier Welten. Hinter ihm liegt die Welt der Herrschaft des Gesetzes und der Sünde, vor ihm die Welt der Herrschaft der Gnade und des Geistes.
Dabei unterscheidet das erleuchtete Auge des Apostels deutlich eine Doppelwirkung unseres Mit-Christus-gestorben-seins. Er sieht uns, erstens, dem Gesetz gestorben und, zweitens, der Sünde abgestorben. „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben,“ verkündigt er Gal. 2,19. Damit will er sagen: Der Zorn und Fluch des sinaitischen Gesetzes forderte meinen Tod, den Christus durch Gottes Gnade an meiner Statt erlitt (Gal. 3,13). So hat Christus durch das Gesetz den Kreuzestod erlitten und somit durch Sein vollgültiges Opfer mich von der tötenden Herrschaft des Gesetzes befreit. Als mit Christus Gestorbener bin ich also durchs Gesetz, das Ihn tötete, mitgetötet worden und damit jeder weiteren Wirkung des Gesetzes abgestorben. So bin ich tatsächlich durchs Gesetz dem Gesetz gestorben. ‒ Was für Paulus gilt, gilt aber auch seinen Brüdern, die sich mit ihm im Glauben mit Christus gestorben halten. Und wie in jubelnder Liebe verkündigt er im Anschluß an seine gleichnisartige Beweisführung in Röm. 7: „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den leiblichen Tod Christi. “ (Vers 4.)
Mit Christi Kreuzestod dem tötenden Gesetz abgestorben, welch eine herrliche Erlösung! Warum ergreift sie der Mensch nicht freudiger? Weil man zu glaubensträge und zu ichvernagelt dahinlebt! Als schwer zu begreifende, lebensfremde, paulinische Theorie und Lehre läßt man das alles schließlich gelten, aber wie wenige glauben hier freudig, um praktisch dieses Glaubens zu leben! Lieber zerquält man sich in knechtischer Furcht vor dem kommenden Zorn Gottes bis zur Schwermut, als daß man hier dem Worte Gottes recht geben möchte. Und viel lieber stimmt man schließlich mit dem Kopf der Lehre zu, als daß man praktisch sich als Mitgekreuzigter und Mitgestorbener erweisen möchte. So lebt man denn sein träges, schlappes, ichleidiges oder ichstolzes Selbstleben weiter, läßt die Dinge weit weg vom praktischen Lebensgang in der Bibel stehen und nennt sich ‒ „gläubig“! Kein Wunder, daß dabei Irrlehren wie Pilze aus der Erde schießen und Aufnahme finden, weil sie dem Selbstleben schmeicheln, das lieber auf eigene Faust das Gesetz erfüllen als sich in Christi Tod geben möchte, um als mitgetötet dem Gesetz abgestorben zu sein! Gehörst auch du noch zu diesen glaubensfernen trägen oder dreisten Frommen? Wenn ja, dann gib Gott in ichstürzender Buße recht und ergreife und lebe, was es heißt: Mit Christi Tod dem Gesetz getötet! Dem Stecken des Treibers und dem Knechtsdienst der eigenen Anstrengung zur Erfüllung des Gesetzes und damit dem göttlichen Zorne und Fluche ewig entnommen!
So höre auch das Nächste! Denn die zweite entscheidungsschwere Wirkung unseres Mit-Christus-gestorben-seins ist: Haltet euch der Sünde für tot! (Röm. 6,11)
Wir wissen: was Christus, gestorben ist, das ist Er nicht nur dem Gesetz gestorben, sondern, das ist Er besonders der Sünde gestorben (Röm. 6,10). Indem Er den Fluch des Gesetzes auf sich nahm, damit dieser Fluch nicht weiter wirken sollte, nahm Er ja unsere Sündenschuld mit auf sich, damit auch das Gesetz der Sünde nicht weiter wirken sollte. Als Er das Gesetz durch Seinen Kreuzestod erfüllte, war mit der Schuld der Sünde auch die Macht der Sünde abgetan. So hat beides mit Seinem Kreuzestode ein Ende gefunden: der Fluch des Gesetzes vom Sinai, der der Schuld der Sünde entsprach, und der Bann des Gesetzes der Sünde, der der Macht der Sünde entsprach. Wer also im Glauben mit Christus dem Gesetz gestorben ist, der ist mit Christus auch der Sünde gestorben. Der weiß: als Christus durch das Gesetz für die Schuld meiner Sünde getötet wurde, da bin ich als Mitschuldiger mitgetötet worden, und damit jeder weiteren Schuld- und Machtwirkung der Sünde „entworden“ (1. Petr. 2,24, Grundtext) und abgestorben. Gott sei ewig Dank dafür! Denn das ist mehr als nur mitgekreuzigt sein. Unser alter Mensch, das ist unser angeborenes gottfeindliches Wesen, ist ja nur deshalb mit ans Kreuz geheftet worden, damit der Leib der Sünde, das ist das Sündenwerkzeug des alten Menschen, am Kreuz abgetan werden, nämlich durch Christi Tod den Todesstreich bekommen sollte. Das ist geschehen. Fortan lautet meine Glaubensrechnung nicht nur: mein alter Mensch ist mitgekreuzigt, nein, ich darf damit rechnen: der Leib der Sünde ist mit Christi Leib getötet, ich brauche der Sünde nicht mehr zu dienen, sondern bin ihr abgestorben. Wohl lebe ich noch im Leibe des Fleisches, aber kein Gesetz der Sünde soll mich mehr zwingen, im Fleische nach dem Fleische, das heißt, nach dem Gesetz der Sünde zu leben. Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu (das ist die Geistesherrschaft des Auferstehungslebens Christi als Frucht des Kreuzestodes Christi) hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes (Röm. 8,2). Nicht nur bleibt mein Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden mitgekreuzigt, nein, die Glieder sind dem Sündendienste gegenüber getötet und bleiben der Sünde gegenüber in diesem Todeszustande (Kol. 3,3). Über diesen Zustand zu wachen, ist unsere Aufgabe im Geiste als Kampf des Glaubens, wobei wir unaufhörlich die (sündenwilligen) Handlungen des Leibes durch den Geist zu töten haben (Röm. 8,13).
Das bedeutet aber nichts anderes, als den unausgesetzten Einspruch gegen unser fleischliches, eigenwilliges Ichleben. Es ist die stete Betätigung des Glaubens: Ich bin mit Christus gekreuzigt und gestorben. Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir! (Gal. 2. 19. 20.) Es ist die unaufhörliche Anwendung der Glaubenserkenntnis: Ist Christus für alle gestorben, so sind sie alle gestorben; und Er ist darum für alle gestorben, daß die, welche leben, nicht mehr für sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist (2. Kor. 5,14. 15). Bei dieser Glaubensbetätigung wird das Ich zum Opfer. Derselbe ewige Geist, durch den Christus sich Gott geopfert hat (Hebr. 9,14), heischt (fordert) auch die im Glauben Mitgestorbenen als Mitgeopferte. Er machte aus den Aposteln „ein Fegopfer aller Leute“ (1. Kor. 4,13), gleichsam zum Tode bestimmt. Er machte aus Paulus ein besonderes Opfer, das die Malzeichen Jesu am Leibe trug, so daß der Apostel sich nur noch als geopfert ansah (Gal. 6,17; 2. Tim. 4,6). Und durch diesen Apostel ermahnt der Geist die Brüder, „bei den Erbarmungen Gottes ihre Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, welches ihr vernünftiger Gottesdienst ist“ (Röm. 12,1). Wer sich im Glauben mit Christus gekreuzigt und gestorben ansieht, kann nicht anders, er muß Gott seinen Leib einhändigen, damit Gott in Christus durch den Geist, den Leib bewohne, belebe, regiere, gebrauche, kräftige, heile, ernähre, kleide und erhalte zu des Herrn Preise (1. Kor. 6,19. 20; 9,27). Üben wir diesen schriftgemäßen Gottesdienst der Darstellung unseres Leibes zum lebendigen, heiligen, Gott wohlgefälligen Schlachtopfer? Wie anders würde die Kraft Gottes unter uns heimisch sein, wenn es geschähe! Daß es nicht geschieht, daran ist nichts schuld als unser ichsüchtiger Eigenwille, dieser zähe Feind des Kreuzes Christi und Vater alles Unglaubens, der allezeit, die Sünde zeugt, die den Tod gebiert! Wer aber auf Christi Kreuz und Tod eingeht, der wird durch den Geist leben, weil er durch den Geist zu sterben vermag. Er wird sich auch zum Letzten hinleiten lassen, das uns das Kreuz bringt, nämlich zum Grabe unseres Eigenlebens.
Der Weg vom Kreuz geht ins Grab. Die Juden wollten Jesus nur kreuzigen und töten, um ihn hinwegzuschaffen. „Hinweg mit diesem!“ das war der Zweck der ganzen Hinrichtung. Der Unerträgliche sollte vom Erdboden verschwinden. Und das wollte der Herr auch selber. Als alle Welt ihm nachlief und auch die Griechen ihn am Feste sehen wollten, antwortete Jesus den vermittelnden Jüngern: „Die Stunde ist gekommen, daß des Menschen Sohn verherrlicht werde! Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es viel Frucht. “ (Joh. 12, 23. 24.) Das sollte heißen: Und wenn mir noch so viele nachlaufen, um mich sehen zu wollen, so bringt das doch weder Verherrlichung noch Frucht; ich bleibe doch immer allein. Nur mein schmachvoller Tod für alle und mein Verschwinden von der Welt, nämlich mein Begrabenwerden wird Herrlichkeit und Frucht als Folge haben. Nur wenn ich als Schuldopfer ins Grab sinke, werde ich Nachkommen haben und lange leben (Jes. 53,10). Hatte sich Jesus bei Seiner Taufe im Jordan unter das Gesetz gestellt (Gal. 4,4) und damit mit der Sünde der Welt zusammengeschlossen, hatte Er auf dem Berge der Verklärung das Kreuz ins Auge gefaßt und Sein Angesicht stracks nach Jerusalem gewandt und sich damit mit dem Gericht über die Sünde zusammengeschlossen, so schloß Er sich nun mit dem Sold der Sünde, mit dem Tod zusammen und mit dem Grab. Und bei jeder dieser drei Gelegenheiten bezeugte des Vaters Stimme vom Himmel her dem Sohne das ausdrückliche Wohlgefallen (Matth. 3,17; 17,5; Joh. 12,28); denn es waren dies die drei wesentlichen Akte des Gehorsams Jesu, von deren Erfüllung die Erlösung der Welt abhing. So wurde Jesus in Erfüllung des Willens Gottes nach der Schrift auch begraben und fand mit unzerschlagenem Gebein bei Reichen Sein Grab (1. Kor. 15,4; 2. Mo. 12,46; Joh. 19,36; Jes. 53,9). Paulus aber, der göttliche Deuter, sieht auch uns in Christi Grab mithineingesenkt und verkündigt:
So sind wir nun mit Ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod (Röm. 6,4; Kol. 2,12).
Und zwar ist es eigentümlich, daß Paulus das Untergetauchtwerden der Gläubigen bei der Wassertaufe als äußeres Sinnbild für das Mitbegrabensein enthüllt. Die Taufe mit Wasser wird damit zum Sinnbild einer recht erlebten Buße und Bekehrung, nämlich zum Zeichen des willigen Eingegangenseins ins Mit-Christus-Gekreuzigt-, Gestorben- und Begrabensein durch den Glauben, während der Apostel die Taufe mit Geist als Kennzeichen der Wiedergeburt und unseres Eingepflanztseins in den geistlichen Leib Christi, des Auferstandenen und Erhöhten, offenbart (1. Kor. 12,13; Röm. 8,9). Wie man aber auch die Wassertaufe deuten und ausüben mag, jedenfalls bedeutet sie das Grab unseres angeborenen, gottfeindlichen, eigenwilligen Ichlebens, damit wir in Neuheit des Lebens wandeln sollen. ‒ Aber wie weit ist man von solcher praktischen Deutung entfernt! So wie man das Mitgekreuzigt- und Mitgestorbensein nur als lebensfernen Lehrsatz gelten läßt, so läßt man das Mitbegrabensein nur als sinnbildliche oder magische Handlung gelten und lebt dreist weiter im Alten des Lebens! Daß mit dem vom Kreuz genommenen toten Gottessohn unsere Sünden mit ins Grab gesenkt und hinweggenommen worden sind, das läßt man sich schließlich gerne gefallen, aber daß wir selbst in unserem alten Wesen mit abgetan und auf die Seite gekommen sein sollen, das leugnet die Lebensart des ichwilligen Unglaubens der Gläubigen.
Und doch ist nur das wirkliche biblische Glaubensbetätigung, daß ich mich dem alten fleischlichen Selbstleben nach Sekunde um Sekunde auch als mit Christus begraben ansehe. So gewiß ich mich der Sünde für abgestorben zu halten habe, so gewiß habe ich mich mir selbst gegenüber für begraben zu halten. Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir, bedeutet im Sinne des Mitbegrabenseins: Nicht mehr ich bin da, nur Christus ist da! Ich bin vom Schauplatz abgetreten, bin verschwunden, abgetan und bleibe abgetan; nur in dem auferweckten und auferstandenen Christus habe ich noch Leben, aber nicht mehr mein Leben, sondern Sein Leben. Im praktischen Leben bedeutet das den immer endgültigeren Rücktritt von allem Eigeninteresse; nur Christi Interesse gilt. Alles durch Ihn und alles für Ihn. Es bedeutet Demut, mich allezeit wie einen zu behandeln und behandeln zu lassen, der nicht mehr in Betracht kommt; nur Christus komme in Betracht. Es bedeutet Sanftmut, allezeit wie ein Unberechtigter zu bitten und nie mehr Ansprüche geltend zu machen; Christus allein habe Vorrecht, Vortritt und Anspruch. Es bedeutet Freiheit, unabhängig von Ehre, Ruhm, Ansehen, Bekanntschaft und Gekanntwerden leben zu können; wenn nur Christus geehrt und bekannt wird. Es bedeutet Geduld, mich nicht selbst ins Zeug legen zu müssen; Christus wird sich einsetzen und wirken. Es bedeutet Zurückgezogenheit, stets und unter allen Umständen in Christus ge- und verborgen zu sein und in Ihm erfunden zu werden; Er allein werde offenbar. Es bedeutet Genügsamkeit, nicht haben zu müssen, was alle begehren; wenn Er mich nur hat und ich Ihn habe. Es bedeutet Friede, nämlich von mir selbst getrennt zu bleiben, mich selber immer endgültiger loszuwerden; nur daß ich Ihn immer völliger gewinne. Es bedeutet Freude und Liebe, mich selbst und keinen Menschen mehr nach dem Fleische zu kennen, sondern sie alle und mich in Christus geliebt zu wissen und alle, ausgenommen mich, in Ihm lieben zu können. Und es bedeutet Kraft, alles zu vermögen in Dem, der meine alleinige Stärke ist, und weit zu überwinden in Dem, der mich geliebt hat, und von dessen Liebe mich nichts zu scheiden vermag. Und es bedeutet Würde und Reichtum, weil ich, der Schande meiner sündigen Eigenheit entnommen, als ein erlöstes Gotteskind in Sein Reich und in Seine Gemeinschaft aufgenommen worden bin, und mir mit Ihm Himmel und Erde geschenkt sind; aber alles gehört Ihm, und Er allein ist würdig.
Wahrlich, nur wer dem alten Leben nach in Christi Kreuz, Tod und Grab bleibt, hat neues, ewiges Leben. Wie betrügen die sich selbst, die sich rühmen, samt Christus lebendig gemacht zu sein, und haben doch Ihr altes Leben nie in lebendiger Glaubensbetätigung im Gange der Alltagsgeschäfte in Christi Kreuz, Tod und Grab gegeben! Nur wo die Kraft des Kreuzes und Todes Christi im Kampf des Glaubens zur steten Ichverneinung wirksam geworden ist, kann auch die Kraft der Auferstehung Christi zur steten Jesusbejahung wirksam sein. Die Kraft Seiner Auferstehung kann uns nur in dem Maße tatsächlich zuteilwerden, in dem Christi Kreuz, Tod und Grab tatsächlich unser Teil geworden sind. Wiedergeboren zu einer durch die Auferstehung Christi lebendigen Hoffnung können doch nur die sein, die alle trügerische, tote Hoffnung auf sich selbst mit Christi Kreuz und Tod in Christi Grab begraben haben. Wer sagt, er glaube an die göttlichen Heilstatsachen der Kreuzigung und Auferstehung Christi, und zeigt sie nicht als heilsame Tatsache im Alltagsleben, dessen Glaube ist fruchtlos und tot, ohne Freude und Friede, ohne Kraft und Sieg. Doch nur daran wird das neue Leben an uns erkannt, daß, wenn man uns, sei es mit Nadelstichen oder mit Hammerschlägen des Neides, der Verleumdung, des Hasses, der Ungerechtigkeit, ans Kreuz heften will, wir bereits am Kreuz angetroffen werden, also gar nicht mehr durch die Bosheit zu treffen sind.
Und wenn man uns nach unserem Ichleben trachtet, um es uns streitig zu machen oder ganz zu rauben, wir es bereits an Christi Kreuz verloren haben. Und wenn man uns beiseiteschaffen und abtun will, bereits mit Christus abgetan und ins Grab gekommen sind. Die derart mit der Gleichheit des Todes Christi verwachsen sind, die sind es auch in der Gleichheit Seiner Auferstehung. (Röm. 6,5). Glückselig die Unüberwindlichen, die in tätigem Glauben mit dem Kreuz, Tod und Grab Christi zu Christi Krone, Leben und lichter Himmelsherrlichkeit durchgedrungen sind! „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt haßt, wird es zum ewigen Leben bewahren“ (Joh. 12,25.)
Gott sei Dank für dieses heilige Entweder-Oder!