Bilfinger, Adolf von - Predigt am vierten Advent
Garnisonsprediger Adolf von Bilfinger in Ulm. Ev. Joh. 1, 19-34. (I. Jahrgang.)
Dies ist das Zeugnis Johannis, da die Juden sandten von Jerusalem Priester und Leviten, dass sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht. Und er bekannte: Ich bin nicht Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Er sprach: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm: Was bist du denn, dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben? Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: „richtet den Weg des Herrn“, wie der Prophet Jesaia gesagt hat. Und die gesandt waren, die waren von den Pharisäern, und fragten ihn und sprachen zu ihm: Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist noch Elia noch der Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der ist's, der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin, dass ich seine Schuhriemen auflöse. Dies geschah zu Bethabara, jenseits des Jordans, da Johannes taufte. Des andern Tages sieht Johannes Jesum zu ihm kommen und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt. Dieser ist's, von dem ich euch gesagt habe: nach mir kommt ein Mann, welcher vor mir gewesen ist; denn er war ehe denn ich. Und ich kannte ihn nicht; sondern auf dass er offenbar würde in Israel, darum bin ich kommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes zeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herab fuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, derselbige sprach zu mir: über welchen du sehen wirst den Geist herab fahren und auf ihm bleiben, derselbige ist's, der mit dem heiligen Geist tauft. Und ich sah es und zeugte, dass dieser ist Gottes Sohn.
Es ist ein anderer Johannes, der in dem zuvor gelesenen Evangelium uns vor Augen steht, als der, mit welchem wir vor acht Tagen uns beschäftigt haben. Damals hörten wir von ihm die Frage: Herr bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? eine Frage des Zweifels an der Person Christi, die wir nur daraus verstehen konnten, dass es dem Gefangenen des Herodes nicht vergönnt war, dem Gang der Ereignisse als unmittelbarer Zeuge zu folgen, und also die bei der Taufe am Jordan gewonnene Erkenntnis weiter zu entwickeln.
Wir haben gleichwohl in dieser Frage, auch in dem darin ausgesprochenen Zweifel, etwas Vorbildliches gefunden, haben daraus Nutzen gezogen für unsere und anderer Beurteilung und Förderung. Denn das ist ja mit eines der Vorrechte, welche so hochbegnadigte Männer genießen, wie Johannes einer gewesen, dass diejenigen, welche von der gewöhnlichen Lebenstiefe hinaufschauen zu ihrer ermunternden Größe, auch aus ihrer Schwachheit und ihren Fehlern zu lernen finden. Ja gerade hier liegen die Punkte, von denen aus ihre Einwirkung auf uns oft am fruchtbarsten ist: weil uns hier die Verwandtschaft mit ihnen am deutlichsten wird und die Möglichkeit ihrem Gesamtvorbilde nachzueifern, uns am meisten zum Bewusstsein kommt.
Immerhin: dass wir auch von ihrer Schwachheit lernen können, kommt daher, dass sie sonst stark sind. Wir hätten nicht den Mut und nicht das Recht, von den Zweifeln des Johannes zu lernen, wenn wir nicht auch von seinem Glauben wüssten. Und in seinem Glauben tritt er uns heute entgegen. Ja hier, gegenüber den Irrtümern der Abgesandten von Jerusalem, hier unter dem lebendigen ungehemmten Eindruck der Persönlichkeit Jesu ist bei ihm von Zweifeln keine Rede. So unsicher und schwankend sein Urteil dort, so fest und entschieden ist es hier. So gebrochen und gedämpft dort das Licht seiner Erkenntnis, so hell und tief ist heute sein Blick so tief, so in die Unergründlichkeit des ewigen Wesens Jesu Christi sich versenkend, dass wir es vergessen könnten, dass der Vorläufer zu uns redet; dass wir sein Zeugnis gleichachten möchten dem Zeugnisse dessen, der am tiefsten geschöpft hat aus der Fülle innigsten Umganges mit Jesu, der unter seinem Kreuze gestanden und von da hinausgegangen ist in die Welt, allen zu verkündigen, was er gesehen und gehört hatte.
Nun wir haben von dem Täufer gelernt was zweifeln, im rechten Sinne zweifeln heißt: wir wollen heute lernen, was bekennen, im rechten Sinne bekennen heißt. Wir wollen von Johannes lernen:
- wie er bekennt und
- was er bekennt.
I.
Bekennen, Zeugnis ablegen, Stellung nehmen in einer gärenden Zeit, wo die Gegensätze sich drängen und stoßen, wo ein Altes in Auflösung, ein Neues in Bildung begriffen ist, wo die Mächte, die bisher unangefochten in Geltung gewesen, beginnen zu zerbröckeln und das Werdende sich noch nicht zur Anerkennung hat durchringen können: es ist keine leichte Sache, nicht in alter und nicht in neuer Zeit. Es gehört dazu nicht allein die Klarheit des Geistes, welche in der wogenden Flut der Ereignisse das Bleibende von dem Vergänglichen, das Wertvolle von dem Unnützen, das Falsche von dem Echten zu unterscheiden weiß; nicht allein der Mut der Seele, der es wagt, auch dem entgegendrängenden Strom sich entgegenzuwerfen und auch gegen Hass und Verfolgung unentwegt bei der erkannten Wahrheit zu stehen. Es gehört dazu auch die Kraft der Selbstverleugnung, welche nichts will und sucht für die eigene Person, vielmehr den eigenen Vorteil und die eigene Ehre willig dahin gibt im Dienste der höheren Sache. Und eben dies nun, diese Kraft der Selbstverleugnung ist es, die uns vor allem entgegentritt in dem Bekenntnis des Johannes in unserem Evangelium.
Es war nicht Neugier, welche die Juden in Jerusalem, d. i. die pharisäische Partei, welche das Volk in der Hand hatte, veranlasste, eine Abordnung von Priestern und Leviten hinauszusenden in die Wüste zu dem seltsamen Mann im härenen Gewand, eine gute Tagereise weit. Es waren ernsthaftere Gedanken im Hintergrund. Man hatte gehört von den Erfolgen des Johannes. Man fragte sich, ob das nicht der Mann sein könnte, den die Ungeduld der Nation kaum mehr erwarten konnte. Man wollte ihn drängen zur Entscheidung; wollte ihm die Führerschaft anbieten über die Nation. Die bisherigen Leiter waren bereit, ihm zu folgen. Welche Aussichten für einen Mann von der Kraft und dem Mute des Johannes! Was für eine glänzende Rolle! Welche Zukunft! Da sie ihn aber fragte: Wer bist du? da bekannte und leugnete er nicht. Und er bekannte: Ich bin nicht Christus nicht der Messias ihr habt euch getäuscht in meiner Person und dem, was ihr von mir erwartet! Und da sie auf Umwegen unter anderen Titeln ihre Frage wiederholen, gibt er ihnen, immer kürzer angebunden, am Ende die Antwort, welche aller Täuschung ein Ende machen musste: Ich bin nichts als die Stimme eines Predigers in der Wüste: Errichtet den Weg des Herrn! Johannes will nichts sein für sich; will nur deuten, zeigen, ausrufen für den Höheren, den er im Geiste gesehen.
So soll jedes Bekenntnis und Zeugnis von Christo geartet sein. Wir unterstützen das Vorbild des Täufers, indem wir uns den Zweck vergegenwärtigen, dem all unser Zeugnis und Bekenntnis dienen soll. Dieser Zweck liegt doch wohl nicht in uns selbst. Indem ich zeuge für Christum, kann nicht das meine Absicht sein, den Hörern davon Kunde zu geben, wie es um mich steht und mein Verhältnis zu Christo. Wer ich bin, und wie ich stehe in meinem Innersten zu dem Herrn unseres Glaubens, das gehört zu meinem Leben, das „verborgen ist mit Christo in Gott“, zu den Geheimnissen des religiösen Lebens, über welche die Welt kein Urteil hat, über welche ich ihr also auch keine Rechenschaft schulde. Darüber steht fest das Wort des Apostels: „Mir aber ist es ein Geringes, ob ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage. Der Herr ist's, der mich richtet“ (1. Kor. 4, 3. 4). Vielmehr darum soll sich jede echte Stimme des Bekenntnisses zu Christo erheben: herbeizurufen alle, die noch ferne sind von ihm; einzuladen zu dem Mahle, an dem wir für unseren Hunger und Durst Stillung und Erquickung gefunden; zu werben für die Nachfolge Christi, in der wir für uns die Erfahrung der Weltüberwindung gemacht haben. Aber wie können wir hoffen, diesen Zweck zu erreichen, wenn wir uns selbst in den Vordergrund stellen? Kennen wir nicht das menschliche Herz? Wissen wir nicht, dass, zumal in den höchsten Fragen des menschlichen Lebens, die Menschen um so gewisser sich unserem Einflusse entziehen, je mehr sie fühlen, dass unsere Person sich an sie herandrängt? Dass sie, gerade je mehr sie das Göttliche suchen, um so mehr von dem Menschlichen zurückweichen, das sich ihnen darbieten möchte? Worin anders wurzelt der Drang nach Gewissensfreiheit, zu der wir protestantische Christen uns voll und offen bekennen, als in einer innersten Scheu vor jedem von Menschen ausgehenden Druck auf das eigene innere Leben, einer Scheu, welche sich keineswegs nur regt gegenüber dem Zwang einer Kirche und Priesterschaft, sondern ebenso gegenüber jeder von Einzelnen geübten Zudringlichkeit?
Also, wenn wir Seelen gewinnen wollen für Christus durch unser Bekenntnis, so lasst uns zeugen ohne Eitelkeit und Vordringlichkeit, ganz durchdrungen von dem Geist, in dem Johannes die Worte gesprochen hat: Ich bin nicht Christus; ich bin nicht Elias; ich bin nicht der Propheten sonst einer; ich bin nur die Stimme des Rufers in der Wüste: Richtet den Weg des Herrn!
Ist das nicht eine Mahnung, der tiefsten Beherzigung wert in unseren Tagen? Wenn irgendwann, so gilt es heute Zeugnis abzulegen in dem Sinne des Werbens für Christum, in einer Zeit, da die Grundfesten des Glaubens angegriffen sind, da Tausende zurückgehen von dem Glauben, darin unserer Seele Seligkeit beschlossen ist. Die Gläubigen wissen es auch. Von Bekenntnis und Zeugnis tönt es überall durch unsere Reihen. Aber Viele machen ihr Zeugnis unwirksam, weil sie seine Klarheit stören durch allerlei Spiegelung der eigenen Persönlichkeit. Gewiss darf und muss ein Jeder, wo und wie er auch von Christus zu zeugen berufen ist, ein warmes und tiefempfundenes Wort sagen von dem, was ihm persönlich und innerlich Christus geworden ist; aber wenn die ganze christliche Rede wird zu einem Ausbreiten persönlicher Gnadenerfahrungen, wenn der, welcher von Christus zeugt, gleichsam die ganze Innenseite seines Herzens nach außen kehrt können wir's da verwunderlich finden, wenn feiner angelegte Seelen sich abkehren von seinem Zeugnis? Sie wollten von Christus hören aber dieser ist nicht Christus! Gewiss ferner, es ist nicht anders möglich, das Zeugnis von Christus muss auch oft sein ein Zeugnis gegen Sünde und Unglauben, gegen Abschwächung und Entwertung der christlichen Heilsgüter; aber wie abstoßend muss es werden, wenn man dem Eifernden anfühlt, wie es ihm wohl ist bei Donnern und Schelten, wie eine persönliche Befriedigung es ihm gewährt, wenn er im Namen des rechten Glaubens und der unverfälschten Lehre zu Gerichte sitzen kann über alle Welt! Gewiss endlich, unser Zeugnis soll getragen sein von dem Geiste der Freiheit, der keinem Fortschritte sich verschließt, der alles anerkennt, was irgendwie auf dem weiten Gebiete menschlicher Bildung und Gesittung dem Christentum entgegenkommt; aber wie wenig verlockend ist es, wenn solches Freiheitszeugnis immer mit dem Nebenanspruch eines Sondereigentums und dem Tone persönlichen Märtyrertums sich hören lässt.
Ach, dass wir es lernten, alles zurückzustellen, was irgendwie zusammenhängt mit unserer Person, oder auch der Partei und Richtung, zu deren Bewusstsein unsere Person sich so oft erweitert hat! Den wir verkündigen, er ist mitten unter uns getreten; er gehört nicht diesem oder jenem allein zu; er gehört allen. Und unsere Aufgabe ist es, mit unserem Zeugnis ihm den Weg zuzurichten, dass er wirklich seinen Umgang halten könne bei allen. Wie vieles ist da zu tun! Wie viele verschlossene Herzen gibt es, denen in dem geschäftigen und zerstreuenden Treiben der Welt der Sinn verloren gegangen ist für das eine, was not ist. Wie viele hochmütige, bildungsstolze Herzen, die vom Wahne des Weltwissens aufgebläht, sich weit erhaben dünken über das Evangelium der Armen. Wie viele in Lastern Verirrte, welche von dem Fluche des bösen Gewissens vorwärts getrieben, vorübereilen an der einzigen Stätte, wo Vergebung, Leben und Seligkeit zu gewinnen ist. Sie wollen wir suchen mit unserem Zeugnis! Ihnen wollen wir nicht müde werden, in immer neuem Tone aus der Fülle des eigenen Glaubens zu verkündigen, wie herrlich und köstlich, wie erhaben und einzig die Botschaft ist von Jesu Christo, damit wir erfüllen das Wort des Jesaias, unter das Johannes sein Zeugnis gestellt hat, dass „alle Tale sollen erhöht, alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; was ungleich ist, soll eben und was höckerig ist, soll schlechter Weg werden“ (Jes. 40, 3. 4).
Wenn wir in diesem Geiste die Pflicht unseres Bekenntnisses und Zeugnisses auffassen, dann wird uns auch die Erkenntnis nicht mangeln, dass nicht in Worten allein unser Bekenntnis steht; dass wichtiger noch das Zeugnis eines in Christo geführten Lebens sei. Nichts ist beredter, nichts ist wirksamer als dies. Nicht immer mag es uns gelingen, in unserem Worte den ganzen Reichtum dessen zu fassen, was in unserer Seele lebt; nicht immer auch das treffende Wort zu finden, das jedem in die Seele dringt. Aber ganz der echte Ausdruck unseres Innern, Keinem sich aufdrängend, aber doch Jedem verständlich, ein Buch, stets geöffnet, der Welt Kunde zu geben von dem, was uns in der Tiefe trägt und treibt, ist unser Leben! So sorgen wir denn darum, dass wir mit unserem Leben allezeit Christum preisen; dass von uns das Wort gelte: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20).
II.
Aber kehren wir zu Johannes zurück. Das Erste, was wir von ihm gelernt haben, war: wie wir zeugen sollten von Christo; das andere, was wir lernen wollen: was unser Bekenntnis sein solle von Christo.
Ein herrliches erstes Bekenntnis tönt uns entgegen aus dem Wort: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ Christus, der Erlöser von Sünde und Schuld für die ganze Welt, auch für uns! Ja durch diese Gewissheit sind, wie Johannes, so alle die größten Männer des christlichen Glaubens zu einem guten Bekenntnis gedrungen! Als dem Paulus das Geheimnis des Kreuzestodes Jesu Christi geoffenbart ward, da hatte er die neue Position seines Lebens gefunden, da ward er der Verkündiger des Evangeliums von Jesu Christo. Wie Augustin es inne geworden war, dass die Gnade Gottes in Christo ihn allein heilen könne von dem tiefen Verderben menschlicher Natur, da ward er aus einem Verlorenen ein Bekenner. Nachdem Luther die Bedeutung aufgegangen war von dem Glauben an Christi versöhnenden Tod, da konnte er hinaustreten aus den engen Mauern des Klosters in die Welt, zum Zeugnis für Christum. So wissen wir nun, womit bei einem Jeden von uns das Bekenntnis zu Jesu Christo anheben muss. Wir müssen gänzlich ausgehen von der Tatsache, dass ohne Christum die Welt und wir selbst der Sünde und dem Tode verfallen sind. Wohl verschmähen wir nicht, auch was von anderer Seite uns dafür geboten wird. Dankbar wollen wir es annehmen, was rechte Schriftgelehrsamkeit an Altem und Neuem aus ihrem Schatze uns darreicht. Wenn sie in liebevollem Eingehen auf die evangelischen Berichte aus denselben Zug um Zug uns zusammenstellt zu einem geschichtlichen Gesamtbilde, einem deutlichen Erinnerungsbilde unseres Herrn, so dass er uns gleichsam aufs Neue „vor Augen gemalt ist“ (Gal. 3, 1); gewiss muss er dadurch unserem Herzen und Glauben nahe gerückt werden. Wiederum, wenn fromme Denker in alten und neuen Tagen in tiefsinniger Erforschung des Wesens der göttlichen Offenbarung den Schlüssel suchen zu dem Geheimnis seiner Gottheit, so kann ja auch dadurch nur tiefer gegraben werden für den Grund unseres Bekenntnisses. Aber nicht das Eine und nicht das Andere, nicht die Erkenntnis des geschichtlichen Lebensbildes Christi, noch die Erkenntnis seines wunderbaren Ursprungs aus Gott ist es, worin die innerste Kraft und das tiefste Recht unseres persönlichen Bekenntnisses zu Jesu Christo wurzelt: sondern die Erkenntnis, dass er unsere einzige Rettung ist aus dem Elend unserer Sünde. Ja, was ist denn Jesus Christus, dieser gestorbene und nun zur Rechten Gottes sitzende Christus für dich, wenn du ihn nicht deinen Erlöser nennst? Was willst du sonst von ihm? Was er von dir? Wie willst du es wagen, von ihm den Namen zu nehmen, wenn er dir nicht das Leben gegeben?
Aber freilich dieses erste Bekenntnis fordert ein zweites. Wie ist es denn möglich, dass er der Welt Sünde trägt? Das vermag er nicht, wenn er nur eine flüchtig vorübergehende Erscheinung gewesen in dem wogenden Meere der Menschheit, so wie wir es sind. Er vermag es unter dieser Voraussetzung auch dann nicht, wenn er für sich rein und sündlos war und gesalbt mit dem heiligen Geist. Er vermochte dann vielleicht, als eine reinigende und läuternde Persönlichkeit zu wirken auf die, welche um ihn und mit ihm gewesen. Aber wie sollte er Wirkung besitzen auf die, welche ferne von ihm geblieben sind in Raum und in Zeit? Der Welt Sünde zu tragen, der Menschheit neues Leben einhauchen, das vermag er nur, wenn sein Leben ewig die Welt durchzieht, wenn Gottes Geist sein Geist gewesen. Und eben das hat der Täufer als Bekenntnis in das Wort gefasst von dem, der nach ihm kommen wird und vor ihm gewesen ist; er hat es niedergelegt in der Aussage von dem heiligen Geiste, den er auf ihn hatte niederfahren sehen, er hat es ausgesprochen in dem Zeugnis: Ich sah es, dass dieser ist Gottes Sohn. Dies ist nun also das zweite Bekenntnis des Täufers von Christo. Aber es spielt ein Geheimnis um diese Worte; es schwebt ein Dunkel darüber. Wie sollen wir es erläutern? Unser Verstand möchte sich sein Geschäft nicht rauben lassen, möchte in klare und deutliche Begriffe auseinanderlegen, was in großartiger Anschauung dem Glauben hier gegeben ist. Achten wir solches Bemühen überall, wo es als ein frommes uns gegenübertritt. Aber vergessen wir auch nicht, dass die göttliche Wahrheit nicht ohne Rest in menschlichen Begriffen aufgeht. Seien wir bereit, auch dem Geheimnis uns zu beugen. Begrüßen wir freudig auch das Licht, das im Dunkeln aufleuchtet.
Wieder wird das Geheimnis der Gottessohnschaft Jesu Christi vor uns treten in der beginnenden Festzeit. Auch die Kunde dieser Tage hebt an mit dem Dunkel der heiligen Nacht. Aus ihr leuchtet auf das Licht der Welt. Bieten wir diesem Lichte das Dunkel unserer Herzen. Ergreifen wir Christum mit aller Heilsbegierde einer ihrer Sünden sich bewussten und nach Leben aus Gott verlangenden Seele. So wird es von hier aus in unserem ganzen Menschen hell werden ebenso zu dem Bekenntnis: „Siehe das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“, wie zu den anderen: „Ich sah es und zeuge, dass dieser ist Gottes Sohn.“
Amen.