Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 11. Vom rechten Maßstabe für uns selbst.
a.
Ezechiel sah einen Mann um den Tempel gehen, „und der Mann hatte die Messrute in der Hand, die war sechs Ellen lang, und eine jegliche Elle war eine Hand breit länger, denn eine gemeine Elle.“1) Solches Maß legen alle Die an sich selbst, welche sich sehnen, Tempel Gottes zu sein. Der Maßstab, mit dem sich die Kinder der Welt messen, ist kurz; der Maßstab, mit dem sich die Kinder Gottes messen, ist lang. Daraus erklärt sich die Tatsache, dass sich jene für groß und dass sich diese für klein halten; die Tatsache, dass die Weltlichen sich für gut, die Heiligen sich für Sünder halten.
Mein Maßstab sei das Wort: „Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte, und deinen Nächsten wie dich selbst;“2) oder, damit ich einen noch deutlicheren Maßstab habe, das fleischgewordene Wort selbst, das lebendig gewordene Gesetz, der Herr Jesus Christus. Lege ich diesen Maßstab an mich, so finde ich mich zu kurz, zu klein. Wenn ich dann im demutsvollen Schmerz zu Seiner Herrlichkeit aufschaue und in der erkannten Winzigkeit und Unwürdigkeit dennoch mich sehne, „ein vollkommener Mann zu werden nach dem Maße des vollkommenen Alters Christi,“3) dann, aber auch nur dann, werde ich wachsen und größer werden, genährt von Dem, der da spricht: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden“4) „selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.“5) O Du, der Du nur Die groß machst, die sich klein wissen; Du Arzt, der nur den Schwachen hilft; Du, der in der Höhe und im Heiligtum wohnt und bei Denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind: gib, dass ich mich nie, vergleiche mit der Welt und dadurch selbstzufrieden auf dem breiten Wege verloren gehe; sondern halte mir immer vor Dein erhabenes Bild und lass mich im Spiegel dieses Bildes mein Elend sehen in Demut! Denn nur, wenn Du mich demütigst, machst Du mich groß!6)
b.
Ich habe nun begriffen, was das Wort „vermessen“ bedeutet. Wer sich für groß hält, der hat den falschen Maßstab an sich gelegt; er hat nicht recht gemessen; er hat sich vermessen; darum heißt er vermessen.