Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Drittes Kapitel. Peter Waldus und seine Jünger. Die katholischen Armen. Der Bibelverein in Metz.
Während in dem geschichtlichen Vordergrunde dieses Zeitraumes, in dem geräuschvollen Zusammentreffen großer historischer Mächte, die sichtbare Kirche einen Triumph feiert, welcher in einem großen Moment alle Herrlichkeit der Welt zu vernichten scheint: regt sich schüchtern zunächst, und von den Kreisen geschichtlicher Bewegung fern, das Leben einer jungen Gemeinde; das Geheimnis der unsichtbaren Kirche, das die Glorie der Hierarchie verdunkelt, wird wieder offenbar, schließt sich von neuem auf; ein geringes Häuflein einfach Gläubiger, in inniger Sehnsucht nach dem ursprünglichen, klanglosen Christentum, nach der Stillung des Herzensdranges, von dem Bewusstsein des allgemeinen priesterlichen Berufes gehoben, zeugt, unfreiwillig zunächst, gegen das ewige Recht des mittelalterlichen Katholizismus, ergreift mit der ganzen Kraft des Gemütes eine Idee, die größer, tiefsinniger ist, als jener selbst: es ist die Gemeinde, die Petrus Waldus um sich versammelt. (H. Reuter: Geschichte Alexander III. und der Kirche seiner Zeit.)
In der letzten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, etwa um das Jahr 1170, trat in demselben Orte, wo Agobard gegen die Missbräuche der römischen Kirche geeifert hatte, in der bedeutenden Handelsstadt Lyon, im südlichen Frankreich, Peter Waldus auf. Das Jahr seiner Geburt ist unbekannt. Auch über den Ort derselben herrschen verschiedene Ansichten. Wahrscheinlich wurde er zu Baux, einem Städtchen in dem Gebiete von Lyon, am linken Rhoneufer gelegen, geboren. Nach der Sitte der damaligen Zeit erhielt er nach diesem seinem Geburtsorte den Namen Peter von Baux (Pierre de Vaux), woraus das lateinische Petrus Waldus entstanden ist1). Er war ein reicher Kaufmann, aber sein Herz hing nicht an den Schätzen dieser Welt. Die Beschäftigung mit höheren Dingen, das stille Nachdenken über die Wege Gottes machte ihm eine weit größere Freude als das Handeltreiben und die Berechnung zeitlicher Vorteile. So erschien ihm sein Geschäft immer mehr als eine Last, die ihn herabdrücke auf die Erde und den Aufflug seiner Seele zum Himmel erschwere. Der Gedanke, sich der unangenehmen Bürde zu entledigen, wurde in ihm immer lebendiger, und es bedurfte nur noch eines geeigneten Anstoßes, um ihn auszuführen. Eines Tages nun befand er sich in einer Gesellschaft von Freunden und Bekannten. Plötzlich stürzte einer der Anwesenden tot zur Erde nieder. Dieser Vorfall erschütterte Peter Waldus auf das gewaltigste und erinnerte ihn nachdrücklich an die Hinfälligkeit alles Irdischen. Er entschloss sich alsbald, ganz der Welt zu entsagen und nur nach jener Perle zu suchen, wovon im Evangelium geschrieben ist. Für schweres Geld2) ließ er sich von zwei Geistlichen3) die Evangelien und mehrere andere Bücher der Bibel in seine Landessprache übersetzen. Auch wusste er sich noch andere erbauliche Schriften der alten Kirchenväter zu verschaffen und las darin mit großer Andacht und immer wachsender Liebe. Je mehr er forschte, umso lebendiger ergriff ihn der Entschluss, den Aposteln gleich umherzuziehen und für das Seelenheil der Menschen zu wirken. Er gab sein Kaufmannsgeschäft ganz auf und verteilte alle seine Güter unter die Armen. In seinem Hause hielt er, anfangs nur für seine Hausgenossen und nächsten Bekannten, Vorträge über die Bibel, die er sich hatte nach und nach ganz übersetzen lassen. Diese Übersetzungen wurden vielfach abgeschrieben und verteilt. Der Kreis der Zuhörer wurde immer größer; selbst die Vornehmsten der Stadt erschienen in den Versammlungen, und bald war das Haus nicht mehr im Stande, die Menge von Menschen zu fassen, welche aus der ganzen Umgegend herbeiströmte. Nun predigte Waldus auf den Straßen und öffentlichen Plätzen. Die Kirchen wurden immer leerer; denn bei dem begeisterten Bibelmann fand Jeder eine höhere Befriedigung.
Peter Waldus dachte damals noch nicht daran, feindselig gegen die Kirche, die Gebräuche und Lehren derselben aufzutreten, oder sich gar von ihr loszusagen. Er wollte nur das Evangelium den Menschen verkündigen und zur Verbreitung desselben eine Anzahl gleichgesinnter Leute um sich versammeln.
Einen solchen, evangelischen Verein hätten die Vorsteher der Kirche als eine wahre Wohltat begrüßen und auf alle mögliche Weise fördern sollen. Aber die Sache war ihnen doch bedenklich. Peter und seine Anhänger beriefen sich bei ihren Predigten nie auf die Satzungen der Kirche, sondern allein auf die Bibel; das Predigen von Laien sahen sie als einen Eingriff in die Rechte der Geistlichkeit an. Kurz der Erzbischof von Lyon4) verbot Peter und seinen Anhängern die Erklärung und Verkündigung des göttlichen Wortes. Diese aber ließen sich dadurch nicht abschrecken und setzten, in der Überzeugung, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, ihr angefangenes Werk mutig und freudig fort. Der Erzbischof versuchte nun die Sache mit Gewalt zu unterdrücken und sich der Person des Peter Waldus zu bemächtigen. Aber die Liebe und Achtung gegen denselben war so allgemein und so begeistert, dass Johann es für gut fand, von der Ausführung seines Planes abzustehen. Waldus und seine Anhänger, immer noch Willens, in der römischen Kirche zu verbleiben, schickten hierauf, um nicht als Widersetzliche zu erscheinen, einige Abgeordnete nach Rom zum Papste Alexander III. Diese sollten dem heiligen Vater die ganze Sache vorlegen, und um Anerkennung ihrer „Gesellschaft zur Verbreitung und Verkündigung des Evangeliums“ bitten. Zugleich überreichten sie ein Exemplar der Bibelübersetzung, welche sich Peter Waldus hatte anfertigen lassen. Denn damals war das Bibellesen und das Übersetzen derselben in die Landessprache noch nicht verboten.
Im Jahr 1179 hielt Alexander zu Rom eine Kirchenversammlung, auf welcher auch die Lyoner Deputierten erschienen. Der in Rom anwesende Engländer Walter Mapes, ein Franziskanermönch, wurde beauftragt, sich mit den Waldensern zu benehmen und eine Prüfung mit ihnen anzustellen. Dieser aber behandelte sie als einfältige, ungebildete Leute und suchte sie durch Fragen über gelehrte Spitzfindigkeiten vor der Versammlung lächerlich zu machen. Dennoch bewiesen die Abgeordneten eine solche Vertrautheit mit der Heiligen Schrift und ein so gesundes Urteil über die Gegenstände der Religion, dass der Mönch nicht umhin konnte, am Schlusse der Unterredung zu äußern: „demütig fangen sie an, weil sie noch keinen festen Standpunkt gewonnen haben; aber sie werden uns selbst hinaustreiben, sobald wir ihnen Einfluss in der Kirche gestatten.“
Der Erfolg der ganzen Unterhandlung war leicht vorauszusehen. Die Waldenser wurden mit ihren Bitten zurückgewiesen. Alexander verbot ihnen zu predigen und die Bibel zu erklären; der Bischof von Lyon wurde angewiesen, auch fernerhin mit Nachdruck und Strenge dem öffentlichen Auftreten dieser neuen Gesellschaft entgegenzuwirken. Peter von Lyon musste nun immer klarer einsehen, es sei ihm und seinen Anhängern nur die Wahl gelassen, entweder aus der römischen Kirche auszuscheiden oder ihrem bisherigen apostolischen Berufe zu entsagen. Sie wählten das Erstere. Dem Befehl des heiligen Vaters zuwider fuhren sie fort, öffentlich und in der Stille das Wort Gottes zu verkündigen. Nur erbittert, aber nicht eingeschüchtert durch das Urteil Alexanders, verwandeln sie ihre einfachen Bibelerklärungen in immer heftigere Klagen gegen die Ausschweifungen der römischen Priester. Ihr Bruch mit Rom wurde vollendet, als der Nachfolger Alexanders, Papst Lucius III., im Jahre 1184 auf einer Kirchenversammlung zu Verona, auf welcher auch Kaiser Friedrich I. zugegen war, förmlich den Bann über sie aussprach. In der betreffenden Bulle werden sie nebst anderen Ketzern, den Katharern, Patarenern, mit einem ewigen Fluche belegt, und Humiliaten ol (Demütige) oder Arme von Lyon genannt.
Als Grund seines Urteils gab Lucius III. an: „weil Einige unter dem Scheine der Frömmigkeit, deren Kraft sie aber verleugnen - ohne gesandt zu sein und von dem apostolischen Stuhl, oder von ihrem Bischof die Befugnis dazu erhalten zu haben, in Privathäusern, oder öffentlich zu predigen sich unterstehen; und vom Abendmahl, von der Taufe, von der Vergebung der Sünden, von der Ehe und den übrigen kirchlichen Sakramenten anders zu denken und zu lehren wagen, als die heilige römische Kirche lehrt.“
Die schwersten Strafen werden einem Jeden, sei er Priester oder Laie, angedroht, welcher die Ketzer auf irgendeine Weise unterstützt. Die Erzbischöfe und Bischöfe sollen in ihren Bezirken die genauesten Nachforschungen nach denselben anstellen. Bei Verlust ihrer Stellen und ihrer Güter wird allen Grafen und Statthaltern in den von der Ketzerei angesteckten. Gegenden befohlen, der Kirche in ihren Maßregeln gegen die Abtrünnigen beizustehen und ihre Anordnungen aufs genaueste zu vollstrecken.
So lange Peter von Lyon und seine Anhänger noch in dem Schoße der römischen Kirche sich befanden, waren sie auch in ihrer Lehre noch in keinen eigentlichen Gegensatz zu derselben getreten. Sie wollten nichts, als frei das Evangelium verkündigen und ihr Leben ganz nach seinen Vorschriften einrichten. Nachdem sie aber einmal aus der Kirche, deren Heil sie zu fördern suchten, verstoßen worden, kam es ihnen auch immer mehr zum Bewusstsein, dass sie gerade das Gegenteil von dem beabsichtigten, was das Papsttum erstrebte. Sie forschten immer tiefer in der Schrift, und immer größer erschien ihnen die Kluft, welche Bibel- und Kirchen-Lehre voneinander trennte.
Aus dem Gebiete von Lyon vertrieben, verbreiteten sich die Anhänger des Peter Waldus zunächst in den benachbarten Provinzen des südlichen Frankreichs. In diesen Gegenden, wo durch Industrie und Wohlstand eine freiere Entwickelung des geistigen Lebens sich entfaltet hatte; wo auch späterhin der evangelische Geist in den blutigsten Kämpfen sich zu behaupten wusste, war bei vielen Großen und Mächtigen nicht weniger, als bei dem Volke, die römische Kirche und ihre Diener in solche Verachtung gekommen, dass man sprichwörtlich sagte: „lieber wollte ich ein Kapelan als dies, oder jenes sein.“ Leicht fanden also von Rom verdammte und verfolgte Glaubensgenossen hier Aufnahme und Einfluss; zugleich boten die Gebirge verborgene und unzugängliche Wohnsitze.
Wohin die Waldenser kamen, suchten sie mit dem größten Eifer die evangelische Lehre auszubreiten. Aber stets umlauert von verfolgungssüchtigen Feinden, mussten sie dabei mit der größten Vorsicht verfahren. Sie suchten besonders die Gegenden auf, wo keine Mönche - ihre erbittertsten Feinde - sich befanden. Sie hatten geheime Abzeichen, woran sie sich gegenseitig erkannten. Es ist sogar wahrscheinlich, dass unter ihnen zwei Klassen oder Stufen bestanden, um die römische Kirche besonders über den Umfang und die Verbreitung ihrer Sekte zu täuschen. Der größeren Menge, den sogenannten Gläubigen, war es gestattet, mit ihrem Bekenntnisse zurückhaltend zu sein, selbst zum Scheine die Messe zu besuchen, und überhaupt die Gebräuche der römischen Kirche mitzumachen; die Vollkommenen aber hatten die Pflicht, offen von ihrem Glauben Zeugnis zu geben und freudig für denselben in Kerker und Tod zu gehen.
Nachdem Papst Lucius III. so strenge Saiten gegen die Waldenser aufgespannt und sie dadurch gezwungen hatte, von der römischen Kirche sich gänzlich loszusagen, versuchte Innocenz III. bei sie auf einem andern Wege wiederzugewinnen. Er bemühte sich, die Armen von Lyon zu einer eigenen Gesellschaft, einer Art Orden zu vereinigen, welche, statt der Kirche geradezu entgegenzutreten, vielmehr ihre Endzwecke zu fördern geeignet wäre. Die Glieder sollten den Namen „Katholische Arme“ führen; die riet Geistlichen und Unterrichteten von ihnen mit Predigen, Erklärung zu der Schrift und Bekämpfung der Ketzer sich beschäftigen; die Laien aber und Solche, welche zur Ermahnung und Bekehrung der Menschen nicht befähigt, sollten in besonderen Häusern zusammenleben, und da frommen Betrachtungen und Übungen sich widmen. Durch diesen Verein hoffte der kluge Innocenz allmählig alle Waldenser in den Schoß der Kirche zurückzuführen, und so diese wie er wohl erkannte gefährliche Sekte durch sich selbst zu zerstören, Obwohl unbedingte Unterwerfung unter den römischen Stuhl sich natürlich die erste Bedingung zur Aufnahme unter die katholischen Armen war, so wurden doch den Übergetretenen gewisse Vergünstigungen bewilligt. Da die Waldenser, wenigstens zum Teil, es für unerlaubt hielten, Menschenblut zu vergießen und einen Eid zu schwören, so verordnete der Papst, dass diejenigen, welche dem Verein sich anschlössen, nicht genötigt sein sollten, in mit den Krieg gegen Christen zu ziehen, und einen Eid zu schwören; jedoch mit dem bedenklichen Zusatz: wenn es die weltliche Obrigkeit gestatte, und die Sache ohne Nachteil und Ärgernis Anderer auf heilsame Weise geschehen könne.
Im Anfang schien dieser Plan gelingen zu wollen. Im südlichen Frankreich vereinigten sich einige Geistliche der Waldenser, machten zusammen eine Reise nach Rom und überreichten Innocenz ein Glaubensbekenntnis, welches nichts enthielt, was einem Widerspruch gegen die römische Kirche auch nur entfernt ähnlich gewesen wäre, und darum von dem Papste alsbald bestätigt wurde. Auch in Italien, besonders in Mailand, waren viele Waldenser nicht abgeneigt, sich unter den Hirtenstab des Statthalters Christi zu begeben. Mehrere fanatische Bischöfe aber verweigerten, trotz der ihnen von Innocenz anbefohlenen Sanftmut, die Aufnahme der Waldenser in die Kirchengemeinschaft; die Letzteren erkannten je länger, je mehr, dass ohne eine gänzliche Verleugnung ihrer Grundsätze und Lehren eine Vereinigung mit Rom unmöglich sei; kurz: der Verein, welcher im Grunde auch nichts war, als eine trügerische Lockspeise, löste sich allmählig wieder auf.
Innocenz III., ein Mann voll Geist, Kraft und Entschlossenheit, unter dessen Hirtenstabe das Papsttum sich zum Gipfel seiner Herrlichkeit emporschwang; dieser unbestreitbar größte Papst scheint in der Tat, wenigstens anfangs, milderen Maßregeln gegen die Ketzer nicht abgeneigt gewesen zu sein. Er sagt in einem seiner höchst interessanten Briefe: „es könne sein Wille nicht sein, dass durch die Härte der Bischöfe Solche, welche durch die göttliche Gnade gezogen zu werden schienen, von der unendlichen Barmherzigkeit Gottes zurückgetrieben würden.“ Wohl klagt er bitter, dass, „das Krebsgeschwür der Irrlehre immer weiter um sich fresse“; wohl verglich er alle der römischen Kirche Entgegentretenden mit „Skorpionen, welche mit dem Stachel der Verdammnis verwunden,“ mit den Heuschrecken Joels, mit „zahllosem Ungeziefer im Staub verborgen;“ wohl nannte er die Ketzer „Leute, welche Schlangengift in Babels goldenem Kelche darreichten;“ „Füchse von verschiedenem Aussehen, aber zusammengekoppelten Schwänzen,“ weil sie, welche Namen auch führend, doch durch das eine Streben verbunden wären, den Weinberg des Herrn zu durchwühlen. Dennoch äußerte er in einer Predigt: „der Bund der Ketzer muss durch treue Belehrung gelöst werden; denn der Herr will nicht den Tod des Sünders, sondern dessen Bekehrung und Leben.“
Waldenser aus Montpellier hatten in dem Kirchensprengel von Metz provenzalische Übersetzungen des Psalters, des Hiob, der paulinischen Briefe und mehrerer anderer biblischen Bücher verbreitet5). Alsbald bildeten sich hier Vereine von Männern und Frauen, welche miteinander die Bibel lasen und über deren Inhalt sich gemeinsam unterredeten. Den Priestern, welche gegen diese Versammlungen einschreiten wollten, wurde kein Gehorsam geleistet. „Wir haben nicht nötig“, sagten die Leute, „unsere Privaterbauungen uns verbieten zu lassen.“ „In unseren Büchern finden wir weit mehr und Besseres, als ihr uns gebt.“ Der Bischof von Metz berichtete darüber an Innocenz III., und dieser erwiderte hierauf: es ist Pflicht der Prälaten, sorgfältig darüber zu wachen, dass es den Ketzern nicht gelinge, Schaden in dem Weinberge des Herrn zu stiften, doch müssen sie sich auch sehr in Acht nehmen, vor der Zeit der Ernte das Unkraut ausreißen zu wollen, damit nicht auch die gute Frucht mit ausgerissen werde. Die Ketzerei darf nicht geduldet werden; aber man muss auch die fromme Einfalt nicht beeinträchtigen, damit man nicht aus den Frommen Ketzer mache. Die Leute sind mit Gründen zu ermahnen, dass sie von allem Ungehörigen ablassen und nicht einen fremden Beruf an sich reißen.
Den bei ihm verklagten Bibelfreunden selbst schrieb Innocenz unter anderem Folgendes: „Die Begierde, die Heilige Schrift kennen zu lernen und sich dadurch zu erbauen, ist löblich; aber sie darf nicht heimlich befriedigt werden, nicht in die Anmaßung zu predigen ausarten, nicht zu Geringschätzung der Geistlichen führen. Gott will nicht, dass sein Wort in geheimen Zusammenkünften, wie bei den Irrgläubigen geschieht, sondern öffentlich in der Kirche verkündigt werde. Wer Gutes tut, braucht das Licht nicht zu scheuen. Aber die Geheimnisse des Glaubens können nicht von Jedermann ausgelegt, ja nicht einmal von eines Jeden Verstand durchdrungen werden. Die Heilige Schrift ist so tief, dass nicht in bloß Einfältige und Ungelehrte, sondern auch Einsichtsvolle und Gelehrte dieselbe nicht auszuforschen vermögen. Da die Kirche in eigene Lehrer bestellt hat, so darf nicht Jeder zum Lehramt sich hervordrängen; die Versicherung eines inneren Berufes dazu kann jeder Irrlehrer geben. Handelt es sich darum, einen Geistlichen zu tadeln, so kommt dies nur dem Bischof, dem die Zurechtweisung desselben übertragen ist, nicht aber dem Volke zu. Denn es ist göttlicher Befehl, Vater und Mutter zu ehren, die geistlichen noch mehr als die weltlichen. Wir hoffen, dass die Einwohner von Metz von dem, was wir hier gerügt haben, zurückkommen, den katholischen Glauben bewahren, an die Ordnung der Kirche sich halten werden; sonst muss der väterlichen Ermahnung kirchliche Strenge folgen.“
Trotz dieser väterlichen Ermahnung und dem Verbote des Bischofs setzte der Bibelverein seine Versammlungen fort und weigerte sich hartnäckig, seine Übersetzungen der Schrift auszuliefern. Innocenz ließ hierauf, als ihm diese Widersetzlichkeit berichtet worden, durch den Bischof von Metz und mehrere Äbte die Sache ernstlich untersuchen. Man entdeckte, dass die Bibelfreunde genauem Zusammenhang mit der bereits verdammten Sekte der Waldenser standen. Das war genug. Ihre Versammlungen wurden auseinandergetrieben und alle Bibeln, deren man habhaft werden konnte, verbrannt.
Die Maßregeln gegen die Ketzer werden von nun an immer strenger und blutiger.