Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Erstes Kapitel. Der Verfall der christlichen Kirche.

Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Erstes Kapitel. Der Verfall der christlichen Kirche.

“Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!“
Jes. 14, 12.

Wie ein Bach umso klarer dahingleitet, je näher er noch seiner Quelle ist, so durchströmte der christliche Geist am reinsten die Zeiten unserer christlichen Kirche, welche der Erscheinung ihres göttlichen Stifters unmittelbar sich anreihten. Der Blick auf die ersten, durch die Apostel gestifteten Christengemeinden entfaltet vor uns das Bild eines frommen, durch die Liebe verklärten Lebens, das, eingepflanzt in eine dahinsterbende Welt, keiner glänzenden, äußeren Verhältnisse bedurfte, um seine Herrlichkeit kund zu tun. Gerade da, als sich noch in der schlichten Wohnung eines Privatmannes, oder in einer abgeschiedenen Grotte die Andächtigen versammelten, als noch ein gewöhnlicher Tisch die Stelle des Altares vertrat und durch die schwersten Bedrückungen und Verfolgungen die Bekenner Jesu sich stets erinnert sahen an das Wort ihres Meisters: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ gerade da war die goldene Zeit des christlichen Glaubens.

Mit der äußeren Erhebung der christlichen Kirche beginnt ihr innerer Verfall. Nachdem sie unter Constantin dem Großen, um die Mitte des vierten Jahrhunderts, aus den niederen Kreisen der Gesellschaft auf die Höhe des Kaiserthrones sich erhoben, wurde ihre ursprüngliche Gestalt gänzlich umgewandelt. Sie, die früher Dienende und Unterdrückte, war jetzt zur Herrscherin geworden. Nun drohten ihren Bekennern nicht mehr Kerker und Tod; der Übertritt in ihre Gemeinschaft war selbst mit äußeren Vorteilen verbunden. Die Aussicht auf Fürstengunst und Ehrenstellen trieb Viele in die christliche Kirche, welche innerlich noch dem Heidentum angehörten. In reichem Ornate schreiten nun die Diener dessen einher, welcher nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte; die schmucklosen Bethäuser verwandeln sich in prachtvolle Gottestempel, durch beträchtliche Schenkungen wird die Kirche bereichert, der Glaube schwindet und Menschen, die nur den Namen und das Gewand gewechselt, verursachen eine traurige Mischung von Heidentum und Christentum. Die Annahme des letzteren wird, nachdem es durch Kaiser Theodosius den Großen gegen das Ende des vierten Jahrhunderts zur Staatsreligion erhoben war, immer mehr eine äußere Notwendigkeit. Die Geistlichen befinden sich in einer eigenen Lage. Scharen von Heiden begehren Aufnahme in die Kirche. Sollen dieselben zurückgewiesen werden, weil sie den alten Menschen noch nicht ausgezogen? Es schien geratener, sie, wie sie eben waren, in den Schoß der Kirche aufzunehmen und sich mit der Hoffnung zu trösten, habe das Christentum nur einmal weit und breit Wurzel gefasst, dann werde es schon von selbst durch die ihm innewohnende Lebenskraft alles Heidnische überwinden.

Einige Kirchenlehrer hielten es sogar für rätlich, manche heidnische Gebräuche und Vorstellungen zu dulden, um dadurch den Übertritt in das Christentum zu erleichtern, und den Bekehrten umso schneller die neue Kirche heimisch und vertraut zu machen. Zum Ersatz für eine zertrümmerte Götterwelt fängt man nach und nach an, die Überreste heiliger Personen (Reliquien) in den Kirchen aufzustellen und von ihrer wunderbaren Kraft zu reden. Man betet zur Jungfrau Maria, zu den Märtyrern, zu den Heiligen und stellt sie als Mittelwesen zwischen Gott und Menschen dar. Es dauert nicht lange, so wirft man sich vor Bildern nieder, um den Personen, welche durch sie dargestellt werden, seine Verehrung zu bezeigen. Man freut sich einer großartigen, prächtigen Erscheinung der sichtbaren Kirche, und vergisst darüber der inneren Herrlichkeit des göttlichen Reiches. -

Stürmische Zeiten erschwerten zugleich den stillen inneren Ausbau der Kirche. Es beginnt bereits zu Ende des vierten Jahrhunderts, von Osten nach Westen sich erstreckend, die bekannte große Völkerwanderung. Wilde, dem Heidentum ergebene Barbaren überfluten alle Gegenden des Abendlandes. Die christliche Kirche sollte, noch ehe sie das römische Heidentum recht überwunden hatte, auch diese neu sich hinzudrängenden Götzendiener bekehren. Es schien fast unmöglich, diese rohen Völker, welche eine unbekannte Sprache redeten, für die Lehren des Evangeliums zu gewinnen. Man wählte abermals den leichteren Weg. Den heidnischen Gebräuchen und Begriffen wird wiederum nachgegeben, die Taufe wird möglichst beschleunigt, die einfache Erklärung, man wolle ein Christ werden, genügt zum Empfange derselben. Die lateinische Sprache wird, ob auch unverständlich den Fremden, in dem Gottesdienste beibehalten. Anfangs geschah dies aus Not, dann aus Bequemlichkeit, endlich aus kluger Berechnung. Einer solchen, nur in der Eile bekehrten Menge, welche das Wort nicht einmal verstand, das ihr gepredigt ward, konnte Alles, selbst das als Christentum verkündigt werden, was mit demselben den schreiendsten Widerspruch bildete. Die kaum errungene Herrschaft will die Kirche behaupten, sie duldet lieber den Wahn als eine äußere Schranke ihres Besitztums. Wäre sie zu dem Geiste ihres Stifters zurückgekehrt, hätte sie sich erneut auf dem Grunde des Evangeliums, so wäre ihr geholfen gewesen. Aber man wandelte fort auf der einmal eingeschlagenen unheilvollen Bahn. Die Verehrung der Heiligen und Reliquien nimmt immer mehr überhand. Die Begriffe von der Machtvollkommenheit der Priester und besonders der Bischöfe werden immer mehr gesteigert. In den Priestern und Bischöfen sollte, bei aller Entartung der Welt, bei der Zerrissenheit aller menschlichen Verhältnisse, die Heiligkeit und Einheit der Kirche sich darstellen. Da hieß es: „Wer einen Bischof angreift, der greift den Herrn des Paradieses an“. „Den Prälaten der Kirche muss man gehorchen wie einem Gott.“

Aber dies Priestertum sank selbst immer mehr in das Wesen dieser Welt hinab. Nach weltlichem Besitz und weltlicher Macht strebten die höheren und niederen Geistlichen. Sie zogen einher mit Schwert und Ross, und übergaben sich dem Wohlleben und der Üppigkeit. Sie warfen sich zu Richtern auf in weltlichen Dingen, führten Prozesse, und erwarben sich so unermessliche Reichtümer, dass schon Karl der Große in bitterem Spotte die Bischöfe aufforderte, ihm doch zu erklären, was es bei ihnen heiße, die Welt zu verachten. An einigen Orten erreichte aber auch der Hass gegen diese räuberischen und herrschsüchtigen Priester einen solchen Grad, dass Manche unter ihnen nur mit dem Schwerte in der Hand ihr angemaßtes oder erschlichenes Besitztum verteidigen konnten, Andere auf offener Straße ermordet wurden. Das trat immer klarer hervor: auch nicht einmal in diesen, von dem Flattergeiste der Welt durchdrungenen Geistlichen, stelle sich wahrhaft die Kirche dar. Man musste notwendig den Kreis noch enger ziehen, wollte man noch fernerhin die sichtbare Kirche, wie sie äußerlich unter den Menschen erscheint, für die unsichtbare, heilige Gemeinschaft der Gläubigen gelten lassen. Schon früh hatten die Bischöfe zu Rom, der Stadt, in welcher die beiden größten Apostel, Petrus und Paulus gelehrt, von wo aus ein großer Teil des Abendlandes das Evangelium empfangen, sich ein gewisses Übergewicht über die anderen Bischöfe zu verschaffen gesucht. Sie behaupteten, Nachfolger des Apostels Petrus zu sein, welchen der Heiland über alle anderen Jünger durch die Erklärung erhoben habe: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen“ (Matth. 16, 18 und 19.). So unbegründet nun auch diese Behauptung ist, und so vielen Widerspruch diese herrschsüchtigen Bestrebungen von Anfang an gefunden haben, die römischen Bischöfe ließen nicht nach. Die Kraft und Frömmigkeit, wodurch sich zugleich Einzelne unter ihnen auszeichneten, verschafften Rom immer mehr Ansehen, während die Bischöfe von Antiochien, Jerusalem und Konstantinopel immer mehr an Einfluss verloren. Das alte Rom hatte sich auf diese Weise gleichsam in die neue Welt des Christentums hinübergerettet, um, wie vordem durch die Gewalt der Waffen, so jetzt durch die Macht des Glaubens die Welt zu beherrschen. Wie ein Phönix aus seiner Asche, erhob es sich aus seinen Trümmern zu einem neuen höheren Glanze. Schon im fünften Jahrhunderte verordnete Kaiser Valentinian, dass alles, was durch den apostolischen Sitz zu Rom beschlossen worden, als Gesetz gelten solle, und jeder Bischof verpflichtet sei, sich dem Richteramt des römischen Stuhles zu unterwerfen. Die folgenden Jahrhunderte boten den Bischöfen zu Rom Gelegenheit genug, um mit dem bescheidenen und einschmeichelnden Titel: „Papst,“ d. h. Vater, oder auch: „Knecht der Knechte Gottes“ für die weitere Begründung und Ausdehnung ihrer Macht zu arbeiten. Von dem Glauben der Menschen, von den Begriffen und Verhältnissen der Zeit, wurden die Päpste emporgetragen. Wie sie das Alles benutzten zur Begründung einer Macht, welche ihres Gleichen nicht hat, das zeigt die Geschichte eines Gregor VII., der den mächtigen Kaiser Heinrich IV. zwingen konnte, im Bußgewand, barfuß und entblößten Hauptes drei Tage lang beim strengsten Winterfroste im Schlosshof zu Canossa auf Erlösung vom Bannfluche zu harren; das lehrt die Geschichte eines Alexander III., vor dem der Hohenstaufer Friedrich I. sich zum Fußkusse niederwarf; das beweist Innocenz III., der es wagen konnte, ohne Weiteres England dem Könige von Frankreich zu schenken.

Während aber so die geistlichen Oberhirten der Völker nur nach weltlicher Herrschaft strebten und viele von ihnen durch die frechsten Laster ihre Würde schändeten, wurde der Verfall der Kirche immer größer und furchtbarer. Alles wimmelte von Anstalten für die Heiligung, von Klöstern für Nonnen und Mönche; und doch war ein heiliges Leben nirgends zu finden. Jene Stätten der Andacht und frommen Beschaulichkeit arteten immer mehr in Schlupfwinkel der Trägheit und Wollust aus. Wie oft man auch an ihnen änderte und zu bessern suchte, es wurde doch nicht besser. Mit den höchsten Ehrenstellen der Kirche wurde Handel getrieben, der Ruchloseste und Unfähigste konnte, wenn er nur zahlte, zu den wichtigsten Ämtern gelangen. Es gab zehnjährige Bischöfe; weltliche Personen, selbst Soldaten, wussten sich geistliche Stellen zu verschaffen. Viele Priester konnten nicht schreiben, andere waren fast nicht im Stande die lateinische Taufformel zu stammeln. Die Bibel war Manchem ein kaum dem Namen nach bekanntes Buch. Über die Geistlichen müssen Strafen verhängt werden wegen Unzucht, Diebstahl, Raub und Mord.

Unter solcher Leitung stand das arme christliche Volk. wurde mit Hölle und Fegfeuer geschreckt, man beherrschte sein Gewissen durch die Ohrenbeichte, man pries ihm die Verdienste der Heiligen und erzählte ihm viel von den Wundern der Bilder und Reliquien. Man ließ es wallfahrten von einem heiligen Orte zum andern, man setzte es in Staunen durch die geheimnisvolle Pracht der Messe. Man suchte gegen Geld durch schnöden Ablass die nach Vergebung Schmachtenden zu beruhigen, aber man verschloss die Quelle alles Lichtes und alles Lebens das Evangelium. Und wollte auch einmal ein besserer Bischof Schlechtes abschaffen und Gutes anordnen, so wurde in Rom sein Werk umgestoßen. Dorthin liefen alle Lasterhafte und rühmten sich des daselbst gefundenen Schutzes. Bernhard, der angebetete und gefürchtete Abt von Clairveaux, welcher im zwölften Jahrhunderte lebte, war wohl ganz von der Überzeugung durchdrungen, dem Nachfolger des Petrus sei in geistlichen Dingen eine über Alles gebietende Macht von Gott übertragen; aber dennoch kann er nicht bergen den Schmerz über den Missbrauch der päpstlichen Gewalt und das durch denselben angerichtete Verderben. In dem merkwürdigen Buche „Über die Betrachtung seiner selbst“, wendet er sich also an den von ihm erzogenen Papst Eugen III.: „Ich bitte Euch, was ist das, dass ihr von Morgen bis Abend prozessieren und Prozessierende hören müsst? Haltet mir ja nicht etwa die Worte des Apostels entgegen: denn wiewohl ich frei bin von Jedermann, habe ich doch mich selbst Jedermann zum Knecht gemacht. (1 Kor. 9, 19.). Machte er sich wohl je zum Knechte der Menschen, um auf solche Weise zu dienen ihrer Gewinnsucht? Die Männer, welchen Christus das Leben, der Tod ein Gewinn war, sie machten sich zu Knechten, um Menschen für Christum zu gewinnen, nicht um den Gewinn der Habsucht zu vermehren. Was ist knechtischer, was ist unanständiger zumal für einen Papst, als dass Ihr nicht bloß an jedem Tage, sondern zu jeder Stunde in solchen Dingen und für solche Menschen arbeitet? Wann beten wir? Wann sorgen wir für den Unterricht der Gemeinde, für die Erbauung der Christen? Ihr mögt selbst wohl zusehen. Über das Irdische zu richten sind Könige und Fürsten eingesetzt; warum greift Ihr also in die Grenzen einer fremden Gewalt ein? Wie lange werdet Ihr noch je das Murren der ganzen Welt nicht achten, oder nicht vernehmen? Ihr, die Ihr zu Hirten der Seelen bestimmt seid, geht einher bedeckt mit Gold in mannigfaltiger Kleiderpracht, und was er halten Eure Herden? Das passt mehr, möchte ich sagen, wenn ich es wagte, für einen Hirten von Teufeln, als von Schafen. Ihr steht an Petri Stelle; von ihm aber liest man nirgends, dass er je einher gezogen mit Edelsteinen und Seide geschmückt, mit Gold bedeckt, auf einem weißen Pferde, von Soldaten umgeben und von lärmenden Dienern. Darin seid ihr nicht dem Apostel Petrus, sondern dem Kaiser Constantinus nachgefolgt. Der Papst sei das Muster der Frömmigkeit, der Lehrer der Völker, der Verteidiger des Glaubens, die Zuflucht der Unterdrückten, die Hoffnung der Unglücklichen, der Schrecken der Tyrannen, der Vater der Könige, der Erhalter der Gesetze, der Verwalter der kirchlichen Ämter.“

„Kein Gift, kein Schwert fürchte ich mehr für Dich als die Herrschsucht. Versuche es einmal, beides miteinander zu verbinden: als Herrscher Nachfolger des Apostels zu sein, oder als Nachfolger des Apostels herrschen zu wollen. Das Eine, oder das Andere musst Du fahren lassen. Wenn Du beides zugleich haben willst, wirst Du beides verlieren.“

Selbst Papst Innocentius III. gesteht offen die entsetzliche Entartung der Kirche. Von ihren Vorstehern erklärt er ungescheut: „sie sind stumme Hunde, die, von dem Größten bis zum Kleinsten, dem Geiz ergeben sind, Bestechung lieben, für Geschenke dem Ruchlosen Recht geben und dem Redlichen sein Recht entziehen, die das Gute schlecht und das Schlechte gut heißen, die weder Gott fürchten noch die Menschen ehren“.

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