Beck, Johann Tobias - Rede am Grabe eines 21jährigen, dem Beamtenstand zugehörigen, rechtschaffenen Jünglings, der aber hauptsächlich durch den Einfluß seiner Standesgenossen vom Glauben abgekommen war.

Beck, Johann Tobias - Rede am Grabe eines 21jährigen, dem Beamtenstand zugehörigen, rechtschaffenen Jünglings, der aber hauptsächlich durch den Einfluß seiner Standesgenossen vom Glauben abgekommen war.

Mergentheim, den 24, Dezember 1835. So ist auch hier wieder ein Leben gebrochen, das kaum noch kräftig dastand und mit Gewissenhaftigkeit der Mühe und Arbeit gewidmet war - da weht ein Hauch vom HErrn her und die Blume des Lebens ist nicht mehr. Junger Mann, frage dich hier: weß ist meine Kraft und mein Arbeiten? darf ich darauf pochen und stolz sein, als wäre ich der Held, der Krankheit und Tod überwindet, gesunde Kraft sich gibt und große Dinge thut? Oder muß ich nicht danken einem Höheren, den ich nicht sehe, der aber mich umgibt um und um mit Leben und Wohlthat - muß ich Ihm nicht täglich danken, daß Er meine Jugend segnet! O vergiß deines Schöpfers nicht in deiner Jugend, und demüthige dich von Herzen vor Ihm, ob du auch strotzest von Gesundheit: den Demüthigen gibt Gott Gnade, den Hoffärtigen zu widerstehen ist Er der Mann dazu.

Doch dieser Todesfall, meine Freunde, hat noch eine besondere Bedeutung, und ich habe mich hier einer Pflicht zu entledigen, theils aus Liebe zu dem Verstorbenen, der mir - ich darf es wohl gestehen - in den Stunden, in denen ich mit ihm zu thun hatte, sehr werth geworden ist, theils aus Liebe zu den Lebenden. Ich bitte daher um gute Aufnahme des gutgemeynten Worts; wer es aber übel nehmen will, der nehme es und verantworte es vor einem höhern Richter.

Unser Verstorbener hat sich den Ruhm erworben, daß er unsträflich wandelte als ein braver junger Mann, und namentlich mit seltenem Eifer seinem Geschäft oblag, was ihm auch Liebe und Achtung im Hause seines Vorgesetzten erwarb; ohne besonderes Vermögen von Hause aus, suchte er durch freiwillige Arbeit und Sparsamkeit sich in den Stand zu fetzen, den Seinigen eine Stütze zu sein. Nach der gewöhnlichen Meynung hätte er also mit gutem, ruhigem Gewissen aus der Welt gehen können, ohne wegen seines vergangenen Lebens und seiner Zukunft in der andern Welt eine Anfechtung zu haben. Und hätte ihn Gott in der kurzen Zeit seiner Krankheit nicht durch so tiefe Leiden geläutert: wahrscheinlich würde er dann auch, wie so Viele, alle seine Hoffnung auf den Gedanken gebaut haben: „mein Gewissen beißt mich nicht meines ganzen Lebens wegen“; denn das heftige und zornige Wesen, das ihm anklebte, und das er bereute, hätte er leicht, wie gewöhnlich, damit entschuldigen können, daß eben sein Temperament so gewesen sey, daß es ihm jedesmal leid thue, und er doch im Uebrigen nichts Böses gethan habe. So lernt man es wenigstens in der Welt, und er selbst hatte auch nichts Besseres gelernt, bis ihn Gott durch das Schmerzenslager in den letzten Tagen in seine Zucht nahm; da lernte er aber jene christliche Selbsterkenntniß, die bei den eingebildeten Kindern dieser Welt als Thorheit gilt, bei den Vollkommenen aber Weisheit ist; er that mir ein Bekenntniß, das ich mir mit vielem Geld nicht abkaufen ließe. Unter Anderem sagte er, als ich letzten Sonntag das erstemal und allein bei ihm war: „wie Gott in Allem weise ist, und von uns angebetet werden muß, auch wo wir Ihn nicht verstehen, so glaube ich auch, daß diese meine schmerzensvolle Krankheit ans guten Absichten von Ihm über mich verhängt worden ist. Aber Eines ficht mich vor Allem an, und darüber möchte ich Trost haben: ich habe zwar mich so viel möglich bestrebt, in meinem Theil für's gemeine Beste zu wirken, habe mit ganzer Seele meinen Geschäften gelebt; aber so ist es gekommen, daß ich leider seit fünf Jahren die Kirche nicht mehr besuchte und das heilige Abendmahl nicht mehr genoß, indem ich diese Zeit meinen Geschäften nie abbrechen zu können glaubte - ach Gott! rief er aus mit gefalteten Händen und erhobenem Blick, ach Gott, ich bin ein großer Sünder! und wenn Er mir wieder Gesundheit schenkt, verspreche ich heilig: mein erster Gang ist zur Kirche, und nie mehr werde ich mich durch Geschäfte oder sonst Etwas von Gottes Haus abhalten lassen.“

Bei diesen Worten, m. geliebte Zuhörer., war Schmerz und Freude zugleich in meinem Herzen - Schmerz, daß ich auch hier wieder erfahren mußte, wie so mancher sonst brave Mensch jenem unseligen Weltgeist als Opfer anheimfällt, welcher die Menschen überredet, ohne Wort Gottes leben und sterben zu können, und das Trachten nach dem Reich Gottes, das uns unser Heiland als das Erste befiehlt, zum Letzten zu machen, dagegen weltliche Geschäfte zum Ersten. Allein die Freude war doch noch größer, indem ich sah: hier ist doch Einer wieder, der nicht sich selbst rechtfertigt noch in den letzten Stunden mit blindem Eigendünkel, sondern Gott die Ehre gibt, und es fühlt: des Menschen, nach Gottes Bild geschaffen, höchste Pflicht ist, nicht weltlich nur arbeiten und wieder sich erholen wie ein Lastthier, sondern: der Mensch lebt nur wahrhaft von Worten aus Gottes Mund, muß sein in dem, das seines Vaters ist - darüber freute ich mich, gedenkend an den Spruch: „Freude wird sein vor den Engeln Gottes über Einen Sünder, der Buße thut,“ und einen Solchen hatte ich ja vor mir. Und hier zeugt er nun auch an euer Gewissen, meine Freunde, als eine Weckstimme Gottes - lasset sein Zeugniß doch nicht vergebens sein! Er rief aus: „ach könnte ich nur durch einen neuen Wandel mein bisher Versäumtes wieder gut machen“ - ihr, die ihr Freunde von ihm wäret, Altersgenossen oder Standesgenossen, ihr könnt ihm diesen Wunsch gewähren, wenn seine Worte euch bewegen, zu bedenken, was zu eurem Frieden dient. Wie Mancher lebt noch, der sich gleicher Versäumnisse muß anklagen wie unser Verstorbener, der auch vor lauter Geschäften, des HErrn seligmachendes Wort versäumt zu Hause und in der Kirche, der meynt, es könne nun einmal bei seinem Berufe nicht anders sein, als daß es auch Sonntags bei ihm zu keinem Gottesdienst komme. L. Freunde, die dieß trifft, ich sage dieß hier gewiß nicht als Vorwurf und Anklage, ich möchte euch Allen nur die Reue ersparen, die unsern abgeschiedenen Mitbruder noch quälte - bedenket doch eure Seele, bedenket des HErrn Wort: und wenn ihr mit eurem Geschäftsfleiß die ganze Welt gewinnet, was könnt ihr, wenn's zum Sterben kommt, geben, um eure Seele von dem aus den versäumten Andachtsübungen entsprungenen Schaden, von der schweren Schuld zu erlösen, euren weltlichen Dienst höher gehalten zu haben als Gottes Dienst? Und wenn das im Kranksehn und Sterben euch nicht drückt, so wird es euch erdrücken im Gericht Gottes. Halte sich doch Niemand zu gut, die erste Christenpflicht zu erfüllen, daß er das Evangelium und Sakrament des HErrn mit allem Fleiß aufsuche; wahrlich nicht die Kirche und das Christenthum haben Schaden davon, aber ihr habt Schaden davon. Anfangs glaubt Einer, er könne durch sich selbst gut sein und werden, ohne erst Kraft und Licht sich zu holen im Worte Gottes und Gebet, und am Ende fühlt er sich zu schlecht, als daß er dem Heiligthum Gottes sich getraute zu nahen: so straft sich der Stolz und Leichtsinn. Glaube doch Niemand, mit dem, was er Gutes thun und gut gethan heißt, werde er als gerecht bestehen in Gottes Gericht; ob du auch noch die Schrecken der Krankheit und des Todes überwindest mit deiner Eigengerechtigkeit, so wird es dir doch im Gericht Gottes wie Schuppen von den Augen fallen. Geliebte, ich bin schon an manchem Kranken- und Sterbebette gestanden, und Manches ist mir schon von sterbenden Menschen eröffnet worden, was sie den Uebrigen nicht sagen, die um sie her stehen - ich bezeuge euch: ein ungläubiger Mensch kann wohl sterben mit verhärtetem Gewissen oder mit verzweifelndem Gewissen, aber Frieden, himmlischen Frieden für Leben und Sterben kann Keiner bekommen, außer der da glaubt, daß Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder, nicht die eingebildeten Gerechten, selig zu machen. An diesem seligmachenden Glauben aber haben Viele in unsrer Zeit Schiffbruch gelitten, besonders Leute gebildeten Standes. Diese Krone des Glaubens verlieren so Viele eben dadurch, daß sie nicht selbst in ihrer Bibel forschen und auch der Kirche abtrünnig werden, daß sie weder sich selber aus Gottes Wort lehren und bestrafen, bessern und züchtigen in der Gerechtigkeit, noch Weisung annehmen von Männern, denen der Christenglaube schon seine Feuerprobe bestanden hat. Statt dessen horchen sie dem nächsten besten Mundhelden zu, der in einem Wirtshaus oder sonst wo seinen Witz will zeigen durch Spötterei über Christus und Christen, und ein einziges Wort, das ein solcher eitler Schwätzer fallen läßt, z. B. Jesus Christus sey zwar ein großer Mann, aber nicht Gottes Sohn - das gilt ihnen mehr, als ihre ganze Bibel und das Bekenntniß, das die größten Männer bis in's Sterben abgelegt haben: nein, Jesus Christus ist Gottes Sohn, und wenn ich das nicht glaubte, wenn ich nicht wüßte, daß Er für mich gestorben und auferstanden ist, so möchte ich kein Mensch mehr sein.

Ich werde in der morgigen Predigt noch Gelegenheit haben, mehr hierüber zu sagen; jetzt aber möchte ich nur so viel Allen, die am Glauben Schiffbruch gelitten haben, an's Herz legen: denkt an euer Sterben, denkt an Gottes Gericht - wie wird's euch gehen, wenn das Wort wahr ist: „wer da glaubt, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden!“ Wenn es auch nur möglich wäre, daß einmal nach diesem Wort gerichtet wird - und die Bibel behauptet es: wie wird's dann euch gehen, die ihr diesem Glauben Nichts nachfraget? womit wollt ihr euch helfen, wenn Alles von euch genommen ist, das ihr jetzt habt? Diejenigen aber, die nicht nur selbst an Jesum Christum als den Sohn Gottes, der für eine Sünderwelt gestorben ist, nicht glauben, sondern auch noch unerfahrene Gemüther verstricken mit dem Unglauben daran, ihnen im Leben ihren Halt nehmen und im Sterben ihr Herz noch in ängstigende Zweifel stürzen, die mögen wenigstens das Eine Wort bedenken: „wehe der Welt der Aergernisse halber - wer auch nur Einen der geringsten Menschen ärgert, dem wäre besser, ein Mühlstein würde an seinen Hals gehängt, und er ersöffe im tiefsten Grunde des Meeres.“

Du aber, lieber Todter, der du einen schweren Kampf nicht nur am Leibe, sondern auch dem Geiste nach mußtest durchkämpfen, du hast den rechten Platz noch gefunden, wo auch der Hölle Pforten einen Menschen nicht überwältigen können; an dir ist ohne Zweifel wahr geworden, was ich dir auf dein treues Sündenbekenntniß sagen durste im Namen des Sünderheilandes: „heute noch sollst du mit mir im Paradiese sein!“ Und ihr trauernde Eltern, Geschwister und Freunde, du tiefgebeugter Vater besonders, der du glaubtest, Früchte ärndten zu dürfen von dem Fleiß deines Sohnes, und hast nun Asche vor dir liegen - bedenke du besonders das schon einmal gesagte Wort: besser nach kurzem Leben selig gestorben, als schlecht gestorben nach einem Leben, welches die Welt schön nennt. Jener Fromme, dem sieben Kinder auf einmal genommen wurden, sprach: „der HErr hat's gegeben, der HErr hat's genommen - sein Name sei gelobt!“ Dieser HErr ist reich genug, einen Sohn zu ersetzen nicht nur, sondern ihn auch hundertfältig verklärt wieder zu geben. Amen.

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