Beck, Johann Tobias - 9. Rede am Grabe des ersten Todten im Jahr.
Mergentheim, den 14. Januar 1832.
Psalm 39, 5.
HErr, lehre doch mich, daß es ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß.
Es ist dieß, g. Freunde, der Erste unsrer Brüder, den wir dieß Jahr zu Grabe tragen - wie Viele von uns und welche von uns noch folgen werden, das ist vor Menschen Augen verborgen. Mancher schätzt es sich nicht, und es trifft ihn doch, und über Alles gewiß ist das Eine: diesem Ersten folgen noch Mehrere von uns, ehe ein Jahr umgeht.
Wenn man Nichts vor sich hat, als den Gedanken - es bringt Jedem ängstliche Unruhe in das Herz. Um dieser Unruhe los zu werden, ist freilich der kürzeste, und leider auch gewöhnlichste Weg der, daß man auf solche Gedanken nicht weiter sich einläßt - so Viele aber damit sich zu helfen meynen: sie wählen doch nicht recht; wenn ihre Stunde schlägt, schlägt das Herz nur um so bänger und unruhiger, je weniger es vorhin daran dachte. Und Gott will, daß wir den Tod uns immer nahe denken, und unsrer schnellen Hinfälligkeit 'niemals vergessen - Er will das: darum stellt Er überall aus unsre Wege so viele Erinnerungszeichen uns hin, die da sagen: vergiß nicht, daß du Staub bist, daß Gott über Nacht deine Seele kann von dir nehmen! Darum ließ Er es auch in sein Wort schreiben: wachet, denn ihr wisset nicht, wann euer letzter Tag kommt; und darum will Er, daß wir beten: lehre uns bedenken, daß unser Leben ein Ziel hat, und wir davon müssen, auf daß wir klug werden.
Keineswegs also ist es der eigenen Liebhaberei der Menschen anheimgestellt, ob sie an den Tod wollen denken, oder nicht: sondern es ist Wille Gottes, daß wir das thun; nicht weil Er damit uns ängstigen will und das Herz uns quälen - quält denn Er, der dem Raben seine Speise gibt, auch Eines seiner Geschöpfe? - nein, zum Guten will Er damit uns verhelfen, zu einem weisen Leben und seligen Sterben.
Aber noch einmal - wenn wir weiter Nichts wüßten, als: du mußt sterben - vergiß das nie! - davon allem würde das unruhige Herz immer nur unruhiger; ängstlich würde es die ungewissen Lebenstage zu genießen suchen, und immer fürchten: jetzt geht's ans, und dann - ist Alles vorbei! Und es gibt auch Manche, die in diesem Leben mehr nicht lernen, als die Wahrheit, die sie vor Augen haben: morgen sind wir todt! nur suchen sie wiederum aller Unruhe darüber sich zu entschlagen, indem sie dazu sagen: heute leben wir noch; lasset uns also genießen und fröhlich sein! Aber das stillt eben doch wieder das Gewissen nicht, und vor seinem Gewissen ist Keiner sicher, wenn es aufwacht; wacht es von selbst nicht auf, so ist doch Einer, der seiner Zeit es aufweckt, der Nämliche, der diesem Gewissen sein Bild eingedrückt hat; der Nämliche, der Leib und Seele verdammen kann in die Hölle - wie steht's dann um Genießen und Fröhlichseyn? wie steht's dann um Heute und Morgen, wenn der Richter ruft: thue mir Rechnung von deinem Haushalt!
Nein, Geliebte, das Alles sind nicht die Wege, auf denen man gute Stätte sich bereitet für den Tod.
Siehst du nicht Gottes Angesicht -
Wo find'st du Ruh' und Trost und Licht,
Wenn dein Gewissen dich verklagt,
Und in dir deine Seele zagt?
Gottes Angesicht müssen wir sehen auch im Tode, sonst wird das Todes - Angesicht bälder oder später Schrecken und Verdammniß für uns. Das Auge dieser Welt sieht aber das Antlitz Gottes im Tode eben so wenig, als es im Leben Ihn sieht; den seligen Blick hat nur der Glaube, der das Heil in Jesu Christo gefunden hat und treu bewahrt. So war's dem alten Simeon - sein Herz hatte keine Ruhe, bis er das Heil Gottes in seinen Armen hielt; da rief er denn: HErr, jetzt lassest du deinen Diener im Frieden fahren! O es ist ein herrlicher, unbezahlbarer Schatz, g. Freunde, den der Dienst Jesu Christi einträgt - alle Dienste dieser Welt werden mit fahrendem Gut bezahlt, Dienst Jesu Christi mit unbeweglichem Gut: sein Lohn fängt da gerade recht an, wo man Allem, Allem muß den Rücken kehren - wo man nicht einmal den Sarg kann sein nennen, denn er gehört den Würmern. Da glänzt der Lohn des Dieners Christi, um den ihn Könige müssen beneiden; sein HErr, dem er Geist und Herz in gesunden Tagen ergeben, der steht bei ihm und spricht zu ihm: überwinde deinen letzten Kampf, heute wirst du mit mir im Paradiese sein! und wenn der äußerliche Mensch verwest, so wartet auf den Diener des Auferstandenen ein neuer Bau von Gott bereitet; und vor Gottes Stuhl findet er keinen Ankläger, denn Christus steht neben Ihm, den er geliebt hat, der gestorben ist für ihn; auch kein Verdammen empfängt ihn, denn es ist wiederum der zur Rechten erhöhte Christus, der ihn rufet: du hast viel geliebet - dir ist vergeben; du bist treu gewesen in deinem Wenigen - ich will dich über Größeres setzen; gehe ein in deines HErrn Freude!
Dieser selige Bibelglaube war es, an welchen unsern Verstorbenen in seiner letzten Lebenswoche noch seine christlich besorgte Mutter erinnerte, als an Etwas, das sie von Kindheit an ihm eingeprägt habe, und das war unsrem Mitbruder auch Stab und Stütze in seiner Schwachheit, an der er dahin siechte. Ihr Alle, die ihr Kinder habt, sorget doch, daß auch ihr, wenn sie euch wegsterben, ihnen sagen könnet: gedenke an den HErrn, zu dem ich in deiner frühen Jugend dich geführt habe - halte an dem Vorbild der heilsamen Worte, die du von mir gehört hast, vom Glauben uno von der Liebe in Jesu Christo. Das, Geliebte, ist die einzig gute Beilage, die für dieses und für ein anderes Leben reiche Verheißung hat. Und wenn wir Alle hier aufs Neue den Eindruck in's Herz erhalten haben, daß die Tage unsrer Jahre gezählt sind, und unter allem Neuen dieser Erde der alte Bund bestehen bleibt: du mußt sterben - so lasset uns nun das nicht wieder vergessen oder mißbrauchen zu Leichtsinn, sondern unser Gewissen wollen wir daran schärfen, daß wir mit neuem Eifer den suchen im Gebete und ergreifen in seinem heilsamen Worte, der Leben und Auferstehung seyn will für uns hinfällige Menschen.
Ja, du HErr und König aller Menschenkinder, der Du allein Unsterblichkeit hast, unterhalte Du in unsern Herzen die für uns so heilbringenden Gedanken, und bei den vielen Veränderungen und Vergänglichkeiten um uns her lehre uns unser Sterben bedenken und unsre Unsterblichkeit. Lege durch Deine Gnade den lebhaften Trieb in uns, Rechtfertigung zu suchen von unsern Sünden, dadurch, daß wir immer mehr Eins werden mit Deinem Sohne Jesu Christo, und zu Ihm uns halten in Leid und Freud, in kranken und gefunden Tagen, im Leben und Sterben. Hilf uns selbst dazu, daß unsern Herzen das Kleinod immer theurer werde, welches Deine himmlische Berufung uns vorhält, und daß wir immer wackerer den Kampf des Glaubens kämpfen wider Welt und Sünde, um einst gewiß die Krone des Lebens zu empfahen. Wir erbitten für diese Stunde und für unsre letzte Nichts, als Deine Gnade und den Frieden in ihr - mögen sonst unsre Umstände noch werden, wie sie wollen: großer Gott des Trostes, wenn nur unser Geist ruht in Deinem Sohne, so können wir ruhig leben und sterben.
Dein Heil nur laß mich sehen,
Im Frieden fahr' ich hin,
Weil ich beim Auferstehen
In deinem Reiche bin.
Wohl dem, der bis an's Ende
Sich als ein Christ beweist -
Mein Gott, in deine Hände
Befehl' ich meinen Geist.
Amen.