Baxter, Richard – Selbstverleugnung - Das VII. Capitel.
Wie wir so ueberaus zart sind ueber Selbst / wenn er etwas leiden soll.
IV. Ein anders / dabey wir die Herrschafft des Selbst sehen koennen / und die Wenigkeit der Selbst-Verlaeugnung / ist darinn / daß wir so ueberaus zaerteln mit Selbst / wann es etwas untergehen / leiden und ausstehen soll / und wie wir so viel damit zu thun machen / und unser Mißgefallen an denenjenigen / die auf einerley Weise Ursach daran sind / wie rechtmaessig und billig es uns auch wiederfahre. Zum Exempel:
1. Wann sehen wir wol einen Missethaeter / der seinen Richter gerecht erkennet / und vom Grund seines Hertzens bekennet / daß er die Straffe verdienet habe; (ausgenommen etliche wenige / die unterm Galgen endlich / wenn das Angesicht des Todes ihren Hochmuth gedaempffet hat / solches gestehen moegen) sondern fast ein jeder / der vor seine Missethat leidet / murret dagegen / und gegen die / die es ihme aufferlegen / als geschehe ihm unrecht / oder man verfahre zu hart mit ihme. Wenn alle Flucher und Schwerer / Entheiliger des Sabbath-Tags / Trunckenbolten / oder Bier- und Wein-Schencken / die viel solche Suenden verursachen / und solche Gaeste auffsetzen / oder andere grobe Suender angeklaget wuerden von ihren Nachbarn / und dem Gesetze nach von der Obrigkeit gestraffet wuerden / wie viel wuerde man unter diesen finden / die nicht einen Groll gegen ihre Anklaeger / und auch gegen die Obrigkeit selbst haben wuerden / und meynen / es geschehe ihnen groß Unrecht. Und darum? Ist es nicht billig so wol nach goettlichen als menschlichen Gesetzen? oder ist ein Bier- und Wein-Schencke / oder versoffener Trunckenbold / oder Schwerer / klueger denn die Obrigkeit / oder sind sie besser und ehrlicher als dieselbe? Nein / sondern es ist Selbst / das sich hie GOtt und Menschen widersetzet: Es ist vergebens / daß man ihnen sagen von goettlichen oder weltlichen Rechten / und von dem gemeinen Besten / so lange ihr damit umgehet / daß ihr ihr Fleisch creutzigen wollet / und ihnen in ihrem eigen Nutz zuwider seyn. Es ist kaum ein Dieb oder Moerder / der gehaenget wird / der nicht meynet / man verfahre zu hart mit ihme / nicht daß man solche nicht haengen muesse / sondern weil es gegen ihme selbst ist / in andern kan ers billigen / aber nicht wenns ihme angehet.
2. Ja es sind nicht allein leibliche Straffen / sondern auch Worte / die sich die Leute bald verdriessen lassen / wo sie gegen ihnen selbsten sind: Ein zornig oder schimpfflich Wort / oder sonsten Verachtung und Disrespect deucht ihnen / wo es gegen sie geredet ist / eine grosse Sach zu seyn; und da erfinden sie bald einen Hauffen Gruende / ein grosses Werck hieraus zu machen / und es sehr zu aggraviren. So zart gehen sie um mit ihnen selbst / daß man kaum finden kan / worinnen sie sich selbst verlaeugnen.
3. Ja Gottes Straffen selber duencken ihnen zu schwer seyn / daß sie dagegen murren / und ungedultig darunter sind. Ein geringer Verlust oder Creutz das Selbst ertragen / deucht ihm ein grosser Berg zu seyn / der auf ihm lieget. Armuth / oder Kranckheit / oder Schimpff / oder Ungemach / verursachen sie zu vielen Klagen / als wenn sie fast gantz und gar verlohren waeren: Welches alles anzeiget / wie wenig sie noch gelernet sich selbst zu verlaeugnen.