Baxter, Richard – Selbstverleugnung - Das V. Capitel.

Baxter, Richard – Selbstverleugnung - Das V. Capitel.

Die Macht der Selbstheit / ueber der Leute Meynungen in Religions-Sachen. II.

Ein ander Exempel / das uns anzeiget das Reich und Herrschafft der Selbheit in der Welt / ist die grosse Krafft zu formiren / und zu staercken. Ob schon der Verstand von Natur der Weißheit sich befleißiget / und darnach trachtet / so ist es doch etwas selbstisches in der Seelen / sonderlich in dem Willen / das den Verstand offtmahlen verleitet / und bildet ihm den groebesten Irrthum vor als Warheit / und die hoechstnoethige wahre Lehren / als einen Irrthum. Der Wille hat grosse Macht ueber den Verstand / und wenn die Selbheit gleichsam geworden ein Habit / oder etwas von der Natur und Wesen des Willens / so ist leicht zu gedencken / wie es den Verstand verkehren mag. Und dieses zu beweisen duerffen wir nicht weiter gehen / als auf die taegliche Erfahrung. Ist es nicht offenbahr genug / daß wo Selbst mit in der Sache interessiret ist / unser Urtheil von der Sachen als bestochen / unser Verstand verfaelschet / uebermeistert / und von der Warheit abgefuehret sey; daß zu gleicher Weise / wie das Auge / das durch ein gefaerbtes Glaß siehet / alle Dinge ansiehet / als waeren sie derselben Farbe / wie das Glaß; also auch der Verstand / der durch eine selbstisch Inclination uebermeistert ist / ein jedes Ding vor wahr haelt / und annimmt / das er am liebsten wahr zu seyn wolte / und welches ihme am angenehmsten ist; als zum Exempel:

1. Wir sehen fast / daß durch die gantze Welt die Religion am meisten an jeden Orten getrieben wird / die die Vornehmsten / und Regenten / selbiges Ortes angenommen; oder ja eine solche Religion / die ihnen deucht / wo sie nicht groß dabey werden / doch am sichersten zu seyn. Die Tuercken sind insgemein mahometaner: Die Einwohner von Rom / Hispanien / Oesterreich / etc. ins gemein Papisten: Die in Dennemarck / Schweden / Sachsen / etc. insgemein Lutheraner: Die in Holland / Engelland / Schweitzerland insgemeins (wie sie genannt werden) Calvinisten. Zwar es hat viel auf sich / und ist nicht ein geringes daran gelegen / in was Meynung und Religion einer erzogen ist / und wenn er nur hat die Gruende des Glaubens allein von einer Seiten gehoeret / und selbiges mag auch einen sonst Gottseligen Menschen einnehmen: Allein es haben gleichwohl / so wohl Papisten als Protestanten (zum wenigsten die Gelehrten von beyden Seiten) die Buecher ihres Gegentheils / daraus sie ihre Gegen-Gruende sehen koennen; Und daß dennoch gantze Laender einer und unterschiedlichen Meynungen sind / muß nothwendig herkommen von Selbheit / weil sie denen folgen / die Macht haben ueber ihre Ehre / Gueter und Freyheit in der Welt.

2. Ferner: Wenn einer durch Gewohnheit in den Eigen-Duenckel gerathen ist / oder aus Hoffart weise ist in seinen Augen / wie schwer ist es einen solchen Menschen zu ueberweisen / auch mit den allerklaeresten Gruenden? Sie wollen nicht sehen / da doch das Licht der Warheit so helle ist / daß sie kaum ihre Augen so vest zuschliessen koennen / daß es nicht solte hinein dringen: Dieses ist ihre Meynung; Sie halten so oder so davon / und darum kan und muß es auch nicht anders seyn; und davon sind sie auch nicht abzubringen / eben weil es ihre Meynung ist.

3. Sonderlich wo er diese Meynung selber erfunden und ausgespeculiret hat / die dann doppelt sein eigen ist / beydes als er selbige hat erfunden und bedacht / und dann als er sie hat. Wie vest wollen sie eine solche halten / auch offt gegen die klare Warheit / weil Selbst so viel daran gelegen ist!

4. Ja wo einer viel vor seine Meynung disputiret / oder sie allezeit bestaendig vertheidiget / oder sonsten nicht wol von derselben abstehen kan mit Reputation; O wie will er selbige ferner so vest halten / weil Selbst abermal so viel daran gelegen.

5. Also auch zur Zeit der Verfolgung / wie leichte nehmen wir an die Meynung / die uns bewahret fuer Gefaengnus oder Feuer? Oder wo wir etwas leiden sollen / halten wir es gemeiniglich mit der Parthey / da unser Fleisch am sichersten bey ist (es sey denn daß Selbst auch von dem Leiden Gelegenheit nehme / geehret zu seyn) auch wenn es uns wohlgehet / wenn ein Streitigkeit entstehet / wie schlagen wir uns so leicht zu der Seiten die uns am meisten einbringet / oder am nuetzlichsten und sichersten ist? Wird etwas aufferleget von denen die Macht haben uns Schaden zuthun / die meisten werden es annehmen / es sey gleich was es wolle. In diesem allen nun ist fleischlich Selbst der Richter.

Und wie weit Selbst diese Dinge treibet / erhellet aus folgenden:

1. In Streitigkeiten ist es gemeiniglich so beschaffen / daß man nur ein Theil recht betrachtet: Die meisten befleißigen sich nur / wie sie ihre Meynung defendiren wollen / und beantworten alles / was der zugegen ist; aber sie betrachten oder erwegen nicht / was vor Gruende die andere Meynungen behaupten moechten. Sie studiren mit einem Willen / der zuvor schon eingenommen ist / und ihrem Verstand befiehlet / was sie thun oder erwehlen sollen / daß sie sollen dasselbe wahr zu seyn beschliessen / welches sie wolten daß es wahr waere / es moege so seyn oder nicht.

2. Daher es denn auch kommt / daß die schwaechsten Gruende von ihrer Seiten ihnen duencken unwiderleglich zu seyn / und unueberwindlich / und daß sie sich so verwundern ueber die Blindheit aller derjenigen / die nicht die Krafft ihrer Argumenten sehen koennen: Hingegen was gegen ihnen und ihre Meynung eingebracht wird / duencket sie krafft- und sinnloß zu seyn. Welches alles dann von Selbst herruehret.

3. Ja offtermahlen wenn sie geschwichtiget sind / und nichtes mehr vor ihre Meynung sagen und antworten / noch auch die widrige Gruende gebuerhlich widerlegen koennen / so ist doch dieses noch ihre letzte Ausflucht: Dieses ist und bleibet meine Meynung / die lasse ich nicht fahren: Und warum? Ey sie ist mit ihnen als vermaehlet / und ihr eigen.

4. Hieher kommt es auch / daß wo nur einer viel von uns haelt und unserer Meynung in andern Dingen / wir hernach viel bereiter und williger sind seine Meynung anzunehmen / als sonsten jemandes anders.

5. Hieher kommt es / daß durch disputiren einer so selten zu anderer Meynung oder Gedancken gebracht wird / dann sie achten es ihnen eine Unehre / daß ein ander ihre Meynung veraendern solle (es moechte denn seyn eine Person ueberaus grosses Ansehens) wir goennen unserm Widerpart die Ehre nicht / daß er unsern Verstand bessern solte: Wenn wir aber selber thun koennen / daß wir von uns selber weiser und klueger werden / so aendern wir ja noch wol bißweilen unsere zuvor gefassete Meynung. Es ist ein Fremdling in der ungoettlichen Welt / der nicht siehet / wie viel Selbst / mit eigen Ehre / und eigen Nutz thun kan den Verstand zu verkehren / und die Hertzen von der heiligen Lehre Christi abzuwenden: Und wie viel es vermag ihre Lehrer und Prediger ihnen beliebet oder verhasset zu machen / auch diesen oder jenen Punct in der Lehre anzunehmen oder zu verwerffen: Ja es ist ein Frembdling auch unter den Theologis selbsten / der nicht siehet / wie viel Selbst vermag und ausrichtet in ihren urtheilen / disputiren / und Leben / und in der Erwehlung der Partheyen / dazu sie sich begeben / und mit welchen sie es halten.

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