Augustinus, Aurelius - Soliloquien - XVII. Von Gott, dem Licht der Gerechten.
Und Du, HErr, bist gewisslich mein Licht! Erleuchte meine Augen, dass ich das Licht sehen und in Deinem Licht wandeln möge und nicht in seine Stricke falle; denn wer wird diesen so vielen Stricken entgehen können, er sehe sie denn? Und wer wird sie sehen können, er sei denn erleuchtet mit Deinem Licht? Denn er, als ein Vater der Finsternis, verbirgt seine Stricke in seiner Finsternis, auf dass er damit alle die fange, die in seiner Finsternis sind, die Kinder der Finsternis, so dein Licht nicht sehen, darin sich der nicht fürchten mag, so darin wandelt; denn wer des Nachts wandelt, der stößt sich, denn es ist kein Licht in ihm. O HErr, Du bist das Licht, Du bist das Licht der Kinder des Lichts, Du bist der Tag, der von keinem Ende weiß, darin Deine Kinder ohne Anstoß wandeln, und alle die nicht darin wandeln, sind in der Finsternis; denn sie haben Dich nicht, das Licht der Welt! Siehe, wir sehen's täglich: Je mehr Einer abweicht von Dir, dem wahren Licht, je mehr überfällt ihn die Finsternis der Sünde, und je mehr Einer in Finsternis, desto verborgener sind ihm die Stricke auf seinem Weg; darum erkennt er sie auch um so weniger, wird deshalb um so öfter gefangen und fällt hinein, und, was noch schrecklicher, er weiß nicht einmal, dass er gefallen ist. Welcher aber seinen Fall nicht weiß, der achtet um so viel weniger das Aufstehen, als er wähnt, er stehe noch. Aber Du, HErr, mein GOtt, Du Licht des Gemüts, erleuchte mir nun meine Augen, auf dass ich sehen und erkennen möge und nicht zu Boden stürzen vor meinen Widersachern, sintemal unser Feind gar sehr sich müht, wie er uns möge zunichte machen. Wir bitten aber, Du wollest machen, dass er vor unsern Augen zerschmelze, wie das Wachs vor dem Feuer. O HErr, er ist der erste und letzte Mörder, der da Rat gehalten, wie er Deine Ehre an sich reißen möge; aber in seinem Hochmut und seiner Aufgeblasenheit ist er zerplagt und auf sein Angesicht gefallen und Du hast ihn herabgestürzt von Deinem heiligen Berg und aus den feurigen Steinen, unter welchen er wandelte.1)
Darum, o HErr, mein GOtt und mein Leben, nachdem er gefallen ist, so hört er nimmer auf, Deine Kinder zu verfolgen. Und Dir zu Hass, o Du großer König, ist er mit Begier darauf aus, diese Deine Kreatur zu verderben, welche Deine allmächtige Güte erschaffen hat zu Deinem Bildnis, zu besitzen Deine Herrlichkeit, welche er verloren hat durch seine Hoffart. Aber Du, unsre Stärke, zerschlage ihn, ehe denn er uns Deine Lämmer verschlinge, und erleuchte uns, dass wir die Stricke sehen, die er uns bereitet hat und daraus zu Dir entkommen mögen, o Du Lust Israels. Und alles dies weißt Du, o HErr, besser, der Du seinen Mutwillen und Verstockung wohl kennst. Ich sage Dirs auch nicht darum, dass ich Dirs wollte zeigen; denn Du siehst alle Dinge und Dir ist kein Gedanke verborgen, sondern ich klage über meine Feinde zu den Füßen Deiner Majestät, o Du ewiger Richter, dass Du ihn verdammen und uns Deine Kinder, deren Stärke Du bist, selig machen wollest.
Dieser Feind, o HErr, ist listig und verschlagen und seine schlauen Gänge können nicht leicht gespürt werden. Die Gestalt seines Angesichts wird nicht so leicht erkannt, es sei denn, dass Du uns erleuchtest; einmal ist er hier, das andremal dort. Bisweilen zeigt er sich als ein Lamm, dann wieder als ein Wolf; einmal hält er Finsternis vor, das andremal Licht, und auf gar unterschiedliche Weise bringt er, nach Gelegenheit des Ortes und der Zeit und nach veränderten Umständen, mancherlei Versuchungen herzu. Denn um die Traurigen zu betrügen, stellt er sich selbst traurig; um die Fröhlichen zu verführen, stellt er sich auch fröhlich; um die Geistlich-Gesinnten zu hintergehen, verstellt er sich in einen Engel des Lichts; um die Starken zu unterdrücken, erscheint er als ein Lamm; um die Sanftmütigen zu verschlingen, erscheint er wie ein Wolf. Und zwar kann er diese Dinge alle zuwege bringen mit Hilfe der mancherlei Versuchungen; wie er denn Etliche weiß zu erschrecken mit dem Grauen der Nacht, Etliche mit Pfeilen, die des Tags fliegen, Etliche mit der Pestilenz, die im Finstern schleicht, Etliche mit der Seuche, die im Mittag verderbt. Wer ist geschickt genug, dies Alles zu erkennen, ja wer hat seine Tücke je erkannt? Wer kann ihm sein Kleid aufdecken und wer seine Reihen Zähne erkennen?
Siehe, er verbirgt seine Pfeile im Köcher und verbirgt seine Stricke unter der Gestalt des Lichtes. Dies aber wird gemeiniglich nicht so recht bedacht, es sei denn dass wir von Dir, o HErr, der Du unsre Hoffnung bist, das Licht empfangen, Alles damit zu sehen. Denn er verbirgt nicht nur seine Stricke in fleischlichen Werken, die man leicht erkennt, nicht nur in offenbaren Lastern, sondern auch in den geistlichen Übungen und unter dem Schein der Tugenden zieht er die Laster heran und verstellt sich zum Lichtengel. Solche und viele andre Dinge mehr, o HErr unser GOtt, sucht der Sohn Belial, der Satan selbst, wider uns auszuüben. Bisweilen stellt er uns nach wie ein Löwe, dann wie ein Drache, öffentlich
und heimlich, inwendig und auswendig, Tag und Nacht unsre Seelen ins Verderben zu reißen. Aber Du, HErr, hilf uns, der Du Hilfe zugesagt hast Allen, die auf Dich hoffen, damit er sich nicht über uns freue, und damit Du, HErr, unser GOtt, in uns gepriesen werdest. Amen.