Augustinus, Aurelius - Nachtgedanken - Neunte Nacht. Die Weisheit Gottes im Reiche der Natur.

Augustinus, Aurelius - Nachtgedanken - Neunte Nacht. Die Weisheit Gottes im Reiche der Natur.

Wie der Himmel gegen Morgen glänzt! Zitternde Strahlen steigen aus dem Meere auf und werden jeden Augenblick lebhafter. Der ganze Himmel rötet sich. Bald wird die Sonne aufgehen, die das nächtliche Dunkel verscheucht. Siehe, da blickt sie schon. Allmählich erhebt sie ihren Freudenblick über die Wogen und erfüllt die ganze Fläche mit ihrem Lichte. Sanft und kräuselnd spielt der Zephir mit den beweglichen Wogen und jede Welle zittert in ihrem Glanze. O, wie unermesslich und grenzenlos erscheint jetzt das Meer. Dem schwachen Auge erscheint es, als vereinige sich dasselbe mit dem weiten Himmelsgewölbe, welches alles bedeckt, und das Heer der Gestirne, womit dieses Gewölbe besät ist, scheint mit jedem Tage aus den Wassern aufzusteigen und nach vollendeter Bahn in den nassen Schoß derselben sich unterzutauchen. Erhabener Anblick! Schöpfer, ich erkenne deine unsichtbare Hand und voll heiliger Ehrfurcht falle ich nieder und bete an.

Das Universum ist ein großes Buch, zur Belehrung deiner vernünftigen Geschöpfe aufgeschlagen. Aber der stumpfsinnige Mensch sieht es entweder nicht an, oder wenn er sich zuweilen entschließt, hineinzuschauen, so kümmert er sich wenig um die darin enthaltene Belehrung. Darum schöpfen wir aus einem Buche der Weisheit fast immer nur Torheit. Die alten Chaldäer und Ägypter lernten den Lauf der Gestirne und beteten die Geschöpfe an. Sie durchwachten Nächte mit Beobachtung der Sternbilder und kümmerten sich wenig, die Absicht ihres Daseins zu ergründen.

Weltweiser, du mühst dich ab mit dem Erforschen der Natur und kennst die geheime Kraft, die das Meer bei der Ebbe und Flut in Bewegung setzt. Du weißt, warum der Ozean bald wütend brüllt und den Frieden seiner stummen Bewohner stört, bald in sanfter und ruhiger Stille schläft. Du kennst die verschiedenen Heilkräfte der Pflanzen und Früchte. Du weißt, wo der Euphrat und Tigris entspringen, wie im Schoße der Felsen das Weltall sich härtet, wie in der Tiefe des Meeres die Perlen sich bilden! du weißt, warum der Nil fruchtbar an Wassern, die er anderswo aufnimmt, dem Lande der Ägypter jene Fruchtbarkeit gibt, die der Himmel, sparsam an Regen, ihm versagt. Überschaust du das weite Feld deines Wissens, so gefällst du dir selber darin, blähst dich auf, und das Herz voll vom hohen Begriffe deiner Schätze, sprichst du bei dir selbst: Die Weisheit ist mein. Durch sie erheb' ich mich über die übrigen Sterblichen. Durch sie herrsche ich über das unermessliche Gebiet der Natur. Stolzer Wurm! Du machst dich selbst zum Götzen, dem du huldigst, weil du in deiner Blindheit den nicht kennst, vor dem du das Knie beugen solltest. Steig' auf zum Urquell und leg ab deinen eitlen Stolz, erhebe dich zum Allmächtigen, und huldigend lege zu seinen Füßen deine Weisheit nieder, die nur ein Tropfen seiner unermesslichen Weisheit ist, die das Weltall umfasst. Aber du, der du dich rühmst, so viel zu wissen, wie, weißt du denn noch nicht, dass deine Kenntnis in Vergleich mit dem, was du noch zu lernen hast, nichts ist? Kennst du die Zahl der Sandkörner am Meere, der Sonnenstäubchen in der Luft, der Sterne am Himmel, der Wassertropfen, der Lichtstrahlen? Weißt du die Grundfeste, auf welcher sich die weite Schöpfung bewegt, und die Ausdehnung des Firmamentes? Weißt du, welches Triebwerk das Universum in Bewegung legt? Wo die Weltangeln befestigt sind? Wo die Grenzsäulen sind zwischen dem Nichts und der Schöpfung? Kennst du die Räume, die die Natur umgeben? Kennst du alle Augenblicke der Zeit? Die unermesslichen und schnell fliehenden Jahre, die die Ewigkeit in ihrem Schoße birgt? Ach, wie dieses düstere Licht sich verdunkelt und wie alle menschliche Weisheit verschwindet vor dem, der allein weise ist! Die menschliche Weisheit beginnt und endet damit, dass man sich als einen Toren erkennt vor der unendlichen Weisheit.

Lehrerin der Menschen, du, ohne welche alles menschliche Wissen nichts ist, die du in so mancherlei Gestalt deine Kinder unterrichtest und uns, die wir nur belebter Staub sind, die ewigen Geheimnisse des Allerhöchsten eröffnest, rede du, unerschaffene Weisheit, zu diesem Herzen, welches in Demut dich anruft. Es mögen für mich die Orakel der Welt schweigen und die Weisen der Erde verstummen, nur du lass mich deine himmlische Stimme vernehmen. Dir gefällt die Stille und du pflegst nicht den Laut deiner göttlichen Stimme mit dem irdischen Lärm zu vermengen. In der Einsamkeit offenbarst du dem Menschen deine Ratschlüsse. Siehe, diese Stunde ist dazu geeignet; eine tiefe Stille bedeckt den Erdkreis und der Schlaf hält die müden Sterblichen in süßen Banden gefesselt. Einsam und horchend hang' ich an deinem Munde und suche meine Ruhe in deinen heiligen Aussprüchen. Ich fordere nicht mit stolzer Bitte, dass du mir den Himmel öffnest und mich deine Stimme vernehmen lassest, wie du einst in seiner sterblichen Hülle dem erwiesen, den du aus einem Kinde der Unwissenheit und aus einem stolzen Eiferer zum Lehrer der Heiden umwandeltest. Ich verlange nicht, dass du mich dorthin versetzt, wo du auf deinem Lichtthrone der Natur Gesetze vorschreibst und die Ereignisse lenkst. In diesem Erdentale sprich zu meiner Niedrigkeit. Während ich hier Seine Werke betrachte, lass mich darin deine schaffende Hand erkennen. Lass mich verstehen die Sprache, die du darin redest, und während das Auge aufmerksam deine Werke überschaut, mögen sich deine Worte wie ein fruchtbarer Tau in meine Brust senken und das dürre Erdreich, das jetzt nur Dornen trägt, möge die köstlichen Früchte der Keuschheit, der Gerechtigkeit und der Gottesfurcht bringen.

O ihr Werke meines Gottes, welch eine süße Unterhaltung gewährt ihr mir, wie lieblich verkündet ihr mir seine geheimnisvolle Größe, während er selbst in unzugänglichem Lichte wohnt! O, wie fühle ich mein Herz von der Erde emporgehoben, während ich auf euch merke! - Nicht nur das, was uns groß scheint, trägt die Spuren der ewigen Weisheit. Sie glänzt auf gleiche Weise an den geringsten Geschöpfen, und wenn der Mensch sie an der Sonnenscheibe deutlicher sieht, als an einem Insekte, so ist sie darum nicht minder groß; nur ist das Auge zu kurzsichtig. Wer du immer dieselbe gern bewunderst, komm', wir wollen uns in der Mitte einer Wiese niederlassen. Hier siehst du nach der gewöhnlichen Ansicht nur die unscheinbarsten Dinge, niedrige Kräuter, die du täglich mit Füßen trittst und verächtlich dem Viehe vorwirfst. Und dennoch, wenn du nicht blind bist, wie viel Stoff geben sie dir zum Erstaunen? Siehe, rings um dich her erheben sich tausend verschiedene Pflanzen. Alle saugen aus derselben Erde ihre Lebenskraft und eine jede behält indessen ihre eigene Gestalt, ihren besonderen Geschmack, ihre eigene Kraft; eine jede bringt ihren eigenen Samen, um rings um sich her ähnliche junge Pflänzchen zu verbreiten. Was geschmacklose Feuchtigkeit und toter Schlamm ist, wird hier durch eine geheime Kunst in hundert verschiedene Gestalten umgewandelt. Du siehst unter ihnen ganz verschiedene Wurzeln, Stängel, Blätter und Blumen und Früchte, du findest eine gänzliche Verschiedenheit an Gestalt, an Farbe, an Geruch und Geschmack. Wer kann alle Eigenschaften derselben bemerken! Und doch sind sie alle Kinder Einer Mutter. Dieselbe Erde erzeugt, trägt und nährt sie und zieht sie groß. Aber bei so großer Mannigfaltigkeit betrachte, wie jede Pflanze ihrer Natur getreu bleibt und nimmer ihre Grenzen überschreitet; nicht eine nimmt die Blüte einer anderen an, oder bekleidet sich mit ihrem Blatte, oder schmückt sich mit einer fremden Frucht. Obgleich vernunftlos folgen sie doch alle dem Gesetze, das sie unter einander abgesondert hat seit dem ersten Augenblicke, da sie aus dem Nichts hervorgingen.

Wo ist denn nun der Tor, der sich vermisst, die blinde Natur und das Ungefähr über den Thron der Gottheit zu erhöhen? Schau' umher und betrachte, wie Ursache und Wirkung, wie Mittel und Zweck verbunden sind, wie alle Wesen von Einer Gattung in ihrem Wirken stets gleichförmig sind. Schau' und bewundere eine hohe Intelligenz, die alles lenkt und umfasst. Diese entwarf den Plan des Weltalls, sie stellte es so dar und leitet und ordnet es nach der ersten Idee. Du hältst den Menschen für ein vernunftbegabtes Wesen, weil er die Mittel, die zum Zwecke führen, zu verbinden weiß. Du hältst ihn für vernünftig, weil du siehst, wie er vorsichtig sät, wo er zu ernten gedenkt, wie er das Fußgestell einsenkt, wo er die Säule aufrichten will, und wie er sie da anbringt, wo das einsinkende Dach einer Stütze bedarf. Und du willst nicht glauben, dass eine höchste, einzige, allgemeine, unermessliche, ewige Vernunft die große Kette von Ursachen und Wirkungen ineinander geflochten habe, die in unermesslichem Umfange alles in eins schlingt und das Universum zusammenhält? Und du maßest dir töricht an, die Natur Schöpferin zu nennen? Welch ein ungeheurer Wahnsinn! Derjenige, welcher das Auge gebildet hat, schuf auch das Licht und die Farbe, und Licht und Farbe haben nach der Anordnung des Höchsten Geistes einerlei Zweck mit dem Auge, sowie sie in der Natur einerlei Gebrauch gemeinschaftlich haben und zu einem und demselben Ziele hinwirken. Derjenige, welcher den Menschen das Bedürfnis nach Speise anerschaffen hat, schuf auch die ihm zusagenden Gewächse, und das Erdreich, das sie aufnimmt, und die Sonne, die sie befruchtet, und der Regen, der sie nährt, sind von ihm, und dienen dazu, die Reife derselben zu befördern. Wer macht, dass die leuchtende Sonne uns umkreist und mit ihren erwärmenden Strahlen alles belebt? Wer mäßigt so ihre Hitze, dass sie die Sterblichen nicht aufreibt, sondern erquickt? Ist es vielleicht die blinde Natur, die das schwächliche Leben der jungen Tiere durch die zarte Pflege der Alten beschützt? Wer hört die Stimme des blökenden Lämmleins und führt ihm die Mutter zu, die es säugt? Wer zeigt dem Löwen in der Wildnis seine Beute und führt ihn mit dieser Beute zur Höhle der zarten Jungen? Wer lehrt den Raben seinen Aufenthalt verändern? Wer lädt die Schwalbe beim Herannahen des kalten Winters zu einem anderen Klima ein und wer zeigt ihr den Weg über die Fluten des Meeres? Wenn die blinde Natur, der blinde Zufall das Weltall gebildet haben, wer erhält denn ihr Werk und bewahrt es in seinen alten Grenzen? Wer macht, dass die Sonne immer dieselbe Bahn betritt, die ihr von Urbeginn bezeichnet ist? Wer macht, dass die Planeten sich nicht in ihrem Kreislaufe hindern, dass sie nicht an die Fixsterne anstoßen, dass die Erde nicht zusammenstürzt, dass sich der regelmäßige Wechsel der Jahreszeiten nicht ändert, dass die Himmel nicht wanken, dass keine Verwirrung entsteht zwischen Tag und Nacht? Wer macht, dass der blinde Zufall nicht wieder das hervorbringt, was er nach der Meinung des Atheisten früher schon hervorgebracht haben soll, dass die blinde Natur nicht täglich ihre Werke vervielfältigt, dass wir nicht mit jedem Tage neue Sonnen aus dem Schoße des Nichts aufsteigen und über uns hinschweben sehen, dass nicht neue Pflanzenarten das Erdreich bedecken und neue Tiergeschlechter, der Vorwelt unbekannt, die Wälder bevölkern, und Schlangen, Vögel und Fische erscheinen, wie früher keine gesehen wurden? Lassen wir diesen Unsinn! Entweder gibt es keinen Atheisten, oder er ist kein natürlicher Mensch. Es gibt unter den Menschen zuweilen Ungeheuer, die an Körperbildung mehr dem Tiere ähneln. Wenn es einen Gottesleugner gibt, so ist er ein Ungeheuer des Menschengeistes. Er hat nicht mehr seine natürliche Gestalt, die Spur der Vernunft, er ist dem Viehe ähnlich.

Aber lass uns wieder auf die Wiese zurückkehren. Eine zahlreiche Schar beflügelter Insekten bedeckt alles und flattert umher von einer Blume zur anderen, spielend und gaukelnd? Welche Kunst gab diesen Würmchen ihre Flügel? Wer lehrte sie, dieselben schnell zu schwingen und sich darauf zu wiegen, bald in die Höhe zu steigen, bald wieder sich zu senken und ihren schnellen Flug bald hierhin, bald dorthin zu richten? Ewige Weisheit, schaffende Weisheit! wer kann dich hier verkennen?

Aber eine süße Harmonie ertönt durch den Wald. Ich kenne den lieblichen Gesang der unschuldigen Bewohner der Gebüsche. Wie viele verschiedene Stimmen! Jede Familie hat ihre eigene Sprache, jedes Geschlecht seine eigene Melodie. Sie verstehen die Kunst, den Atem zu dämpfen, die Stimme zu beherrschen, die Töne zu bemessen. Die höchste Weisheit ist ihre Lehrerin und Lenkerin. Sie folgen nur blind dem Triebe, den der Schöpfer ihnen gab.

Siehe, da kommen sie aus dem Gebüsche auf die Wiese herab. Der eine fliegt da her, der andere zurück. Der eine trägt in seinem Schnabel ein Grasstämmchen, der andere ein Insekt. Wie sie geschäftig sind die artigen Tierchen! Wie tätig und ernsthaft! Die einen bauen sich ihr Nest, die anderen versorgen ihre zarten Jungen mit Speise. O du ewige, bewunderungswürdige Weisheit!

Aber welches laute Geschrei, welche kreischenden Töne höre ich da! Ach, das ist nicht mehr Freudengesang, es sind Töne des Schreckens und des Schmerzes. Welch eine plötzliche Veränderung! Alle die armen Vöglein ergreifen eilig die Flucht. Was mag das bedeuten? Ach! da seh ich in der Höhe den Sperber.

In weiten Kreisen dreht er sich über dem Gebüsche und droht auf seine Beute herabzustürzen. Eine Schar von kleineren Vögeln sammelt sich um den Räuber mit unaufhörlichem Geschrei. Ich weiß nicht, ob sie ihn mehr reizen oder verjagen; ich weiß nicht recht, ob dieser unsichere Flug und dieses ängstliche Geschrei Furcht oder Mut ausdrückt. Arme Tierchen! Seid ihr vielleicht Väter oder Mütter und seid bekümmert um euere zarten Jungen? Fühlet auch ihr die ungestümen Regungen der Liebe, der Furcht? Wohnt auch in euerer unschuldigen Brust das süße Gefühl der Freude der Gatten, die Zärtlichkeit der Eltern? Wenn ich sah, wie ihr euch schützt und verteidigt gegen die räuberische Hand, die euch die Jungen stahl, so bemerkte ich, wie ihr ängstlich um das bedrohte Nest einherflattert und schwankend zwischen Furcht und Mut bald auf den Räuber losstürztet, bald wieder euch entferntet, die Luft mit Klagen erfüllend. Ich sah, wie ihr um die Wette euch locktet und haufenweise hinflogt, wo eines von euch getötet oder verwundet und sterbend auf dem Boden lag; wie ihr um diesen geliebten Gegenstand herumflogt und ihn jedes Mal mit den Flügeln berührtet, während die Umgegend von euerem Klageschrei ertönte. Wollet ihr dem Freunde zu Hilfe kommen? Rieft ihr andere zu Hilfe herbei? Weiß auch euer kleines Herz von Mitleid?

Aber der Sperber entflieht schon. Ewige Weisheit, warum störst du durch diese grausamen Räuber eine so unschuldige Freude, warum verbreitest du Schrecken unter diese friedlichen Waldbewohner? Dass doch die Sperber, die Falken, die Adler, die Geier: Was red' ich, Törichter? Schweig, blinder Sterblicher, und forsche nicht, was dir zu hoch ist. Die Ursache der Dinge ist verschlossen in der Brust desjenigen, der sie aus dem Nichts hervorgezogen und geordnet hat. Wer darf sich unterfangen, den Allmächtigen darüber zur Rede zu stellen? Es genüge dir, zu wissen, dass stets eine unendliche Gerechtigkeit und Güte seine Ratschlüsse leite. Du im Gefühle deiner Nichtigkeit, bete ohne Unterlass diese stets gerechten und heiligen Ratschlüsse an!

Solange der Mensch diese niedrige Erde bewohnt, ist er noch fern von dem Lande des Lichtes. Er findet sich hier in einem dunklen Lande, sieht nur einen Strahl von der ewigen Weisheit, der ihm den Weg dahin zeigt, wo er sie im vollen Glanze schaut. Genug, Pilger, wenn du den Weg weißt und ihn wandelst. Am ewigen Ziele angelangt wirst du schauen. Und gleichwie der Besitz des höchsten Gutes und die Fülle der Liebe dir dort zur Belohnung wird, weil du hienieden die unmäßigen Begierden deines Herzens bezähmt und dich vor Ausschweifungen bewahrt hast: so wird dich auch dort der Besitz der ewigen Weisheit und der ewigen Wahrheit dafür belohnen, dass du das unmäßige Streben deines Geistes in heiligen Schranken gehalten.

Aber du magst die Geier und Sperber nicht leiden? So hüte dich denn, dass du nicht selbst einer werdest. Die Raubvögel folgen dem unschuldigen Triebe der Natur. Die Adler und Falken in Menschengestalt, diejenigen, die das Laster dazu bildet, verdienen Abscheu und Strafe. Der strenge Spartaner flößte seinen Kindern die Mäßigkeit ein durch den hässlichen Anblick des entgegengesetzten Lasters, indem er ihnen seine betrunkenen Sklaven vorführte. Die göttliche Weisheit stellt dir eine große Tugendschule vor Augen in deinen Sklaven. Sie zeigt dir an den Tieren, über welche sie dir die Herrschaft gegeben hat, das deutliche Bild der Tugenden, womit du dich schmücken, und der Laster, die du fliehen sollst. Du siehst das eine sich im Kote wälzen und wendest unwillig deinen Blick davon weg. Da hast du ein Bild; denk' daran! Weit unwürdiger noch handelt der Mensch, der sich im Schlamme niedriger Lüste wälzt. Du siehst, wem ein Geist, der geschaffen ist, um sich zu Gott zu erheben, gleicht. Ein gieriger Wolf fällt deine Herde an; der Fuchs schleicht sich verstohlen in deine Wohnung, um zu rauben. Ereifere dich nicht.

Das sind nur Bilder von Verbrechern. Der räuberische Wolf, der verwünschte Fuchs ist der Mensch, welcher mit offener Gewalt, oder heimtückisch seinem Mitbruder Schaden tut oder nachstellt. Hüte dich, dass das verdammliche Verbrechen nicht auf dich falle. Der Rabe belästigt dich mit seinem widerlichen Krächzen. Lerne daraus, deine geschwätzige Zunge, das Werkzeug des Unverstandes, zu beherrschen. Schau' hin auf das sanfte Lämmlein und lerne von ihm die Sanftmut; die reine Taube lehre dich die Unschuld kennen, das Hündlein, welches dankbar seinem Herrn schmeichelt … Ewiger Gott! in welchen kleinen Dingen stellst du unserem Blicke erhabene Gegenstände, hohe Tugenden vor! Wer kann vor dem großen Gesetzgeber seine böse Tat verteidigen! Sogar seine uns untergeordneten Geschöpfe lehren uns das, was er verbietet oder gebietet. Ein Hund beschämt den Undankbaren; ein Hund lehrt uns Erkenntlichkeit und Liebe gegen unseren Schöpfer! Mensch, erröte! Bist du deinem Gott so getreu, wie dieses Tier demjenigen, der es nährt? Du murrst und zürnst, wenn dein liebevoller Herr dich züchtigt, um deine tödlichen Wunden zu heilen. Der Hund leckt die Hand, die ihn schlägt, und unter der Rute seines zürnenden Herrn duckt er sich demütig zu seinen Füßen. Betrachte ihn und bändige deine Gott lästernde Sprache und die unheiligen Wünsche deines verkehrten Herzens, wodurch du den Himmel zur Rache aufforderst. Zur Ameise, du Fauler, zur Biene, du Träger, geh' in die Schule! Sogar mitten in den Wäldern und auf den Fluren würdigt sich die ewige Weisheit, mit uns zu sprechen. Glücklich der Mensch, der überall auf ihre Worte horcht, die köstlicher sind als Gold und Edelgestein, und sie im Herzen bewahrt und zur Richtschnur seines Lebens macht!

Doch ins nahe Gebüsch ist die Ruhe wiedergekehrt. Lasst uns hineingehen, um das Treiben seiner Sänger näher zu beobachten. Lasst uns über den Bach gehen. O herrlicher Anblick! Sieh', da wimmelt alles von Fischen. Wie munter und frisch! Mit Blitzesschnelle schießen sie in einem Augenblicke durch das Wasser hin und täuschen durch ihre schnelle Bewegung das kurzsichtige Auge des Beobachters. Wer hat sie zu solcher Schnelligkeit abgerichtet? Wer hat sie mit so gelenkigen Rudern versehen? Wie können sie leben in einem Elemente, wo jedes andere Tier erstickt? Wer versorgt sie da mit Nahrung? Ewig bewunderungswürdige Weisheit! überall sehe, überall finde ich dich. Armer Hirt, der du beständig deine Herde weidest und deine Lämmlein fütterst; schlichter Landmann, der du kaum etwas mehr kennst als das Feld und die Wiese und deine niedrige Hütte, beneide nicht die hohe Weisheit des Gelehrten, der dich stolz verachtet. Um denjenigen zu finden, den du demütig und fromm anbetest, hast du nicht nötig, wie der Gelehrte, deine Nächte in anstrengenden Studien zu durchwachen, noch ihm zu folgen in verwickelten Rechnungen, um die Bahnen der Planeten zu messen, die Zeit ihres Umlaufs zu bestimmen und ihre Verfinsterungen vorherzusagen. In deiner niedrigen Umgebung kommt dir seine Weisheit entgegen. Wohin du dein Auge wendest, überall findest du sie. Sie ist dir stets zur Seite, ruft Tag und Nacht, und will sich dir zu erkennen geben und hingeleiten zur Glückseligkeit.

Aber lass uns in das Gebüsch eintreten. Betrachten wir die Wohnungen der Sänger des Waldes. Dort sitzt ein Vogel und brütet noch; da sind schon zarte Vöglein. O, wie schön sind ihre Bettchen gebaut! Zuerst sind sie von außen bekleidet mit rauen Halmen, darauf folgen immer sanftere Fäden von trockenen Kräutern und dann Federn und Haare und endlich eine weiche Wolle, von Bäumen gesammelt und berechnet für diese nackten und schwächlichen Geschöpfe. Wer zeigt doch diesen kleinen Künstlern das für ihren Bau geeignete Material? Wer lehrt sie Maß und Zeichnung? Wer gibt ihnen die Instrumente für ihren kleinen Bau? Und doch mit welcher Kunst wissen sie ihn auszuführen und zu befestigen! Der eine baut auf den Boden und birgt sein Nest unter dichtem Grase, der andere baut lieber in hohle Bäume, ein dritter sucht seine Sicherheit unter verflochtenen Ästen. Wer bestimmt ihnen die Zeit, da sie mit dem Neste anfangen sollen, damit es vollendet sei, wenn sie ihre Eier legen? Jede Art baut sich ihre Wohnung anders. Gibt es ein Gesetz, das jeder Art die eigene Form vorschreibt? Jede Art hat verschiedene Gestalt, eine besondere und eigene Bedeckung und eigenen Sinn. Aber sieh', da kommt eine zärtliche Mutter, um ihre Jungen zu füttern! Unschuldiges Geschöpf! Wer lehrte dich die Kunst, deine Brut aufzubringen? Hüte dich, armes Geschöpf, vor hundert und hundert Speisen, die der Wald und die Wiese dir darbieten; du findest deren kaum zwei, die nicht Gift sind für dich und deine Jungen. Hüte dich, dieselben zu spät zu erquicken, wenn sie nicht vor Hunger umkommen sollen. Bedecke sie mit deinem Flaum; denn sie sind noch schwach; der nächtliche Tau kann sie töten. Ich Tor! was kümmere ich mich? Es hat schon einer vorher für alles gesorgt. Alles dieses hat die weise Hand des Schöpfers unauslöschlich ihnen eingeprägt. Alles kennt seine Stimme, die allein alle Dinge hervorgebracht hat. Diese belehrt die vernunftlosen Geschöpfe und ihr gehorchen sie immer. O, wie sie jubeln beim Anblicke der Speise! Wie sie sich alle aufrichten und gierig die kleinen Schnäbel auftun! Wie geschickt ihnen die Mutter die Nahrung beizubringen weiß! Artiges Tierchen! Wie ist sie so klug, so aufmerksam, so treu ihrer Pflicht! Unendliche Weisheit, wie trefflich belehrst du diese deine Kreaturen! Warum belehrst du nicht ebenso den Menschen!

Ach! seufzen wollen wir über unsere Verkehrtheit, nicht aber den Himmel beschimpfen durch strafbare Lästerung. Die göttliche Weisheit, die den vierfüßigen Tieren keine Flügel und den Fischen keine Federn gab, die alles nach seiner Natur leitet, lenkt auch den Menschen auf eine ihm angemessene Weise. Durch ihr edles Geschenk, Vernunft und freien Willen, stehen wir über den anderen Geschöpfen. Unser Vorzug besteht in der Tugend, und sollen unsere Handlungen Wert haben, so dürfen sie nicht aus dem Zwange hervorgehen. Darum redet uns Gott auf tausenderlei Weise zu und belehrt uns, aber nötigt uns nicht durch blinden Instinkt, wie das vernunftlose Vieh. Er lädt uns ein zu dem, was gerecht und ehrbar ist; aber er lässt uns dennoch stets freie Wahl. Allein, wenn der Mensch sorglos seine Ohren verschließt vor der liebevollen Stimme, wenn er träge zurückbleibt, wenn er widerspenstig und verhärtet den Weg des Lasters wandelt, an wem liegt dann die Schuld? Was tut nicht die göttliche Weisheit, was hat sie nicht getan, um dieses ihr Geschöpf zu gewinnen! Himmel und Erde und das ganze Weltall geben Zeugnis von seiner liebevollen Fürsorge, womit er uns an sich lockt. Nachdem sie zu uns geredet durch die Natur und durch tausend Stimmen derjenigen, die uns ihren Willen verkündeten, sahen wir sie nicht selbst in Menschengestalt herabsteigen, uns alle um sich her zu versammeln und uns alle einzuführen in ihr seliges Reich? Hörte man nicht sie selber uns den Weg lehren, der dorthin führt? Ging sie nicht vor uns her als Führerin? Bis auf diese Stunde bleiben uns ihre Lehren. Auch hat sie eine getreue Lehrerin zur Bewahrung ihrer heilbringenden Aussprüche auf dieser Erde angeordnet. Auch jetzt noch erkennt man die Spur, die sich uns bezeichnet. Hier sind für immer die Schlüssel des Himmelreiches zu unserem Wohle niedergelegt. Hier hat sie uns auch Heilquellen zur Erquickung auf der Pilgerschaft geöffnet; hier hat sie für alle unsere Übel ein Heilmittel bereitet; hier hat sie uns das Mahl der Unsterblichkeit geschenkt! Törichter Sterblicher! klage dich selbst deiner Torheit an. Nicht allein lehrt, pflegt und erquickt dich die unendliche Weisheit, sondern sie will sogar sich selbst dir zur Speise geben, um dich ganz in sie selbst zu verwandeln.

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