Augustinus, Aurelius – Nachtgedanken - Fünfte Nacht. - Die Religion und die Liebe.
Während die Menschengeschichte uns die Großtaten der Könige und Feldherren rühmt, während der Ruf von einem Pole zum anderen die glänzenden Namen der Volksbesieger erhebt, und die Erde staunend über die Siege, wodurch Thronen stürzen, ihren Blick heftet auf die vergötterten Überwinder, erhebe ich meine Gedanken zu einem höheren Gegenstande. Mein Held ist ein Armer, der unbekannt und im verborgenen seine Tage verlebt, aber in Gottseligkeit. Auf jene schaut Die Erde, auf diesen der Himmel. Jene ernten die Lobsprüche irregeleiteter Sterblicher, diesem erteilt der ewige Richter seinen Beifall. Der Triumph von jenen endet mit diesem Leben, der Ruhm des Frommen aber beginnt am Grabe und währt durch die ganze Ewigkeit.
Du, o Macht, Bild derjenigen, die einst die Asche und den Ruhm menschlicher Größe bedecken wird, flöße mir jene Empfindungen ein, die alle Menschenherzen ergreifen werden nach der großen Szene der allgemeinen Enthüllung, und lass sie zu der Gesinnung werden, nach der ich meine hinfälligen Tage ordne. Und du, der du die ewige Wahrheit, der Weg und das Leben bist, ohne dessen Licht alles finster und schauerlich ist, ach! sende einen Strahl in meines Geistes Finsternis und erleuchte mich. Gib mir Licht, dass ich auf sicherem Wege dem Ende meiner Verbannung entgegengehe. Die Religion ist es, die mich dorthin leiten soll. Dieses hohe Geschenk von dir ist meine Betrachtung in dieser Stunde.
Dies ist die Stunde, in welcher der Geizhals im stillen das verborgene Gold beschaut. Dies ist die Stunde, da der Weise dieser Welt, der Ruhe entsagend, sich tiefen Forschungen hingibt, die seine Eitelkeit nähren. Zu dieser Stunde erhob sich ehemals von seinem Lager der Vater des weisesten Königs, Gottes Größe zu betrachten, und bei nächtlichem Dunkel erschaute er jene hohen Geheimnisse, die seine prophetische Harfe besang. Du, unendlicher Geist, der du über ihn herabkamst, führe dieses Herz zur tiefen Einsicht deiner Aussprüche und Deiner ewigen Wahrheiten. Nichts von allem, was den irdischen Menschen ergötzt, kann mich erfreuen. Das tadellose Gesetz meines Herrn ist meine einzige Wonne hienieden. Die heilige Religion ist die einzige Zuflucht, worin mein Herz seine Ruhe findet, bis es zur ewigen Ruhe gelangt.
Ohne die Religion erstreckt sich des Menschen Weisheit nicht über die Zeit und das sterbliche Leben hinaus. Innerhalb dieser engen Sphäre bewegen sich alle seine Begierden, Hass und Liebe, Hoffnung und Furcht, die in seinem Herzen wohnen. Hier beginnen und enden alle seine Pläne und Werke. Bei dem Frommen ist nur der Körper in diese Schranken eingeengt; sein Geist erschwingt sich über die Sterne. Sein irdischer Sinn wird verscheucht gleich dem schweren Gewölk, welches nur mit dem unteren Saume die Erde streift. Hell und rein über ihm strahlt die Vernunft, der Sonne gleich, und will er sich je erheben und sie verdunkeln, so zerstreut und schwächt sie ihn durch ihre Strahlen. Er atmet in höheren Regionen; die Ewigkeit, der Himmel ist das Land, worin er wandelt. Der furchtbare Herrscher des Weltalls ist die Quelle, aus der alle seine Begierden entspringen, und das Meer, worein sie sich ergießen. Der Fromme gehört nicht mehr dieser Erde an. 0 Gleich der Raupe, die zuerst mühsam auf der Erde kriecht und dann sich einspinnt und in der engen selbstgebauten Wohnung die erste Hülle ablegt, dann beflügelt hervorkriecht und sich zu den Wolken erhebt, so hat auch der Mensch ein doppeltes Leben. Zuerst sieht man in ihm nur ein schwerfälliges Tier, das über die Erde hinwandelt. Aber nachdem es abgestreift die irdische Hülle, soll einst der beflügelte Geist sich erheben und die ganze Schöpfung, die unermessliche Ewigkeit zu seiner Wohnung einnehmen. Hienieden unterscheidet sich der Weise von dem Tieren. Jener strebt in allem nach dem wahren Leben und ist einzig darauf bedacht, sich von dem Irdischen, Tierischen loszusagen. Wie der Schmetterling in den Tagen des Frühlings auf den Blumen sich wiegt, so erhebt sich der Weise auf den Flügeln erhabener Tugend beim Herannahen des Todes in jene heiteren Regionen, wo die Blumen der ewigen Freude sprossen. Der andere bleibt verborgen unter der irdischen Hülle und heftet sich daran mit immer festeren Banden. Unterdessen kommt der Tod und ruft ihn hinüber ins andere Leben; er aber bleibt zusammengekrümmt und ohne Flügel in der dunklen Wohnung verschlossen, ein armer Erdenwurm mit ewiger Blindheit geschlagen. Siehe da, wohin das Wissen des Toren hinausgeht, siehe die gepriesene Weisheit der Welt! Er kennt nur das Tierische an sich und kümmert sich um nichts anderes, einzig bedacht auf die Erdengüter, und zufrieden, wenn er dieselben bis zum Grabe genießen kann, spottet er des Weisen, der hienieden streng und enthaltsam lebt. Der eine ist ein Mensch, der in wenigen Tagen der Unmäßigkeit sein Getreide aufzehrt und lässt sein Feld brach liegen; der andere lebt nüchtern, um etwas zur Aussaat zu ersparen. Kommt nun die Zeit der Ernte, so sammelt dieser hundertfältige Frucht seiner Ersparnis und seiner Arbeit; jener aber stirbt vor Hunger.
Gott hat den Menschen geschaffen, um ihn mit sich zu vereinigen und ihn vollkommen glücklich zu machen. Aber der Mensch muss erst lernen, wie viel ihm noch mangle, bis er zum Besitz eines so hohen Gutes gelangen kann. Er muss in der Ferne schon ein heißes Verlangen nach demjenigen haben, der einst seine volle Seligkeit sein soll. Er muss zuerst tief gebeugt zu ihm rufen, ehe er ihn sieht, muss erst die Qual eines liebenden Herzens fühlen, welches nach dem Geliebten sich sehnt und, wiewohl noch fern von ihm, schon ganz in ihm lebt. So will es die Liebe des höchsten Wesens. Aus Liebe verbirgt sich Gott seinem Geschöpfe, so lange es die irdische Hülle noch trägt. Jedoch will er uns in unserer Verbannung nicht ganz verlassen, sich uns nicht ganz entziehen. Einen hohen Trost, einen mächtigen Beistand gibt uns seine heilige Religion. Diese milde Trösterin eröffnet einen edlen Verkehr zwischen dem Pilger hienieden und seinem verborgenen Gott, und bringt. die Herzen näher und beginnt schon, sie eins zu machen mit ihm. Sie lehrt den Menschen, seinen Gott zu suchen mit liebender Sorgfalt. Sie gewöhnt uns, nach ihm zu seufzen und ihn zu lieben, ehe wir ihn besitzen, uns würdig zu machen einer näheren Vereinigung mit ihm. Die edle Jungfrau, verlobt mit dem fürstlichen Bräutigam, den Länder und Meere von ihr scheiden, sendet ihm ohne Unterlass Briefe und Boten und tausend und abermals tausend Liebesbeteuerungen eines Herzens, das schon ganz sein ist. So verhält es sich mit dem Leben des Menschen auf Erden; sein Herz ist voll von dem erhabenen Gegenstande, der einst unser sein soll. Die Religion erfüllt unsere Brust mit jenen edlen Gesinnungen, die unsere Würde erfordert, sie entzündet und nährt in uns die schöne Flamme, die so hoch emporstreben soll. Unter ihrer Leitung bringt der Mensch seinem Herrn, den er noch nicht sieht, eine beständige Huldigung dar durch den Glauben, durch Gehorsam, durch brennendes Verlangen, durch Ehrfurcht und Liebe. Durch sie weiht sich das Geschöpf ganz seinem Schöpfer und entsagt ganz seinem eigenen Willen, um nur ihm zu leben.
Glücklicher Pilgrim, der du so auf Erden wandelst! was ist wohl deiner Hoheit zu vergleichen? Für dich hat dieser Verbannungsort nichts Großes mehr. Die Natur hat nichts, was deiner würdig wäre. Der Allmächtige würdigt sich, mit dir umzugehen; er, der Unsichtbare, wohnt in deiner Brust, um deine Liebe zu belohnen. Du bist sein Wohlgefallen und er dein höchstes Gut. Auf der ganzen Erde ist nichts mehr, wonach du verlangen könntest. In ihm besitzt du schon den Gebieter über alles; in ihm findest du alles. Wer Gott besitzt, besitzt alles und die ganze Welt ist nichts im Vergleich mit einem solchen Besitze. Die Liebe spornt uns an, an solche Gegenstände uns zu heften, die uns ein besseres Los verheißen. Der arme Mensch sucht anderswo jene Seligkeit, die er in sich selber nicht findet. Aber was findet er wohl an den Erdensöhnen? Unvollkommene Wesen, gleich ihm. Ihre Tugend ist mangelhaft, die Wünsche ihres Herzens sind nicht rein und ihre Neigung ist gebrechlich wie ihr Leben. Ein Schatten des Verdachts kann dieses Herz, für welches er seufzt, von der Liebe zum Hass umwenden. Ach! wie wenig vermag die standhafte Liebe dem Wechsel zu widerstehen, welchem alles auf diesem stets bewegten Meere unterworfen ist. Wer liebenswürdig schien, solange er im Glanze des Thrones und an der Gunst des Fürsten sich konnte, erscheint nun ein ganz anderer, wenn er durch Verleumdung des scheelsüchtigen Feindes verbannt ist. Solange dich von allen Seiten das Glück mit seinen Gaben anlacht, findest du Herzen voll von Liebe; trifft dich das Unglück, so findest du nichts als Herzen von Eis. Eine hässliche Wunde, eine unheilbare Krankheit verwandelt die Schönheit, die früher das Idol von tausend Herzen war, in einen Gegenstand der Gleichgültigkeit und des Ekels. Und dann, wie könnte wohl die Liebe eines hinfälligen Wesens meinen Wert erhöhen? Wir bleiben beide sterblich. Meine Lebenstage gewinnen nichts an neuem Herzensadel, sie bekommen keinen neuen Zuwachs an Verdienst, keinen neuen Reichtum an Tugend. Wir sind nur zwei Bettler, die in unserem Elende gemeinschaftliche Sache machen.
Die Liebe meines Gottes, die Liebe, die mich an ihn bindet, zeigt mir ihn als ein Wesen, das alle wahre Größe und alle übermenschliche Hoheit in sich begreift. Er ist der Urquell aller wahren Tugend, der fleckenlosen und unwandelbaren Reinheit, hocherhaben und aller Liebe würdig. An ihm finde ich eine Schönheit, vor welcher das Licht der Sonne erbleicht, die über alle Wechsel in Zeit und Ewigkeit erhaben ist. Seine Liebe ist beständig, nimmt nicht ab und verlässt mich nicht, wenn ich nicht undankbar ihn verlasse. In ihm finde ich die ewige Treue. 'Er liebt mich nicht um der Güte willen, die ich besitze, sondern aus Mitleid über meinen kläglichen Zustand, um mich zu bereichern mit seinen unermesslichen Schätzen und sich selbst, als das höchste Gut, mir zu schenken. Er nimmt meine Liebe an, sei ich der niedrigste aller Menschen, oder mit glänzendem Diademe geschmückt. Er liebt mich auf gleiche Weise, wenn ich von allen Menschen verachtet und zertreten werde, und wenn mir, wie den Großen dieser Erde, alles huldigt. Sowohl gesund als von hässlicher Krankheit befallen, bin ich ihm angenehm. Ich finde in ihm eine volle, unendliche Glückseligkeit. Seine Liebe bereichert mich mit dem allerhöchsten Gute. Seine Liebe reinigt mich von allem, was irdisch und niedrig ist. Er verleiht mir Sinn, Willen und Neigung, gleichförmig dem hohen, edlen Vorbilde, er erhebt mich zur Gottähnlichkeit. Hehre Religion, dir verdanke ich dieses selige Los!
Obgleich sterblich, schau' ich schon durch dich meinen Gott. Du bildest in diesem sterblichen Fleische den neuen Menschen, der einst ohne Hülle ihn schauen soll. Dieser beginnt als Fremdling auf der Erde ihn zu schauen durch den durchsichtigen Schleier, der ihn verhüllt. Er redet mit ihm und ruft ihn an jeden Augenblick und horcht auf seine Worte, die Worte des Friedens, der Hoffnung und der Liebe sind, sie entzünden und entflammen sein Herz. Er fühlt ihn in seiner Brust, dort sucht und findet er ihn, schließt sich an ihn und ruft aus im Übermaß der Liebe: Wer wird mich trennen von der Liebe meines Gottes? Trübsal oder Angst, oder Hunger oder Armut, oder Gefahren oder Schwert? O, alles dieses überwinde ich durch die Liebe dessen, der mich zuerst geliebt hat. Nein, weder Leben noch Tod, weder Macht noch Gewalt der Erde oder des Himmels werden mich jemals von ihm trennen können! Darauf ruft er im Übermaß der Liebe voll Ungeduld dem Tode, ruft, dass dieser die Scheidewand durchbrechen und die Bande des tierischen Lebens zerreißen möge, damit er sich endlich ganz umwandeln und Gott ähnlich werden könne.
Das sind Geheimnisse für den, der in sich nur an den irdischen Menschen findet. Indessen erleuchtet auch jetzt noch der Himmel die Blinden. O du, dessen schwacher Blick nicht tiefer eindringt, komm' und sich die Wirkung von dem, was du nicht verstehst, und aus der Wirkung lerne die Ursache kennen. Du kennst die Lockspeise dieser Erde. Vergnügen, Ehre und Reichtum ist das Element der Irdischgesinnten. Ich zeige dir andere Menschen, denen diese Speise nur Ekel und Abscheu erregt. Die Armut ist dir zur Last, entblößt sein von Erdengütern, verächtlich und niedrig erscheinen unter den Menschen, ein kummervolles Leben führen, darob erschaudert die Natur. Komm', und schau' andere Menschen, denen alles dieses leicht und wonnig ist.
Siehe, da stehen einige Männer von niedriger Herkunft, aber Anhänger eines neuen Gesetzes, das alle Länder und Königreiche der Erde unterjochen, die Götzentempel zerstören und die ganze Welt erneuern soll, vor dem hohen Rate der Juden und werden auf Befehl desselben gegeißelt. Das Volk erwartet sie, um sie zu beschimpfen. Mit lächelnder Miene treten sie hervor. Sie freuen sich, weil sie gewürdigt werden, Schmach und Misshandlung zu leiden wegen des anbetungswürdigen Namens, dem ihre ganze Liebe geweiht ist. Das neue Gesetz findet nun Anhänger. Schon vermehren und verbreiten sich die Freunde desselben im jüdischen Lande. Aber sonderbares Volk! Der eine bestrebt sich, alles zu verkaufen und auf alles zu verzichten, um sich zum Bettler zu machen; der andere wird auf Befehl der Obrigkeit seiner Habe beraubt, freut sich darüber und geht fröhlich in die Verbannung. Über die ganze Erde hin verbreiten sich die Anhänger dieser Lehre, immer verkündend die nie gehörten Aussprüche des Himmels, und überall erhalten sie zum Lohne der Mühsale Steinigung, Geißelstreiche, Schiffbrüche, Hunger, Bande und Tod. Dennoch wächst ihre Freude immerfort unter diesen für irdische Menschen so schaudervollen Auftritten. Einen von ihnen höre ich, mit Schmach überhäuft und den ganzen Körper mit Wunden bedeckt, ausrufen, dass seine Freude das Gefühl seiner Leiden weit übersteige. Einen anderen sehe ich mit hoher Freude das Kreuz umarmen, an dem er sterben soll, und er nennt es sein erwünschtes Kreuz. Die Erde bietet ihnen Dornen an; daher ihre Freude. Was in ihnen irdisch ist, leidet; aber was himmlisch ist, freut sich einer unaussprechlichen Seligkeit. Sieh', das ist das Wunder, das die Blicke der Welt auf sich zieht. Diese sieht sich endlich genötigt, einem so großen Lichte zu weichen, und alles wird voll von diesen Engeln auf Erden, von himmlisch gesinnten Menschen. Schon strömen von allen Seiten Menschen herbei, den unter niedriger Hülle verborgenen Adel zu schauen und die Seligkeit des in Kerker und auf Scheiterhaufen leidenden Christen zu erfahren. Der Große dieser Erde steigt herab von seiner hohen Stufe, legt beiseite die ehrenvollen Zeichen seiner Würde, die ihm nun verächtlich erscheinen, und entschließt sich zu einem dunkeln und von allem Brunke entfernten Leben. Die ehrwürdige Matrone verbannt den reichen Schmuck, die Auszeichnung ihres hohen Standes; aus ihren geräumigen Palästen entfernt sie das kostbare Gerät und die Schätze, bestimmt für die Armen, und freudig ergreift sie ein armes und niedriges Leben. Die edle Jungfrau verachtet hochherzig die Blüte der Schönheit und Jugend, verschmäht die Freuden der Welt, verzichtet auf jeden irdischen Bräutigam, verlebt ihre Tage einsam und verborgen in häuslicher Stille, in strenger Selbstverleugnung, wie abgeschieden von der Welt. Religion, du geleitest alle diese Seelen von dem irdischen zu jenem in Gott verborgenen Leben! Sie leben auf der Erde, aber nicht mehr für die Erde. Als Zöglinge des Himmels, als Vertraute Gottes leben sie von seiner Liebe.
Glückliche Wüste von Thebais, jetzt bevölkert mit so ruhmwürdigen Bewohnern, welch ein Schauspiel des Trostes, der Bewunderung, der Freude und des heiligen Wetteifers seid ihr für mich! Dort seh' ich Menschen zu Tausenden, fern vom Gewühl dieses Lebens, jedes Band zerreißen, das sie an die Erde knüpft. Verbannt sind da die eitle Pracht, die Ergötzlichkeiten und die irdischen Freuden. Verschmäht wird jede unnötige Pflege des Körpers, um diesen Sklaven unter der Herrschaft des Geistes zu halten. Ein Stücklein schlechten Brotes, oder eine Handvoll Kräuter aus der Wüste, einige Baumfrüchte oder wenig Gemüse, und Fluss- oder Quellwasser, das ist ihre Mahlzeit, ihre Erquickung. Die nackte Erde oder eine schlechte Streu ist das Lager für ihre müden Glieder. Kurzer Schlaf, lange Nachtwachen. Durch Anstrengung und Schweiß ermüdet man das Fleisch, um die dem Geiste widerstrebenden Regungen zu dämpfen. Die ungestümen Sinne werden gefesselt vom Geiste, der nur im Übersinnlichen lebt. überall Stille, Bescheidenheit, Geistessammlung. Gleich den emsigen Bienen ist jeder beschäftigt, den Honig himmlischer Gedanken und überirdischer Gesinnungen einzusammeln. Der eine zeichnet sich tief nachsinnend aus dem Buche der Natur die Größe Gottes, während ihm auf weiten Gefilden die Sonne die mannigfaltigen Farben und Gestalten der Gegenstände enthüllt. Der andere erforscht am Fuße eines hohen Felsen, mit Augen und Geist vertieft in die Heilige Schrift, die Großtaten der göttlichen Allmacht. Der eine, hingestreckt auf die Erde, ergießt sein Herz vor Gott in süßen Seufzern und zärtlichen Klagen. Der andere, starr und unbeweglich auf den Knien, das Angesicht und die Hände zum Himmel erhoben, ruft aus dem Innersten des Herzens zu seinem ewigen Herrn und eilt ihm mit brennendem Verlangen entgegen. Hier sammeln sich unter einem Dache zahlreiche Scharen von Jungfrauen, entflohen den süßen Täuschungen des flüchtigen Lebens, und singen Tag und Nacht das Lob ihres auserwählten Bräutigams. Dort erweckt sich eine große Schar von Klosterbewohnern durch heilige Reden und Gesänge zur Liebe des Allerhöchsten. Ich sehe das weite Gefilde, die Hügel und die Berge, besät mit ländlichen Hütten, schlechten und niedrigen Wohnungen, deren Bewohner, dem einsamen Vöglein gleich, sich zu den Sternen erschwingen. Alles ist voll von Menschen, die nicht mehr als Menschen (eben, sondern als neue Geschöpfe, in denen der ewige Herrscher mit Wohlgefallen wohnt. Hier ist kein Wetteifer mehr für das, wonach so viele geizen; jeder sucht seinen Reichtum in der Lossagung von allem, was nicht Gott ist, und ist dabei bereit, immer nachzugeben und alles seinem Nebenmenschen zu überlassen. Da gibt es keine trübe Sorge der Herrschsucht über andere. Jeder will aller Diener sein und trachtet nach dem letzten Platze. Keine Parteien, keine Zwietracht, nur eine reine Liebe vereint alle Herzen unter sich und mit Gott.
Der irdische Mensch, der keinen Sinn hat für höhere Gegenstände, verschmäht den mäßigen Genuss des Mannes, der sich von dem Glauben und der Gottseligkeit führen lässt. Dem Mammon nicht zu dienen, scheint ihm unedel; er hält es für Erniedrigung, verborgen zu bleiben unter dem Haufen derjenigen, die den Gipfel menschlicher Größe nicht ersteigen, wo die Luft der eitlen Ehre weht; für Torheit, die flüchtigen Freuden nicht zu genießen. Blinder und törichter Mensch, wie wenig kennst du die wahre Weisheit, den echten Adel! Siehe, du bist für einen Tag zur Ameise geworden, befindest dich unter dem Haufen der übrigen Insekten, um mit dem nächsten Morgen wieder deine Stelle in der menschlichen Familie einzunehmen und als ein Großer dieser Erde aufzutreten. Und schon denkst du an nichts anderes, als an die elende Speise deiner Gefährten; deine Wonne ist es, unter ihnen zu scherzen, dein Ruhm, einige Beweise der Huldigung von ihnen zu empfangen. Du verleugnest indessen deine ursprüngliche Bestimmung und denkst nicht mehr an das, was du doch nach wenigen Stunden sein sollst. Elender, deiner Bestimmung unwürdiger Mensch! Betrachte deinesgleichen, die auf kurze Zeit in dem nämlichen Zustande sich befinden. Sie kosten kaum diese niedrige Speise und nur insoweit es die traurige Notwendigkeit zur Erhaltung des Lebens erheischt. Sie suchen keine Schätze zu sammeln, die ihnen nach wenigen Augenblicken nichts nützen können, sie suchen sich in dieser Niedrigkeit nicht groß zu machen. Sie verachten alles, was in diesem vorübergehenden Zustande sie umgibt, und unter der niedrigen Hülle bewahren sie den hohen Sinn für ihre wahre Bestimmung. Mit ihren Gedanken schwingen sie sich auf zum Palaste des Königs, unter die Großen, in die Nähe des Thrones, den sie bald schauen werden. Sieh', Irdischgesinnter! dieser verborgene Edle ist der Fromme, jenes Insekt bist du selber.
Die Natur fängt den Menschen an, die Religion vollendet ihn. Der Natur nach ist er ein beschränktes Wesen in einem ärmlichen Zustande. Die Frömmigkeit erhebt ihn über alles Geschaffene und bringt ihn auf die höchste Stufe der Größe, wo ihn nichts mehr von seinem Schöpfer 'trennt. Du glaubst dich zu erheben, indem du die Gebirge der Erde besteigst. Törichter! du weißt nicht, dass jede irdische Höhe nichts ist im Vergleiche mit dem Himmel, und der Himmel ist dein Wohnsitz. Es ist Niedrigkeit und Blindheit des Geistes, sein Glück in dem suchen, was hienieden glänzt. Aber die Demut, die die Religion uns einflößt, und durch die der Mensch diese irdische Größe verachtet, ist der hohe Adel des Geistes, der seine Heimat im Himmel hat. Die Armut, die im Lichte des Glaubens hinfällige Güter nicht achtet, ist Hochherzigkeit des Menschen, der für höhere Dinge geschaffen ist. Reinen niedrigen Gelüsten frönen, sein Herz von allem, was irdisch ist, rein bewahren und über Dornen und Blumen kühn dahinschreiten und unaufhaltsam dem seligen Reiche entgegeneilen, das ist edler Stolz, würdig einer Seele, die einst Gott zum Bräutigam haben soll. Die Religion allein ist die wahre Weisheit, der wahre Adel; der Fromme allein ist glückselig. Der Weise dieser Erde, der Mensch ohne Religion ist allein elend, niedrig, töricht.